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Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 1.11.2011, 23:32
von Tobias K.
Im Thread über den Droop-Reprint (http://www.karl-may-stiftung.de/diskuss ... 7&start=15) schrieb Rodger:
rodger hat geschrieben:Auf den Seiten 132 ff wird sehr gut ausgeführt, daß May es sich in Sachen Bekehrung (als Beispiele werden Dozorka und Old Wabble gebracht) recht einfach macht, überzeugender wäre es gewesen, wenn Dozorka seinen Glauben behalten oder zu ihm zurückgefunden hätte, OHNE daß erfreulich äußere Umstände eingetreten wären … und Wabbles Bekehrung wäre in einer Phase, wo es ihm (Wabble) GUT GING, ebenso überzeugender herübergekommen als am Lebensende in äußerster Not und Ausweglosigkeit … (in beiden Fällen wäre es schwerer, zum Glauben [zurück] zu finden … im einen Fall weil es einem weiterhin schlecht ginge, die Verbitterung nicht wiche, im anderen da man keinen äußeren Anlass zur Besinnung (im Sinne von „Reue“) hätte …)
Ich bin zwar selber 'Theolog' - aber in Punkto Wabble greift mir diese Bekehrungsdeutung zu kurz. Man kann als Theologe durchaus feststellen, dass aus theologischem Blickwinkel, das ganze nicht wirklich pädagogisch wertvoll ist, oder es auf theologische Aspekte untersuchen. Aber dann übersieht man, dass May nicht zwingend theologisch dachte, als er das ganze schrieb. Wabble ist -wie Hartmut Vollmer feststellte- vermutlich eine Vaterspiegelung und Mayspiegelung zugleich. ("Ist Wabble im ›Ersten Elk‹ noch primär als ein Vater-Imago auszumachen, so konturiert er sich in ›Old Surehand‹ - genau in diesem »Zwischenstadium« ist an die ein Doppelporträt von Vater und Sohn darstellende Figur Old Deaths zu denken - immer deutlicher zu einem Selbstbildnis Mays." - http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 86/155.htm). Es hat wenig mit Blasphemie zu tun, wenn man hier an Trinitätstheologie denkt...

Wenn man von diesen Spiegelungen ausgeht - so ist das ganze nur teilweise eine Auseinandersetzung mit theologischen Dimensionen. Es ist vielmehr die erwünschte (aber nie geschehene) Um-Kehr eines Vaters und die herzensernste Reue des Sohnes May angesichts irdischer Endlichkeit, der von Vergebung seiner Mutter träumt ("Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich.").

Und noch stärker wird dieser Eindruck, wenn man die Doppelkompsition der Szenen betrachtet. Da ist einmal Wabble, der in Todesqualen stirbt und im letzten Moment um Gnade winselt - und Surehand, der danach gesteht, der Sohn von 'Zuchthäuslern' zu sein und vom Ich-Erzähler (an Priester statt) Vergebung erhält. Es ist eben nicht nur eine "Bekehrung im letzten Moment" - es sind subtiler gestaltet zwei... Wobei die zweite nur angerissen wird und erst gegen Ende des Buches final gestaltet ist.

All das entgeht einem aber, wenn man allzusehr die verschiedenen Gnadentheorien durchbuchstabiert oder womöglich versucht zu erfahren, ob Mays Religion eher katholisch oder protestantisch geprägt war... May hat manches bewußt und unbewußt verschleiert und dekoriert. Aber wer den Henrystutzen auf seine tatsächliche Funktionstüchtigkeit hinterfragt macht meiner Meinung nach denselber Fehler, wie derjenige, der eine Katze öffnet um zu sehen, wie sie schnurrt... Und wer May theologisch kritisiert darf dies nur unter dem Vorbehalt tun, dass er eine Kritik unter einem bestimmten Gesichtspunkt vornimmt, die zumindest an der Absicht des Autors - und teilweise an der Rezeption der Leser - vorbeigeht...

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 2.11.2011, 12:38
von rodger
Interessante Ausführungen. Teilweise sehr interessant. Gestern Hermann Wohlgschaft, heute Du, jeweils nach mehreren Wochen oder gar Monaten Pause, es wäre schön wenn Ihr wieder öfter hier schriebet.

Aber
tragophil hat geschrieben:greift mir diese Bekehrungsdeutung zu kurz.
Es handelt sich ja nicht um eine "Bekehrungsdeutung", sondern um einen Hinweis auf einen Aspekt bei dieser Bekehrungsangelegenheit. Der Hinweis vernachlässigt vielleicht die sehr interessanten aufgezeigten Aspekte der Vater- & Ichspiegelung, ok, ist aber als solcher durchaus gerechtfertigt ... Man kann halt Dinge unter diesen und unter jenen Aspekten betrachten, aus verschiedenen Ecken, unter verschiedenen Schwerpunkten ...
dann übersieht man, dass May nicht zwingend theologisch dachte, als er das ganze schrieb.
Also ich übersehe das ganz bestimmt nicht ... mit "Theologie" hatte weder May noch habe ich allzuviel "am Hut", um es bewußt hemdsärmelig auszudrücken ... ("Der Weg zum rechten, wahren Schaun / Steigt nicht empor auf Prismenstrahlen / Es ist da Andres aufzubaun / Als Logarithmen-Dezimalen" ...)
Wabble ist -wie Hartmut Vollmer feststellte- vermutlich eine Vaterspiegelung und Mayspiegelung zugleich.
Schön. Besser: verkörpert Anteile von beiden. Und zusätzlich anderes (seitens May im Außen beobachtetes). Und die Sache ist variabel, mit fließenden Grenzen, mal mehr Vater, mal mehr May, mal mehr sonstnochwas. So ist es auch bei anderen Figuren. Carpio z.B. ist sowohl Schulfreund als auch May selber. Th'is clear.
Wenn man von diesen Spiegelungen ausgeht - so ist das ganze nur teilweise eine Auseinandersetzung mit theologischen Dimensionen. Es ist vielmehr die erwünschte (aber nie geschehene) Um-Kehr eines Vaters und die herzensernste Reue des Sohnes May angesichts irdischer Endlichkeit, der von Vergebung seiner Mutter träumt ("Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich.").
Das spielt alles mit hinein, Vater, Mutter, weißichwas, aber es geht schon noch um mehr ... um Gott oder wie immer man es nennen mag ... hier verschwimmen ja [für mein Empfinden] sozusagen die Grenzen zwischen Mutter und Muttergottes oder Urmutter oder wie auch immer ...
oder womöglich versucht zu erfahren, ob Mays Religion eher katholisch oder protestantisch geprägt war...
Wer hat denn davon gesprochen ? (Rhetorische Frage weil Du einen Beitrag von mir zitierst und dann das bringst.) (Ich habe zwar erwähnt daß Droop May irrtümlicherweise für katholisch hielt aber nicht weil ich diese Frage der Konfession für wesentlich hielte ...)
May hat manches bewußt und unbewußt verschleiert und dekoriert. Aber wer den Henrystutzen auf seine tatsächliche Funktionstüchtigkeit hinterfragt macht meiner Meinung nach denselber Fehler, wie derjenige, der eine Katze öffnet um zu sehen, wie sie schnurrt...
Da sind wir uns doch völlig einig ...
Und wer May theologisch kritisiert darf dies nur unter dem Vorbehalt tun [...]
Weder Droop noch ich haben May "theologisch kritisiert". Es ging darum, daß eine "Bekehrung" (das Wort ist bzw. klingt ja sozusagen ziemlich albern ... [es geht um] Einsicht, Erkenntnis, Besinnung, Gewahrwerdung [,sonstwie] ...) überzeugender herüberkommen würde, wenn einer nicht in höchster Qual den Tod vor Augen hat ... Andererseits: ist wiederum auch schön wenn aufgezeigt wird es ist nie zu spät ... ([Einige] Germanistikstudiumabsolvent[inn]en würden vermutlich Wert auf die vermeintlich "korrekte" Formulierung "wenn aufgezeigt wird, daß es nie zu spät ist" legen, indes hier geht es um so etwas wie Sprachfluß und das Herüberbringen einer Art Spontanität aus dem Bauch heraus ... :D )

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 2.11.2011, 20:24
von Doro
tragophil hat geschrieben: Und noch stärker wird dieser Eindruck, wenn man die Doppelkompsition der Szenen betrachtet. Da ist einmal Wabble, der in Todesqualen stirbt und im letzten Moment um Gnade winselt - und Surehand, der danach gesteht, der Sohn von 'Zuchthäuslern' zu sein und vom Ich-Erzähler (an Priester statt) Vergebung erhält. Es ist eben nicht nur eine "Bekehrung im letzten Moment" - es sind subtiler gestaltet zwei...
Eventuell eine Andeutung von Selbstvergebung *nochmal um eine Ecke weiter denk*
Übrigens, ist es Absicht, dass Du hier auch von Old Death schrobst?

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 0:27
von Tobias K.
Doro hat geschrieben:
tragophil hat geschrieben:Und noch stärker wird dieser Eindruck, wenn man die Doppelkompsition der Szenen betrachtet. Da ist einmal Wabble, der in Todesqualen stirbt und im letzten Moment um Gnade winselt - und Surehand, der danach gesteht, der Sohn von 'Zuchthäuslern' zu sein und vom Ich-Erzähler (an Priester statt) Vergebung erhält. Es ist eben nicht nur eine "Bekehrung im letzten Moment" - es sind subtiler gestaltet zwei...
Eventuell eine Andeutung von Selbstvergebung *nochmal um eine Ecke weiter denk*
Übrigens, ist es Absicht, dass Du hier auch von Old Death schrobst?
Die Erwähnung Old Deaths war Teil des Zitats - der Artikel von Vollmer ist recht tiefgängig und vergleicht verschiedene Stadien, sowie verwandte Figuren in Mays Werk in Hinblick auf seinen Vater.

Und Selbstvergebung - gewissermassen automatisch, nehm ich an. Denn May macht alles selbst, auch wenn er ab und an anderen die Heldenrollen zuschreibt. Da ist Winnetou I recht deutlich: Schon das junge Greenhorn IST KEINES. Denn er lernt kaum etwas, was er nicht selber schon viel besser könnte. Lediglich Winnetou kann ihm noch ein wenig Spuren lesen beibringen und Sam Hawkens bringt ihm etwas Routine mit dem Lasso bei - alles andere, die üblichen Prüfungen auf seiner "Heldenreise" absolviert er, ohne jedwede Vorerfahrung...

rodger hat geschrieben:Interessante Ausführungen. Teilweise sehr interessant. Gestern Hermann Wohlgschaft, heute Du, jeweils nach mehreren Wochen oder gar Monaten Pause, es wäre schön wenn Ihr wieder öfter hier schriebet.
Dankeschön. Ich verbeuge mich imaginär artigst und huldigst. - Und öfter schreiben an sich durchaus gern. Aber einerseits beutelt mein eigenes Leben mich grade immer mal wieder - andererseits ist der Forenbetrieb hier nicht wirklich heimelig... Aber ich arbeite dran. (Also... an mir. Mehr geht ja eh nicht.)
rodger hat geschrieben:Man kann halt Dinge unter diesen und unter jenen Aspekten betrachten, aus verschiedenen Ecken, unter verschiedenen Schwerpunkten ...
Was die "Bekehrung" angeht. Vielleicht war das mit dem Zitat Deines Beitrags nicht hilfreich - aber dass sich immer alle gleich persönlich angesprochen fühlen müssen, ist mal wieder typisch Internet. Ich meinte Droop - und einige andere Verdächtige.
Ich bin davon überzeugt, dass man May 'falsch' liest, wenn man ihn wörtlich liest. Da hat man nach einiger Zeit festgestellt, dass er nicht in den Ländern war, dass man mit dem Henrystutzen nicht schießen kann und dass "Nemsi" kein Wort der arabischen Sprache ist - und dann beißt man sich wieder an Worten fest, weil Theologen das Wort "Gott" in seinem Werk finden. Erst kürzlich habe ich in einer (theologischen) Hausarbeit mit einer Dissertation aufgeräumt, die behaupten wollte, Kino sei wie Gottesdienst. Sicherlich sind Kino wie Kirche 'Orte der Narration' - aber der Reflex vieler Theologen sucht sich die haarsträubendsten Anknüpfungspunkte und schreibt sich Parallelen herbei, die einfach nicht bestehen. - In Mays Fall scheint mir das hier ähnlich zu sein, der entscheidende Punkt (das muss nicht immer mein eigener sein, ich lass mich da gerne von neuen Ansichten überraschen.)- Es ist halt so, als wollte man Aesop mit Brehm's Tierleben abgleichen... Man hat einfach das falsche Werkzeug und die Pointe der Erzählung übersehen...

Die Krux mit May ist ja doch diese: Er schreibt vermeintlich 'realistisch', stellt damit aber über Äußerlichkeiten (Landschaften, Personenbeschreibungen u.ä.) innere Zustände dar. Nur nimmt man ihn dann viel zu gerne wörtlich... Eine Bemerkung von Gert Ueding brachte das -jüngst gelesen- wunderbar auf den Punkt:
Gert Ueding hat geschrieben:Die Genauigkeit, mit der May aufgrund seines Quellenstudiums und trotz des gewaltigen Schreibpensums gearbeitet hat, das ihm seie wirtschaftlichen Verhältnisse aufzwangen, hat den Blick auf die phantastische Dimension des Wirklichen verstellt, die in seinen Büchern eigentlich zum Vorschein kommt. [...] Die Herkunft der Baumaterialien ist von sehr viel geringerer Bedeutung als die Funktion, die sie in einem neuen Ganzen erhalten. [... W]as immer May systematisch oder zufällig sammelte, ersann oder träumte, er gebrauchte es zur Konstruktion einer Welt, die aus den traditionellen Verabredungen gerückt ist und ihr Modell viel eher in Batzendorf oder in der Lügenschmiede erkennt als in dem allgemein kursierenden Bild der Realität. [...] "
http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm
Ueding nennt May im Vergleich mit Tolkien, Edgar Allan Poe, Goethe und Eichendorff 'einen der größten phantastischen Dichter der neueren deutschen Literatur' und streicht heraus, dass May eben nicht nur die ganze Welt anschaulich darstellen, sondern eben auch die 'menschliche Innenwelt' miteinbezieht.

Schlenker zurück: Ich habe den Verdacht, dass May theologische Geschichten - vor allem aus dem Neuen Testament sehr gut kannte (vermutlich durch Vermittlung der Großmutter, sowie durch die Schule) und kreativ abwandelte. Die Parallelen zur Messiasgestalt Jesu sind verblüffend, wenn man einmal darauf aufmerksam wird. (Ich wollte da immer schon mal einen Beitrag drüber schreiben... Vielleicht interessiert der ja irgendwen...) Zudem sitzt er auch bei Kirchenliedern 'fest im Sattel'. Er verbaut aber damit kreativ theologische Bausteine - zu seinen eigenen Zwecken.

Daher bezweifele ich stark, dass es ihm um 'göttliche' Vergebung ging. Der sterbende Wabble ist der liebenswerte und heldenhafte Teil des Vaters, der in allerletzter Minute 'umkehrt', und seinen Starrsinn aufgibt, welchen der Sohn allzu lange toleriert hat (der Genaral wäre die unliebsame strenge Seite des Vaters). Derselbe Wabble ist der Teil des Sohnes May, der sich von der distanziert wahrgenommenen (und inzwischen verstorbenen Mutter) Vergebung für seine Missetaten erwünscht - die in dem gipfelt, was er vermutlich lebenslang vermisst hat: Eine Berührung, eine Umarmung. (" Da zog sie mich an sich und küßte mich.") - Sehr ähnliche jugendliche Mangelerfahrungen konnte übrigens auch Storm berichten...

Und dann der Surehand, der namentlich so nahe an Shatterhand ist, wenn man die väterlichen Prügel erinnert. Der seine familiären Wurzeln verloren hat - so wie Mays Vater seine eigene Abstammung nicht kannte - und zugleich von "Zuchthäuslern" abstammt - wie es ein Sohn Mays von sich hätte ähnlich formulieren können. (Nebenbei: Die Familien- speziell Vaterdimension findet sich neben dem Surehand ähnlich existentiell, aber verdeckter in Satan und Ischariot wieder...)

Schmankerl am Rande und zugleich Teil des Eindrucks: Das 'Alte Lied von der Ewigkeit' das Wabble zum Schluß aufsagt ist mitnichten von May ihm einfach untergeschoben. Es existierte tatsächlich (etwa in "Neu-eingerichtetes Kirchen- und Haus-Gesang-Buch: welches nach der Ordnung..." von 1832. Allerdings wohl kaum 'natürlich in der englischen Übersetzung' - es war ein deutsches Kirchenlied, von Bach in eine Kantate (BWV 60) als Choral aufgenommen. May bearbeitet auch hier kreativ: während die erste Strophe noch fast wörtlich abgeschrieben ist, bearbeitet er die "zweite" (im Gesangbuch immerhin die Neunte) dezent, die "dritte" (im Gesangbuch 13. von 16) recht frei, um mit der "Gnade" zu enden, die im Original fehlt. Seine Bearbeitung ist unschwer in den Himmelsgedankenknittelversen zu erkennen: "Die Zähne klappern mir vor Pein - wie mag es erst da drüben sein!". May hat bearbeitet, er hat ein Kirchenlied "Vor der entgegenstehenden Verdammnis" umgearbeitet zu einem -innerhalb des Kontextes des Geschehens drumrum- zwar düsteren Lied mit hoffnungsvollerer Pointe. Denn wärend die Gesangsbuchfassung lediglich auf Jesu Willen hofft (im Sinne eines Calvin, der annahm, es sei schon bei der Geburt entschieden, wer in den Himmel komme) setzt May auf aktives Bekenntnis der Sünden, das auf Gnade hofen darf. Gewissermassen ein Mittelweg zwischen dem "sola gratia" des Protestantismus und dem Beichtgedanken des Katholizismus.
Rüdiger hat geschrieben:
oder womöglich versucht zu erfahren, ob Mays Religion eher katholisch oder protestantisch geprägt war...
Wer hat denn davon gesprochen ? (Rhetorische Frage weil Du einen Beitrag von mir zitierst und dann das bringst.) (Ich habe zwar erwähnt daß Droop May irrtümlicherweise für katholisch hielt aber nicht weil ich diese Frage der Konfession für wesentlich hielte ...)
Das bezog sich auf theologische Jungspunde, die nicht merken, dass sie hineindeuten anstatt herauszulesen. (Wie Heller mal sang: "Alle jene, die meinen, sie hätten eine Meinung...")
Rüdiger hat geschrieben:
Und wer May theologisch kritisiert darf dies nur unter dem Vorbehalt tun [...]
Weder Droop noch ich haben May "theologisch kritisiert". Es ging darum, daß eine "Bekehrung" (das Wort ist bzw. klingt ja sozusagen ziemlich albern ... [es geht um] Einsicht, Erkenntnis, Besinnung, Gewahrwerdung [,sonstwie] ...) überzeugender herüberkommen würde, wenn einer nicht in höchster Qual den Tod vor Augen hat ... Andererseits: ist wiederum auch schön wenn aufgezeigt wird es ist nie zu spät ...
"Kritik" war von mir übrigens weiter gefasst gemeint. Im Sinne einer kritischen Diskussion, nicht im Sinne von "Das ist falsch"... Aber ich müßte mich schon sehr irren, wenn das wirklich die Hauptaussage des Textes ist: 'Es ist nie zu spät'... - bzw. Jein, es mag die Aussage des Textes sein, aber sie ruht nicht etwa in Mays Biographie. Es ist eine Hoffnung für ihn selber und zugleich eine bittere Absage an seine eigenen Eltern, bei denen es eben zu spät war. (Sofern man mir nicht sagen kann, dass irgendwo verzeichnet ist, dass Mays Eltern auf ihrem Totenbett ihren Sohn noch final verstehen lernten - aber dann hätte sich das Vatermotiv nicht so lange fortgesetzt...)

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 10:11
von rodger
tragophil hat geschrieben:May macht alles selbst, auch wenn er ab und an anderen die Heldenrollen zuschreibt.
So ist es. Bemerkenswerte Ausnahme ist Bruder Jaguar / Kochta. (Teilweise auch Nscho-Tschi, Typus "starke Frau", u.a. deswegen mußte sie so früh sterben ... ( :D )) (sie agiert zwar nicht auffallend spektakulär, aber man spürt, daß sie das könnte ... und sie spricht halt ganz anders als einige der "Heimchen" im Werk ...) Und noch ein paar weitere vereinzelte Fälle, die mir im Moment nicht so spontan einfallen. (Vielleicht reiche ich sie nach ...)
Schon das junge Greenhorn IST KEINES. Denn er lernt kaum etwas, was er nicht selber schon viel besser könnte.
Das ist aber wiederum in "Der Scout" wirklich ganz anders. Ich empfehle in dem Zusammenhang den KMG-Reprint, der eine verblüffende Vergleichslesung mit der späteren aus Winnetou II bekannten Fassung enthält.
ist der Forenbetrieb hier nicht wirklich heimelig...
Du kannst dazu beitragen, das zu ändern ...
an mir. Mehr geht ja eh nicht.
Eben ...
dass sich immer alle gleich persönlich angesprochen fühlen müssen, ist mal wieder typisch Internet.
Oder typisch Egomanie. Ich kreise auch nur um mich selber, deshalb verstehe ich May so gut ...

:lol:
Ich bin davon überzeugt, dass man May 'falsch' liest, wenn man ihn wörtlich liest.
Teilweise. Teilweise überhaupt nicht.
dann beißt man sich wieder an Worten fest, weil Theologen das Wort "Gott" in seinem Werk finden.
Jenun ... da gibt es z.B. diese Passage in "Old Surehand" (I), wo das Wort dreimal hintereinander vorkommt ... (ich bitte nachzulesen.) Da geht es um mehr als das bloße Wort. Nicht weil es dreimal hintereinander da steht, sondern weil es spürbar ist.
Was immer May systematisch oder zufällig sammelte, ersann oder träumte, er gebrauchte es zur Konstruktion einer Welt, die aus den traditionellen Verabredungen gerückt ist und ihr Modell viel eher in Batzendorf oder in der Lügenschmiede erkennt als in dem allgemein kursierenden Bild der Realität.
So gut, so zutreffend hat Ueding das gesehen ? Muß ich [nachher] gleich mal nachlesen ...
Ich habe den Verdacht, dass May theologische Geschichten - vor allem aus dem Neuen Testament sehr gut kannte (vermutlich durch Vermittlung der Großmutter, sowie durch die Schule) und kreativ abwandelte. Die Parallelen zur Messiasgestalt Jesu sind verblüffend, wenn man einmal darauf aufmerksam wird.
Das ist so, ja. Und: diese Dinge sind [gleichzeitig ...] auf verschiedenen Ebenen lesbar. Als Abenteuergeschichte, als Gleichnis, weltlich, nicht-weltlich ...
Vielleicht interessiert der ja irgendwen...
Vielleicht, ja ... :D
sitzt er auch bei Kirchenliedern 'fest im Sattel'. Er verbaut aber damit kreativ theologische Bausteine - zu seinen eigenen Zwecken.
Und das ist auch gut so. Spontaner Einfall: "Ein Mann wie du bleibt da nicht stehen wo der Zufall der Geburt ihn hingeworfen ..."
Daher bezweifele ich stark, dass es ihm um 'göttliche' Vergebung ging.
Ich nicht. Bzw., ich würde noch einen Schritt weiter gehen und "Vergebung" als das eigentlich falsche Wort bezeichnen ... (aber das dürfte bissel zu weit führen).
Der sterbende Wabble ist der liebenswerte und heldenhafte Teil des Vaters , der in allerletzter Minute 'umkehrt', und seinen Starrsinn aufgibt, welchen der Sohn allzu lange toleriert hat (der Genaral wäre die unliebsame strenge Seite des Vaters).
Also ich sehe in beiden nicht allzu sehr seinen Vater ... Eher im Dessauer. Da paßt's. (Verharmlosung von Gewalt & Willkür, spürbare Sympathie ...)
Sehr ähnliche jugendliche Mangelerfahrungen konnte übrigens auch Storm berichten...
Den liest doch außerhalb der Schule keiner mehr, habe ich mal gelesen ... von allen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts nur Fontane und May. (kleiner Insiderscherz zur Auflockerung am Rande. Weiß eh keiner mehr was gemeint ist. :D ). Storm, Yes, well. Immens, ee.
Gewissermassen ein Mittelweg zwischen dem "sola gratia" des Protestantismus und dem Beichtgedanken des Katholizismus.
Warum denn auch nicht. Fein.
ich müßte mich schon sehr irren, wenn das wirklich die Hauptaussage des Textes ist: 'Es ist nie zu spät'...
Ich habe doch nicht gesagt daß es die Hauptaussage sei ... ich habe es am Rande als Aspekt eingeflochten ...

:roll:
es mag die Aussage des Textes sein, aber sie ruht nicht etwa in Mays Biographie.
Jenun ... er ging mit Recht davon aus, daß ihm all seine kleinen und großen "Sünden" vergeben sein werden. ("Wer sagt das ?" - "Ich sahre datt" (Dialog mit Adenauer seinerzeit im Bundestag))
Es ist eine Hoffnung für ihn selber und zugleich eine bittere Absage an seine eigenen Eltern
Man muß sich halt nicht weltlich orientieren ... (Noch'n Zitat, "Herr vergib ihnen denn sie wissen nicht was sie tun ...")

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 10:16
von Hermann Wohlgschaft
Ich finde, man sollte es mit dem Interpretieren von autobiographischen Spiegelungen (Old Wabble als Vater-Imago usw. usw.) nicht übertreiben. Das sind alles (mehr oder weniger plausible) Hypothesen. Keine dieser Hypothesen ist zwingend, die ›Bekehrung‹ des Old Wabble z. B. (und überhaupt die Figur des Old Wabble) ist äußerst vieldeutig. Keiner der bisherigen (und der künftigen) Deutungsversuche wird der einzig mögliche und der einzig ›richtige‹ sein.

Da ich seit längerer Zeit an einem neuen Buch arbeite, das im Frühjahr 2012 erscheinen wird, halte ich mich mit Forumsbeiträgen im Moment sehr zurück.

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 10:42
von Tobias K.
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Ich finde, man sollte es mit dem Interpretieren von autobiographischen Spiegelungen (Old Wabble als Vater-Imago usw. usw.) nicht übertreiben. Das sind alles (mehr oder weniger plausible) Hypothesen. Keine dieser Hypothesen ist zwingend, die ›Bekehrung‹ des Old Wabble z. B. (und überhaupt die Figur des Old Wabble) ist äußerst vieldeutig. Keiner der bisherigen (und der künftigen) Deutungsversuche wird der einzig mögliche und der einzig ›richtige‹ sein.

Da ich seit längerer Zeit an einem neuen Buch arbeite, das im Frühjahr 2012 erscheinen wird, halte ich mich mit Forumsbeiträgen im Moment sehr zurück.
Lieber Herr Wohlgschaft, Unbestritten gibt es keine "eine" und "richtige" Lösung. In Bezug auf die Spiegelungen kann jedoch Hartmut Vollmer im oben verlinkten Artikel eine recht eng geführte Argumentation bieten.

Dass zudem mein eigenes geschundenes Sohnesherz überempfindlich für diese Thematik ist und insofern regelmäßig Gefahr läuft etwas hineinzudeuten - was ich mit meinem Verstand zu bekämpfen suchen - geschenkt. Aber die Vater-Sohn-Beziehungen durchziehen Mays gewebten 'Textus' (auch eine göttliche Fügung sondergleichen...) recht engmaschig (bei Indianern, Arabern, Helden und Nebenfiguren), während mit eine Mutter-Sohn/Kind-Beziehung nur selten so dramatisch auffällt wie die in Sand eingebuddelte Mutter mit dem sterbenden Kind vor ihren Augen.

Ich möchte jedoch Ihren Satz aufnehmen und dann auch entgegnen: 'Ich finde, man sollte es mit dem Interpretieren von Bekehrungen nicht übertreiben. Das sind alles (mehr oder weniger plausible) Hypothesen.' ;)

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 11:03
von rodger
tragophil hat geschrieben:
Dass zudem mein eigenes geschundenes Sohnesherz überempfindlich für diese Thematik ist [...] geschenkt.
Sie geben halt alle, um es angemessenerweise hemdsärmelig und nicht wirklich bös' gemeint auszudrücken, ihren Dreck weiter ... über Generationen. Bis einer die alten Muster aufbricht. Glückauf.

Vielleicht hilft das

http://www.amazon.de/Leiermann-zeitgen% ... B003VOG7U4

ein wenig. (in Sachen Aussöhnung, 'Vergeben', milder betrachten, 'gehen lassen'). Oder auch nicht. Es gibt sicher noch Besseres. (Es muß nicht immer May sein ...)

:D
während mit eine Mutter-Sohn/Kind-Beziehung nur selten so dramatisch auffällt wie die in Sand eingebuddelte Mutter mit dem sterbenden Kind vor ihren Augen.
Da gibt's schon noch einiges ... "Mutterliebe" z.B. ... (bearbeitet in GW 48, "Die Söhne des Upsaroka", oder 'Weltbild'-Band "Old Firehand", oder Internet (http://www.zeno.org/Literatur/M/May,+Ka ... utterliebe)) und auch in anderen Erzählungen in F 10 und 23.

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 11:49
von Hermann Wohlgschaft
Was die theologischen Aspekte in der Surehand-Trilogie betrifft, verweise ich auf den hervorragenden Artikel »Karl May als Ausleger der Bibel« von Martin Nicol im Jb-KMG 1998, S. 305ff. Martin Nicol ist Professor für Praktische Theologie am Fachbereich (Evg.) Theologie in Erlangen.

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 16:17
von rodger
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Was die theologischen Aspekte in der Surehand-Trilogie betrifft, verweise ich auf den hervorragenden Artikel »Karl May als Ausleger der Bibel« von Martin Nicol im Jb-KMG 1998
Ein sehr interessanter, stellenweise verblüffender Artikel.

(Bei der Gelegenheit möchte ich kurz einflechten, daß mein kürzlich geäußertes „Mißbehagen“ in Sachen Theologie gar zu hemdsärmelig – nachlässig vereinfachend abgesondert wurde ... Solche Sachen wie diesen Artikel finde ich freilich hochinteressant, nur wenn es – in anderen Fällen – gar zu trocken theoretisch abstrakt zugeht, unter Vernachlässigung des Wesentlichen, dann, noch’n Zitat, „mag ich es nicht lesen“ ...)
Martin Nicol hat geschrieben:Auslegung der Bibel - das heißt für mich nicht primär, sie in ihren historischen Kontext zurückzuversetzen, sondern sie ins Leben hereinzunehmen, sie fürs Leben in Gebrauch zu nehmen.
Die Bibel ist ohne Frage eines der „Bücher der Bücher“ ... (neben, z.B., dem Koran, dem I Ging, der Bhagavadghita, den Upanishaden ... (das haben sie früher immer im Fernsehen gesagt damit nicht der Vorwurf der Schleichwerbung kommt, „Es gibt außerdem ...“ :D ))

Daß May die eine oder andere Bibelstelle „unbewußt“ in die Feder geraten sei, wie es in dem Artikel heißt, glaube ich indes eher nicht ... der wußte schon was er tat, auch wenn er scheinbar unpassenderweise Old Wabble Jesus zitieren läßt ... (und zwar so, daß es der Leser möglicherweise gar nicht merkt. Ich hab’s bei der Stelle mit 'über ein kleines' auch nicht gemerkt.) Er spielt halt ganz gern mal mit den Dingen und mit den Leuten.

Sehr schön auch
Und zwar muß man sich den Roman und die Bibel wie zwei Folien auf dem Overhead-Projektor vorstellen. Erst wenn die Bibelfolie unter die Romanfolie geschoben wird, wenn also beide Folien auf die jeweils andere hin durchsichtig werden, dann erschließt sich der volle Sinn der Vorgänge im Roman.
Das gilt ganz ähnlich auch sonst in Sachen Leseebenen ... auch bei anderen Bänden, und keineswegs geht’s dabei immer um die Bibel ...

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 18:44
von Hermann Wohlgschaft
Der Nicol-Artikel im Jb-KMG 1998 gibt den Vortrag des Autors bei der Jahrestagung der KMG in Erlangen (1997) wieder. Ich habe den Vortrag mit Begeisterung gehört, Martin Nicol bekam von fast allen Zuhörer/innen einen Riesenapplaus.

Viel genützt hat der Vortrag bzw. der Artikel aber leider nicht. Dass Karl May, der ehemalige Schullehrer und Katechet, auch als Schriftsteller ein geschickter und wirkmächtiger »Ausleger der Bibel« (Nicol) geblieben – oder besser: geworden – ist (was natürlich nicht heißen soll, dass es bei Karl May NUR um die Bibel gehe), dieser – wie ich meine schon sehr interessante und wichtige – Gesichtspunkt wird in der heutigen ›May-Szene‹ sehr weitgehend ignoriert. Schade!

Re: Wabbles 'Bekehrung'

Verfasst: 3.11.2011, 18:58
von rodger
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: Viel genützt hat der Vortrag bzw. der Artikel aber leider nicht.
Es war nicht anders zu erwarten ...

:D

(auch wenn es arg abgedroschen und 'bissel schlicht' sein bzw. wirken und dem einen oder anderen vermutlich schon zum Halse heraushängen mag:)

Es war immer, immer so ...

(ich gehe halt davon aus daß sich die Welt ihrer vermeintlichen Verbesserungsfähigkeit sozusagen widersetzt ...)
dieser – wie ich meine schon sehr interessante und wichtige – Gesichtspunkt wird in der heutigen ›May-Szene‹ sehr weitgehend ignoriert.
Das dürfte nicht das einzige oder der einzige Gesichtspunkt sein der in der heutigen 'May-Szene' sehr weitgehend ignoriert wird ... (da könnte es sozusagen im Gegenzug helfen die 'May-Szene' sehr weitgehend zu ignorieren ... :D )