Old Surehand Nachtritt - Australia-style

Waukel
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Beitrag von Waukel »

>>da brauchste mir bzw. May nicht noch mal mit diesen gurlittigen guten Ratschlägen zu kommen.<<

Wird nicht wieder vorkommen.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Sicher war das nicht sein einziges Stilmittel, und sicherlich ist die Wiederholung per se nicht abzulehnen. Bei May kommt sie allerdings so permanent vor, daß sie oftmals penetrant wirkt; so, als habe er wirklich nichts anderes auf der Pfanne. Hatte er aber durchaus. Ihm allerdings dieses hier zu bearbeiten, nämlich: "Weihnacht! / Welch ein liebes, liebes, inhaltsreiches Wort!", indem man ein "liebes" streicht, zeugt von dem, was Arno Schmidt mal "Rindsgemüt" genannt hat.
Zustimmung, auf allen Ebenen, will sagen: Punkt für Punkt. Du hältst die Dinge wenigstens auseinander ("differenzieren" soll ich ja nicht mehr sagen).

Zum Schmidt-Zitat auch noch eines von Wollschläger, der konnte auch so schön formulieren:

"unedle Einfalt und kommerzielle Schläue grinsen darin um die Wette".
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rodger
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Beitrag von rodger »

@Waukel

Subtext wahrgenommen, in Ordnung, Verstanden, Ende.

*

("bis zum nächsten Mal" ...)

:wink:
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rodger
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Beitrag von rodger »

Rindsgemüt, gutes Stichwort, da muß ich doch gleich noch eine Stelle vergleichszitieren, paßt grad so schön:

Apanatschka richtete sein Auge mit einem ganz eigentümlichen Ausdrucke auf uns; das war nicht Grimm, nicht Zorn, nicht Haß; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, Wohlwollen und Ehrerbietung, wenn es deutlicher zu sehen gewesen wäre;aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen.

Gerade diese Art Mays, zu schreiben, gefällt mir, das „allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“ nannte es Kleist, und genau so kommt es daher: man erlebt als Leser förmlich mit, wie der Erzähler da auf das Gesicht schaut und Dinge wahrnimmt, aber eben noch nicht endgültig, nur ansatzweise, beim Niederschreiben noch gleichsam nach den passendsten Worten sucht und die Interpretation dann abbricht, weil er zu dem Zeitpunkt, den er da schildert, es eben noch nicht genauer wahrnehmen konnte.

Dagegen geht bei

Apanatschka richtete sein Auge mit einem eigentümlichen Ausdruck auf uns; das war nicht Grimm, nicht Hass; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen.

genau das alles verloren …
marlies

Beitrag von marlies »

nicht ganz verloren...
>>>I rose and Winnetou followed. The two Comanche did likewise. Apanatshka looked at us with a very peculiar expression; it wasn’t anger, nor resentment nor hatred; I was almost tempted to call it kindness and respect, had it been easier to observe; but he made every effort to conceal his thoughts and emotions. All the more evident were the wrath and hatred that boiled inside Vupa Umugi.<<<

***
dies: >>>das „allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“ nannte es Kleist,<<< moechte ich gerne abaendern zu: "das 'allmaehliche Verfertigen seines Lebens beim Schreiben' ... (May's leben)
marlies

Beitrag von marlies »

sorry, bin etwas spaet mit dem, bin aber erst jetzt dazugekommen meinen eignen thread wieder mal aufzufangen ...

>>>„Allerdings hätte da noch zu Mays Lebzeiten ein Lektor korrigierend eingreifen müssen ...“,

meine Güte, ja, bei offensichtlichen Nachlässigkeiten, die es bei May durchaus gab, aber doch nicht bei einer solchen Stelle. Und natürlich nur in Absprache. <<<

<uff uff ... da mach ich doch was richtig ... und recht -- mit den Nachlaessigkeiten raus und den wogenden wogen drin ... nur mit der Absprache happerts a bisserl ... aber da ist da so eine innere Stimme ... (nein let's not go there ...)
Dernen
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Beitrag von Dernen »

rodger hat geschrieben:Rindsgemüt, gutes Stichwort, da muß ich doch gleich noch eine Stelle vergleichszitieren, paßt grad so schön:

Apanatschka richtete sein Auge mit einem ganz eigentümlichen Ausdrucke auf uns; das war nicht Grimm, nicht Zorn, nicht Haß; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, Wohlwollen und Ehrerbietung, wenn es deutlicher zu sehen gewesen wäre;aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen.

Gerade diese Art Mays, zu schreiben, gefällt mir, das „allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“ nannte es Kleist, und genau so kommt es daher: man erlebt als Leser förmlich mit, wie der Erzähler da auf das Gesicht schaut und Dinge wahrnimmt, aber eben noch nicht endgültig, nur ansatzweise, beim Niederschreiben noch gleichsam nach den passendsten Worten sucht und die Interpretation dann abbricht, weil er zu dem Zeitpunkt, den er da schildert, es eben noch nicht genauer wahrnehmen konnte.

Dagegen geht bei

Apanatschka richtete sein Auge mit einem eigentümlichen Ausdruck auf uns; das war nicht Grimm, nicht Hass; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen.

genau das alles verloren …
Je nun. Aber schon wieder anderthalb Zeilen weniger. Ein weiterer Schritt auf dem Weg, einen ganzen Bogen einzusparen. Kostet ja alles Geld, so ein Buch herzustellen.
marlies

Beitrag von marlies »

wenn schon beim vergleichslesen ... ist dies noch in modernen versionen erhalten? (Jenseits Ch 2) (Komm mit mir im Geiste in die Wüste, lieber Leser!...)

>>>...Im hohen Sattel des Hedschihn sitzend, achtest du nicht auf die Bewegungen des Tieres, dessen weiche, elastische Schritte nicht bis zu dir herauf wirken. Reitest du durch die Hochfelsenwüste oder durch das Warr, so fühlst du dich als körperliches Individuum so klein, so nichtig, so verlassen in diesem überwältigenden Stein- und Trümmermeere; reitest du über den glatten Sandozean, so siehst du ihn nicht hinter dir verschwinden, während er sich aber vor dir immer weiter und weiter ausbreitet. Es giebt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze hier, denn der Horizont ist zur Vermählung des Himmels mit der Erde geworden, die zwischen beiden keine Linie mehr kennt. Du weißt nicht, wo das Unten aufhört und das Oben beginnt, und hast das Gefühl, als ob die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr immer auf- und auf- und stetig aufwärts ziehe. Und wie du Himmel und Erde nicht mehr zu trennen vermagst, so schaust du zu gleicher Zeit nach außen und nach innen. Die Endlosigkeit vor deinem körperlichen Auge ist gleich der unmeßbaren Weite, welche vor deinem geistigen liegt. Dein Leib wird fortgetragen, ohne daß du es fühlst, und deine Seele fliegt. Dein Leib? Du hast keinen Leib mehr; du bist nur Seele, nichts als Seele. Der Leib ist in dieser Grenzenlosigkeit immer leichter und leichter, immer nichtiger und nichtiger geworden, bis er als ein Nichts in der Unendlichkeit dir aus den Gedanken schwand. Aber daß deine Seele besteht, bestehen muß und auch fortbestehen wird, das ist dir zu einer Klarheit geworden, gegen die kein Hauch des Zweifels möglich ist. Du selbst bist ja diese Seele und kannst kein Ende nehmen, wie es hier überhaupt kein Ende giebt! Der Zweifel kann nur auf der Erde wohnen, und du befindest dich ja nicht mehr auf ihr. Du bist jetzt überirdisch und atmest im seligen Reiche der Zuversicht zu dem, der da ist das ewige Leben und dessen Eigentum du bist. Du fühlst es, und du weißt es, daß es von jetzt an keine Macht mehr giebt, der es gelingen kann, dich in der Ueberzeugung deiner Unsterblichkeit irre zu machen. <<<

(5 Jahre nach dem Old Surehand Nacht-Ritt ... jetzt hat er fuer den Leser schon mehr Worte gefunden als damals mit nur '...Gott...Gott...Gott...'

also doch: ...das 'allmaehliche Verfertigen seines Lebens beim Schreiben' ...
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rodger
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Beitrag von rodger »

Zunächst fiel mir auf, dass May sich in „Im Lande des Mahdi“ über Kamelritte noch anders ausließ, aber hier geht es ja auch mehr ums Drumherum bzw. Innendrin als um das gerittene Tier; alsdann, dass mir die Stelle im „Surehand“ besser gefällt, sprachlich meine ich, hier kommt er doch nun teilweise etwas gespreizt-dozierend und nicht so ursprünglich-unmittelbar daher wie dort, finde ich.

Um die Frage zu beantworten, in der Taschenbuch-Ausgabe „Klassische Meisterwerke“, die meines Wissens auch der aktuellen im Handel befindlichen Ausgabe des grünen Bandes entspricht, gibt es ein paar Änderungen, aber ohne größere Kürzungen an dieser Stelle.

elastisch = geschmeidig

Individuum = Wesen

glatten = weiten

Horizont = Gesichtskreis

„hast das Gefühl, als ob die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr immer auf- und auf- und stetig aufwärts ziehe“

wurde zu

„hast das Gefühl, als ziehe die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr unaufhaltsam auf- und aufwärts“ umformuliert.

Bei „Die Endlosigkeit vor deinem körperlichen Auge ist gleich der unmeßbaren Weite, welche vor deinem geistigen liegt“ Hat man nach „geistigen“ noch ein zweites „Auge“ eingebaut, dafür bei

„du bist nur Seele, nichts als Seele“ den Teil nach dem Komma gestrichen.

„leichter und leichter“ (beim Leib) ist gestrichen, der wird nur noch nichtiger und nichtiger, schade eigentlich.

Dann noch „bestehen muß“ statt „besteht, bestehen muß“

und

„du fühlst dich ja nicht mehr auf ihr“

statt „befindest dich ja nicht mehr auf ihr“;

„Du bist jetzt überirdisch und atmest im seligen Reiche der Zuversicht zu dem, der da ist das ewige Leben und dessen Eigentum du bist. Du fühlst es“ wurde gestrichen.
marlies

Beitrag von marlies »

danke! ja die kleineren Streichungen sind trotz der 'Kleinigkeit' doch schade, wobei ich denke dass der letzte Satz "Du bist jetzt ueberirdisch..." wohl nicht verstanden wurde. Habs mal so versucht mit einem [Zusatz] der es am besten fuer mich beschreibt:
>>>You are now divine and are breathing in the blissful realm of confidence to [the rhythm of] the one who is life eternal and who owns you. <<< Somit sollte die 'logic' - obwohl 'da' keine irdische 'logic' vorhanden ist - eigentlich klar sein.

Das unschuldig-naive (in May's Schreibweise - ich sage nicht dass ER ein unschuldiger, oder sogar naiv war ... vielleicht gaebe es ein besseres Deutsches Wort dafuer, aber im Moment entgeht es mir) vom Old Surehand I ist dem 'sophisticated' Schreiben gewichen, das sieht man. (Wobei ich jetzt nicht sage dass er sophisticated WAR, sondern dass er einen ernsten Versuch machte sophisticated zu sein).

Danke fuer's Abschauen.
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