OLD FIREHAND / 2 x WINNETOU II

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rodger
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OLD FIREHAND / 2 x WINNETOU II

Beitrag von rodger »

Das Vergleichslesen verschiedener Textvarianten bei Karl May ist immer wieder interessant. Sowohl was Bearbeitungen eigener Texte durch Karl May selber als auch später durch andere betrifft (wobei ich vorsichtshalber gleich dazu sagen möchte: ich betrachte letztere mittlerweile zumindest teilweise als eine Art Alternative zum ursprünglichen Text und durchaus etwas aufgeschlossener als noch vor einigen Jahren. Aber analysieren und informieren dürfte erlaubt sein, auch ohne dass immer gleich böse Absicht, Feindseligkeit u.dgl. unterstellt werden muß).

In der Novelle OLD FIREHAND heißt es, als der Ich-Erzähler realisiert, dass sich die junge Dame seines Herzens um sein Pferd gekümmert hat,

„Ohne daß er es wußte, sagte er mir mit den letzten Worten etwas höchst Erfreuliches. Sie hatte sich also schon bei grauendem Tage um Swallow bekümmert, ein Zeichen, daß sie auch an seinen Herrn gedacht habe.“

In der Umarbeitung für IM FERNEN WESTEN bzw. später WINNETOU II machte Karl May bekanntlich aus der Sie einen Knaben Harry. An der zitierten Stelle änderte er lediglich „Sie“ auf „Harry“ bzw. „sie „ auf „er“ und sonst nichts:

„Ohne daß er es wußte, sagte er mir mit den letzten Worten etwas höchst Erfreuliches. Harry hatte sich also schon bei grauendem Tage um Swallow bekümmert, ein Zeichen, daß er auch an seinen Herrn gedacht habe.“ (WINNETOU II)

Karl May hat bei seiner Bearbeitung offenbar nicht gemerkt (wie übrigens auch an zahlreichen anderen Stellen in dieser Geschichte, dies ist nur ein Beispiel von vielen), dass dieses „höchst Erfreuliches“ nun, da es sich um einen Knaben handelt, irgendwie nicht mehr so recht passen mag … (zumindest das „höchst“ hätte er entfernen oder durch ein „recht“ ersetzen sollen)

Dies geschieht nun in der späteren Bearbeitung:

„Ohne daß er es wußte, sagte er mir mit diesen Worten etwas Erfreuliches. Harry hatte sich also bei Tagesgrauen um Hatatitla gekümmert“

wobei nun allerdings auch der Satzteil „ein Zeichen, daß er auch an seinen Herrn gedacht habe“ gleich ganz entfällt und ohne diesen Aspekt wiederum das anfängliche „Ohne dass er es wusste“ nicht mehr so recht passt …

*

Änderungen im Bamberger WINNETOU II gehen nach wie vor an vielen Stellen über die wohl bekannte Angelegenheit mit Fort Niobrara statt Eisenbahnüberfall usw. hinaus (so wird z.B. auch Mr. Henry nur im „Scout“-Teil besucht statt auch im Mittelteil und der zweite Besuch gleich an den ersten angehängt).

Auf Biberfang, gehen der Ich-Erzähler und sein Gefährte Hawkens, der sich hier einmal mehr nicht als vermeintliche Witzfigur, sondern von einer ganz anderen Seite zeigt, im Original nicht wirklich zimperlich mit gegnerischen Indianern um (WINNETOU II):

»Nicht schießen, Sam! Nehmt das Messer. Sie haben den Kriegspfeil ausgegraben und sind also wohl nicht nur zu zweien.«
Der kleine, schießlustige Mann entgegnete:
»Das sehe ich natürlich auch, sollte ich meinen, und freilich ist es besser, sie im Stillen auszulöschen; aber mein altes Messer ist zu sehr abgeschliffen, als daß es sich durch zwei solcher Männer hindurchbeißen könnte.«
»Pah! Ihr nehmt den Einen und ich den Andern; come on!«
»Hm! Viere von unsern besten Fallen; kostet jede dreieinhalb Dollars. Würde mich freuen, wenn sie zu den gestohlenen noch ihre eigenen beiden Felle hergeben müßten!«
»Vorwärts, Sam, ehe es zu spät ist!«
Die beiden Indianer standen jetzt von uns abgewendet, gerade vor uns und suchten nach Fußspuren im Boden. Leise, leise schob ich mich, die Büchse zurücklassend und das Messer zwischen die Zähne nehmend, vorwärts. Da flüsterte es ängstlich ganz nahe an meinem Ohre:
»Bleibt, Sir! Ich werde es an Eurer Stelle tun.« Harry sprach diese Worte.
»Danke, bringe es auch noch fertig!«
Mit diesen leise geflüsterten Worten hatte ich auch schon den Rand des Gebüsches erreicht, sprang empor, hatte im nächsten Augenblicke den mir am nächsten stehenden der Indianer mit der Linken beim Nacken und stieß ihm mit der Rechten das Messer zwischen die Schultern, daß er sofort lautlos zusammenbrach. Ich tat dies freilich nur notgedrungen; da es Ponkas waren, durften sie nicht geschont werden, denn wenn sie die >Festung< entdeckten, galt es unser Leben. Rasch drehte ich mich mit der zurückgezogenen Klinge zur Seite, um nötigenfalls den Andern auch zu nehmen; aber auch dieser lag auf der Erde, und Sam stand mit ausgespreizten Beinen über ihm, hatte sich die lange Skalplocke um die Linke gewickelt, und zog ihm die losgeschnittene Kopfhaut vom Schädel.
»So, mein Junge; nun kannst du in den ewigen Jagdgründen so viele Fallen stellen, wie es dir beliebt, aber die unsrigen wirst du dort nicht gebrauchen können.«
Und den blutenden Skalp im Grase abwischend, fügte er mit kurzem Lachen hinzu:
»Das eine Fell haben wir, und das andere wird sich Old Shatterhand nehmen.«
»Nein,« antwortete ich. »Ihr wißt ja, wie ich über das Skalpieren denke. Es wundert mich sehr, zu sehen, daß Ihr Euch jetzt damit befaßt!«


In der Bearbeitung (neue, „rückbearbeitete“ Ausgabe, © 2001) kommen die Indianer entschieden glücklicher davon, letzteres tatsächlich auch im Wortsinn:

»Nicht schießen, Sam!“ warnte ich. „Sie haben den Kriegspfeil ausgegraben und sind gewiss nicht nur zu zweien.«
»Das sehe ich auch,“, flüsterte der kleine, schießwütige Mann zurück. „Freilich ist es besser, sie im Stillen auszulöschen ....«
„Seid Ihr des Teufels, Sam ? Überlegt doch, was geschehen würde, wenn die beiden Kundschafter nicht zu ihren Leuten zurückkehren ! Die Roten würden die gegend genau absuchen und dabei am Ende Old Firehands Festung entdecken !“
„Habt Recht, Sir“, knurrte Sam unzufrieden. „Aber gern lasse ich die Burschen nicht laufen. Vier von unseren besten Fallen ! Kostete jede dreieinhalb Dollar. Würde mich freuen, wenn sie zu den gestohlenen noch ihre eigenen Felle hergeben müßten!«
»Wir dürfen nicht unser aller Sicherheit aufs Spiel setzen. Wenn die beiden Roten keine Spuren gefunden haben, müssen wir sie laufen lassen.«
Die beiden Indianer standen jetzt, von uns abgewendet, gerade vor uns und suchten , leise miteinander flüsternd, nach Fußspuren. Geräuschlos schob ich mich vorwärts, um sie genauer zu beobachten und, wenn möglich, etwas von ihren Worten zu verstehen.
Das ganze Verhalten der beiden Poncas zeigte, dass sie unschlüssig darüber waren, nach welcher Richtung sie weitersuchen sollten. Die Fallen hatten ihnen verraten, dass irgendwo in der Nähe Jäger sein mussten. Aber die Roten hatten offenbar keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Jetzt schlichen sie vorsichtig weiter, und zwar in einer Richtung, die sie aus der Nähe der ‚Festung’ brachte. Fürs Erste war also keine Gefahr.
Als die Späher außer Hörweite waren, machte Sam seinem Grimm Luft.
„Jetzt sind uns die schönen Felle fortgeschwommen !“ …


*

In OLD FIREHAND noch nicht, aber eigenartigerweise dann in WINNETOU II, lässt sich der Ich-Erzähler von dem Ölbaron Forster zwischenzeitlich einfach sein Pferd wegnehmen und wird daraus seitens Harry mit einem „Coyoten“ bedacht, was er schweigend hinnimmt. Nicht so in der späteren Bearbeitung (alles hinzugeschrieben):

„Stopp, Boy !“, erwiderte ich nun doch in schärferem Ton. Denn wenn ich auch einen Knaben vor mir hatte, konnte ich sein Benehmen nicht ganz ungerügt lassen. „Nehmt Eure Zunge besser in Acht. Ihr könnte sonst an den unrechten Mann kommen!“
„Soll das vielleicht eine Drohung sein ?“
Pshaw! Wer wird einem unreifen Knaben gleich mit einer Drohung kommen! Glaubt Ihr denn wirklich, ich werde Mr.Forster meinen Rappen ohne weiteres überlassen? Er wird ihn keinen Augenblick länger besitzen, als es mir recht ist.“
„Und wie lange wird es Euch recht sein?“ fragte er, noch immer spöttisch.
„Genauso lange, wie es mir beliebt, keinen Augenblick länger.“
Damit drehte ich dem Knaben den Rücken und Harry ritt ohne Antwort davon.


*

In OLD FIREHAND konstatiert der Ich-Erzähler eher unberührt das Skalpieren eines Feindes durch Winnetou:

Mit drei Schnitten war die Kopfhaut des Gefallenen vom Schädel gelöst. Ich hatte mich, um von dieser Prozedur nicht berührt zu werden, abgewandt

In WINNETOU II fügt er hier immerhin vor den zweiten Satz noch

Wie grimmig mußte der sonst so menschenfreundliche Apache diesen Tim Finnetey gehaßt haben, da er ihm die Kopfhaut nahm!

an.

In der späteren Bearbeitung ist hier noch eine ganze zusätzliche Litanei eingefügt, als müsse sich der Autor für seine Figur entschuldigen:

„Wenn ich sagen würde, ich sei über die Handlungsweise Winnetous erstaunt gewesen, so wäre dieser Ausdruck zu schwach. Nein, ich war geradezu bestürzt“ usw. usf., über eine halbe Seite (397).

Dafür wird dann an anderer Stelle ein recht anschaulicher Passus wie

„die nackte, von dem Skalpmesser Winnetous barbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf“

dem zartfühlenden Leser erspart.

Auch

ich aber riß, da ich vollständig waffenlos war, dem Andern zuerst das Messer aus dem Gürtel, und zog es ihm dann mit solchem Drucke durch die Kehle, daß der Schrei, welchen er auszustoßen im Begriffe gestanden hatte, als ein pfeifendes Gurgeln sich durch die Schnittwunde drängte und er ebenfalls niedersank

gerät per bewährter Anästhesie durchaus freundlicher:

Ich aber riss, da ich gänzlich waffenlos war, dem anderen das Messer aus dem Gürtel und erledigte ihn mit einem Faustschlag an die Schläfe

Und auch das unbequem kritisch-analytische Gemüt („Das klang wahr, und ich mußte mich zufrieden geben, obgleich ich wußte, daß der kleinste Umstand hinreichend sein konnte, diese Wahrheit zu Schanden zu machen“ nach einer, wie sich im weiteren Verlauf durchaus zeigt, etwas zu optimistischen Einschätzung Old Firehands)

wird dem Ich-Erzähler nicht zugestanden: „Damit mussten wir uns zufrieden geben“, heißt es lapidar und sozusagen von keines weiteren „Gedankens Blässe angekränkelt“ ...

*

Dies sind nur einige Beispiele, die mir bei stichprobenartigem Vergleichslesen der drei Fassungen aufgefallen sind.
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