Ehri/Tode - Vergleichslesungen / Ein Ritt durch die Pampa

Thomas Schwettmann

Ehri/Tode - Vergleichslesungen / Ein Ritt durch die Pampa

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Das KMG-Sonderheft 50 von Anton Haider bringt Vergleichslesungen fast aller kleineren Hausschatztexte ('Three carde monte','Unter Würgern', 'Der Girl-Robber', 'Der Boer van het Roer', 'Der Brodnik', 'Der Kiang-lu' sowie 'Der Scout'), es fehlt nur 'Der Ehri'.
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm

Der Reprint von 'Der Scout/Deadly Dust/Ave Maria' enthält nochmals die Vergleichslesung von 'Der Scout/Winnetou II' sowie, ebenfalls von Anton Haider, eine Übersicht über die Textvarianten von 'Deadly Dust/Winnetou III'.
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm

Bei der Deadly-Dust-Vergleichslesung wäre übrigens noch eine weitere Abweichung zu ergänzen:

44a) 465/L/13vu: ... bereits einmal vor vier Jahren einen Zug gerettet, den Parranoh ...
49/2vo: bereits vor einiger Zeit einen Zug gerettet, den Parranoh

Ferner enthält dieser Reprint auf S. 264 eine kleine Vergleichslesung über die minimalen Abweichungen von 'Im wilden Westen Nordamerikas' zu 'Ave Maria' sowie zu den entsprechenden Stellen in 'Winnetou III'. Die weiteren Abweichungen der beiden Zeitschriftenfassungen einerseits zur Buchfassung andererseits sind hingegen im KMV-Reprint 'Winnetous Tod' markiert.

Doch zurück zum fehlenden Vergleich zwischen den 'Ehri'-Abdrucken im Hausschatz und in 'Am stillen Ocean'. Auch hier gibt es kleine aber feine interessante Unterschiede, so wurden für die Buchausgabe etwa Hinweise auf gemeinsame Abenteuer von Charley und Turnerstick in der Pampa, auf die Perlenbänke in Westindien und Ceylon und auf eine DH-Bemerkung über eine Marinestation auf Samoa gestrichen.

Hier nun die Unterschiede im einzelnen:

DH: Deutscher Hausschatz
GR: Buchausgabe 'Am Stillen Ocean'

1. Potomba

DH (mehrmals): Maate
GR: Maat

DH 207, L 19: meine Büchse
GR 11: mein Gewehr

DH 207, R 15: wenn wir ja mit
GR: wenn wir mit

DH 219, L 23: zur Büchse
GR: zum Stutzen

DH 219, L 67: hatte sich jedoch bereits
GR: hatte sich bereits

DH 219, R 7: frug
GR: fragte

DH 219, R 62/62: von der katholischen Mission
GR: von der Mission

DH 221, R 47: Kapitän aus New-York
GR: Kapitän Roberts aus New-York

DH 222, L 17/18: Der Ehri hier, welcher übrigens den schönen Namen Potomba führt, wird nach Tahiti segeln
GR: Der Ehri hier wird nach Tahiti segeln

DH 222, R 3: ..., Sir Charley?
GR: ..., Sir

an dieser Stelle entsprechend in Tui Fanua: Sir Latreaumont

DH 223, L 15/16: ... in Westindien und auch bei Ceylon auf den Perlenbänken von Negombo Taucher gekannt
GR: ... in Westindien Taucher gekannt

In DH wurde Der Girl-Robber vor dem Ehri abgedruckt, vgl. dazu: 'Der Girl-Robber' (DH & GR): Er war der geschickteste Perlfischer auf den Bänken von Negombo. Eine ähnliche Rückerinnerung findet sich auch in 'Der Kiang-lu-DH78', L12-14: Ich hatte sogar eins an der Küste von Ceylon getroffen, wie der Leser dieses Blattes bereits erfahren hat.

- - - - -

2. Pareyma

DH 235, L10: Eimeo
GR: Eumeo

wohl fälschlich, denn sonst in GR auch: Eimeo

DH 235, R32: Bedah´s
GR: Veddahs

DH 236, L64: bunt bewegte Schaar
GR: bunt bewegte Schar von Menschen

DH 238, L11/12 vor etwelchen Monaten
GR: vor etwelcher Zeit

DH250, L22-R1-4: ... Ich denke, Ihr seid noch immer in diesen verteufelten Pampas's und schlagt Indianer oder Gaucho's todt!" - Ich hatte nämlich mit ihm von Buenos=Ayres aus einen Ausflug in die Pampa's unternommen, und wir waren dabei einklein wenig in die Lage gekommen, uns unserer Haut zu wehren.
GR: ... Ich denke, Ihr seid noch immer drüben in Amerika!"

Vgl. dazu zahlreiche Reminiszenzen zu dem 'Ritt durch die Pampa' in 'Der Kiang-lu': DH31, L34-38 - DH60, L3ff - DH110, R12 - DH170, L6vuff - DH182, L28vu In der Buchfassung ebnfalls sämtlich gestrichen.

DH 251, L3: Be quiet!,
GR: Oho!

DH 254, L32: meine Büchse
GR: meine Gewehre

DH 255, R60 : Nachdem ich meine Büchse wieder geladen hatte, griffen wir zu ...,
GR: Wir griffen zu ...

DH 256, R7: Ich griff zur Büchse
GR: Ich griff zur Büchse und sagte

DH 256, R52: Auf Seite 64 des laufenden Jahrganges brachte der "Deutsche Hausschatz" die Bemerkung, daß Deutschland auf der Samoainsel Upolu einen Marinestation gegründet habe. Dort und zwar in Saluafata ...
GR: Dort, auf der Insel Upolu, und zwar in Saluafata ...

Seite 64: das ist Nr. 4, 1879, in der gleichen Ausgabe wurde auf den Seiten 58-62 auch die erste Fortsetzung von Der Girl-Robber abgedruckt. Der genaue Wortlaut in der Rubrik 'Allerlei- Wochenrundschau' ist: Deutschland besitzt bereits vier Marinestationen im stillen Ocean: Bavau auf den Tonga-Inseln, Mioko auf der Insel Duke of York (Neubritannien), Jalluit auf den Marshall-Inseln und als vierte und jüngste Saluafata auf der Samoa-Insel Upolu. (heutige Schreibweise: Bavau = Vavau, Jalluit = Jaluit)

Des weiteren findet sich in den KMG-M 61 unter dem Titel 'Bausteine aus Gerstäcker' ergänzend noch eine Vergleichslesung zwischen Karl Mays 'Vom Tode erstanden' (in der Old Surehand-II-Version) und Friedrich Gerstäckers 'Das Hospital auf der Mission Dolores'.
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 61s024.gif

Leider fehlt dort der Hinweis auf einen noch weiteren Textauszug, den sich May angeeignet hat. Ferner wird verschwiegen, daß Karl May auch die Grundidee des 'vom Tode auferstehen' von Gerstäcker imitiert hat. Auch bei der 'Mission Dolores' geht es um einen jungen, aber armen Liebhaber, der sein Glück in den Minen sucht und erfolgreich zurückkehrt, um seine Liebste zu heiraten. Allerdings wird er auf der Heimfahrt krank und von einem Landsmann ins Hospital geschafft, wo er dann scheinbar stirbt. Während seine Liebste, die ihn für verschollen hält und von seiner Anwesenheit nichts ahnt, unten in der Mission tanzt und sich gerade an diesem Abend aufs neue verliebt, erwacht der Scheintote und stürtz nach unten in den Tanzsaal ...

Doch nun zu dem weiteren Textvergleich. Es handelt sich um Mays Einleitung, in der er ein buntes Völkergemisch im Hafen von Sacramento schildert. Haider (bzw. Höck) ist diese Passage zwar nicht entgangen - wie ich mittlerweile weiß, sind ist der Vergleich im Artikel "Karl May und Friedrich Gerstäcker" von Josef Höck und Thomas Oswald im Karl-May-Jahrbuch 1979 des KMV (S. 143-188) abgedruckt, da man diesen Arbeit im Internet aber nicht findet, stelle ich die beiden Absätze hier ergänzend vor.

Auffällig ist dabei, daß bei Gerstäcker das Absatz nichtetwa am Anfang, sondern in einem ganz anderen Kontext in der Mitte der Erzählung zu lesen ist, auch trifft sich das bunte Treiben dort nicht im Hafen sondern vor der Mission. Zunächst sei also also Karl Mays 'Abschrift' zitiert, wobei diese an einigen wenigen Stellen von Gerstäckers Textvorlage abweicht und etwa insbesondere bei der Erwähnung der Deutschen, Engländer, Franzosen und Irländer ergänzt ist.

Es war im Hafen von Sakramento, in welchem sich ein Bild von den lebhaftesten Farbentönen entwickelte. Die Menge, welche sich geschäftig über den Quai ergoß oder lungernd umhertrieb, schien nicht aus den Bewohnern eines besonderen Districtes oder gar einer einzelnen Stadt zu bestehen, sondern glich eher einem Carneval, der die Repräsentanten aller Zonen und Nationen für kurze Zeit vereinigt hat.

Hier stand eine Gruppe hagerer Yankee's in dem unvermeidlichen schwarzen Fracke, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm Chinesen herum in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl gepflegt und geflochten. Südsee-Insulaner waren da, die scheu, verlegen und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und, wenn ihnen etwas nach ihren Begriffen gar zu Absonderliches in die Augen sprang, die Köpfe leise flüsternd zusammensteckten. Mexikaner stolzirten umher mit ihren an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen und den kurzen, ebenso garnirten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopfe. Californier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Poncho's, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten; schwarze Lady's und Gentlemens, nach tausend Wohlgerüchen duftend und in dem überzeugendsten Putze steckend, ernste Indsmen, die mit gravitätischem Schritte durch die Menge stiegen; gemüthliche Deutsche, Engländer mit Cotelettenbärten und riesigen Zwickern auf der Nase, bewegliche, kleine Franzosen, zankend, erzählend, rufend und auf das Lebhafteste gestikulirend, rothhaarige Irländer, nach Aquardiente (Schnaps) duftend; Chilanen in ihren kurzen Poncho's; Trapper, Squatter, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren; Mestizen und Mulatten in allen Farbenstufen und Schattirungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln von Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Costümen, die man sich nur zu denken vermag, in ihren Kleidern auf das Entsetzlichste abgerissen, mit geflickten Hosen, Röcken, Westen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, aus denen die nackten, strumpflosen Zehen hervorblickten, und Hüten, die Monate lang am Tage der Sonne und dem Regen getrotzt und dann des Nachts als Kopfkissen gedient hatten. Und in den kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens und doch vielleicht die einzigen vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.

Und dieser bunten Völkermischung schlossen sich allerlei respectgebietende, glänzende Gestalten an: amerikanische und englische Seeleute mit breiten Schultern, riesigen Fäusten und herausforderndem Blicke, und eine Anzahl spanischer Marine-Offiziere, die in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen von San Franzisko herbeigekommen waren, um sich das geschäftige Treiben in der Nähe der Golddistricte einmal anzusehen.


Dazu im Vergleich nun Gerstäckers Original. Bei dem Zitat haben aber weder alle Worte noch deren Rechtschreibung Anspruch auf vollständige Authenzität, da hier aus einer sogenannten neu durchgesehenen Ausgabe von 'Kreuz und Quer' zitiert wird. So wird es denn auch bei Gerstäcker ursprünglich z.B. 'Schattirungen' statt 'Schattierungen', 'Californier' statt 'Kalifornier', u.s.w. geheißen haben.

Indessen sammelte sich das "Volk" vor dem alten Missionsgebäude, und es war in der Tat wunderlich anzusehen, welche bunte Mischung von Stämmen und Trachten sich hier zusammengefunden hatte. Das schienen auch nicht die Bewohner einer einzigen Stadt, die sich hier an einem Sonntag nachmittag versammelten, das glich weit eher einem Karneval, der die Repräsentanten aller Zonen und Weltteile für kurze Zeit vereinigte, und a l l e Zonen, - mit Ausnahme vielleicht der kalten waren wirklich vertreten.

Hier stand eine Gruppe von Yankees, in dem unvermeidlichen schwarzen Frack, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm von Chinesen herum, in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl geflochten und gepflegt. Südsee-Insulaner waren da, die scheu und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und oft nur in ihrer eigenen Sprache zusammen plauderten und lachten, wenn ihnen etwas gar zu Absonderliches in die Augen sprang - Mexikaner mit den an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen und den kurzen, ebenfalls so garnierten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopf; Kalifornier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten und die ganze Gesalt verhüllten. Deutsche, Engländer, Franzosen, Irländer, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren [;] Chilenen in den kurzen Ponchos, Neger und Mulatten in allen Schattierungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln voll Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Kostümen, die sich nur denken lassen - abgerissen in ihren Kleidern auf das Entsetzlichste, mit geflickten Hosen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, und Hüten, die monatelang am Tag der Sonne und dem Regen getrotzt und nachts dann als Kopfkissen gedient hatten. Und in kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens, und doch vielleicht die einzigen, vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten. .

Welch' bunte Völkermischung trieb sich auf dem engen Platz umher, und dieser schlossen sich nun auch noch die spanischen Marine-Offiziere in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen an und vollendeten eigentlich erst das bunte, wunderliche Bild.


Bleibt nur noch das Ende von Mays Absatz. Dieser endet mit den Worten: Fast hätte man sagen können: »Wer zählt die Völker, nennt die Namen!«

Auch dieser Text ist fast wortwörtlich Gerstäcker entlehnt, allerdings nicht aus der "Misssion Santa Dolores" sondern aus der in den "Mississippi-Bildern" abgedruckten Skizze "New Orleans". Dort heißt es bezüglich der dortigen Hafenszenerie: "Wer aber - kennt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen."

Eine vergleichbare 'bunte' Beschreibung findet sich übrigens auch in 'Abenteuer auf Ceylon'. Dazu schreibt etwa Christoph F. Lorenz in GW 84 "Der Bowie-Pater" (S. 408): die einleitende Szene am Leuchtturm von Point de Galle etwa bringt nicht viel mehr als die Schilderung des dort herrschenden Volksgetümmels mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Man vergleiche damit auch den Anfang der Frohe Stunden-Erzählung Vom Tode erstanden (...). Der nüchterne Ton des Berichterstatters ist, bei ganz anderer geographischer Kulisse, ziemlich gleich.

Käme auch in diesem Falle ein Gerstäcker-Text als Quelle in Frage? Gerstäcker selbst hat Ceylon nie bereist, insofern gehört diese Insel nicht gerade zu seinen Premium-Sujets. Andererseits 'reiste' Gerstäcker mitunter sehr wohl wie Karl May auch nur vom Schreibtisch aus. Die zweibändige "Reise um die Welt" (1847) etwa entstand gänzlich ohne jede Selbsterfahrung in den beschriebenen Regionen, darin findet sich auch ein Ceylon-Kapitel, welches als Quelle freilich ausscheidet. Ob Gerstäcker noch weitere Ceylon-Geschichten zu Papier gebracht hat, kann wohl nur ein Gerstäcker-Kenner beantworten. Jedenfalls aber dürfte May auch diese Einleitung höchstwahrscheinlich ebenfalls einem Fremdtext entliehen haben, wobei sich die Beschreibung ursprünglich gar nicht auf Ceylon bezogen haben muß. Lediglich die 'singhalesischen Ammen' sind ortsbezogen und könnten von May auch 'eingemeindet' worden sein. Sicher dürfte nur sein, daß der beschriebene Ort wegen des Sonnenuntergangs an einer westlichen Meeresküste liegen sollte.

Ich stand auf dem Leuchtthurm von Point de Galle, versunken im Genusse des herrlichen Panorama's, welches sich unten zu meinen Füßen ausbreitete. Im Hafen lagen eine Menge Fahrzeuge vor Anker; ein- und auslaufende Schiffe belebten die Scene; es waren unter ihnen alle Größen und Gattungen vom größten und prachtvollsten europäischen Dampfer bis herunter zur erbärmlichen chinesischen Dschonke vertreten. Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden Fluthen empor. Zwischen ihnen zogen sich Korallengärten hin, zwischen denen wundervolle rothe und blaue Fische schwammen; Haifische zerrten an dem Kadaver eines todten Hundes; vielgliedrige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan. Die Häuser und Hütten der Stadt lagen schalkhaft unter dem Kronen der Palmen versteckt, und wo die reinlichen Straßen sich dem Blicke offen zeigten, da war eine Menge von Lebenserscheinungen, weidende Zebuochsen, schwarze Schildwachen, lustwandelnde Ladys, durchsichtig weiße englische Kinder mit braunen singhalesischen Ammen, tabakrauchende eingeborene Kinder, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, bezopfte Malaylas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester im langen, schwefelgelben Gewande, Kopf und Bart nackt abgeschoren, englische Midshipmen in rother Jacke und mit schwerem Säbel, malerisch schöne Hindumädchen, Nase, Ohren, Stirn, Arme und Beine mit Gold und Edelsteinen behangen, zu erkennen. Ueber dem Allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die ruhelos bewegte Meeresfläche hin. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 11.6.2005, 14:37, insgesamt 5-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Ein Ritt durch die Pampa

Beitrag von Thomas Schwettmann »

In den frühen Ich-Erzählungen Karl Mays finden sich häufig kurze knappe Hinweise auf bereits erlebte Abenteuer, mit welchen der Weltläufer seine Erfahrung mit weiten Reisen zum Ausdruck bringen will. Diese als Hinweise auf weitere Texte zu deuten, wäre vollkommen unsinnig und so haben Bemerkungen wie etwa die, daß der Ich-Erzähler in Australien den Emu gejagt habe, in Südamerika den Orinoko befahren habe oder in Vorderindien herumgereist sei, keinerlei Bedeutung und können deshalb auch nicht als Hinweis auf einen verschollenen Text gewertet werden. Wenn sich jedoch die Hinweise häufen und sich zu recht konkreten Indizien verdichten, dann können auch solche Reminisenzen durchaus Anlaß zu einer genaueren Analyse derselben bilden.

Die Geschichte der Freundschaft von Charley und seinem Kapitän Frick Turnerstick bildet eine komplizierte und widersprüchliche Kette von Erlebnissen, von der hier jedoch nur der Anfang dargestellt werden soll, welcher mit der "Ehri"-Erzählung beginnt: Hiernach betritt Charley in Glavestone (Texas) erstmals den Dreimaster "The Wind" und läßt sich von dessen Kapitän Turnerstick nach Buenos-Ayres bringen; hier nun reitet er in der Hausschatz-Fassung mit dem Kapitän durch die Pampa und muß einige Abenteuer bestehen, worauf er sich von dem Kapitän trennt, der nach Buenos-Ayres zurückkehrt. Fortan gibt es nun keine Unterschiede mehr zwischen der Hausschatz- und der Buchfassung: Der Kapitän fährt um das Kap Horn in die Südsee, Charley durchquert den südamerikanischen Kontinent auf ziemlich gerader Linie entlang einer Route, welche genau derjenigen der Pan Americana entspricht, schifft sich in Valparadiso bei Kapitän Roberts ein und gelangt so in die Südsee. Die Route von Buenos Ayres nach Valparadiso wurde übrigens von Friedrich Gerstäcker während seiner Weltreise von 1849-52 durchritten. Der Bericht darüber findet sich im 1. Band von "Reisen", wobei speziell der Teil der Reise von der östlichen Küste bis zu den Kordilleren hin im Kapitel 'Ritt durch die Pampa' beschrieben wird. Als Prosatexte entstanden ferner z.B. auch die Erzählungen 'Durch die Pampas' und 'In den Pampas'. Die in die Handlung eingeflochtenen Bemerkung über das gemeinsame Südamerika-Abenteuer ist allerdings einmalig, sodaß man wohl davon ausgehen kann, daß zum Zeitpunkt des Erscheinen des "Ehri" (1879) keine Südamerika-Charley/Turnerstick-Erzählung existiert hat.

Ganz anders dagegen stellt sich die Situation beim Erscheinen des "Kiang-lu" dar: Auch hier wird an den gemeinsamen Ritt durch die Pampa erinnert, dieses jedoch in einer gehäuften und auffälligen Weise, die weit über das hinausgeht, was sonst bei bloßen Andeutungen üblich ist. Zudem sind diese Anmerkungen für den Handlungsverlauf völlig unbedeutend, sie wurden in der Buchfassung dann auch sämtlich getilgt. Insofern drängt sich der Verdacht auf, daß Karl May zwischenzeitlich tatsächlich eine Südamerika-Charley/Turnerstick-Erzählung veröffentlicht haben könnte. Sehen wir uns also mal alle Pampa-Hinweise aus den Hausschatz-Erzählungen an:

Ehri-DH250, L22-R1-4: ... Ich denke, Ihr seid noch immer in diesen verteufelten Pampas's und schlagt Indianer oder Gaucho's todt!" - Ich hatte nämlich mit ihm von Buenos-Ayres aus einen Ausflug in die Pampa's unternommen, und wir waren dabei ein klein wenig in die Lage gekommen, uns unserer Haut zu wehren.
(in der Buchfassung: ... Ich denke, Ihr seid noch immer drüben in Amerika!")
Kiang-lu-DH31, L34-38: ... wie zum Exempel damals in den Pampa's, denn es gibt weder wilde Rinder noch Leoparden
Kiang-lu-DH60, L3ff: Auf unserem bereits auf Seite 250 des "Deutschen Hausschatzes" (VI. Jahrgang) erwähnten Ritte durch die Pampas hatten wir öfters solche kleine tragikomische Zwischenspiele durchgemacht, und stets war er sehr schnell zur Einsicht gekommen und wieder zu mir zurückgekehrt.
Kiang-lu-DH110, R12: Hier steht der Kapitän Turningsticking und dort sein Freund Charleng, der die Gauchos todtschlagung und die Löwang totgeschossing hat (in der Buchfassung: Indianer statt Gauchos)
Kiang-lu-DH170, L6vuff: Wißt Ihr' s noch, damals in der Pampa, wo ich alle zehn Schritte zwanzig Mal herabrutschte? Das war noch viel schlimmer als in Palankin. Dort gab es auch Gauchos und Jaguars, hier aber nicht.
Kiang-lu-DH182, L28vu: Bei den wilden Pferden in der Pampa war es etwas Anderes.
Der Krumir-GR, 350: Ich hatte ihn drüben in den Pampas gehört, wenn der Jaguar des Nachts seine Exkursion begann und in stundenweiter Ferne seine Stimme übte.
Deadly-Dust-DH 667, R4-5: Ich sollte mit Bernard nach San Franzisco zurückkehren, was ich auch zusagte, da ich Peru sehen wollte.

Bei einer derart dichten Hinweislage sollte man deshalb ernstlich in Betracht ziehen, ob Karl May um 1880 eine solche bislang unbekannte Pampa-Erzählung für eine Zeitschrift geschrieben hat. Da May einen solchen Text jedenfalls nicht gesammelt hat, stellt sich zudem die Frage, ob es sich bei diesen hypothetischen Text nicht um eine Vorfassung eines Abenteuers im "El Sendador"-Roman handeln könnte. Läßt sich dort also ein derartiger Textkern finden, der ursprünglich eine frühe Südamerika-Erzählung gewesen sein könnte?

Als Karl May 1889 literarisch nach Südamerika zurückkehrt, schildert er entgegen den im nunmehr 10 Jahre zurückliegenden "Ehri" gemachten Angaben von einer ersten Begegnung zwischen Charley und Turnerstick in den Pampas, dabei wird der Kapitän von unsere Weltläufer aus der Gefangenschaft von Desperados befreit. Insofern scheidet diese Episode wohl als bearbeiteter Alttext aus. Bei den folgenden Ereignissen, die im Kapitel "In der Höhle des Löwen" geschildert werden, wird der Kapitän dann aber zum Hauptdialogpartner und löst dabei die vormaligen Primärfiguren Monteso und Bruder Jaguar ab. Dies ändert sich jedoch nach der Rückkehr nach Buenos-Ayres. Am Anfang des "Pampero" kommt es mit den gleichnamigen Sturm noch einmal zu einem Turnerstick-Geschichten-typischen Ereignis, in deren Verlauf der Kapitän nochmals zum Ansprechpartner wird. Sobald jedoch die Reise nun an Land hinauf zu den Kordilleren fortgesetzt wird, fällt der Kapitän in eine Sekundärrolle zurück, die für den Verlauf der Handlung völlig ohne Belang ist, und nur an wenigen Stellen werden kurze Dialoge mit dem maritimen 'Drechselstock' eingestreut.

Eine in sich abgeschlossenen Episode, die den Titel "Ein Ritt durch die Pampa" verdienen würde, und in der Turnerstick eine zentrale Figur bilden würde, gibt es nicht. Mit guten Willen ließe sich allenfalls das Kapitel "Der Pampero" als eine kurze Erzählung denken, wenn Gomarras Verbindung zum Inkaschatz aufgelöst würde und die Geschichte mit der Flucht von der Harzienda enden würde, der Anteil Turnersticks in dieser Episode wäre nach Einleitung auf den Schiff aber praktisch Null. Als eine andere theoretische Möglichkeit böte sich "Das Vermächtnis des Inka" an. Hier erleben Fritz Kiesewetter und Dr. Morgenstern eigentlich genau die Art von Ritt durch die Pampa, welche durch die Bemerkungen im "Ehri" und im "Kiang-Lu" angedeutet wird. Sollte diese Passage möglicherweise aus einer frühen Charley/Turnerstick-Erzählung entstanden sein? Der Abenteuerwert dieses Reiseabschnittes erschöpft sich allerdings in einem unfreiwilligen Stierkampf und der Schilderung einer Postkutschenreise, was in der Tat unter dem Niveau sonstiger Weltläufererlebnisse ist. Und so scheint es also keinen geeigneten Textabschnitt zu geben, welcher sich als bearbeiteter Frühtext erweisen könnte.

Eine genauere Analyse jedoch zeigt das Gegenteil: Nach welchen Textinhalt wird eigentlich gesucht? Laut Angabe der Hausschatz-Fassungen des "Ehri" und im "Kiang-Lu" schifft sich Charley mit Turnerstick in Buenos-Ayres ein, beide unternehmen zusammen einen Ausflug in die Pampas und kehren nach Buneos Ayres zurück, worauf sie sich trennen, der Kapitän umschifft Kap Horn, Charley reist nach Valparadiso in Chile. Die Handlung des Abenteuers, welches in einem Frühtext zu finden wäre, würde sich aber wohl nur auf die gemeinsam erlebte Reise beschränken, also eine Rundreise von Buenos-Ayres aus.

Dies entspricht aber genau folgenden Textpassagen aus dem "Sendador": Zunächst die Schiffsreise den Parana hinauf, welche durch den Pampero beendet wird. Daran schließt sich aber nun das im Roman vorher abgedruckte Kapitel "in der Höhle des Löwen" an; Charley wird also, nachdem er sich an Land gerettet hat, von einer Bola getroffen und gefangen genommen, wobei die Handlung lediglich statt am Uruguay nun am Panara spielen würde. Das seltsame Verhalten Major Caderas, der aus seinem Todfeind Charley plötzlich einen Soldaten machen will, erhält nun ebenfalls einen Sinn, da sich beide in einer Urfassung vorher nie begegnet wären. Im Gegenteil, die Handlung dieses Kapitels funktioniert völlig unabhängig von den vorhergehenden Ereignissen. Der nun folgende Ritt zum Castillio del Libertator ginge dann nach Westen und nicht nach Osten, ab dort wären die Handlungsorte wieder identisch. Die Rolle von Bruder Jaguar würde dabei wohl jemand anderen zukommen, etwa einen Offizier. Am Ende schließt sich mit der Rückkehr nach Buenos-Ayres wieder der Kreis. Und tatsächlich beinhaltet dieser Handlungsablauf genau die Passagen aus dem "Sendador", bei denen der gute Kapitän der Hauptdialogpartner für Charley ist.

Die Quellenstudie zu Karl Mays Südamerika-Romanen "Man darf das Gute nehmen, wo man es findet" von Bernhard Kosciuszko [-> http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1979/169.htm] widerspricht dabei nicht dieser These, wenngleich 'Hugo Zöller: Pampas und Anden', einer von Mays hauptsächlichen Quelltexten , erst 1884 erschien. Den gerade das Kapitel 'Die Höhle des Löwen benutzt diese Quelle nicht, lediglich im Anfang von 'Der Pampero', welcher die so skizzierte Erzählung einleiten würde, nutzt in der Tat - allerdings nicht ausschließlich - das Zöller-Buch. Dieses bringt die Theorie freilich nicht zu Fall. Wenn man etwa die Erzählanfänge von 'Ein Abenteuer auf Ceylon' (s.o.) und die Bearbeitung 'Der Girl-Robber' vergleicht, dann hat May bei der Neufassung jede Menge beschreibende Passagen ergänzt, ebenso hätte er also einen hypothetischen frühen Pampa-Text bei der Integration in den 'El Sendador' mit weiteren Informationen von Zöller erweitern können.

Natürlich ist die vorgestellte Idee eine reine Hypothese. Sie ließe sich allenfalls dadurch untersuchen, indem man den Wortschatz des Plata-Romans auf signifikante Abweichungen des bewußten 'Löwen'-Kapitel gegenüber dem Rest nach entstehungszeittypische Unterschiede forschen würde.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 10.1.2005, 16:43, insgesamt 2-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Zur Einleitung von 'Sendador II - Der Schatz der Inkas'

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Wenn man die Möglichkeit diskutiert, ob die hypothetische Pampa-Erzählung von dem Erzählanfang des 'Pampero'-Kapitels (bis einschließlich des Schiffbruches) eingeleitet gewesen sein könnte, so erwächst daraus die Frage, wie diese Einleitung ursprünglich im Detail ausgesehen haben könnte. War hier zunächst Buenos-Ayres beschrieben worden, wurde zunächst auf die Umstände der Reise nach Südamerika hingewiesen?Oder gab es zunächst ein paar Worte der Begrüßung,, wie sie im euphorischem Ton etwa anfangs bei der Afrika-Erzählung 'Die Gum' oder inmitten der China-Erzählung 'Der Kiang-lu' zu lesen sind?

Der Anfang des Roman-Kapitel Der Pampero in 'Am Rio de la Plata' ist da jedenfalls wenig hilfreich, weil dort einerseits abschließend die Ereignisse des Vorkapitels referiert werden, andererseits von May der Erzählanfang des in der Zeitschriftenfassung Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgen betitelten Kapitels neu gestaltet wurde, da der neue Hausschatz-Redakteur Keiter den Manuskripttext überarbeitet hatte. Dazu liest man im Editorischen Bericht im Anhang der HKA-Ausgabe von 'In den Cordilleren': (...) er habe, schrieb Keiter am 9.5.1890 an May, "Bei El Sendador durch kleine Wiederholungen im zweiten Theil" (des von May durchlaufend geschriebenen Gesamtmanuskripts) zu bewirken versucht, "Daß auch neu eintretende Abonnenten den Band, den sie erhalten, verstehen können". (S. 502)

Dagegen wäre, hätte Keiter diese Zusammenfassung dem Roman vorangestellt - wie z.B. beim gekürzten 'Weihnacht'-Abdruck 'Der Prayerman/Im Schnee' - nichts zu sagen gewesen. Statt dessen aber integrierte er diesen Rückblick einfach in den Roman-Text. Dieser Teil ist einfach zu identifizieren, doch zeigt ein Vergleich mit der von May korrigierten Buchfassung, daß Keiter aus Mays Manuskript zwei Sätze aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen haben muß, und in seine Übersicht der bisherigen Ereignisse einschob. Diese sind im folgenden unterstrichen markiert.

Wer den ersten Teil meiner neuen Reiseabenteuer gelesen hat, weiß, welche seltsamen Fahrten und Gefahren ich zu bestehen hatte. Für die wenigen, welche die vorhergegangenen Ereignisse noch nicht kennen, füge ich folgende kleine Einleitung hinzu.
Durch eine überraschende Verwicklung der Umstände war ich in Argentinien in die Hände des aufrührerischen Generals Lopez Jordan gefallen, dem es indessen nicht gelungen war, mich festzuhalten. Ich hatte ihm sogar den Major Cadera entführt und denselben unterwegs auf einer schwimmenden Insel abgesetzt. Von meinen Begleitern hatten der Estanziero und sein Sohn, sowie der von Jordan desertierte Offizier uns verlassen. Dann ging ich mit meinen Gefährten, dem Frater Hilario, auch Bruder Jaguar genannt, dem Yerbatero (Teesammler) Monteso und seinen Leuten, dem Kapitän Frick Turnerstick und dem Steuermann Larsen auf einem Floß den Paranastrom hinunter, um nach Buenos Ayres zu fahren. Von dort wollten wir uns durch die weite Waldlandschaft, den Gran Chaco schlagen. Ich wollte nach Tucuman, um einen alten Bekannten wieder zu sehen. Gleichzeitig aber wollten wir einen abgefeimten Schurken, den Sendador, suchen, welcher im Besitz wichtiger auf einen vergrabenen Schatz bezüglicher Dokumente war. Diese Dokumente bestanden in Quipus, das sind altperuanische Geheimnisse, welche in Schnuren geknüpft sind, die ich zu enträtseln hoffte. Der Sendador hatte sie einem Mönche, der dieselben seinem Kloster überbringen wollte, abgenommen, und ihn in der Pampa de Salinas in den brasilianischen Anden ermordet. Die Yerbateros wußten, daß der Sendador im Besitz der Quipus war, nicht aber, daß er den Mönch ermordet hatte. Letzteres hatte ich aus den Aussagen eines sterbenden Mannes erraten, der unbemerkt Zeuge der Tat gewesen und später vom Sendador gezwungen worden war, Stillschweigen zu schwören.


Nun folgt im 'Sendador'-Text ein Abschnitt über die katholischen Missionen am Parana. Auch diesen Text schiebt der Editorische Bericht der HKA nahezu bedenkenlos Keiter in die Schuhe: Wie großzügig Keiter die Lizenz solcher Verständnishilfe auslegte, zeigt u. a. die von May für B [= Buchausgabe. Anm.] wieder gestrichene Passage über das katholische Missionswesen (...), die als Fremdeinfügung auch stilistisch beweisbar ist. (S. 502) Zu den gleichen Schluß kommt auch das Nachwort im KMV-Reprint der Fehsenfeld-Ausgabe: Insofern ist die Annahme durchaus begründet, daß der Abschnitt über das Missionswesen" ebenfalls nicht von May stammt. (N 11). Wie berechtigt ist diese Einschätzung, daß May nicht der 'Missiones'-Autor sei, aber wirklich? Zunächst einmal lese man den betreffenden Text:

Jetzt fuhr ich denn Parana herauf und seltsame Gedanken bewegten mich. Ich dachte an das Wort eines Kirchenvaters: »Gehet hin in alle Welt, und öffnet allen Völkern die Pforten der Seligkeit!« So umschreibt er die Worte, durch welche der göttliche Erlöser die Mission einsetzte und heiligte. Und sie sind hingegangen, die Apostel des Herrn, in Not und Tod, um seinen Befehl auszuführen, und nach ihnen Hunderte und Tausende in demselben Glaubenseifer und Todesmut. Wo gibt es ein Land, in welchem, und ein Volk, an welches nicht der Ruf erklungen wäre: »Kommet her zu mir alle, die ihr elend und verschmachtet seid; ich will euch erlösen und erquicken!«?
Und sie sind gekommen, die Armen und Elenden, die Mühseligen und Beladenen, die Kranken und Trostbedürftigen, um Frieden zu finden, Frieden mit Gott, mit sich selbst und den Menschen. Aber noch Abertausende, noch Millionen befinden sich draußen vor dem Tore, innerhalb dessen die Gnade und Versöhnung waltet. Sie hören die Rufe, aber sie folgen denselben nicht. Der Herr winkt ihnen; sie aber stehen stumm oder schütteln die Köpfe und gehen ihre bisherigen Wege. Warum?
Warum!
»Närrische, sonderbare Frage!« sagte einst ein viel und weit gereister Herr zu mir, welcher alle Nationen und Völker gesehen hatte, vom weißen Kaukasier bis zum zwitschernden Papua. »Gehen Sie nur hin, und sehen sie drei oder vier Missionen, welche so nahe bei einander liegen, daß ein Fußgänger innerhalb eines Tages einen Kreis um sie beschreiben kann! Einer dieser geistlichen Herren ist ein Lutheraner, der zweite ein Mennonit, der dritte ein Hochkirchlicher und der vierte gar ein Quäker. Jeder von ihnen räsonniert auf den Glauben des andern. Welcher von ihnen hat nun recht? So fragen sich mit gutem Grunde die armen Heiden. Keiner, ist ihre schließliche Antwort. Hier haben Sie mein Darum auf Ihr Warum.« Hatte dieser Herr recht oder unrecht? »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,« lautet ein Bibelwort. Darum schaue man hinaus nach den Früchten, welche der ausgestreute Samen trägt. Man kann nicht Trauben ernten von den Dornen und Feigen von den Disteln! Nur die katholische Kirche hat auf dem so unendlich wichtigen Gebiete des Missionswesens Erfolge aufzuweisen.
Ein Weltreisender, welcher nicht der katholischen Kirche angehört, schreibt in einem seiner Werke über Südamerika Folgendes:
»Der König von Spanien sandte Missionäre, um die Indianer zum christlichen Glauben zu bekehren. Die geistlichen Väter ließen sich an den Fällen des oberen Parana nieder und versammelten bald eine große Anzahl Indianer um sich. Sie wurden aber von den brasilianischen Sklavenjägern bedrängt und zogen mit 12,000 Bekehrten nach Süden. Dort bildeten sie ihre Zöglinge nach Kräften militärisch aus und wiesen alle weiteren Angriffe der Sklavenjäger mit Waffengewalt zurück. Die Missionen dehnten sich immer weiter aus, so daß sie fast 200,000 Bekehrte und eine bewaffnete Macht von 15,000 Mann besaßen. Die Indianer wurden von allen schädlichen Einflüssen fern gehalten und durch väterliche Behandlung und Frohsinn zur Arbeit erzogen. Sie gediehen dabei sowohl körperlich wie geistig und geistlich auf das Vortrefflichste, und nichts fiel ihnen weniger ein, als in ihren früheren Zustand zurückzukehren.«
So sagt und schreibt ein Protestant. Diese und andere Fragen und Gedanken gingen mir durch den Sinn, als wir in der breiten Flut des Parana aufwärts dampften. Wir näherten uns der Gegend, in welcher die katholische Mission so großartige Erfolge zu verzeichnen hatte, daß das ganze, weite Gebiet noch heute mit dem Namen »Missiones« bezeichnet wird.


Die Argumentation bezüglich des fremden Stils ist eine heikle, falls nämlich die Zitate, die einen Großteil des Textes ausmachen, keine künstlichen Scheinzitate, sondern echte sind, beispielsweise einem Weltreisenden wie Gerstäcker entlehnt, so spielt bei diesen Sätzen der Stil als Bewertungskriterium überhaupt gar keine Rolle. Man bedenke zudem, daß auch der erste Teil des 'Sendador' von einem langen Fremdzitat (von Adolphe Delacour, May zitiert dabei aus einem in seiner Bibliothek befindlichen Buch) eingeleitet wird.

Und was die Thematik angeht, so hat May ähnliches, auch explizit über die katholische Missionsarbeit, auch in anderen Texten geschrieben, u.a. gar auch über Südamerika in 'Im 'wilden Westen' Nordamerikas': Hunderte von, besonders katholischen, Missionen sind noch heut in Mittel- und Südamerika in segensreicher Thätigkeit; sie berücksichtigen die Eigenart und die Menschenrechte des Indianers, und dieser verehrt in den frommen Vätern nicht nur die Verkündiger eines selig machenden Gottesglaubens, sondern auch die leiblichen Wohlthäter seiner Rasse. Da der Text im selben Wortlaut auch im 'Ave Maria'-Abdruck zu lesen ist, handelt es sich hier gewiß nicht um eine Fremdeinfügung eines klüngelden kölschen Redakteurs des katholischen Theissing-Verlages. Doch auch hier hat May den entsprechenden Passus in der Buchausgabe entfernt.

Zudem werden auch die religiöse Motti in anderen May-Texten thematisiert: Der Satz Gehet hin in alle Welt (...) wird im 'Kiang-lu' wie auch in den 'Geographischen Predigten' (dort freilich mit dem Zusatz: (...) und lehret alle Völker) zitiert, in der Aufsatzsammlung findet sich auch noch: Kommet her zu mir Alle, die Ihr mühselig und beladen seid; denn ich will Euch erquicken, und bei mir findet Ihr Frieden für Eure Seele!. Und das bekannte An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen liest man in 'Old Surehand III'. Ferner wurden auch die Ausdrücke Sonderbare Frage und Närrische Frage von May - wenn auch nicht in obiger Kombination - häufig benutzt. Zudem scheint es doch etwas seltsam, warum Keiter als Redakteuer eines katholischen Blattes ausgerechnet einen protestantischen Weltläufer zitieren sollte. Da außerdem die 'Missiones' auch im folgenden Satz weiter unten im Text (noch während der Dampferfahrt) angesprochen werden: Am allerliebsten wäre ich mit bis in das Gebiet der Missiones geritten. (auch in der Buchfassung), hätte Keiter doch wohl auch diese Bemerkung einschieben müssen.

Es fragt sich also, ob May hier nicht doch - wie bei ähnlichen längeren Einschüben über das Verhältnis des Christentums zu den Urvölkern der Welt in den drei 'Ehri'-Varianten, in 'Der Kiang-lu' oder in 'Der Brodnik' - den 'Missiones'-Text selber als ursprüngliche Einleitung des zweiten Sendador-Teils geschrieben hat. Wenn man jetzt noch annimmt, daß es sich dabei gar um den Anfang einer frühen Pampa-Erzählung handeln würde, so wird gar verständlich, warum May - im Gegensatz zur chronologischen Reihenfolge der Buchausgabe - den Abschluß der 'In der Höhle des Löwen'-Episode in der Rückschau an Bord einen Parana-Dampfers schildert. In dieser hypothetische Geschichte wäre ein solcher Rückblick ja gar nicht enthalten gewesen, da Karl May aber in diesem Falle die 'Missiones'-Einleitung für den Kapitelanfang übernommen hätte, konnte er - um diesen effektvollen Auftakt nicht zu stören - die Floßfahrt nach Buenos Ayres erst nachträglich schildern.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 29.6.2004, 16:14, insgesamt 1-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Zur Einleitung von 'Sendador II' / Catolico-Passage

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Bezüglich dieser Fahrt nach Buenos Ayres vergleiche man nun einmal die Buchfassung mit der Zeitschriftenversion. Zunächst wäre da also der Anfang des Kapitels 'Der Pampero' aus 'Am Rio de la Plata', dort werden die Ereignisse in chronologischen Ablauf geschildert:

Wenn ich geglaubt hatte, unsern Verfolgern glücklich entgangen zu sein, so war dies nur meine Meinung gewesen, denn meine Gefährten hielten es für leicht möglich, daß wir ihnen noch in die Hände fallen könnten. Wir bemerkten, daß die Truppen bemüht waren, das ganze rechte Flußufer zu alarmieren, aber die Krümmungen des Flusses und der Fall desselben waren uns so günstig, daß unser Floß schneller schwamm, als sie reiten konnten, und so kam es, daß meine Begleiter sich schon nach einigen Stunden beruhigten und sicher fühlten.
Major Cadera war wütend; wir aber lachten über seinen Grimm und setzten ihn gegen Mittag auf einer der schwimmenden Inseln aus, welche der Fluß so zahlreich mit sich führt. Mochte er sehen, wie er mit ihr das Ufer erreichte. Kurze Zeit später legten wir an das linke Ufer an, um den Estanziero und seinen Sohn mit ihren Pferden dort abzusetzen, weil beide nach Hause wollten. Nach einem herzlichen Dank und Abschied ritten sie mit dem freundlichen Wunsche des Wiedersehens davon.
Nach glücklicher Fahrt brachte uns das Floß nach Buenos Ayres, wo die Flößer den ausbedungenen Lohn und auch noch etwas mehr erhielten. Der Rittmeister verabschiedete sich da mit dankenden Worten, welche ganz gewiß aufrichtig waren. Wir hielten natürlich an unserm ursprünglichen Plane, nach dem Gran Chaco zu gehen, fest, und Turnerstick redete mir so lange zu, ihn und den Steuermann, seinen Liebling, mitzunehmen, bis ich meine Einwilligung gab. Einige Tage genügten für ihn, in Beziehung auf sein Schiff die nötigen Dispositionen zu treffen, dann waren wir reisefertig.
Da es geraten und vorteilhaft war, von Buenos Ayres bis hinauf nach Corrientes das Dampfschiff zu benutzen, so verkauften meine Gefährten ihre Pferde, ich aber behielt meinen Braunen, denn ich durfte nicht hoffen, sogleich wieder ein so vortreffliches Tier zu finden. Freilich wurden mir wegen des Pferdes einige Schwierigkeiten gemacht, doch ließ der Kapitän des Dampfers endlich mit sich sprechen. Der Braune kam zwischen Ballen, Kisten und Fässern zu stehen, welche auf dem Vorderdecke untergebracht waren. Er befand sich wie in einem kleinen Stalle, nur daß er kein Dach über sich hatte.


Hier sind also die den Major Cadera und den Estanziero betreffenden Passagen in den Text integriert. Wie oben schon angemerkt, dürften auch in Mays 'El Sendador' Manuskript - wahrscheinlich an der mit unten * markierten Stelle - auch diese beiden folgenden, mutmaßlich von Keiter aus dem Zusammenhang herausgelösten Sätze gestanden sein, vermutlich jedoch mit Wir- statt Ich-Pronomen: [Ich] (Wir) hatte(n) [ihm sogar den] Major Cadera [entführt und denselben] unterwegs auf einer schwimmenden Insel abgesetzt. Von (meinen) [unseren] Begleitern hatten der Estanziero und sein Sohn, sowie der von Jordan desertierte Offizier uns verlassen. Der gesamte Absatz ist in der Zeitschriftenfassung jedenfalls kürzer gefaßt (was jedoch nicht unbedingt auf Streichungen Keiters zurückzuführen sein dürfte, vgl. etwa auch die Textverlängerung Mays bezüglich der Stadt Palmar am Anfang des ersten 'Cordilleren'-Kapitels):

Zu unserer rechten Hand bespülte der Fluß die Provinz Entre Rios, jenseits welcher der Uruguay unsere Flucht gesehen hatte. Wir waren glücklich entkommen, obgleich das ganze rechte Ufer wegen uns alarmiert worden war. Wir hatten uns aber gehütet, dort anzulegen. *
Das Floß ging bis Siqueritas, wo wir Gelegenheit fanden, unsere Pferde zu verkaufen, die wir jetzt nicht brauchten. Das heißt, meinen Braunen behielt ich, denn ich durfte nicht hoffen, sogleich wieder ein so gutes Tier zu finden. Dann gingen wir per Schiff nach Buenos Ayres.
Dort hielten wir uns nur so lange auf, als der Kapitän brauchte, seine Weisungen zu erteilen. Er hatte so lange auf uns eingesprochen, bis er die Erlaubnis erhielt, uns zu begleiten. Und Larsen, der Steuermann, ging auch mit. Buenos Ayres wird an anderer Stelle erwähnt und beschrieben werden. Wir nahmen da Fahrkarten für einen Dampfer, welcher bis hinauf nach Corrientes ging. Einige Schwierigkeiten wurden mir wegen des Pferdes gemacht, doch ließ der Kapitän des Dampfers endlich mit sich sprechen. Der Braune kam zwischen Ballen, Kisten und Fässern zu stehen, welche auf dem Vorderdecke untergebracht waren. Er befand sich wie in einem kleinen Stalle, nur daß er kein Dach über sich hatte.


Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Anmerkung Buenos Ayres wird an anderer Stelle erwähnt und beschrieben werden.. Dieses ist zwar zutreffend, da Karl May diese Stadt ausführlich in 'Das Vermächtnis des Inka' beschreibt, doch ist diese Jugenderzählung zum Zeitpunkt der Entstehung von 'El Sendador II' noch weit vor der Realisierung. Andererseits könnte Karl May durchaus schon zu diesen Zeitpunkt ein zu dem 'Schatz der Inkas' paralleles Szenario für 'Das Vermächtnis des Inka' für den späteren Gebrauch entworfen haben. Es wäre aber auch denkbar, daß in der hypothetischen frühen Pampa-Erzählung gerade hier eine kleiner Exkurs über Buenos Ayres zu lesen war. Allerdings wäre diese dann nicht etwa ins 'Vermächtnis' übernommen worden, da der dortige Beschreibung auf den erst 1884 erschienenen Buch von Zöller beruht. Gleiches gilt auch für die im 'Sendador' während der Parama-Fahrt geschilderten Barranca-Ufer und der dortigen Fauna, ja selbst die Charakterisierung des Pampero ist Zöller entliehen. Weder Zöller noch Burmeister ist aber die der oben zitierten Rückschau nachfolgende Passage über die La-Plata-Mündung zuzuordnen. Ob dies ein Indiz für eine frühere Niederschrift dieser Absätze sein könnte, läßt sich natürlich nicht sagen:

Der La Plata bildet nach dem Amazonas das größte Stromsystem Südamerikas. Er wird durch den Zusammenfluß des Uruguay mit dem Parana gebildet und muß als die breiteste Flußmündung der Erde bezeichnet werden. Sie ist unmittelbar nach der Vereinigung der beiden Flüsse 40 Kilometer breit. Bei Montevideo erreicht sie eine Breite von 105 und an der Oeffnung sogar von 220 Kilometer. Diese 220 Kilometer breite Mündung hat ein schlammig gelbes Wasser, welches noch 130 Kilometer weit in der See draußen sich vom Meerwasser unterscheiden läßt.
Die Tiefe des Parana beträgt da, wo er den La Plata bilden hilft, dreißig Meter. Entsprechend ist seine Breite. Er ist unbedingt der größte südamerikanische Fluß, bildet aber nicht einen geschlossenen Stromlauf, sondern teilt sich oft in mehrere Arme und bildet Inseln, welche zuweilen von bedeutender Größe sind. Er ist äußerst fischreich, obgleich man seines schmutzigen Wassers wegen nur selten sich eine Flosse bewegen sieht.


Daß Karl May indes schon früher Quellen über die Plata-Region ausgewertet haben muß, zeigt sich angesichts seiner Beschreibungen der südamerikanischen Landformen in den 'Geographischen Predigten':

Da, wo der Orinoco seine Fluthen dem Golfe von Paria zuwälzt, also in dem nördlichen Südamerika, ferner um den Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen und endlich am Rio de la Plata bis hinein nach Patagonien dehnen sich ungeheure Ebenen, welche mit den Küstenflächen von Chile, Bolivia und Peru über 254,000 Quadratmeilen zählen.
(...)
Die Pampas im Süden zeigen meist eine Schicht Humuserde auf einer thonig-sandigen Unterlage; auf dem salzigen, steinlosen Boden wächst eine dürftige Vegetation von Salzpflanzen; und nur da, wo der Boden weniger salzig und das Klima feucht ist, giebt es einzelne Brunnen und in Folge dessen ganze mit Cactuswäldern bedeckte Strecken. Nur die Steppen von Buenos-Ayres zeigen eine lebhafte Vegetation von Gras und Kräutern, über welcher, wie in der afrikanischen Wüste, die Fata
morgana ihre Truggebilde zeichnet.
Auf diesen einförmigen, wenn auch nicht gerade öden Ebenen fährt oder reitet man Stunde um Stunde, Tag um Tag, ohne eine andere Abwechselung als etwa eine weidende Viehheerde, ein aufgescheuchtes Wild, einen Ochsenkarrenzug, einen kleinen See, ein einsames Posthaus, eine halbverfallene Meierei. Flüsse kommen gar nicht vor. Das Gras besteht aus ziemlich gleichmäßig vertheilten Büscheln, zwischen denen der kahle Boden hervorschaut. Der weite Horizont verschwimmt in violetter Bläue, und wie auf dem Meere wird man von einem kreisförmig abgegrenzten, überall gleichweiten Gesichtsfelde umgeben.
Millionen von Pferden und Kindern weiden halbwild auf den Weideplätzen der großen Landgüter unter der Aufsicht ebenfalls halbwilder Hirten, der Gauchos, die aus einer Vermischung der Spanier und Indianer entstanden sind und von ihren Pferden unzertrennlich scheinen.


An dieser Stelle sollte man vielleicht noch auf die bzgl. der Autorenschaft ebenfalls umstrittene 'Catolico'-Passage aus den 'Cordilleren' eingehen:
»Sie sind Christen? Dann traue ich Ihnen nicht!« »Wir sind keine Heiden!«
»Sie sind keine Christen und auch keine Heiden? Was denn sonst?«
»Ich bin eine Catolica.«
Jetzt ahnte ich, daß sie unter Christen die Nichtkatholiken verstand.
»Und ich ein Catolico.«


Auch hier mutmaßt das Reprint-Nachwort: Daß es sich auch hier um eine von der Hausschatz-Redaktion hinzugeschriebene Textpassage handelt kann zwar nicht bewiesen werden, ist jedoch vorstellbar. (N 13) Ist also das Bekenntnis des Ich-Erzählers, daß er 'Catolico' - also Katholik - sei, tatsächlich von Keiter eingeschmuggelt worden. Oder klingt es nicht eher so, daß sich der alte Charley hier zu einer - fast ironischen - Notlüge gezwungen sieht, weil Unica "Christen" als abwertende Bezeichnung für nicht-katholische Christen benutzt? Spiegelt sich nicht hier eher umgekehrt Mays Verhältnis zum 'Hausschatz', und kann man in der folgenden Andeutung, daß ein Christ bzw. Ein 'Reformando' ein Dieb sei, nicht gar eine weitere biographische Anspielung sehen?

»Er ist ein Lügner und ein Dieb, denn er war ein Christ.«
»Sagte er denn, daß er ein Reformado sei?«
»Nein. Er nannte sich einen Catolico; aber das war eine Lüge. Wäre es wahr gewesen, so hätte er sein Wort gehalten, denn ein Catolico stiehlt nicht und kommt auch wieder, wenn er es versprochen hat.«


Jedenfalls erscheint die einfache Deutung, daß die katholische Betonung auch hier von Keiter aber nicht von May stammen sollte, weil dieser jene Dialogteile bei der Buchausgabe gestrichen hat, doch etwas kurz gegriffen. Karl May wußte schließlich, daß er als Hausschatz-Autor für eine katholische Leserschaft schrieb, gleichfalls war ihm natürlich ebenso klar, daß die Fehsenfeld-Ausgabe von jedermann gekauft wurde, er hier also eindeutig formulierte Tendenzen möglichst tilgen sollte. Daß dabei nicht alle katholischen Bezüge gestrichen wurden, wenn sich diese aus dem Zusammenhang logisch ergaben, zeigt etwa diese Passage aus 'Am Rio de la Plata' :.

Neben der Thüre hing ein Weihwassergefäß, was ich während dieser Tage noch nirgend anderswo gesehen hatte, obgleich die Staatsreligion der Banda oriental die katholische ist. Gegenüber hing der Spiegel und zu beiden Seiten von ihm die Mater dolorosa und der Erlöser mit der Dornenkrone in nicht üblem Oelfarbendruck. In der Ecke stand ein großer Kachelofen undhinter demselben, in dem Raume, welchen man in einigen Gegenden Deutschlands die 'Hölle' nennt (...)
Thomas Schwettmann

Der Pampero & der Mosel-Sturm

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Warum ist nun eine oben skizzierte Abfolge von 'Pampero'-Einleitung + 'In der Höhle des Löwen'-Kapitel ein idealer Kandidat für eine frühe Pampa-Erzählung? Da ist zunächst ein ganz praktischer Grund: Diese Rundreise den Parana hinauf bis zur Unglücksstätte, dann quer durch das Entre Rios über das Cast. del Liberator hin zum Urugay, und diesen wieder herunter nach Buenos Ayres ist die einzige Strecke, die mit den Angaben einer Tour von Buenos Ayres durch die Pampas übereinstimmt. Auch ist nur hier Kapitän Turnerstick der hauptsächliche Dialogpartner Charleys, während andere wichtige Begleiter wie Monteso oder der Bruder Jaguar auffälligerweise fast gar nicht zu Wort kommen. Umgekehrt ist Turnerstick nach dem Pampero-Sturm kaum noch existent.

Ein weiteres wichtiges Indiz könnte der unvermittelte Bruch in dem Verhalten des Major Caderas sein, der nun plötzlich Charley als Soldaten rekrutieren will: Freilich konnte ich mir nicht erklären, welche Gründe der Major gehabt hatte, mich am Rio Negro erschießen zu lassen, und welche andere Gründe ihn jetzt hier am Uruguay veranlassen konnten, darauf zu verzichten. Seltsam erscheint auch die Antwort auf die Frage des Majors nach Charleys Geschäftsfreund: »Bankier Haufer in Buenos Ayres.« Von dem Mann ist sonst im gesamten 'Sendador'-Roman nicht die Rede. Zwar liegt nahe, daß Charley den Namen einfach nur erfindet (Ich kannte in den ganzen La Plata-Staaten keinen Menschen, welcher geschäftliche Veranlassung gehabt hätte, mir auch nur einen Pfennig zu borgen.), doch könnte Charley in einer ursprünglichen Frühfassung durchaus diesen Mann gekannt haben.

Bei einer vergleichbaren frühen Reiseerzählung wie 'Kiang-lu' fällt zudem auf, daß May seine chinesische Handlung praktisch nur in Hongkong und Kanton spielen läßt, daß eigentliche Landesinnere von China bleibt außen vor. Ähnlich zurückhaltend präsentiert sich zunächst auch das 'Abenteuer in Ceylon', welches abgesehen von der Stadt Colombo von Ceylon herzlich wenig zu berichten weiß, erst in der erweiterten Fassung 'Der Girl-Robber' gibt es einen Ausflug in den ceylonesischen Dschungel.

Und so würde sich auch der 'Ritt durch die Pampa' neben Buenos Ayres nur noch auf eine geographisch eher diffus beschriebene Pampalandschaft beschränken, die keinerlei genaues Quellenstudium nötig hat, was durchaus auf eine frühe Entstehungszeit deuten könnte. Dazu formuliert Bernhard Kosciuszko in seinem Artikel "Man darf das Gute nehmen, wo man es findet": Die Abenteuerhandlung hat sich bei Ankunft auf dem Besitztum Monteses so weit entwickelt, daß May sich von der Quellenkrücke lösen und abenteuerförderndere, allgemeinere Landschaftstopoi (Flußniederungen, Sümpfe, Hügelland, Urwald etc.) verwenden kann. Erst im letzten Kapitel »Der Pampero« greift er für die Schilderung der Paranafahrt wieder zu seinen Gewährsmännern.

Letztere Quellangabe scheint aber nun tatsächlich ein gewichtiges Gegenargument gehen eine frühe Pampero-Fassung zu sein. Zwar kann man sich vorstellen, daß May solche ergänzenden Einzelheiten wie zum Barranca-Ufer, zu den Preis der Fahrt und der Fauna (Cuervo/Wasservögel/Lobo/Jaguar/Jacarés) nach dem Quelltext von Zöller erst bei der Niederschrift des 'Sendadors' eingefügt hat, die Beschreibung des Pampero selber, die laut Kosciuszko ebenfalls Zöller folgt, könnte demnach aber unmöglich vor 1884 - dem Erscheinungsdatum des Zöller-Buches - erfolgt sein. Dannach wäre aber eine frühe Entstehungszeit einer frühen Pampero-Version von ca. 1880 unmöglich. Leider zitiert Kosciuszko aber nicht, was May aus dem Zöller-Buch übernahm.

So hatte etwa auch Gerstäcker eine Begegnung mit einem Pampero, der den Weltreisenden noch auf der See bei der Einfahrt in den La Plata traf. Gerstäckers Schilderung des Naturereignisses ist eher kurz, das gilt vorallem für seine Beschreibung in den 'Reisen': Noch war's nicht dunkel geworden, als sich der wind nach Nordwest, dann gegen Westen herumschlug, und bald pfiff wieder, von fluthenden Regen begleitet, ein so wüthender Pampero über den weiten Strom dahin, daß der Sturm durch Blöcke und Taue heulte, die See, mehr und mehr aufgerüttelt, ihre weißen Kämme in einem wahren Springschaum über die Fläche sandte (...)

Nicht viel umfangreicher, aber in Hinblick auf Mays Formulierungen zweifellos interessanter, ist die entsprechende Textstelle in der kurzen Skizze 'Ein Pampero in La Plata': Kaum fünfzehn Minuten später schlug der Wind nach Nordwesten, jetzt nach Westen herum, und wie er d e n Punkt erreicht hatte, nahm er die Backen voll. Die Wolkenwand war indessen mit rasender Schnelle höher und höher gestiegen, und ein Regen strömte plötzlich herab, der selbst unter den Tropen nicht heftiger hätte auftreten können. Aber das verminderte die Kraft des Sturmes nicht. Die Mündung des gewaltigen Stromes hatte bis dahin spiegelglatt gelegen, jetzt kräuselten sich die Wogen, aber wuchsen mit rasender Schnelle, und mit Dunkelwerden stand schon eine See, die weit draußen im Ozean nicht massenhafter auftreten könnte, während der Sturm von den sich überstürzenden Wellen die weißschäumenden Kronen blitzschnell fortriß.

Interessanterweise läßt sich aber nun nachweisen, daß May wesentliche Elemente seiner Beschreibung der Pampero-Schiffskatastrophe bereits vor 1884 niedergeschrieben hat. Denn Karl May hatte - in zwar nicht gleichen, aber doch unverkennbar ähnlichen Wortlaut - eine nach dem gleichen Muster ablaufende Schiffshavarie schon 1883 im ersten Kapitel 'Zwei Gegner' in 'Die Liebe des Ulanen' niedergeschrieben. Vergleichen wir also mal auszugsweise beide Texte, auffällig im Ulan-Text ist dabei auch die Formulierung mit rasender Schnelle, die Gerstäcker in seiner kurzen Pampero-Beschreibung gleich zweimal benutzte.

Pampero: Der bisher glatte Spiegel des Flusses wurde tief aufgewühlt und schickte seine schäumenden Wogenkämme hoch an dem Buge des Dampfers empor. (...) Haselnußgroße Regentropfen fielen, erst einzeln, dann aber in geschlossener Masse, als ob ein See herniederstürze. / »An die Glocke! Läuten, läuten, ohne Unterbrechung läuten!«

Ulanen: Der Dampfer kämpfte mit aller Kraft gegen die wild aufgeregten Wogen an, welche in rasender Schnelle ihm entgegen schossen. Der Mann an der Glocke gab sich alle Mühe, mit seinem Blicke die Regenmasse zu durchdringen, welche ihm, von dem orkanartigen Sturme entgegengeschleudert wurde.

Pampero: Desto deutlicher aber hörte man die Donnerschläge, wie ich sie so fürchterlich noch nie vernommen hatte. Durch die starken Scheiben der kleinen Fenster sahen wir Blitz auf Blitz herniederkommen. Aber diese Blitze bildeten nicht zuckende Linien oder Bänder, sondern sie fielen wie große, dicke Feuerklumpen herab.

Ulanen: dann fuhr ein blendender Blitzstrahl hernieder, es war, als ob ein großer, ungeheurer Feuerklumpen vom Himmel falle - ein entsetzlicher Donnerschlag erfolgte, und nun brach ein Regen los, so massenhaft, so fluthenähnlich, daß man meinen sollte, die Wellen eines ganzen Meeres stürzten von der Höhe hernieder. (...) Blitz folgte auf Blitz und Schlag auf Schlag.

Pampero: Das Schiff war auf ein gewaltiges Floß gefahren und hatte sich, vorn mehr und mehr sich hebend, in den Vorderteil desselben hineingearbeitet. Es stak zwischen mächtigen Baumstämmen. Die Räder hingen über Wasser, bewegten sich aber nicht mehr, da die Maschine gestoppt worden war. Dagegen wurde das Hinterteil so tief niedergedrückt, daß nur noch das Steuerrad aus dem Wasser hervorragte (...) Der Dampfer war, von dem Sturme getrieben, auf das Floß gefahren und mit dem Vorderteile auf dasselbe gehoben worden. (...) Die starken Lianen, welche die Stämme des Floßes verbanden, rissen teilweise, und die gewaltigen Hölzer schlugen und stampften unaufhörlich gegen den Schiffskörper. Bohrten sie ein Leck, so mußte das Schiff binnen wenigen Minuten sinken.

Ulanen: Wie sich später herausstellte, hatte sich weiter oben ein sehr tief gehendes Floß losgerissen, und war von dem Sturme und den wilden Wogen mit rasender Schnelle hinabgetrieben worden. (...) Hier hörte man das Kreischen des Buges in die Stämme des Flosses hinein, und das Krachen, Stöhnen und Prasseln der schweren Hölzer, welche von den Fluthen vor dem Schiffe auf- und übereinander geschoben wurden. Der Heizer war mit dem Maschinisten vor Angst auf das Deck gesprungen, und die nun sich selbst überlassene Maschine arbeitete, ohne gestoppt zu werden, gegen die mächtigen Massen des Flosses an. Dadurch stieg das Schiff vorn in die Höhe und sank hinten tiefer in den Strom. Ein Krach ertönte ganz vorn am Vordertheile, und sofort drang das Wasser des Flusses in einem armesdicken Strahle zu der durchbrochenen Wand herein. (...) Der Regen schien gar nicht in Tropfen, sondern in einer compacten Masse zu fallen, durch welche der Blitz seine Feuerklumpen schleuderte. Das Vordertheil des Schiffes hatte sich hoch emporgearbeitet, während das Hintertheil sichtbar immer tiefer sank. Mächtige Stämme und Hölzer, welche sich vom Flosse losgerissen hatten, schossen vorüber.


Natürlich gibt es noch weitere Parallelen, wie etwa das Verhalten der Passagiere, insbesondere die ritterliche Rettung der alten Indianerin durch Charley hier, dergleichen die analoge Heldentat von Müller zugunsten Marion dort. Und die speziellen Pampero-Beschreibung, die May aus Zöllers Buch gewinnt, dürfte demnach also nicht viel mehr als den Satz Als ich unter diesem Zeltdache hervortrat, war der Himmel rundum schwarz geworden, und der heranheulende Sturm überschüttete mich mit einer sehr großen Menge von Staub, Sand und Schmutz. umfassen, was lediglich ein kleines Detail bedeutet. Als Argument gegen eine frühe Entstehungszeit einer frühen Pampero-Variante ist der Hinweis auf Zöller jedenfalls unwirksam. Vielmehr könnte man fragen, welcher der beiden Texte - 'Pampero' oder 'Ulan' - Priorität besitzt. Da hier nicht einfach wörtlich abgeschrieben wurde, ist natürlich auch möglich, daß der eine Text unabhängig vom anderen, also lediglich durch Erinnern entstanden ist. Angesichts dessen, daß Karl May offensichtlich seine Münchmeyerromane nicht sammelte und die Manuskripte dazu im Verlag blieben, ist allerdings davon auszugehen, daß May bei der Niederschrift von 'El Sendador' keinen 'Ulan'-Text vorrätig hatte. Dann aber fragt sich, ob Karl May die doch recht weit gehenden Textähnlichkeiten nur aus dem Gedächtnis heraus schreiben konnte. Hingegen kann man davon ausgehen, daß im Falle einer frühen Pampa-Erzählung dieselbe bei Niederschrift des 'Ulanen' May gegenwärtig gewesen sein dürfte.

In diesem Zusammenhang wäre dann nicht der Unfall des Moseldampfers in 'Die Liebe des Ulanen' eine literarische Ausformung vom 'Untergang des Dampfers Schiller' vom 7. Mai 1875 auf der Elbe (vgl. auch den Artikel von Ralf Harder in 1. Beobachter), sondern - möglicherweise mit chronologischer Priorität, gar schon die 'Pampero'-Haverie. Als erste unmittelbare, noch recht zaghafte literarische Verarbeitung der Katastrophe darf man, auch wenn das Schiff hier nicht sinkt, indessen wohl 'Inn-nu-woh' ansehen, gleichwohl hier auch die Ähnlichkeit mit der Evangeline-über-Bord-Episode aus 'Onkel Toms Hütte' ins Auge fällt.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 16.1.2005, 17:38, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitrag von rodger »

Hallo Thomas,

es ist toll, phantastisch, was für eine Mühe Du Dir immer machst. Ich finde diese Beiträge über Textvarianten, -vergleiche und -zusammenhänge hochinteressant. Dafür möchte ich mich, ich hoffe auch im Namen anderer, herzlich bedanken (Und hoffe, Du hast eine flapsige Bemerkung über etwas arg zur Trockenheit neigende frühere Beiträge in einem glossenartigen Beitrag andernorts nicht allzu ernst genommen).

Beste Grüße

Rüdiger
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Hallo Rodger!

Die Sache mit der Mühe hält sich in Grenzen. Ich habe die Thematik von möglicherweise bislang 'verschollenen Texten' ja schon einmal vor über einem Jahr in einem anderen Saloon andiskutiert. Die wesentlichen Überlegungen dazu entstanden schon vor ein paar Jahren, damals freilich noch mit 'handgelesenen' Vergleichen. Mittlerweile ist mit der Werke-CD die Zitat-Suche - wenn man weiß, wonach zu suchen ist - und die Speicherung derselben sowieso ein Klacks. Insofern kann man die Argumentation nun natürlich auch ausführlicher führen als vor Jahr und Tag.

Viele Grüße,
Thomas
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 2.7.2004, 13:32, insgesamt 1-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Von Barrancas und ordinären Schilfufern

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Doch nun wieder zu einem zur Trockenheit neigenden Thema: Die Ufer- und Sumpfflora an Parana und Uruguay

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Eine wesentliche Frage bei der skizzierten hypothetischen Frühfassung ist, ob die angedachte Nahtstelle zwischen der Pampero-Havarie und der Gefangennahme von Charley und Turnerstick im Detail stimmig sein könnte. Ein besonderer Aspekt kommt dabei der Flora der beiden in dem Roman getrennten Schauplätze zu. Ist es den Vegetationsbeschreibungen nach möglich, daß die Uferregion des Uruguay, welche die Szenerie des Überfalls im 'In der Höhle des Löwen'-Kapitel bildet, in einem ursprünglichen Text stattdessen am Parana gelegen war?

Der schon angesprochene Artikel von Bernhard Kosciuszko weiß über die Topographie der in Frage kommenden Textausschnitte zweierlei zu berichten. Wie schon ausgeführt, sind die Landschaftsbeschreibungen der Halbinsel unspezifisch und erfolgten ohne Rückgriff auf Quelltexte, im 'Pampero'-Kapitel wurden hingegen konkrete Angaben von Zöller, sowie im geringeren Maße auch von Burmeister übernommen. Eine wesentliche fachgeographische Bezeichnung ist dabei die Barranca, die Karl May aus dem Buch von Zöller übernimmt und dabei insgesamt dreimal verendet. Diese Textpassagen müssen also nach 1884 geschrieben worden sein. Auffälligerweise kontrastieren die Baracncas aber nun mit der unspezifischen Beschreibung des Schilfufers, welches sich am Ort der Havarie des Dampfers befindet. Demnach wäre es möglich, daß die Schilfufer-Passagen einer älteren Fassung entstammen könnten. Man vergleiche also mal die unterschiedlichen Ufer-Beschreibungen:

* Die Ufer steigen zu beiden Seiten ziemlich steil empor, eine Bildung, welche man hierzulande 'Barranca' nennt. Sie sind von grauer Farbe und fast immer mehr als zwanzig bis dreißig Ellen hoch und bestehen aus zwei durch eine fortlaufende Linie von versteinerten Muscheln getrennten Lagerungen von Kalkstein und Tosca, unter welch letzterem Namen man einen harten, aber doch zu verarbeitenden Lehm versteht.

* Diese Barrancas sind teils kahl, teils mit dichtem Strauchwerk besetzt, zwischen welchem je nördlicher desto öfter die hier auftretenden Palmenarten zu bemerken sind. [nach Zöller]

* An den Lagunen oder auf niedrigen Inseln steht der Storch, hier Tujuju genannt, und im Schilfe der Sümpfe sucht sowohl der weiße als auch der Löffelreiher fleißig nach Beute. [nach Burmeister]

* Der südliche Horizont nahm eine schmutzig gelbe Färbung an, und die hohen Halme des Schilfes, die Zweige der Büsche begannen sich zu bewegen.

* Zu beiden Seiten gab es flaches Land, welches links von uns nur mit dichtem Schilf bewachsen war, während rechts ein nackter Sandboden langsam anstieg, den ein Buschwerk begrenzte, über welches weiter oben die Wipfel von Bäumen hervorragten.


Beim Verlassen der Unglücksstelle gehören dann auch Mimosen zur örtlichen Flora:

* Das Ufer stieg, wie bereits gesagt, an der Stelle, an welcher wir uns befanden, langsam an, bis es die Höhe der Barranca erreichte. Das Gebüsch, welches wir zu durchschreiten hatten, war nicht dicht. Hohe Mimosen standen in demselben zerstreut. Zuweilen gab es eine Sumpflache, die wir umgehen konnten, sonst aber bot uns der Weg gegen unser Erwarten gar keine Schwierigkeiten. (...)
Später verlor sich das Gebüsch und wir gingen durch einen lichten Mimosenwald. Die Bäume standen weit auseinander. Sie werden hier wohl nur höchst selten über zehn Meter hoch, bilden aber wegen der sich an ihnen bis zur Spitze emporrankenden und blühenden Schlingpflanzen einen allerliebsten Anblick.


In der ursprünglichen Zeitschriftenfassung 'El Sendador' findet sich am Ende des Kapitels Nuestro Sennor Jesu Christo de la floresta virgen noch eine weitere Beschreibung der Flußlandschaft am Panara, die wegen der Umstrukturierung des Romantextes aufgrund der Neufassung des Übergang zwischen 'Am Rio de la Plata' und 'In den Kordilleren' in der Buchfassung gestrichen ist. Auch hier findet man die Mimosenwälder vor:

* Sodann hatten wir die Sumpfregion des rechten Flußufers zu durchqueren, bis wir trockenen Boden fanden, auf welchem Wald stand, aber eben wieder nicht jener dichte Wald, wie wir ihn in Deutschland gewohnt sind mit seinem dichten Nadel- oder Blätterdache, einem stillen Dome gleichend, in welchem die Geheimnisse der Schöpfung schlafend zu liegen scheinen, sondern eine ziemlich lichte Anhäufung von nicht hohen Bäumen, welche meist zu den Mimosenarten gehörten und soweit aus einander standen, daß sie einem schnellen Ritte fast gar nicht hinderlich waren.
Zuweilen kamen wir an Lagunen von verschiedener Ausdehnung vorüber, denen der offenen Camp oder wieder lichter Wald folgte, durch dessen Laubwerk die Sonne bis auf den Boden scheinen konnte. Wo es einen Wasserlauf gab, war Schilf vorhanden, welches das bereits beschriebene Getier belebte.


Auffällig ist nun, daß die Mimosen auch in dem 3. Buchkapitel 'Bruder Jaguar' beständiger Teil der Pflanzenwelt sind, im 4. Kapitel 'In der Höhle des Löwen' hingegen keinerlei Erwähnung finden. Überhaupt wird die Vegetation der teilweise sumpfigen Landschaft rund um die Krokodilshalbinsel wesentlich vielfältiger geschildert. Da gibt es nicht nur Schilf, sondern auch Gras, Sträucher und Bäume, die allerdings jenseits der Mimosen allesamt nicht genauer charakterisiert werden.

* Auf ihrem Grunde hatte sich stehendes Wasser gesammelt, welches von einem ziemlich hohen und dichten Mimosengebüsch eingefaßt wurde.

* Der Boden trug zwar immer noch das Camposgras, aber es erschienen Büsche und später auch Bäume, welche das Bestreben hatten, einen Wald zu bilden, was ihnen aber freilich nicht gelingen wollte. Das, was Wald sein wollte, konnte besser Park genannt werden, denn die Bäume standen licht und nicht in der Weise, welche der Deutsche fordert, wenn er von einem geschlossenen Forste sprechen soll. Nun passierten wir noch mehrere Bäche und die schmalen Ausläufer von Lagunen, welche an ihrem anderen Ende mit dem Flusse in Verbindung standen. Das Camposgras hörte auf. Schilf und Bambusse traten an seine Stelle. Die Bäume waren meist Laubhölzer, welche von dichten Schlingpflanzen umrankt waren.

* Gerade vor uns hatten wir das Wasser der Bucht, links lag die Halbinsel. Rechts schob sich das Ufer nur langsam vor. Wir saßen in dem Schilfbruche, hinter welchem sich der Wald aus feuchten Tümpeln und gefährlichen Sümpfen erhob.

* (...) dann standen wir am Ufer der Bucht, welche sich zwischen den beiden Halbinseln
del crocodilo und del Jacaré hereinzog. Ich schickte den Führer zurück und überschaute das Terrain. Da ich im Schatten einer Mimose stand, konnte mich niemand sehen (...)

* Warum hatte man ihr den Namen der Krokodilshalbinsel gegeben? Es befand sich sicherlich kein einziges dieser Tiere auf ihr, denn sie hatte hohe Ufer, und Krokodile klettern nicht. Sie war mit Bäumen ziemlich dicht bestanden.

* Gegenüber der Stelle angekommen, an welcher das hintere Ende des Floßes am Ufer saß, bückte ich mich nieder und kroch näher. Es gab da ein Gewirr von hohem Pampasgras und Schilf.

* Er führte uns durch schilfige Stellen, über mooriges Grün, durch dichtes Gebüsch bis an einen Platz, wo wir zu unserer Ueberraschung unsere Pferde stehen sahen. (...) Der Platz war ausgezeichnet zum Lagern. Er wurde von Laubbäumen überdacht und ringsum von Büschen umgeben.


Im Gegensatz zu dieser Üppigkeit wird die Stelle des Überfalls anfangs des Kapitels 'In der Höhle des Löwen' lediglich als Schilfufer charakterisiert. Bäume werden nur zweimal im Zusammenhang mit den gefangenen Gefährten erwähnt, so daß in der hypothetischen Urfassung, in der diese Figuren keine Rolle spielen sollten, diese Bäume ganz gefehlt haben könnten. Nur an einer Stelle wird eine Baumart zur expliziten Vegetationsbeschreibung erwähnt; es sind dies die in Mays Werk einmalig vorkommenden Zeibobäume.

* Indem ich so langsam durch das Schilf stieg, hörte ich seitwärts hinter mir ein Geräusch. Schnell drehte ich mich um. Ein Mann war hinter einem Busche, wo er sich versteckt hatte, hervorgetreten (...)

* Meine Gefährten lagen unter den Bäumen, ebenso gefesselt, wie ich.

* (...) so wurden wir weder an die Bäume gebunden, noch voneinander getrennt.

* Es gab dichtes Schilf, aus welchem rotblühende Zeibobäume emporragten. Man trug uns eine ganze Strecke weit durch dieses Schilf; die Pferde wurden hinterher gezogen, bis wir einen ziemlich großen, freien Grasplatz erreichten (...)

* Man nahm uns in die Mitte, und als wir die Uferregion mit ihrem Schilfe und ihren Sumpflachen hinter uns und dann freien Camp vor uns hatten (...)


Insgesamt ergibt die Untersuchung der Vegetationsbeschreibung also keinen eindeutigen Befund. Zwar hat die auch von Wald und Strauchwerk bestimmte Uferregion an der Krokodilshalbinsel ganz sicher einen anderen, üppigeren Charakter als die im wesentlichen nur von Schilf und Sumpf bestimmte Landschaft in dem 'In der Höhle des Löwen'-Kapitel (so auch beim abschließenden Ritt zurück zum Uruguay: Freilich war es kein Reitweg, welcher vor uns lag. Sumpf, nichts als Sumpf und Schilf.), wobei nicht nur die Flora als solche, sondern auch deren Beschreibung reduziert zu sein scheint; auch würde die Uferbeschreibung im 'Pampero'-Kapitel, würde man die aus dem Zöller-Buch extrahierten Barranca-Beschreibungen streichen, sich ganz und gar ebenfalls auf ein Schilfufer reduzieren und deshalb mit der Uferbeschreibung anfangs des 'Löwen'-Kapitels übereinstimmen, doch gerade dieser Mangel an gemeinsamen spezifischen Merkmalen läßt offen, ob das im 'Sendador' am Uruguay befindliche Schilfufer in einer hypothetischen Frühfassung ursprünglich am Parana angesiedelt war.

Andererseits zeigt sich aber immerhin, daß auch rein vegetationstechnisch die einzig mögliche Sollbruchstelle, welche inhaltlich ja insbesondere durch das veränderte Verhalten des Major Caderas bestimmt ist, tatsächlich die durch das neue Kapitel 'In der Höhle des Löwen' markierte Zäsur sein kann, wobei diese Akzentuierung so übrigens nur in 'Am Rio de la Plata' zu finden ist, das Hausschatzkapitel 'Der Bruder Jaguar' wurde in die beiden Buchkapitel 'Bruder Jaguar' und 'In der Höhle des Löwen aufgeteilt, wobei May den Text beim Kapitelübergang leicht modifizierte: Wird Charley in der Zeitschriftenfassung schon auf dem Weg zur Halbinsel überfallen, so gerät er in der Buchfassung erst auf dem Rückweg seines Kontrollganges in den Hinterhalt der Bolamänner.
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Eine Besonderheit des 'El Sendador'-Romanes ist der Auftritt historischer Persönlichkeiten wie Lopez Jordan und Adolfo [bei May fälschlich: Rudolfo] Alsino sowie die Verwechselung Charleys mit Lorenzo Latorre, der ab 1876 Uruguays regierte. Dazu kommt noch die Erwähnung des argentinischen Präsidenten Sarminto, dessen Amtszeit von 1868 bis 1874 andauerte. Innerhalb dieser Zeitspanne unternahm Lopez Jordan zwei Aufstandsversuche: Der erste dauerte von May 1870 bis Januar 1871, der zweite von Mai 1873 bis Dezember 1873. Es gibt nun durchaus verschiedene Meinungen darüber, welche der beiden Erhebungen den historischen Hintergrund des 'Sendadors' bilden. Das Nachwort des Fehsenfeld-Reprints zu 'In den Cordilleren' macht sich die Ansicht Franz Kandolfs zu eigen, der in dem dort abgedruckten Aufsatz 'Ricardo López Jordán' (1933) zu dem Schluß kommt, daß 1873 das richtige Datum ist:

In diese zweite Erhebung Jordáns hinein (also ins jahr 1873) haben wir die Ereignisse zu verlegen, die von Karl May in Am Rio de la Plata berichtet werden. Es kann sich nur um diese zweite Erhebung handeln und nicht um die erste vom Jahre 1870, denn in den ersten Kapiteln erzählt der Dichter, wie er, kaum in Montevideo angekommen, für den Obersten Latorre gehalten wurde. Dieser Mann aber, der sich 1876 zum Diktator von Uruguay ausrufen ließ, spielte 1870 noch keine Rolle in der Politik, er begann seine politische Laufbahn erst später; und so kommt man bei der Bestimmung der Handlungszeit von Am Rio de la Plata ganz von selbst ins Jahr 1873 und in das zweite Pronunciamiento Jordáns hinein. (N 31)

Im Nachwort der Stuttgarter 'Illustrierten Ausgabe' von 'Am Rio de la Plata' folgt Siegfried Augustin dieser Argumentation: Da Latorre 1870/71 weiteren Kreisen noch kaum bekannt sein konnte, muß die Handlung während des Aufstandes von 1873 spielen.

Demgegenüber vertritt Ekkehard Koch in seinem akribischen Jahrbuch-Aufsatz 'Zwischen Rio de la Plata und Kordilleren - Zum historischen Hintergrund von Mays Südamerika-Romanen' (1979) die Meinung, daß 1870 die korrekte Handlungszeit sei: Es ist nun auch klar, daß die Abenteuer nicht Ende der sechziger Jahre spielen, sondern im Jahre 1870, wobei May selbst ergänzt: Wir befanden uns im Oktober, also im südamerikanischen Frühlinge. Zwar könnte theoretisch auch die zweite Revolution gemeint sein, was die Zeit um zwei Jahre verschieben würde, doch erscheint das unwahrscheinlich. »Generalissimo« war Jordan nur 1870. Die dritte Revolution kann schon deshalb nicht gemeint sein, weil Latorre zu der Zeit schon Diktator in Uruguay war und Alsina seine Kampagnen gegen die Pampa-Indianer begann.

-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 79/137.htm

Zu dieser frühen Datierung paßt auch, daß May seinen 'Doppelgänger' Latorre eher in seiner Eigenschaft als Offizier denn als Politiker beschreibt:

»Danke sehr! Grüßen Sie den Major von mir, wenn Sie sich neue Befehle holen, und sagen Sie ihm, er solle sich vor Latorre in acht nehmen!«
»Wir gehören zu Latorre!«
»Zu Lopez Jordan, wollen Sie sagen? Man darf solche Namen, hinter denen ganz verschiedene Länder, Völker und Parteien stehen, nicht verwechseln. Ich nehme an, daß Latorre ein sehr starkes Detachement nach Ihrer Halbinsel geschickt hat, um den Major aufzuheben.«


Dazu heißt es in einer Anmerkung Kochs: In dem Zeitraum, in dem Mays Erzählung spielt, wurde Latorre aufgrund seiner ausgezeichneten soldatischen Fähigkeiten zum Oberstleutnant befördert nämlich am 6. Oktober 1870. Doch wurde er im Juni des nachfolgenden Jahres seines Kommandos wieder enthoben, weil er mit Recht verdächtigt wurde, im Untergrund geheime Vorbereitungen für regierungsfeindliche Aktivitäten zu treffen. .

Welche der beiden Möglichkeiten stimmt aber nun? Es wäre allerdings nicht das erste Mal, daß Karl May bei der Niederschrift eines Romans anachronistisch geworden wäre. Deshalb ist der Verdacht nahe, May habe einfach Ereignisse der gesamten Zeitepoche der frühen 70er Jahre benutzt und in eine nicht exakt zu datierende fiktive Handlungszeit gemixt. So wird etwa Oberst Alsinas durch Handlungen charakterisiert, die erst nach dem bisher abgesteckten zeitlichen Rahmen stattgefunden haben: - Meinen Sie vielleicht Rudolfo Alsina, den berühmten argentinischen Obersten, welcher so siegreich im Süden gewesen ist?« / »Himmel! Sennor Alsina, der Indianerbezwinger?« Während Roland Schmid im Reprint-Nachwort diese Problematik lieber umschifft - Da Alsina bei May eine völlig untergeordnete Rolle spielt, braucht hier nicht weiter über diesen im übrigen nicht unbedeutenden Mann berichtet werden - wird Koch in seinem Essay deutlicher:

Als Indianerbezwinger ist Alsina wohl auch in Deutschland bekanntgeworden - die Bemerkung genügte offenbar, dem Leser mitzuteilen, um wen es sich hier handelte. Daß Alsina zu der Zeit, da die Erzählung spielt, noch keine Indianer besiegt hatte, hat May allerdings nicht bedacht

Andererseits läßt das Anfangs des Roman erwähnte Waffengeschäft an einer späteren Datierung zweifeln: Beim Schlusse des nordamerikanischen Bürgerkrieges waren circa zwanzig Tausend Spencer-Gewehre in Gebrauch gewesen. Der Sezessionskrieg ist aber immerhin schon 1865 beendet, sodaß das Verschachern der Gewehre bereits bei dem Zeitpunkt des Jahres 1870 als relativ spät erscheint, ein Umstand, der natürlich umso mehr für 1873 gilt.

Wenn man aber nun nur dasKapitel 'In der Höhle des Löwen' für sich alleine betrachtet, so scheint hier tatsächlich die Erhebung Jordans von 1870 den historischen Hintergrund zu bilden. Dafür spricht nicht nur der von Koch erwähnte 'Generalissimo', sondern etwa auch ein Dialog wie dieser hier:

»Besitzt er auch das nötige Geld?«
»Er hat ja das ungeheure Vermögen seines Stiefvaters, des Präsidenten Urquiza.«
»Den er ermorden ließ, eben um sich in den Besitz dieses Geldes zu setzen! Das Vermögen mag groß sein; aber zu einem Aufstande gehören, wenn er glücken soll, Millionen!«
»Nun, so raubt er sich eben so viel, wie er braucht, zusammen. Wir haben ja selbst gesehen, daß er seine Spitzbuben sogar über die Grenze schickt, um Pferde zu stehlen. Und Geld stiehlt er auch, wie wir jetzt beschwören können.«


Würde man aber an Jordans Fähigkeiten zweifeln, wenn er bereits vorher eine Erhebung gewagt hätte? Im 'Sendador" ist an keiner Stelle davon die Rede, daß Lopez Jordan bereits schon einmal vorher einen Aufstand angezettelt hätte. Allerdings gibt es auch hier ein anachronistisches Element, daß sich bei einem Dialog um die Ermordung Urquizas zeigt:

»Also, man spricht wirklich von mir - man sagt, daß -?« »Wo? Auch drüben in Europa?«
»Auch dort.«


Da Old Charley ja aus Nordamerika angereist ist, dürfte er wohl 1870 wohl kaum wissen, was in Europa über Lopez Jordan mögliche Beteiligung an der Ermordung Urquiza (11. April 1870) bekannt war. Daß Karl Mays Informationsquelle über die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Jordan und Urquiza zudem falsch waren, zeigt zudem, daß die Quellenlage für ihn möglicherweise nicht so leicht überschaubar war, wie für heutige Nachforschende. Selbst Kandolf schrieb seinen Aufsatz nach einer Reise nach Südamerika, die ihm Recherchen vor Ort ermöglichte. Und so las etwa der Benutzer von Meyers Konversationslexikon von 1888 ebenfalls die falsche Angabe, daß Lopez Jordan der Stiefsohn Urquizas gewesen sei: Er ward 12. April 1870 von seinem Stiefsohn Lopez Jordan auf seinem Landsitz San Jose ermordet

-> Urquiza -> http://susi.e-technik.uni-ulm.de:8080/m ... 9584710436

Wenn man nun eine hypothetische Frühfassung des 'Löwen'-Kapitels als eigenständige Erzählung ins Kalkül zieht, so könnte man für solch einen Text sehr wohl annehmen, daß May hier zunächst relativ konkret das Jahr 1870 als historische Handlungszeit auswählte, daß er aber bei der Erweiterung zum 'El Sendador'-Roman den Zeitrahmen - wie auch bei der Integration anderer Alttexte in anderen Romanen - zunehmend verwässerte.
Thomas Schwettmann

Anpassungsmerkmale

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Das wesentlichste Kriterium bei der Frage, ob die Begegnung Charleys und Turnersticks mit Lopez Jordan bereits vordem 'Sendador' als kurze Erzählung existiert haben könnte, ist natürlich, ob die sich derart reduzierte Handlung und die dabei auftretenden Figuren einen eigenständigen, logischen Kontext ergeben. Bei der Betrachtung dieses Aspektes wird natürlich klar, daß - wenn auch die gesamte sonstige vorherige Handlung im 'Sendador' vernachlässigbar ist - Charley schon über den Inhalt des Briefes an Jordan informiert sein müßte, daß es also in der hypothetischen ursprünglichen Geschichte auch eine Szene gegeben haben muß, die nicht Teil des 'Löwen'-Kapitels bzw. der 'Pampero'-Einleitung ist. Denkbar wäre etwa, daß es sich bei dem Brief, den Charley unter seinem Hut trägt, während er die alte Indianerin vom Schiff trägt, nicht um ein´Schriftstück Alsinas handelt, sondern um einen Brief an Jordan (in der Art, wie er in dem Umschlag steckt, den Tupidos Sohn zerreißt), welcher dann möglicherweise bei der Rettungsaktion Schaden nimmt und deshalb von Charley gelesen wird.

Ob nun die Alsina-Figur in einer solchen Erzählung überhaupt - eventuell auch unter einem anderen Namen - eine Rolle spielen würde, wäre auch ziemlich ungewiß, da die Notwendigkeit neben Kapitän Turnerstick unserem Charley einen weiteren Begleiter zur Hand zu geben, nicht sehr ausgeprägt ist. Die wenigen Gespräche, die May im 'Löwen'-Kapitel mit dem Bruder Jaguar oder dem Yerbatero führt, sind eigentlich für den Verlauf der 'Löwen'-Handlung unwichtig.

Und so wäre etwa auch zu fragen, ob das Schießen der Krokodile nicht auch nachträglich einmontiert worden ist. Allerdings hat Karl May gerade auch in Erzählungen nach 1880 solche Schießdemonstration eingebaut, besonders prominent dabei in den nordamerikanischen 'Deadly Dust' (hier gar zweimal) und 'Im "wilden Westen" Nordamerikas'. Freilich läßt sich derartiges Zielschießen nicht allein in Texten anfangs der 80er Jahre finden, in Orientabenteuer und Jugenderzählungen schrieb May dererlei bis weit in die 90er Jahre hinein. Auch lassen gewisse Einzelheiten der Demonstration keine frühzeitige Niederschrift vermuten, da etwa die Verwendung des Ausdrucks 'Westmannsart' oder das Anlegen des Gewehrs an die Wange eher Begriffe sind, die May erst ab den späten 80er Jahren benutzt hat. Auch ist die etwas aus der Luft gegriffene Methode, die sich May hier ausgedcht hat, um Charley das lange Suchen und Visieren zu ersparen, in Mays sonstigen Erzählungen nicht beschrieben, sodaß es keine Vergleichsmöglichkeit mit anderen gleichartigen Demonstartionsschüssen gibt.

Ein probates Mittel zur Identifizierung von eingebauten Altexten ist das Auffinden kleiner Unstimmigkeiten, Widersprüchen oder Unwahrscheinlichkeiten. Besonders auffällig wird dies etwa in der 'Winnetou'- und der 'Surehand'-Trilogie, in der alte Charaktere oder Handlungsstränge sich widersprüchlich zum neuen Gesamtzusammenhang zeigten und deshalb angepaßt werden mußten. Wo dieses nicht wirklich geleistet werden konnte, hat Mays Ich-Erzähler - die Verwunderung des Lesers vorausgreifend - selber solche Merkwürdigkeiten angesprochen und sich so gleichermaßen erstaunt. Entsprechend werden so etwa die Figurenähnlichkeiten von Sam Hawkens zu Sam Hawerfield, dem Dicken Jemmy wie den Dicken Walker erklärt:

Er erinnerte mich auf das lebhafteste an meinen alten Sam Hawkens, mit welchem er den gleichen Vornamen hatte. (Winnetou III)

Da irrt Ihr Euch aber gewaltig, hihihihi!« / Es war das halblaute, selbstbewußte Lachen, (...) Auch dies war eine Aehnlichkeit mit Sam Hawkens, welcher fast ebenso zu lachen pflegte.
(Winnetou III)

(...) welches der Flinte meines alten Sam Hawkens ähnelte wie ein Ei dem andern. Es erinnerte mich überhaupt fast nochmehr an diesen, als mich Sans-ear an ihn erinnert hatte.
(Winnetou III)

Als der Erzähler diese Beschreibung von Dik Hammerdull brachte, mußte ich an meinen alten Gefährten Sam Hawkens denken, dessen Aeußeres beinahe ganz dasselbe war, nur daß er einen Vollbart hatte.
(Old Surehand II)

Auch die im Lichte der Veredelung Winnetous nun nicht mehr passenden Brutalitäten der Alttexte, werden - wo sie nicht ganz gestrichen werden können - mit Verwunderung kaschiert, und genauso ergeht es auch Sam Hawkens im zweiten Beispiel:

Wie grimmig mußte der sonst so menschenfreundliche Apache diesen Tim Finnetey gehaßt haben, da er ihm die Kopfhaut nahm! (Winnetou II)

»Nein,« antwortete ich. »Ihr wißt ja, wie ich über das Skalpieren denke. Es wundert mich sehr, zu sehen,
daß Ihr Euch jetzt damit befaßt!«
[Winnetou II]

In die gleiche Kategorie könnte also auch die folgende, schon erwähnte Bemerkung aus dem 'Sendador' gehören: Freilich konnte ich mir nicht erklären, welche Gründe der Major gehabt hatte, mich am Rio Negro erschießen zu lassen, und welche andere Gründe ihn jetzt hier am Uruguay veranlassen konnten, darauf zu verzichten.

Mangelnde Anpassung kann aber auch dazu führen, daß Sätze gestrichen werden, auf die sich nachfolgende, jedoch nicht gestrichende Sätze gleichwohl weiterhin beziehen. Auch dazu ein Beispiel aus dem 'Sendador'. Als Charley den Kapitän Turnerstick kennenlernt, unterhalten sich die beiden auch über den Wunsch des Kapitäns, an der Reise in die Kordilleren teilzunehmen. Dabei schneidet Frick Turnerstick auf: »Vernehmt, daß ich auch Meister im Gebrauche jeder anderen Waffe bin. Ich fechte mit dem Säbel wie ein Wütender; ich schieße jeden Vogel aus der Luft, und ich steche einem etwaigen Feinde mit dem Messer viele Löcher in den Leib.« Als der gute Mann jedoch später von Cadera und den Bolamännern gefangen wird, erinnert ihn Charley an seine Prahlereien: »Wie ist das möglich? Ihr seid doch Meister im Gebrauch der Büchse, des Säbels und des Messers! Ihr schießt sogar mit einer Kanonenkugel einer Mücke den vordersten Zahn aus dem Maule!« Als nun Karl May den 'Sendador' für die Buchausgabe bearbeitete, tilgte er alle Passagen, in denen das nunmehrige Wiedersehen Charleys mit den Kapitän als ein erstes Zusammentreffen beschrieben wurde. Entsprechend entfiel der oben erst zitierte Satz und wurde lediglich durch ein lapidares »(...) Reiten und Schießen kann ich auch; was verlangt Ihr mehr?« ersetzt. Vom 'Meister im Gebrauch' ist keine Rede mehr, sodaß dieses Zitat Charleys nun in 'Am Rio de la Plata' völlig ins Lehre geht.

Es stellt sich also die Frage, ob sich bereits im 'Sendador' in dem den 'Löwen'-Kapitel entsprechenden Text solcherlei Anpassungsschwierigkeiten nachweisen lassen.
Thomas Schwettmann

Der Sohn des Sendadors

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Ein weiteres Mysterium im Zusammenhang mit 'El Sendador' und 'Am Rio de la Plata/In den Cordilleren' ist das unvermittelte, völlig unvorbereitete Auftreten des Sohnes des Sendador, welches in der 99. Fortsetzung der Zeitschriftenfassung zudem ganz so geschildert wird, als sei dieser Sohn den Lesern gar vertraut:

"Ah! Seinen Sohn! Dieser ist auch da? Davon habe ich keine Ahnung. Ich glaubte ihn weit zurück am Panara oder wenigstens im Gran Chaco. Ist er allein hinauf?"

In der Buchfassung hat May diese Textstelle zumindestens etwas ausgebügelt:

"Ah! Seinen Sohn! Er hat also nicht nur einen Schwiegersohn, sondern auch einen wirklichen Sohn? Das wußte ich nicht. Wo mag er mit ihm zusammengetroffen sein? Ist dieser Sohn allein hinauf nach der Roca de la Ventana?"

Dazu heißt es im Editorischen Bericht der HKA:

Geht man davon aus, daß ihm (gemeint ist May. Anm.) - trotz seiner zwei- oder mehrgleisigen Arbeitsweise - Fehler in der Handlungskonstruktion erstaunlich selten unterliefen, so überrascht z.B., wie selbstverständlich im Schlußakt ein Sohn des Sendadors erscheint (...), ohne vorher auch nur erwähnt worden zu sein, und wie sonderbar sich May bei der B-Redaktion (B = Buchausgabe Anm.) dieser Problematik entledigte (...). Beides wäre weniger auffällig unter der Annahme, die Erzählung habe im M (M = Manuskript. Anm.) weiter vorne eine - durchaus gewichtig längere - Szenenfolge mit jenem Sohn enthalten, die Keiter auf der Suche nach Kürzungsflächen ebenso kurzerhand wie kurzsichtig strich, und May sei darum genötigt gewesen, die nicht streichbare Schlußepisode gleichsam aus dem nichts zu begründen. Es folgt nun eine Argumentation, daß ohne zusätzlichen Text die Abbruchstelle - May schrieb das Manuskript in drei Schüben - mitten in die neu entwickelte Geschichte vom alten Desierto fiele und weit und breit keine solche Zäsur erkennen läßt.

Im Nachwort des 'In die Cordilleren'-Reprints sieht Roland Schmid hingegen eher in der Vergeßlichkeit Mays denn in einem Eingriff Keiters die Ursache für den ad-hoc Auftritt des Sendador-Sohns: Aber in der Zwischenzeit hatte er offenbar viele Einzelheiten vergessen und ließ sich darum die vorangegangenen 100 Manuskriptseiten nach Radebeul schicken. Das war aber zu wenig, wie sich zeigen sollte. Denn auf den letzten Seiten taucht ganz unvermittelt eine neues Gestalt auf, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, als würde es sich um einen alten Bekannten halten: der Sohn des Sendadors, von dem in Wahrheit vorher nie die Rede war.

Welche Sicht der Dinge ist aber nun richtig? Wahrscheinlich dürfte die Erklärung Roland Schmids die plausiblere sein. Denn der Sohn des Sendadors ist nicht die einzige Neuheit, die plötzlich in den Anden erscheint. Nur wird dies in der Buchfassung nicht offensichtlich. In 'El Sendador' besitzt der Ich-Erzähler nämlich zunächst gar keinen Henrystutzen. Auch in der verkürzten Form 'Stutzen' ist vom dem vielschüssigen Gewehr bis zur Handlung in den Anden nichts zu lesen: Im Gegenteil, ursprünglich wurde die Büchse als Doppelgewehr bezeichnet. Erst bei der Umwandlung in die Buchfassung hat May diese Doppelbüchse durch den (Henry)stutzen ersetzt. Insofern ist das plötzliche Auftauchen des Repetiergewehrs in den Anden für den 'Sendador'-Leser mindestens genauso ein Rätsel wie der Sohn des Sendadors. Dies hat zwar auch Roxin in seinem Vorwort zum KMG-Reprint von 'El Sendador' angemerkt, die Brisanz dieses Vorgangs freilich nicht besonders betont:

So führt der Erzähler anfänglich nur eine "Doppelbüchse" (DH 16, 218) oder ein schlichtes "Gewehr" (DH 16, 2299) bei sich, während er in den späteren Teilen der Hausschatz-Fassung in bewährter Manier mit Henrystutzen und Bärentöter hantiert; konsequenterweise spricht die Buchfassung von Beginn an vom 'Henrystutzen' (F 12, 118) und den 'Gewehren" (F12, 197).

-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... er/006.gif

Die Krux liegt ja nicht bloß in der reinen Namensgebung, sondern in der besonderen Gebrauchsmöglichkeit der Waffen. Bis zur 90. Fortsetzung wird ein Gewehr, welches mehrere Schüsse hintereinander abgeben kann, weder beschrieben denn gar benutzt, das gleiche gilt für eine schwere, weitreichende Büchse, das plötzliche Auftauchen von Henrystutzen und Bärentöter in dieser Fortsetzung ist deshalb eine echter, dem Auftauchen des Sendador-Sohns vergleichbarer Lapsus:

Im Nu hatte ich den Henrystutzen im Anschlag und gab fünf, sechs Schüsse nach der Gegend ab, in welcher sich der Rufende befand. Er schien heute gegen alle Verwundung gefeit zu sein, denn es war kein Laut zu hören, der uns hätte vermuten lassen können, daß er getroffen worden sei.

Bald, genauer in der 91. Fortsetzung, gibt es dann auch schon eine der üblichen Demonstrationen der 'Wunderbüchse':

Ich entfernte mich, indem ich hundertfünfzig Schritte abzählte, legte dann auf das Fähnchen an, und gab, indem ich die Kugel, welche die Patrone enthielt, mit dem Drücker bewegte, die zehn Schüsse ab. Noch ehe ich zurückgekehrt war, befand das Tuch sich in den Händen Penas und des Desierto, die mit Verwunderung die gerade Linie betrachteten, welche von den Löchern gebildet wurde. Ich nahm es ihnen aus der Hand, gab es dem Kaziken und sagte:
"Sehen Sie es sich an! Soll ich noch zehn solcher Löcher hineinschießen, ohne zu laden, oder wissen Sie nun, was wir für Gewehre haben?"
Er blickte bald das Tuch, bald mich, bald den Henrystutzen an. Sein Gesicht hatte einen so ungeheuer dummen Ausdruck, daß ich mir Mühe geben mußte, ein ernstes Gesicht zu behalten.
"Aber, Sennor," stieß er fast stotternd hervor, "ohne - ohne zu laden! Und die Flinte hat doch nur einen Lauf und ein Loch!"
"Das ist noch wenig. Ich frage Sie ja, ob ich noch zehnmal schießen soll!"
"Um Gotteswillen, nein! In dieser Flinte steckt der Teufel! Die ist in der Hölle gemacht worden! Ich mag sie nicht mehr sehen!"


Der Bärentöter wird in 'El Sendador' gar nur zweimal erwähnt, auch hat es May nicht für nötig befunden, dieses schwere Gewehr bei der Buchfassung nochmals an anderer Stelle zu erwähnen, sodaß es weder in gesamten 'Am Rio de la Plata'-Buch noch etwa im 'Pampero'-Kapitel genannt wird.

Ich wußte genau, was ich meinem schweren Bärentöter zutrauen dürfte, und hielt in einer Entfernung an, aus welcher nicht nur ein unzivilisierter Indianer keine Kugel erwartet hätte.

und: Ich beschloß, der Meinung des ersteren Nachdruck zu verleihen, und legte meinen Stutzen auf den Sendador an. Die Kugel desselben war klein, während diejenige des Bärentöters nicht nur eine größere Wunde gerissen, sondern vielleicht auch noch den Knochen zerschmettert hätte.

Und so hat May etwa beim Schießen auf die Alligatoren die auch in der Buchfassung hier nur 'Büchse' oder 'Gewehr' genannte, doppelschüssige Schußwaffe nicht eindeutig identifiziert, wohl mit guten Grund, da dieses Gewehr eigentlich weder Henrystutzen noch Bärentöter sein kann.

In Bezug auf den Henrystutzen und Bärentöter ist es demnach nicht möglich, die Hypothese eines von Keiter gestrichenen Textes aufrecht zuerhalten. Wie hätte dieser auch das plötzliche Auftauchen des Henrystutzen mitten in den Kordilleren erklären können? Nein, auch hier dürfte der wegen der späteren energischen Streichungen in 'Satan und Ischariot' unter Generalverdacht stehende Keiter seine Finger nicht im Spiel gehabt haben.

Im Gegensatz zur zweiten Zäsur im Manuskript, die wohl dort zu finden ist, wo der Ich-Erzähler ohnmächtig wird, ist die erste Unterbrechung in der Niederschrift des Manuskriptes im Text nicht leicht zu finden, wie schon das obige Zitat aus dem Editiorischen Bericht der HKA andeutete. Deshalb wird dort angedacht, ob Keiter nicht vielleicht vorher Text gestrichen haben könnte, was sowohl die Abbruchstelle auf einen Kapitelanfang verschieben als auch die Möglichkeit einer ersten Sohn-des-Sendadors-Episode offenlassen könnte:

(...) bleibt bei der Umrechnung (...) unbefriedigend, daß die gesicherte Abbruchstelle vom Oktober 1888 auf M-Seite 1980 bei B-II mitten in der neu entwickelten Geschichte vom alten Desierto fiele und weit und breit keine solche Zäsur erkennen läßt. Sucht man sie aber vorher im Abschluß des vierten Z- (Z = Zeitschriftenausgabe. Anm.) bzw. ersten B-II-Kapitels, so wäre die Proportion nur stimmig, wenn aus dem 1980-Seiten-Text bis dahin nicht weniger als 110 M-Seiten (= 49 B-Seiten) für Z gestrichen worden wären, eine Vermutung, die auch den Gesamtumfang auf eine plausible Grenzzahl brächte. Denn das Manuskript hätte dann - immer unter Berücksichtigung auch der kleineren Streichungen - statt nur 2830 Seiten ca. 2940 Seiten umfaßt und dem im März 1889 von May veranschlagten und von Pustet genehmigten Umfang fast voll entsprochen.

Das Fehsenfeld-Reprint-Nachwort von Roland Schmid gibt indessen die Seite an, an welcher dieser Bruch zu finden sein sollte, wenn Keiter nicht gestrichen hätte: Unter Zugrundelegung der gleichen Berechnung führt die erste Unterbrechung der 'El Sendador'-Niederschrift bei S. 1980 ungefähr zu S. 192 von In den Cordilleren, wo die beiden Gefährten die Laguna de Carapa erreichen, also unmittelbar vor dem Betreten der Felsenwohnung des alten Desierto und der Begegnung mit Unica. Und bei näherer Betrachtung gibt es dort eigentlich nur eine Stelle, wo eine solche Manuskriptunterbrechung logisch erscheint:

Wir gingen nun langsamen Schrittes weiter, die Augen nach allen Richtungen offen, damit uns nicht etwa die Anwesenheit eines Menschen entgehen könne. Aber es war keiner zu sehen.
Schon befanden wir uns nicht mehr im Freien, sondern unter dem gefiederten Laubdache eines geschlossenen Waldes, welcherausnahmslos nur aus Carapabäumen bestand. Der Boden desselben war weich, und es befanden sich viele alte und neue, große und kleine Fußspuren in demselben; aber von denen, welche diese Eindrücke hervorgebracht hatten, war kein einziger zu sehen oder zu hören.
Dann sahen wir Wasser schimmern. Wir erreichten das Ufer und sahen die Lagune vor uns liegen. Sie verdiente weit mehr den Namen eines Sees, denn die Wasserfläche dehnte sich weit hinaus nach rechts, links und vorn und ließ kein gegenüberliegendes Ufer erkennen.


Dabei erscheint es wahrscheinlicher, daß die Zäsur nach dem ersten zitierten Absatz und nicht nach dem zweiten erfolgt wäre: Im zweiten Absatz werden dabei mit den Carapabäumen, den Fußspuren, ja selbst mit der Formulierung war kein[ einzig]er zu sehen Begriffe und Phrasen aus dem unmittelbaren vorherigen Textpassagen wiederholt.

Wesentlicher ist aber die Frage, ob sich an dieser Stelle überhaupt so etwas wie eine Zäsur erkennen läßt. Wenn überhaupt, dann ist diese sicherlich subtiler als ein Kapitelanfang mit völlig neuen Haltungssträngen geraten. Dennoch, auch wenn das Ziel Charleys und Penas - die Laguna de Carapa - wie auch ihre Intention - nämlich den alten Desierto warnen - schon fest steht, so ist bis dahin die Beschaffenheit des Ortes und die Art ihrer Bewohner noch gar nicht entwickelt, dies alles wird erst wenige Seiten später enthüllt. Insofern ist es durchaus möglich, daß Karl May bei der Niederschrift von Aber es war keiner zu sehen durchaus noch gar nicht wußte, was folgen würde. Zwar gibt die Figur des el viejo Desierto, des alten Einsamen, einen gewissen Figurencharakter vor, doch ist dieser - genauso wie der Sendador selber - zunächst einmal nicht mehr als eine Figurenschablone, die offensichtlich dem alten Scout Old Death entliehen ist, diese mit Leben zu füllen, bleibt den nachfolgenden Seiten überlassen. Nichts deutet etwa darauf hin, daß bei dem alten Einsiedler - der infolgedessen gar nicht so einsiedlerisch ist - die Halbindianerin Unica lebt (beide zusammen wiederum Figurenvorbilder für Klekhi-petra und Nscho-tschi), welche vorher mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, obwohl sie als Königin der Tobas sicher genauso bekannt sein müßte wie der Alte. Auch erinnert das Szenario an der Lagune durchaus ein wenig an die 'Taube des Urwalds' in den 'Deutschen Herzen, deutsche Helden' und ihre Mission am Silbersee, während im Text vorher von solch einer Inspiration nichts zu spüren ist. Ein Manuskriptabbruch also an der zitierten Stelle scheint durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 20.1.2005, 13:32, insgesamt 1-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Zum guten Schlusse

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Abschließend sei nochmals die Wahrscheinlichkeit der Existenz einer Frühfassung der Lopez-Jordan-Episode beleuchtet. Einer dazu der Ausgangspunkte waren mehrere Hinweise zu einem Pamparitt in 'Der Ehri' & 'Der Kiang-lu'. Vergleicht man die Angaben über diesen Pampaausflug aber genau mit denen in 'El Senador' bzw. speziell im 'Löwen'-Kapitel, dann fällt nicht nur auf, daß der in den Hausschatz-Erzählungen der Ausflug von Buenos Ayres kein erstes Treffen von Charley und Turnerstick gewesen war, sondern auch, daß die eingestreuten Reminiszenzen an den Ritt nicht immer mit den Erlebnissen um Lopez Jordan übereinstimmen. Da ist stattdessen - siehe die Zitatsammlung oben - von wilden Rinder und wilden Pferden, von Leoparden und Jaguaren die Rede, Angaben also, die keinerlei spezielles Quellenstudium nötig machen, und die man auch in den ebenfalls oben schon zitierten Ausschnitt aus den 'Geographischen Predigten' findet: (...) und bilden ein Dickicht, durch welches sich nur der Jaguar windet (...) sowie: Millionen von Pferden und Rindern weiden halbwild auf den Weideplätzen der großen Landgüter (...).

Auch lassen sich die Reitkünste des Kapitän Turnerstick nicht miteinander vergleichen. Laut 'Der Kiang-lu' benahm sich das
Sprachgenie in Südamerika doch eher wie Massa Sliding-Bob: Wißt Ihr' s noch, damals in der Pampa, wo ich alle zehn
Schritte zwanzig Mal herabrutschte?
Hingegen liest man im 'El Sendador', daß der Kapitän zwar einen recht eigenartigen
Reitstil hat, der es ihn aber gerade ermöglicht, eben nicht vom Pferd abzurutschen:

Ein anderes aber war es mit dem Kapitän. Er hockte auf dem Pferde, wie der Affe auf dem Kamele. Es war wirklich lustig, ihn mit emporgezogenen Schultern und Knieen da thronen zu sehen. Aber dennoch saß er fest. Er behauptete seinen Platz, obgleich wir in scharfem Galoppe ritten. Als er bemerkte, daß ich ihn beobachtete, sagte er:
»Nun, wie gefalle ich Euch hoch zu Rosse, Sir? Bin ich nicht ein Teufelskerl?«
»Ja, Ihr reitet famos; das muß man sagen,« lachte ich.
»Ihr lacht! Warum?«
»Über Eure Haltung.«
»Pshaw! Jede Haltung, die ihren Zweck erreicht, ist richtig.«
»Man sitzt doch gerade im Sattel!«
»Ob gerade oder krumm, das ist mir außerordentlich schnuppe, Sir. Ich setze mich so, wie es mir am bequemsten dünkt. Auf keinen Fall aber bringt mich das Pferd herab. Das ist die Hauptsache, denke ich. Geht mir mit Euern Künsteleien! Habe auch gar keine Zeit, mich mit solchen Sachen abzugeben. Jetzt habe ich nur den einen Gedanken, wie schön es ist, daß wir der Falle entschlüpft sind, in welcher wir steckten.«


Natürlich könnte diese - in 'Am Rio de la Plata' übrigens gestrichene - Passage für den 'Sendador' theoretisch überarbeitet worden sein, da Frick Turnerstick im Roman eben nicht nur den relativ kurzen Ritt durch die Pampa bestritt, sondern auch an der nachfolgenden Reise in die Kordilleren teilnahm, was aber ohne eine gewisse, wenn auch noch so komische Sattelfestigkeit dem Leser kaum plausibel zu erklären gewesen wäre.

Ferner gibt es auch Textbeispiele, die belegen, daß zwischen dem 'Löwen'-Kapitel und den vorhergehenden 'Sendador'-Text auch weniger offensichtliche Querverweise gibt, die nicht nur die unmittelbare Handlung betreffen und von denen man deshalb nicht unbedingt erwarten würde, daß May im Falle einer Eingliederung eines Frühtextes einen solchen Bezug überhaupt hergestellt hätte. Einer davon betrifft etwa die Beschaffenheit der Gebäude in der Banda oriental. Dazu liest man im 2. Kapitel 'Unter den Bolamännern' (bzw. 'Bei den Bolamännern): Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen. Auf diese Beschreibung bezieht sich dann auch die Charakterisierung des 'Castillo del Libertador': Auch hier bestanden die Mauern aus gestampfter Erde, und auch hier waren die Gebäude mit Schilf gedeckt; aber sie waren zahlreich und umfaßten ein weites Areal.

Gab es also doch keine Frühfassung? Nun gut, in die frühen 80er Jahre fallen auch noch andere Erzählmotive, so hat Karl May gerade in dieser Schaffenszeit eine Vielzahl historischer Figuren auch in seine exotischen Erzählungen eingbaut, man denke an den 'Den Roer von het Boer' mit den Zuluhäuptlingen, an Krüger Bei im 'Krumir' und vorallem aber an das 'Waldröschen' mit Benito Juarez und Kaiser Maximillian. In letzteren Riesenroman wird auch eine Konstellation Kapitän (Wagner) und Steuermann beschrieben, die vorbildlich für das Verhältnis Turnrstick und Larsen ist. Dennoch, natürlich ist dies keine ausreichender Grund, weshalb sich May nicht erst 5 Jahre später durch seine alten Erzählungen inspirieren ließ.

Ein Frühfassung würde andererseits den seltsamen Reiseweg verständlich machen, den der Ich-Erzähler im 'Sendador' unternimmt. Engelbert Botschen fiel die merkwürdige Route auch auf, in seinem bemerkenswerten Aufsatz 'Die Banda Oriental - ein Umweg zur Erlösung' (ebenfalls Jahrbuch 1979) begründete er sie infolgedessen mit inneren Gründen.

Dennoch ergibt sich bald eine Ungereimtheit, die allerdings weniger die Zuverlässigkeit seiner Angaben als die Plausibilität der eingeschlagenen Route betrifft. Er hat nie begründet, warum er die Reise in Montevideo beginnen ließ. Das Ziel Tucuman von Anfang an auf dem Landwege anzusteuern, ist jedenfalls erstaunlich. Da er als Reisezweck den Besuch bei Sennor Pena in Tucuman angab, hätte eine Fahrt von Buenos Aires aus über den Parana nahegelegen. Tatsächlich begann er sie dann ja auch dort noch einmal, - fast am Ende des ersten Bandes nach einem riesigen Umweg durch die Banda Oriental, wie Uruguay damals noch allgemein genannt wurde. Und in Buenos Aires läßt er auch im parallel verlaufenden Jugendroman »Vermächtnis des Inka« den Vater Jaguar und Dr. Morgenstern starten - ebenfalls mit dem Ziel Tucuman!

Es hätte nahegelegen, nun wenigstens eine Begründung zu liefern, warum er von Montevideo aus die Reise antrat; etwa so: fand nur ein Schiff nach Montevideo . . . reise nie auf den ausgefahrenen Spuren wie gewöhnliche Reisende . . . politische Wirren in Argentinien ließen es nicht geraten erscheinen. . . Zwar macht er noch einen Ansatz, indem diese Route von Tupido wegen der Wirren im Lande empfohlen wird, allerdings mit dem Hintergedanken, den tumben Deutschen ins Feuer, will sagen: durch die feindlichen Linien zu Lopez Jordan zu schicken. Da er aber Tupidos Absichten durchschaut, entfällt auch diese Begründung. Es war nicht die einfachste Route: warum wählt er sie?

Der unbefangene Leser wird kaum bemerkt haben, daß ein weiter Ritt durch Uruguay bis an die argentinische Grenze, bis zum UruguayGrenzfloß faktisch abgebrochen wird, um die Fahrt zurück nach Buenos Aires mit dem Floß durchzuführen. Erstaunlich, daß die Yerbateros, die doch mit dem Sendador verabredet waren, der Rückfahrt nicht widersprochen haben. Schaut man sich die Route auf einer etwas größeren Karte der La-Plata-Staaten an, bemerkt man sogleich, daß hier ein gewaltiger Umweg gemacht wurde; die Reisenden kehrten beinahe im Kreis fast an den Ausgangspunkt zurück - nach Buenos Aires, das zugleich der logische Startpunkt wäre. Eine Schiffsreise auf dem Parana bis nach Nordargentinien bildete den zweckmäßigsten Anfang einer Reise nach Tucuman. Da wir nun wissen, daß May für seine Planungen eifrige Karten- und Materialstudien betrieb, könnte die Feststellung einer so gravierenden Unstimmigkeit im Plan zu der Vermutung führen, daß er keine oder zu wenig Unterlagen über Buenos Aires und eine Schiffsroute über den Parana besaß. Dagegen spräche sogleich die dann doch über Buenos Aires erneut begonnene Reise (wie auch der entsprechende Reiseweg des Dr. Morgenstern im »Vermächtnis des Inka«).

An Mays Unterlagen lag der Bruch im Roman somit sicherlich nicht; bleibt der Autor selbst als Ursache der Unstimmigkeit. May hatte anscheinend den Eindruck, daß er den Faden der Ereignisse in Uruguay kappen mußte; als Routinier, der er durch die Kolportagetechnik geworden war, liefert er aber schnell eine vorgeschobene Begründung. Er führt die durch seine letzten Erzählungen bekannte und ihm vermutlich daher auch besonders geläufige Figur des schrolligen Kapitäns Turnerstick wie einen Deus ex machina ins Werk ein, nicht sonderlich gut motiviert zwar; immerhin kann er ihn gleich zweimal verwenden. Zunächst für seinen Schwindel vor Lopez Jordan, durch den er sich aus der fast zugezogenen Schlinge zieht, sodann für die Begründung der Rückreise nach Buenos Aires. Merkwürdig, über wieviel Zeit ein Seekapitän auf einer Handelsreise verfügt! Denn nur, wenn Turnerstick auf die weitere Reise mitgeht, wird die Rückreise nach Buenos Aires für May zwingend. Dabei benötigt er den guten Seebären für die Weiterführung des Romans nicht einmal; er hätte es also bei der Episode bewenden lassen können. So vergißt er den Kapitän auch prompt bald für weite Strecken des Romans. Aber er benötigte für sich selbst eine Begründung, die Reise neu zu beginnen und das Kapitel Banda Oriental abzuschließen: dieser Zwang kam nicht aus der Handlung der Reiseerzählung, sondern aus seinem Innern.


-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 79/186.htm

Ob es nun eine Frühfassung gab oder nicht, es ist jedenfalls bemerkenswert, wie allein schon die Annahme von einer solchen einer Interpretation von 'Unstimmigkeiten' eine ganz andere Perspektive verleihen. Und zur Vertiefung der 'Sendador'-Problematik empfiehlt sich weiterhin auch noch die Lektüre von Walther Ilmers 'Karl May auf halbem Wege', dem vierten "Südamerika"-Beitrag im KMG-Jahrbuch 1979

-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 79/213.htm
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 15.7.2005, 13:56, insgesamt 1-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Zöller: Pampas und Anden

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Da ich mittlerweile Gelegenheit hatte, selber in Zöllers 'Pampas und Anden' zu recherchieren, konnte ich mich einigen meiner aufgeworfenen Fragen nähern. Da ist zum Einen die 'Missiones'-Einleitung des 2. Teils der Sendador-Hausschatzfassung-Fassung. Zum besseren Verständis zitiere ich mich hier nochmals selber, wobei ich mich bei dem eigentlichen 'Sendador'-Zitat aber nur auf den Schlußteil beschränke.
Nun folgt im 'Sendador'-Text ein Abschnitt über die katholischen Missionen am Parana. Auch diesen Text schiebt der Editorische Bericht der HKA nahezu bedenkenlos Keiter in die Schuhe: Wie großzügig Keiter die Lizenz solcher Verständnishilfe auslegte, zeigt u. a. die von May für B [= Buchausgabe. Anm.] wieder gestrichene Passage über das katholische Missionswesen (...), die als Fremdeinfügung auch stilistisch beweisbar ist. (S. 502) Zu den gleichen Schluß kommt auch das Nachwort im KMV-Reprint der Fehsenfeld-Ausgabe: Insofern ist die Annahme durchaus begründet, daß der Abschnitt über das Missionswesen" ebenfalls nicht von May stammt. (N 11). Wie berechtigt ist diese Einschätzung, daß May nicht der 'Missiones'-Autor sei, aber wirklich? Zunächst einmal lese man den betreffenden Text:

(...)Ein Weltreisender, welcher nicht der katholischen Kirche angehört, schreibt in einem seiner Werke über Südamerika Folgendes:
»Der König von Spanien sandte Missionäre, um die Indianer zum christlichen Glauben zu bekehren. Die geistlichen Väter ließen sich an den Fällen des oberen Parana nieder und versammelten bald eine große Anzahl Indianer um sich. Sie wurden aber von den brasilianischen Sklavenjägern bedrängt und zogen mit 12,000 Bekehrten nach Süden. Dort bildeten sie ihre Zöglinge nach Kräften militärisch aus und wiesen alle weiteren Angriffe der Sklavenjäger mit Waffengewalt zurück. Die Missionen dehnten sich immer weiter aus, so daß sie fast 200,000 Bekehrte und eine bewaffnete Macht von 15,000 Mann besaßen. Die Indianer wurden von allen schädlichen Einflüssen fern gehalten und durch väterliche Behandlung und Frohsinn zur Arbeit erzogen. Sie gediehen dabei sowohl körperlich wie geistig und geistlich auf das Vortrefflichste, und nichts fiel ihnen weniger ein, als in ihren früheren Zustand zurückzukehren.«


Des Rätsels Lösung ist überraschend und nicht ganz eindeutig. Der obige Text entpuppt sich nämlich als eine verkürzte Paraphrase eines Absatzes aus Zöllers Buch (S. 58):

Im Jahre 1608 faßte Philipp III. von Spanien den Entschluß, die Indianer Südamerikas durch Jesuitenmissionare zum Christentume bekehren zu lassen. Der erste Anfang wurde mit einer Anzahl Missionen an den Wasserfällen des oberen Paraná gemacht, als aber die "Mamalukos" genannten Sklavenjäger der brasilianischen Provinz São Paulo ihre Raubzüge bis hierher ausdehnten, zogen die Väter Jesu mit 12 000 zum Christentume bekehrten Indianern zu den sogenannten Südmissionen des heutigen Paraguay. nachdem die Jesuiten ihren Zöglingen einige militärischen Kenntnisse beigebracht, wurden alle weiteren Einfälle der Mamalukos mit Waffengewalt zurückgewiesen, die Missionen dehnten sich über einzelne Teile der brazilianischen Provinz Rio Grande do Sul, über beinahe ganz Paraguay, sowie jenes argentinische Gebiet aus, welches noch heute den Namen "Missions" führt, und gegen Mitte des 18. Jahrhunderts mochte das sogenannte "Jesuitenreich" etwa 170000 Seelen und eine bewaffnete Macht von 14 000 Mann umfassen. Man hielt die Indianer von allen schädlichen Einflüssen fern, durch Musik, Frohsinn und Festlichkeiten erzog man sie zur Arbeit, und um ihren Mangel an Initiative und eigenem Nachdenken abzuhelfen, wurden alle Verrichtungen, wurden selbst der Genuß der Familienfreuden durch Befehl und Glockengeläute geregelt. Die Indianer gediehen dabei physisch wie geistig und moralisch, wenn auch ihre Kirchlichkeit zuweilen etwas sehr äußerlicher Natur gewesen sein mag.

Nun ergeben sich theoretisch einige Möglichkeiten: 1. Zöller hat einen von May oder Keiter eingeschobenen Quelltext für sein Buch umgeschrieben. 2. May hat Zöllers Text bearbeitet und eingeschoben. 3. May hat Zöllers Text unbearbeitet eingeschoben und Keiter hat diesen nachträglich bearbeietet. 4. Nur Keiter hat Zöllers Text bearbeitet und eingeschoben. Mir scheint jedenfalls scheint die zweite Möglichkeit am wahrscheinlichsten. Warum? Weil May nachweislich Zöllers Buch als Quelle benutzt hat. Weil May nachweislich wiederholt Fremdtexte paraphrarisiert hat. Ungewöhnlich ist aber sicher, daß er einen quasi als Zitat gekennzeichneten Text umschreibt. Dies sollte nur bei übersetzten Texten möglich sein, da man durch eine Bearbeitung mit synonymen Ausdrücken eine Eigenübersetzung vortäuschen kann. Bei Zitaten aus deutschsprachigen Texten erwartet man hingegen wortwörtiche Zitate und keine Umschreibungen. Aber: Der Autor wird nicht genannt, sondern lediglich anonym als ein Weltreisender benannt. Zudem gibt es etwa in dem - freilich hinsichtlich der Autorenschaft umstrittenen - 'Präriebrand' neben den Paraphrasierungen des Irwing-Textes auch ein 'Zitat' von Sealsfield, welches gleichfalls nicht wörtlich ist.

Eine weitere meine Überlegungen betraf die Schilderung des Pampero. Anhand von Textvergleichen mit 'Die Liebe des Ulanen' kam ich zu folgenden Schluß:
Zwar kann man sich vorstellen, daß May solche ergänzenden Einzelheiten wie zum Barranca-Ufer, zu den Preis der Fahrt und der Fauna (Cuervo/Wasservögel/Lobo/Jaguar/Jacarés) nach dem Quelltext von Zöller erst bei der Niederschrift des 'Sendadors' eingefügt hat, die Beschreibung des Pampero selber, die laut Kosciuszko ebenfalls Zöller folgt, könnte demnach aber unmöglich vor 1884 - dem Erscheinungsdatum des Zöller-Buches - erfolgt sein. Danach wäre aber eine frühe Entstehungszeit einer frühen Pampero-Version von ca. 1880 unmöglich. Leider zitiert Kosciuszko aber nicht, was May aus dem Zöller-Buch übernahm.

(...)Und die speziellen Pampero-Beschreibung, die May aus Zöllers Buch gewinnt, dürfte demnach also nicht viel mehr als den Satz Als ich unter diesem Zeltdache hervortrat, war der Himmel rundum schwarz geworden, und der heranheulende Sturm überschüttete mich mit einer sehr großen Menge von Staub, Sand und Schmutz. umfassen, was lediglich ein kleines Detail bedeutet. Als Argument gegen eine frühe Entstehungszeit einer frühen Pampero-Variante ist der Hinweis auf Zöller jedenfalls unwirksam.


Tatsächlich beschreibt Zöller zweimal einen Pampero, zunächst während einer Dampferfahrt (S. 43), dies ist die Text-Quelle, auf die sich Bernhard Kosciuszko in seinem Jahrbuch-Aufsatz »Man darf das Gute nehmen, wo man es findet« bezieht. Des weiteren schildert er den Sturm, den er in der Stadt Buenos Ayres erlebt hat (S. 141/142). Dabei gibt es in beiden Fällen aber keinerlei wörtliche Zitatübernahmen und auch einige inhaltlichen Übereinstimmungen bedingen keine notwendige Abhängigkeit May von Zöllners Texten. Wie die obigen Zitate von Gerstäckers 'Pampero'-Beschreibung zeigen, hätte sich Karl May sich über den Verlauf eines Pamperos genauso anderweitig informieren können. Hier also zunächst der erste Zöller-Textauszug, bei dem übrigens die Bezeichnung 'Pampero' gar nicht genannt wird:

In der dritten Nacht nach der Abfahrt gab es bei ägyptischer Finsterheit einen orkanartigen Südweststurm, der auch unsere "Eisne" recht tüchtig ins Schwanken brachte und uns zwang, aus Furcht vor den zahlreichen Sandbänken vor Anker zu gehen. dabei wurde es so heidenmäßig kalt, daß man einen russischen Pelz, und zwölf Stunden später wieder so heiß, daß man einen indischen Linnenanzug hätte gebrauchen können.

So wird von Karl May auffälligerweise der Temperatursturz nicht erwähnt. Andererseits ist aber auch nicht auszuschließen, daß ein Detail wie das oben erwähnte Trio Staub, Sand und Schmutz wirklich durch Rezeption des zweiten Zöller-Textabschnittes in Mays Pampero-Beschreibung im 'Sendador' gelangt sein könnte. Was aber - wie bereits erwähnt - nicht automatisch bedeuten würde, daß die gesamte Pampero-Episode erst nach 1884 niedergeschrieben worden sein könnte. Auch ist die Möglichkeit einer anderen Quelle nicht auszuschließen. Hier also noch die zweite 'Ein Pampero-Sturm'-Passage bei Zöller:

Zu den unangenehmsten Eigenthümlichkeiten des im allgemeinen gar nicht üblen La Plata-Klimas gehören die gefürchteten Pampero-Stürme, wie ich einen der schlimmsten am 9. November in Buenos Ayres miterlebte. Nachdem während mehrerer Tage eine äußerst schwüle Witterung geherrscht hatte, begann sich gegen Mittag der Himmel zu bedecken und eine mächtige blauschwarze Wolkenwand lagerte während mehrerer Stunden unbeweglich am Horizonte. Gegen 4 ½ Uhr verließ ich meine Wohnung, um einen Besuch abzustatten; es war windstill und der Himmel drohte mit einem Gewitter. Etwa zehn Minuten später begann es in mächtigem Wirbelwinde durch die Straßen zu laufen und kleine Staubsäulen aufwärts zu heben. "Sollst du nach Hause zurückkehren?" überlegte ich; die Sache schien aber noch nicht so dringend zu sein. Als ich mich jedoch um die nächste Straßenecke wandte, kam es angestürmt, als ob aller Staub und Sand der afrikanischen Wüsten sich hier ein Rendezvous gegeben hätte. Man sah keine Häuser mehr, keine Straßen, ich schloß die Augen und drückte mich in die Nische eines Hauses, während mehrere Minuten lang ein ununterbrochener Sandsturm durch die Straßen dahinfegte. Als ich die Augen wieder zu öffnen vermochte, fielen bereits die ersten schweren Regentropfen, Donnerschläge von unerhörter Gewalt folgten nach, und als ich abermals eine halbe Stunde später ans Nachhausegehen dachte, glichen die meisten Straßen kleinen Seen, in denen man bis zur Höhe des Knies herumwaten mußte. Die Trottoirs waren von herabgeworfenen und zerbrochenen Dachpfannen bedeckt, in den Straßen schwamm allerlei Hausrat, auf der Reede war ein Schiff gekentert und das schon beinahe vollendete Ausstellungsgebäude (...) existierte nicht mehr. (...)

Auf den ersten Blick scheint auch die Formulierung Donnerschläge auf Zöller zurückzugehen. Wie aber bereits weiter oben gezeigt, verwandte May die Singularform Donnerschlag bereits beim ähnlich geschilderten Schiffsunglück im 'Ulan'. Und daß in beiden Texten Regentropfen auftreten, ist so banal, daß sich daraus alleine ebenso keinerlei Abhängigkeit ableiten läßt. Anders liegt der Fall jedoch vielleicht gleich beim ersten Satz des 'El Sendador/Am Rio de la Plata'-Romans, wo man bei den gleichen Stichworten durchaus eine Abhängigkeit vermuten könnte: Ein kalter Pampero strich über die meerbusenartige Mündung des La Plata herüber und bewarf die Straßen von Montevideo mit einem Gemisch von Sand, Staub und großen Regentropfen.

Im Kapitel 'Quer durch die Anden', in dem Zöller auf S. 198/199 auch Gerstäcker und Burmeister - letzterer übrigens ein Vorbild für Mays Dr. Morgenstern - erwähnt [(...) und wenn ich Gerstäckers vor einem Vierteljahrhundert geschriebene Reiseschilderung zur Hand nahm (...) - (...) die von Professor Burmeister ausgegrabenen Megatherien und Mastodonten (...)], ist übrigens noch ein weiteren Sturm, diesmal ein 'trockenen' Sandsturm, beschrieben:

Noch aber dachte niemand ans Abfahren, als ein paar höhere Offiziere, die meine Reisegefährten sein sollten, urplötzlich und so schnell ihre Beine sie trugen, zum Postwagen hineilten, und sich in einer nach europäischen Begriffen durchaus nicht ihrem Range entsprechenden Stellung unter die Kutsche zwischen deren Rädern niederkauerten. Ich ahnte nicht, was die Sache bedeuten solle, als die Herren mir mit dem Säbel winkten und auf eine purpurfarbene, violettrote Wolkenwand am Horizont hindeuteten. Eine Minute später fühlte ich ein leises Lüftchen, in den Güterschuppen und dem halbfertigen Bahnhofsgebäude begann es zu knistern und zu klirren, ein paar große, scharfkantige Sandkörner schlugen mir ins Gesicht, daß es ganz gehörig schmerzte, und als nun auch ich mich unter den Postwagen duckte, jagte es etwa eine halbe Stunde lang wie das Donnerwetter über uns her, so daß niemand für längere Zeit die Augen zu öffnen oder sein Gesicht dem Sandsturme entgegenzukehren vermochte. Und doch hatten sich die Gauchos während der ersten zehn Minuten durchaus nicht in ihrer Arbeit behindern lassen, wohl mochte ihre lederartige haut gegen den Anprall der Sandkörner unempfindlich sein; wie sie aber die Augen offen zu halten vermochten, ist mir noch heute ein Rätsel.

Karl May schließlich schildert im 'Vermächtnis des Inka' im 3. Kapitel 'El Hijo del Inka' noch einen 'feuchten' Hurrican, der deutlich dem Pampero-Sturm aus 'El Sendador II' entliehen ist. Dabei kommt es auch zu Korrespondenzen mit dem 'Ulan'-Gewitter, doch dürften im Gegensatz zum Pampero diese und weitere Ähnlichkeiten zu in anderen Kolportageromanen geschilderten Beschreibungen nicht durch direktes Kopieren entstanden sein sondern indirekt durch die Anlehnung an die Pampero-Schilderung (siehe auch die Gegenüberstellung weiter oben von 'Pampero'- und 'Ulan'-Zitaten).

Dasselbe gilt auch für eine Gewitter-Szene im 'Heimath'-Manuskript (1894), in der die üblichen Stichwörter wie Blitz auf Blitz, Donnerschläge, Regen wie eine See, Feuerklumpen, u.s.w. ebenso zu finden sind. Eine andere Szene in dem Fragment, wie etwa daß Charley den Korb der alten Frau aufnimmt und an ihrer Stelle durch den Wald nach Hause trägt, kopiert zwar inhaltlich die entsprechende Passage mit Max Walther in 'Der Weg zum Glück' (In dem es übrigens auch eine kleine aber typisch beschriebene Gewitterszene gibt), ohne jedoch dabei Sätze aus dem Text wörtlich zu übernehmen, der Münchmeyer-Roman als konkret notwendige Textvorlage ist hier also nicht nachweisbar.

Inka: Der vorher gelbhelle Himmel hatte sich mit einem Schlage schwarz gefärbt; ein Aechzen, Stöhnen, Dröhnen und Heulen wie von tausend Teufeln ging durch das Thal; der Orkan war da; die Gebäude zitterten unter seiner Gewalt; sie schienen sich zu biegen, wurden aber durch ihre Elastizität gehalten, und dann that es plötzlich einen Krach, als ob ein Berg eingestürzt sei. Das war der Regen, welcher mit einem Male, und zwar nicht in Tropfen, sondern in geschlossener Masse wie ein See herniederstürzte.

Sendador/Am Rio de la Plata (Pampero): Haselnußgroße Regentropfen fielen, erst einzeln, dann aber in geschlossener Masse, als ob ein See herniederstürze.

Ulan: Der Sturm heulte auf und warf ihnen eine ganze Regensee entgegen.

In der Heimath: Der Regen kam immerfort wie eine See herab, und die stürzenden Fluten desselben wurden von förmlichen Feuerklumpen durchzuckt.

Inka: Dieser Regen ergoß sich mit dem Getöse eines großen Wasserfalles, wurde aber dennoch von der Stärke der Donnerschläge übertönt. Blitze zuckten durch die tiefdunkle Nacht oder vielmehr durch den Regensee, und auch das Wort Blitze ist nicht der richtige Ausdruck, denn es waren Feuerflammen, welche aus der Erde aufzuckten, und Feuerklumpen, welche aus den Wolken niederfielen.

Sendador/Am Rio de la Plata (Pampero): Aber diese Blitze bildeten nicht zuckende Linien oder Bänder, sondern sie fielen wie große, dicke Feuerklumpen herab.

Ulan: Die Nebel schwanden, aber anstatt daß es heller wurde, legte sich eine unheimliche Dunkelheit auf die Erde nieder. Der Himmel hatte sich schwarz umzogen, und die Wolken hingen schwer und tief hernieder, so daß es schien, als ob man sie greifen könne. Ein lang andauerndes Wetterleuchten umzuckte rundum den ganzen Horizont; einzelne schwere Tropfen fielen; dann fuhr ein blendender Blitzstrahl hernieder, es war, als ob ein großer, ungeheurer Feuerklumpen vom Himmel falle - ein entsetzlicher Donnerschlag erfolgte, und nun brach ein Regen los, so massenhaft, so fluthenähnlich, daß man meinen sollte, die Wellen eines ganzen Meeres stürzten von der Höhe hernieder.
(...)
Blitz folgte auf Blitz und Schlag auf Schlag.
(...)
Der Regen schien gar nicht in Tropfen, sondern in einer compacten Masse zu fallen, durch welche der Blitz seine Feuerklumpen schleuderte.

In der Heimath: Es goß wie aus Kannen, Blitz fiel auf Blitz, und zwischen den einzelnen Donnerschlägen gab es fast gar keine Pausen.

Inka: Jetzt gab es noch einen entsetzlichen Donnerschlag, den stärksten von allen, aber auch den letzten; Himmel und Erde schienen nicht nur in Flammen zu stehen, sondern ein einziges Feuermeer zu bilden; dann trat eine Stille ein, welche so plötzlich kam, daß sie geradezu unheimlich wirkte. Keiner wagte ein Wort zu sagen; die meisten glaubten, daß der Aufruhr der Elemente nur einen Augenblick ausgesetzt habe, um sofort wieder zu beginnen; dem war aber nicht so. Der Vater Jaguar stand von dem Platze auf, an welchem er gesessen hatte, ging an dem Feuer vorüber nach der Thür, sah hinaus, wo die Wasser wie ein einziger, thalbreiter Fluß vorüberrauschten

Der Weg zum Glück: Es hatte einen entsetzlichen Donnerschlag gethan, und der Blitz, welcher am Eingange der kleinen Höhle vorübergezuckt war, hatte einem großen Feuerball geglichen.


Diese spezielle Art von orkanartigen Gewitter hatte sich Karl May wohl derart verinnerlicht, daß er es selbst noch im Alterswerk klischeehaft niederschrieb, von einem direkten 'Abschreiben' sollte man bei derart kurzen Textpassagen allerdings nicht notwendigerweise ausgehen:

Im Reiche des silbernen Löwen III: Ein fürchterliches Gewitter tobte. Ein Blitz zuckte nach dem anderen. Der Donner schien keine Pause zu kennen. Es ging Krach auf Krach und Schlag auf Schlag. Der Regen fiel wie eine kompakte Masse nieder.

Ardistan und Dschinnistan II: Kaum hatten wir dies getan, so begann es draußen derart zu wüten und zu toben, zu rasseln und zu prasseln, daß es unmöglich war, unsere eigenen Stimmen zu hören. Blitz folgte auf Blitz, Schlag auf Schlag, als dürfe nicht die geringste Pause zwischen ihnen liegen. Der fallende Regen war schon mehr eine stürzende Flut.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 2.4.2005, 14:50, insgesamt 3-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Diligence-Fahrt und Baranca-Ufer

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Zu den bemerkenswerten Einschüben in 'Am Rio de la Plata" und 'Das Vermächtnis des Inka" gehören die Beschreibungen einer Fahrt in einer Diligence, da die dort eingefügten Dialoge nicht Teil der Handlung sondern beispielhafte, parodistisch überzogenen Gespräche einer solchen wilden Kutschenfahrt sind. Bernhard Kosciuszko zeigt in seinem Artikel zwar die Abhängigkeit Mays von den Quelltexten Burmeisters und Zöllers, über die Dialoge sagt er jedoch wenig: Die nachfolgende Quellenzusammenstellung entspricht der Textfolge des Bandes 12/103 ff., nur der Dialog wurde ausgespart, Kosciuszko schreibt lediglich: (...) selbst der Dialog der geplagten Fahrgäste wurde nur geringfügig geändert sowie nochmals: Bei May folgt hier der Fahrgästedialog, den Zöller auf S. 12 bringt; May variiert nur unwesentlich. Danach sollte man also erwarten, daß Mays Dialoge nur kaum von denen Zöllers abweichen. Tatsächlich liest man bei Zöllers aber nur ein mildes, kurzes und beispielgebendes Zwiegespräch, die drastischen Übertreibungen und Längen der Dialoge sind allesamt von May ersonnen:

Zöller, Pampas und Anden: In dieser Weise also jagten wir in die pechschwarze Nacht hinein.
"Entschuldigen Sie, ist das mein Bein oder da Ihrige?"
"Ja, ganz genau weiß ich es nicht!"
"Na, die Geschichte wird schön!"
"Wie viel meinen Sie wohl, daß unser Hals noch wert ist?"
und ähnliche Ausrufe bildeten während der nächsten Stunden den einzigen Gesprächsstoff.

May, Am Rio de la Plata:
»War das Ihr Kopf, Sennor?«
»Nein, der Ihrige, Sennorita?«
»Herr, Sie treten mich ja an den Leib!«
»Nein, Sennor, Ihr Fuß stieß mir den Schenkel wund!«
»Haben Sie Ihr Leben versichert, Herr Nachbar?«
»Nein, denn wenn ich hier den Hals breche, was höchst wahrscheinlich ist, so bekommen lachende Erben den Betrag. Ich habe keine Familie.«
»Sie Glücklicher! Ich habe Frau und Kinder. Seit ich in dieser Diligence sitze, kann ich sie mir nur noch als verwitwet und verwaist denken.«
Solche und ähnliche Interjektionen, scherzhaft oder ernst gemeint, ertönen unablässig aus dem Munde der Passagiere, welche für ihr teures Geld am Rande des Todes dahingezerrt werden.

May, Das Vermächtnis des Inka:
»Was wollen Sie mit meinem Barte, Señor?« fragt dieser.
»Und was haben Sie mit meiner Kette?« fragt jener.
»Es geschah ohne Absicht. Entschuldigen Euer Gnaden!«
»Bitte ebenso um Verzeihung, Señor. Ich hatte wirklich keine Absicht auf Ihren Bart.«
(...)
Dann geht die Fahrt weiter, wobei die Passagiere wieder aneinander geraten.
»Entschuldigen Euer Gnaden! Das ist mein Bein!« sagt einer derselben, der an seinem Beine gezerrt wird.
»O Verzeihung, Señor! Ich hielt es für das meinige, welches ich zwischen diesen Paketen hervorziehen wollte. Wo haben Sie Ihren Hut?«
»Auf Ihrem Kopfe. Euer Gnaden haben ihn soeben aufgesetzt. Der Ihrige ist aus dem Fenster gefallen.«
»Himmel! Zum Fenster hinaus? So ist er verloren. Woher bekomme ich einen andern! Schreckliche Geschichte, so eine Fahrt mit der Diligence!«


Übrigens beschreibt May bereits schon im 'Waldröschen' eine wilde Fahrt in einer - dort mexikanischen - Diligence, allerdings zeigt der Vergleich mit dem 'Sendador'-Text im Gegensatz zum Pampero und dem Unwetter im 'Ulan' keinerlei wörtliche und nur allgemeine inhaltliche Übereinstimmungen. Etwas anders hingegen liegt der Fall bei dem 'Vermächtnis des Inka', wo May ein Detail, welches man nicht bei Zöller (und den Zitatauszügen nach wahrscheinlich auch nicht bei Burmeister) findet, nämlich das Bewerfen der Pferde mit Steinen, aus dem 'Waldröschen' übernommen zu haben scheint:

Waldröschen: Er springt mitten im Galoppe vom hohen Bocke, um die Thiere zu richten oder den Wagen zu halten; dabei sammelt er sich die tiefen Taschen voller Steine, springt mitten im Lauf wieder auf, ohne daß dem Tempo im Geringsten Einhalt gethan wird und bombardirt nun mit seinen Steinen diejenigen Thiere, weiche sich faul oder unlenksam zeigen.

Das Vermächtnis des Inka: Der Peon aber springt vom Pferde, um im Bette des Flusses nach Rollkieseln, den einzigen Steinen, welche es in den Pampas gibt, zu suchen. Er füllt seine Taschen damit und sprengt der Diligence nach, um, wenn die Hiebe nicht genug fruchten, die Pferde dadurch anzutreiben, daß er sie mit Kieseln bombardiert.


Da es keine wortwörtliche Textzitate gibt, läßt sich allerdings nicht sagen, ob May hier lediglich aus der Erinnerung wiederholt, oder ob ihn der Text des 'Waldröschen' trotz gegenteiliger Behauptung doch bereits zum Zeitpunkt der Abfassung des 'Vermächtnis des Inka' vorlag.

Wie die Beispiele des Zöller-Pamperos und der Diligence-Dialoge zeigen, ist es jedenfalls durchaus angebracht, daß man dort, wo ein Autor behauptet, daß die Quellentexte im einzelnen zu zitieren (...) unnötig sei, man erst recht genau hinschauen sollte, ob sich hinter diesen Feststellungen nicht nur vage Übereinstimmungen verbergen, die eben aufgrund dessen als Zitate nicht sehr überzeugend wirken würden. Andererseits sind natürlich nicht alle von Bernhard Kosciuszko unzitierten Quelltexte von derart nebulösen Wert. Hinsichtlich des hier besonders interessanten Pampero-Kapitel erweist sich etwa die Zöller-Quelltextangabe zum Barranca-Ufer als absolut korrekt, diesen Absatz kann May erst nach 1884 niedergeschrieben haben:

Zöller, Pampas und Anden: Kurz vor Parana sahen wir am Uferrande die ersten Palmen, die bei Buenos Ayres nur noch als Ziergewächse in den gärten gedeihen. Im übrigen bot die Szenerie auf der ganzen Fahrt gleich wenig Abwechselung; sie war bis zum Paraguayflusse alles andere eher denn großartig. Nirgendwo bis Corrientes aufwärts bekommt man gleichzeitig beide Festlandufer zu Gesicht; die Fahrt geht beständig in einem Kanal zwischen einer der beiden Festlandseiten und den zahlreichen Inseln dahin. das so gebildete Fahrwasser mag auf der weitaus größten Strecke etwa anderthalbmal so breit sein, als dasjenige des Rheins bei Köln. Die Festlandufer fallen als steile 'Barrancas' von doppelter oder dreifacher Haushöhe und hellgrauer Farbe abwärts. Eine meilenweit ununterbrochen horizontal verlaufende Linie von versteinerten Muscheln deutet die Grenze zwischen Kalkstein und aufgelagerten 'Tosca' (verhärteter, aber immerhin schneidbarer Lehm) an. In das flachwellige Festland und die einförmigen, teils kahlen, teils buschüberwucherten Uferabstürze heben sich hier und da Bachläufe eine kleine, mit dichter Vegetation bedeckte Oeffnung hineingeschnitten.

May, Am Rio de la Plata: Eine Fahrt auf dem Parana ist allerdings sehr verschieden von einer solchen auf dem Rheine, der Donau oder Elbe. Die menschliche Staffage auch abgerechnet, bietet der Strom mit seinen Ufern und Inseln ein stets wechselndes Panorama, besonders interessant durch einen Pflanzenwuchs, welcher desto tropischer wird, je weiter man nach Norden kommt. Die Ufer steigen zu beiden Seiten ziemlich steil empor, eine Bildung, welche man hierzulande 'Barranca' nennt. Sie sind von grauer Farbe und fast immer mehr als zwanzig bis dreißig Ellen hoch und bestehen aus zwei durch eine fortlaufende Linie von versteinerten Muscheln getrennten Lagerungen von Kalkstein und Tosca, unter welch letzterem Namen man einen harten, aber doch zu verarbeitenden Lehm versteht.
Diese Barrancas sind teils kahl, teils mit dichtem Strauchwerk besetzt, zwischen welchem je nördlicher desto öfter die hier auftretenden Palmenarten zu bemerken sind. Zuweilen werden diese Ufersteilungen durch einen Einschnitt unterbrochen, welchen ein Bach oder ein kleines Flüßchen sich ausgewaschen hat.
Man darf aber nicht meinen, daß die Ufer stets zu sehen seien. Die Breite des Stromes und der Reichtum der zwischen seinen Armen liegenden Inseln verhindert das. Das Schiff fährt stets auf einem dieser Arme, welche langgestreckte Kanäle bilden, die ihr Fahrwasser während der Zeit der Regen und Ueberschwemmungen so verändern, daß die Schiffahrt den Kurs sehr oft zu wechseln hat.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 19.1.2005, 14:25, insgesamt 1-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Das Alligatoren-Schießen

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Die gleiche Abhängigkeit Mays von Zöller gilt auch für die Wasserschweine und Nutrias sowie die Schießorgie auf die Krokodile, auch diese Absätze können von Karl May also erst nach 1884 formliert worden sein. Bei dem Vergleich der beiden Texte ist übrgens zu bedenken, daß May mitunter die Bezeichnungen 'Tiger' und 'Jaguar' alternierend für dasselbe Tier benutzte: An einen Kampf zwischen ihm und dem »Tiger«, wie der Gaucho den Jaguar nennt, war nun nicht mehr zu denken.

Zöller, Pampas und Anden: An Wild fehlte es hingegen nicht. Kaum eine halbe Stunde lang hatten wir Humaitá passiert, als der Kapitän mit dem Rufe in meine Kabine stürzte, wenn ich einen Tiger sehen wolle, möge ich mich schnell erheben. Als ich an Deck kam, fielen bereits mehrere Schüsse, und ich hatte bloß noch Zeit zu sehen, wie das Tier, das angeblich am Ufer des Flusses gefischt, gleich einem großen Hunde davontrottend im Walde verschwand. Das nächste waren ein Dutzend Wasserschweine - ein großes mit fünf Jungen - die lustig, mit der Schnauze an der Oberfläche, im Wasser umherschwammen. Dann kamen eine große Anzahl jener seltsamen Tiere, die, in bezug auf Größe und Form ihres Körpers einem Seehunde gleichend, von den Spaniern "Lobos" oder Wasserwölfe genannt werden. Ich hielt sie anfänglich für riesige Fischotter, doch versicherte man mir, daß sie von diesen, die spanisch "Nutria" genannt würden, auch schon durch die Größe gänzlich verschieden seien. Die Tiere mußten wohl sehr neugierig sein, denn jeden Augenblick schnellten sie dicht an den Seiten unseres Schiffes mit ihren hundsähnlichen Kopfe über die Wasseroberfläche empor.

May, Am Rio de la Plata: Auch Wasserschweine und Nutrias sahen wir oft. Dieser letztere Name bedeutet eigentlich Fischotter, doch wird hier eine große Rattenart so genannt, während man den eigentlichen Fischotter mit dem Worte Lobo bezeichnet, welches richtiger 'Wolf' bedeutet.
Zuweilen, besonders am frühen Morgen, sieht man einen Jaguar am Ufer schleichen, um sich ein Wasserschwein zu holen, dessen Fleisch er demjenigen anderer Tiere vorzuziehen scheint.


Das wilde Schießen auf die Krokodile am Ufer des Paranas erscheint im Kontext der Karl-May-Romane doch etwas unmotiviert. Zwar läßt z.B. Kara Ben Nemsi kaum eine Gelegenheit aus, dem 'Herrn mit dem dicken Kopf' den Bärentöter vor die Nase zu halten, ein massenhaftes Abschießen von Tieren findet sich aber sonst nicht, zumal May z.B. das Abschlachten ganzer Büffelherden in Nordamerika scharf kritisiert. Liest man hingegen Gerstäcker oder Zöller, so glaubt man fast, daß für einen Weltläufers die beständige Jagd das höchste der Gefühle sei. Kaum fährt Gerstäcker etwa erstmals in den rio de la Plata ein, so schießt er schon auf Seehunde, die sich auf einer vorgelagerten Insel tummeln (siehe: 'Reisen: Südamerika' und 'ein Pampero am La Plata'). Sowohl Gerstäcker als auch Zöller schießen während der Fahrt in der Dilligence auf vorbeikommendes Wild oder Strauße. Und Zöller beteiligt sich ferner an dem Schießerei auf den Panara-Dampfer, die sich etwa nicht nur auf Krokodile beschränkt sondern auch andere Tiere trifft. Die Schiessen dient wohlgemerkt nicht etwa den 'Fleischmachen' sondern lediglich - so will es scheinen - der Lust am risikolosen Töten aus sicherer Entfernung in sicheren Schiffen oder Kutschen. Im Vergleich dazu ist Mays Schilderung, die sich nur auf das Schießen von Alligatoren bezieht, fast schon tierfreundlich zu nennen. Da sich May auf die Krokodile beschränkt, soll hier auch nur der entsprechende Text von Zöller zitiert werden. Obwohl sich die von May mehr oder wenigen wörtlich übernommenen Quelltextsätze im zweiten Absatz Zöllers finden, sei hier die gesamte Krokodil-Textpassage wiedergeben, damit sich ein umfassenden Eindruck von dem Treiben auf dem Panara vermittelt

Zöller, Pampas und Anden: Und nun zu den Krokodilen, eigentlich Alligatoren (spanisch Jacaré). Das erste dieser Tiere sahen wir, wie es schwimmend und mit dem großen schwarzen Kopfe einige Zoll über der Wasserfläche hinausragend, einen langen, von der Bewegung des Wassers herrührenden Streifen hinter sich zurückließ. es erhielt drei Kugeln, ohne anscheinend getroffen zu sein. Das zweite, ziemlich kleine Krokodil lag etwa zehn Schritte seitwärts von uns regungslos im Uferschilf; als ich darauf anlegte, versagte zweimal das Gewehr. Das dritte Krokodil sahen wir in weiter Entfernung, es schien sich um die fünf oder sechs Kugeln, die ringsherum einschlugen, nicht im geringsten zu kümmern; das vierte lag in einer Entfernung von 40 bis 50 Schritt gleich einem großen, schwarz angekohlten Baumstamme auf einer flachen, hellgelben Sandbank und hielt den wie aus Bronze gemeißelten, eidechsenartigen Kopf neugierig, aber regungslos vorgestreckt. Man sah deutlich mehrere Kugeln am Schuppenpanzer abprallen; als die Sache dem Tiere langweilig zu werden schien, senkte es den Kopf und bewegte sich langsam, ohne jede Uebereilung dem Wasser zu. das fünfte Krokodil, vielleicht noch riesiger als das vorige, schien etwa 1000 Schritte geradeaus vor uns am Rande einer Sandbank zu schlafen. Mir war die Entfernung noch zu weit, Herr Giudici aber, der Kapitän des Schiffes, nahm einen Karabiner und zielte lange und bedächtig. Die erste Kugel schlug unterhalb des Tieres ins Wasser, die zweite ging dicht über dem Rücken weg und wirbelte ein kleines Staubwölkchen auf, bei der dritten erhob sich das Tier blitzartig auf die Vorderfüße und machte, während der Schwanz sich nicht von der Sandbank erhob, einen fürchterlichen Sprung, wohl an die drei oder vier Fuß hoch. Einen Augenblick später neigte sich die riesige Masse und blieb regungslos liegen. Wir fuhren dicht an dem toten Tier vorüber, wollten aber um seinetwillen, da in Asuncion häufig Jacarés zum Verkaufe angeboten werden, nicht anhalten. Das sechste Krokodil wurde, als es noch auf einer Sandbank lag, von drei Schüssen getroffen und erhielt, als es sich ins Wasser stürzte, von oben herab eine Kugel auf den Schädel; dennoch schwamm es weiter. das siebte Tier lag in einer kleinen Bucht, aus der es sich, als der Dampfer vorbeifuhr, weder landaufwärts noch nach dem Wasser hin flüchten konnte; als es von einer Kugel am Kopfe getroffen worden, erhob es den ganzen Rachen über der Wasserfläche und stieß, dessen gelbliche Unterseite zeigend, ein lautes Brüllen aus.

Ich will, um den Leser nicht zu ermüden, den Rest meiner Liste beiseite lassen und bloß noch einige Bemerkungen anknüpfen. Niemals sahen wir Krokodile, wo die Uferränder hoch waren, sondern bloß dort, wo der Strand sachte abfiel und solchergestalt den leichten Verkehr zwischen Land und Wasser ermögtlichte. Die meisten der Tiere lagen auf hellgelben Sandbänken, von denen ihre schwarzen Riesenleiber sich sehr kräftig abhoben; andre steckten mitten zwischen den schwimmenden Wasserblumen am Ufer und waren alsdann, weil bloß ein Teil ihres Körpers über die Oberfläche hinausragte, etwas schwerer zu erkennen. Uebrigens müssen die Tiere wohl recht ungesellig sein, denn niemals sahen wir sie paar- oder gruppenweise. Auch wenn ihrer mehrere auf dem Sande lagen - dem sie ja auch ihre pergamentartigen Eier anvertrauten -, waren sie doch durch weite Zwischenräume voneinander getrennt. Schlugen ein halbes Dutzend Kugeln in allernächster Nähe der Tiere ein - und das ließ sich ganz genau an dem Aufspritzen des Wassers oder einem kleinen Sandwölkchen erkennen -, so rührten sie sich doch darum nicht im mindesten. Die meisten hielten den Kopf neugierig vorgestreckt, jedoch so starr, als ob kein Leben in ihnen wäre. Traf eine Kugel, so pflegten sich die auf den Sandbänken liegenden Tiere in ziemlich schläfriger Gangart ins Wasser, die schwimmenden aber ins Dickicht der Wassergewächse zu flüchten. Dabei war es sehr leicht, auch noch auf die schwimmenden zu schießen, da sie die Hälfte des Kopfes über dem Wasser trugen und eine lange Furche hinter sich ließen. Bloß ein paarmal bequemten sich die Tiere zu schnellerem und allerdings sehr schnellem Laufe. Gefährlich sollen sich die Alligatoren bloß zuweilen im Wasser erweisen; auf dem Lande, so sagt man, flöhen sie scheu vor dem Menschen, solange sie nicht geradewegs angegriffen würden, und man finge ihrer viele mit dem Lasso.

May, Am Rio de la Plata: Am eifrigsten schoß man auf Alligatoren, hier Jacaré genannt. Sie liegen an sandigen Stellen, welche nicht steil, sondern flach zum Ufer gehen, und sind nicht leicht aus ihrem Gleichmute zu bringen. Schlägt auch ein halbes Dutzend Kugeln in der Nähe einer solchen häßlichen Reptilie ein, so rührt sie sich darum doch nicht im mindesten. Erst wenn eine oder mehrere Kugeln direkt auf den harten Panzer prallen, bequemt sich das Tier, seinen Platz zu verlassen und in das Wasser zu gehen, aus welchem es im Schwimmen gewöhnlich die Hälfte des Kopfes streckt. Die Schüsse waren alle verloren, denn nur diejenige Kugel, welche die Weichteile trifft, die aber durch den Panzer geschützt liegen, kann das Tier verletzen.
Durch eines dieser Tiere knüpfte sich eine Art schweigender Bekanntschaft zwischen mir und dem vorhin erwähnten Passagier an. Er hatte sich nicht an der Jagd beteiligt, doch wenn auf Krokodile geschossen wurde, so stand er auf, um den Erfolg zu beobachten. Er kehrte dann immer mit einem verächtlichen Kopfschütteln an seinen Platz zurück.
Wir näherten uns einer niedrigen Stelle des Ufers, auf welcher zahlreiche Jacarés lagen. Das schien endlich seine Jagdlust zu erwecken. Ich stand zufällig ganz in seiner Nähe und hörte, daß er von dem Neger sein Gewehr verlangte. Vielleicht hatte er die Absicht, zu beweisen, daß es ihm ein leichtes sei, einen Alligator zu erlegen. Er trat mit dem Gewehre an die Brüstung des Deckes und gab auf eines der Tiere die zwei Schüsse ab. Die erste Kugel ging fehl; man sah, daß sie sich in den Sand wühlte; die zweite Kugel traf die Bestie gerade auf den Rücken. Das Tier hob den Kopf ein wenig empor, ließ ihn wieder sinken und - blieb ruhig liegen, als ob nur eine Erbse auf seinen Körper gefallen sei.


Anschließend folgt dann die Demonstration von Charleys Schießkünsten.

Als Fazit bleibt also, daß falls Karl May also eine Pampero-Frühfassung niedergeschrieben haben sollte, es dort jedenfalls keine Beschreibung der Ufer, deren Tierwelt und des Krokodilschießens gegeben haben kann. Daß andererseits in so einem hypothetischen Urtext gänzlich auf eine Beschreibung des Parana verzichtet worden wäre, erschiene freilich auch etwas ärmlich. Allerdings ließe sich die oben angedachte Rundreise - den Parana aufwärts, dann durch die Pampas - und den Uruguay wieder hinab - relativieren, wenn man annimmt, daß die Anreise gar nicht über den Parana, sondern ebenfalls dem Uruguay erfolgte. Was würde für so eine Theorie sprechen?

Tatsächlich gibt es bei der Dampferunglück auf den Parana einen etwas irritierenen Umstand, der freilich durch künstlerische Freiheit des Autors gedeckt ist. Dies ist das Floß. In dem Buch von Zöller wird man vergeblich nach der Aussage suchen, daß der Parana von Flößen befahren wird. Neben den Dampfer werden lediglich folgende Wasserfahrzeuge erwähnt: Dagegen wimmelte der Fluß ab und zu von Segel geschwellten Goeletten, die sei es in Ermangelung von Schleppdampfern, aufwärts kreuzten, sei es mit Kalk, Holz, Häuten, Mate oder Apfelsinen beladen, abwärts glitten.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 23.1.2005, 17:15, insgesamt 1-mal geändert.
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