Babel und Bibel - Abu Kital - Der Mir von Dschinnistan

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Wolfgang Sämmer
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Babel und Bibel - Abu Kital - Der Mir von Dschinnistan

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Hallo zusammen!
Ich habe ein einziges Mal etwas Künstlerisches schreiben wollen, mein "Babel und Bibel". Was war die Folge? Es ist als "eldendes Machwerk" bezeichnet und derart mit Spott und Hohn überschüttet worden, als ob es von einem Harlekin oder Affen verfaßt worden sei. (Karl May: Mein Leben und Streben)
Das hört sich bitter an, und man könnte annehmen, es habe nach dem Erscheinen von Karl Mays "Erstling" Mitte 1906 nur Verrisse des Mayschen Dramas gegeben. Dem war aber ganz und gar nicht so. Erstaunlich viele Blätter gingen auf Mays Drama ein, und zwar durchaus in der Absicht, dem Autor gerecht zu werden. Ob sie freilich ihr Ziel erreichten, das steht auf einem anderen Blatt. Auch das "Fränkische Volksblatt" brachte Heiligabend 1906 eine Besprechung des Dramas, die mit den Sätzen endet:
Das Werk wird auch von anderen Blättern sehr gut kritisiert. Die "M.N.N." (=Münchner Neueste Nachrichten) nennen es einen geistigen Monumentalbau von ungewöhnlicher Höhe und Tiefe. - Wir müssen gestehen, daß es uns beim erstmaligen Lesen nicht ganz gelungen ist, in die ganz merkwürdige "Phantasia" und ihren Zweck vollständig einzudringen, so sehr es auch unsere Aufmerksamkeit fesselte.
Man betrachtete das Werk also wohlwollend, verstand es aber nicht so recht. Möglich, daß diese Besprechung erst auf Betreiben Karl Mays zustande kam. Zur Kenntnis genommen hat er sie auf jeden Fall. Denn ein gutes halbes Jahr später erschien im "Volksblatt" ein Artikel, der sich als Ergänzung zu der "Babel und Bibel"-Rezension verstanden wissen wollte und der seiner ganzen Diktion nach mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May selbst stammte. -

Nach der Veröffentlichung von "Babel und Bibel" kündigte May in Briefen an seinen Verleger Fehsenfeld als nächstes Projekt zwei neue Bände an, die den Titel tragen sollten: "Abu Kital, der Scheik der An'allah". Auf einem Plakat, so stellte Karl May es sich vor, sollte mit den (auch heute noch hochaktuellen) Worten für den Roman geworben werden:
Ein Versuch zur Lösung der Menschheitsfrage und zur Aussöhnung des Morgenlandes mit dem Abendlande.
Karl May hat den Roman jedoch nie geschrieben. (vgl. Ekkehard Bartsch, Jb-KMG, S. 85) Herr Bartsch vermutet: "Wahrscheinlich meinte May noch im Sommer 1907, den Roman - wie er es jahrzehntelang praktiziert hatte -in einem Zuge niederschreiben zu können, so daß er zu Weihnachten vorgelegen hätte." Im Sommer 1907, genauer gesagt am 19. August, erschien dann im "Fränkischen Volksblatt" jene Ergänzung zu der "Babel und Bibel"-Rezension, in der Karl May sich auch zum "Abu Kital"-Roman äußerte. Sie lautete:
Karl May.

Wir haben vor längerer Zeit eine ausführliche Besprechung über das merkwürdige Werke des bekannten Reiseromanschriftstellers Karl May, Babel und Bibel, gebracht. Nunmehr geht uns folgende Ergänzung zu mit der Bitte, sie unsern Lesern bekannt zu geben.
"Von gewisser Seite wird gesagt, daß Karl May nichts mehr veröffentliche, weil mit dem 30. Band seiner bekanntlich symbolisch zu nehmenden "Reiseerzählungen" seine literarische Aufgabe gelöst und vollendet sei. Das ist ein Irrtum. Ganz abgesehen davon, daß Mitte September nun endlich auch eine reich illustrierte Ausgabe dieser Bände erscheint, weiß man doch schon längst, daß sie nur vorbereitenden Inhaltes sind, um Späteres leichter verständlich zu machen. Dieses "Spätere" ist nun jetzt im Werke.
Auch das von der deutschen Presse so ernst und sympathisch kritisierte Drama "Babel und Bibel" sollte eigentlich nur die Ouvertüre zu dem zweibändigen "Abu Kital, der Scheik der An'allah" sein, welches Werk soeben in Druck gegeben worden ist und dazu bestimmt erscheint, neben höhern, allgemeinen Menschheitsfragen zugleich auch das Problem "Karl May" zur Klarheit hinzuführen. Man darf wohl mehr als gewöhnlich darauf gespannt sein, in welchem Lichte das so viel angefochtene "Ich" des Verfassers erscheinen wird, denn nichts anderes als nur diese Frage allein entscheidet darüber, ob die gegen May gerichteten Vorwürfe begründet waren oder nicht.
Aus dem Prozeß May-Münchmeyer ist May vollständig rein hervorgegangen, mögen die Verurteilten das einstweilen noch anders darstellen oder nicht. Und soweit mir "Abu Kital, der Scheik der An'allah" in der Revision vorgelegen hat, ist neben dieser juristischen, nun auch die literarische Rehabilitierung des Verfassers zweifellos gewiß. Edeldenkenden Gegnern wird es nicht schwer werden, den Irrtum, dem sie verfielen, einzusehen; die Verbissenheit aber schadet nur sich selbst."
Eine Notiz über Abu Kital sucht man in den folgenden Wochen im "Volksblatt" vergeblich. Dafür stößt der Leser am 14. Oktober 1907 auf diese Ankündigung:
"Karl May wird nach mehrjähriger Pause seine literarische Tätigkeit im "Deutschen Hausschatz" demnächst wieder aufnehmen und sie mit der großen Reise-Erzählung: "Der 'Mir von Dschinnistan" im 3. Hefte des neuen Jahrganges eröffnen."
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Sämmer
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Hallo, Herr Sämmer!

Die Sache mit 'Abu Kital' ist sicherlich seltsam. Da gab es ja auch die Anzeige in 'Kürschner's Literatur-Kalender' (-> http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG ... der/84.gif) sowie den dortigen Eintrag ins Werkverzeichnis. Ferner ließ Fehsenfeld ein Ankündigungs-Plakat mit dem Schneider-Portrait drucken. Und schließlich ist ja auch ein Mini-Manuskript-Fragment erhalten. (u.a. in: H. Hatzig, Karl May und Sascha Schneider; im KMV-Fehsenfeld-Reprint zu A+D; sowie - sofern ich mich richtig erinnere - in GW 81: Abdahn Effendi)

Die Frage ist natürlich, warum in der von Ihnen zitierten Ergänzung gleich behauptet wurde, daß das Werk soeben in Druck gegeben worden ist ja, daß dem Schreiber (= May?) "Abu Kital, der Scheik der An'allah" in der Revision vorgelegen hat?

Es scheint wirklich merkwürdig, daß sich May derartig weit aus dem Fenster gelehnt hat, ohne daß da Substanz hinter gewesen sein sollte. Es wäre natürlich möglich -und ich halte dies sogar für durchaus wahrscheinlich - daß Karl May im Zuge des Schreibprozesses den Gewaltmenschen Abu Kital einfach in den Gewaltherrscher des 'Mir von Ardistan' umgwandelt hat, sodaß uns also nicht wirklich ein 'verlorener Roman' entgangen ist.

Viele Grüße
Thomas Schwettmann
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Wolfgang Sämmer
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Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Hallo Herr Schwettmann!

Daß Karl May mehr als das bereits bei Hansotto Hatzig (H. Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Bamberg 1967, S. 152) abgedruckte Fragment von "Abu Kital" verfaßt haben sollte, halte auch ich für ausgeschlossen. Karl May konnte sich deshalb so weit aus dem Fenster lehnen, weil er wohl wirklich meinte, "Abu Kital" innerhalb weniger Monate fertigstellen zu können. (Vgl. Ekkehard Bartsch: Ardistan und Dschinnistan. Entstehung und Geschichte, in: Jb-KMG 1977, S. 85) Es deutet alles darauf hin, daß es nur deshalb nicht dazu kam, weil genau in dieser Zeit die Verbindung zum "Deutschen Hausschatz" wiederhergestellt worden ist. -
Interessant bleibt trotzdem die Frage, ob Karl May tatsächlich der Verfasser des Volksblatt-Artikels vom 19. August 1907 ist. Ich halte ihn dafür. Wer anders als Karl May selbst konnte es sich denn erlauben, öffentlich zu behaupten, "Abu Kital" sei "soeben in Druck gegeben" worden und habe "in der Revision vorgelegen". Das konnte doch nur der Autor wagen, der den Roman zumindest zu schreiben gedachte. Erich Heinemann hat mich ürigens seinerzeit in meiner Meinung bestätigt. So schrieb er denn auch:
Karl May sandte dem Volksblatt, das sein Drama "Babel und Bibel" besprochen hatte, eine ergänzende Erläuterung seines Stückes, die in der Ausgabe vom 19.8.1907 abgedruckt wurde. Er spricht von Karl May in der dritten Person, wie er dies um diese Zeit gern tat. (Erich Heinemann: Karl May 1992. "Dieser wunderlichen Erscheinung". Presse zum 150. Geburtstag und 80. Todestag. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 96/97, S. 99)
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Sämmer
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