A&D-Manuskriptfassung

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rodger
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A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Die Anschaffung der Manuskriptfassung (im Karl May -Verlag erschienen, herausgegeben von Hans Wollschläger) ist unbedingt empfehlenswert, es ist verblüffend, wie viele Unterschiede es zur späteren Buchausgabe (und auch schon zur Zeitschriftenfassung) gibt (vgl. auch Leserunde in der Bücherdatenbank).

Eine hochinteressante, wertvolle Stelle fiel zwar nicht dem Rotstift der „Hausschatz“-Redaktion (in der Zeitschriftenfassung ist die Stelle noch enthalten), aber später der Bearbeitung durch Karl May selber für die Buchausgabe zum Opfer (der Dschirbani spricht mit Kara Ben Nemsi und Halef über den Weg nach Dschinnistan):


Nun wendete er sich an den Hadschi, nahm dessen kleines Händchen zwischen seine beiden Hände, strich liebkosend darüber hin und sprach:
"Und Dich möchte ich als schützende Seele haben, mein lieber Halef. Willst Du mir das sein?"
Da brach der Kleine in ein lautes, konvulsivisches Schluchzen aus. Er fand keine Worte. Er drückte sein Gesicht in die Hände des gütigen Titanen, küßte sie drei-, viermal und entfernte sich dann schnell, um uns mit seiner Rührung nicht zu belästigen.
"Was ist es, was er hat?" fragte der Dschirbani.
"Er fühlt, daß er kein Engel ist," antwortete ich.
"So mag er sich üben! Gott hat nicht Engel geschaffen, um die Menschen von ihren Pflichten zu entbinden, sondern er hat die Menschen berufen, durch die Betätigung der wahren, uneigennützigen Menschlichkeit an ihren Brüdern und Schwestern zu Engeln zu werden!"


(zitiert nach der "Hausschatz"-Fassung auf den Seiten der KMG, in der Manuskriptfassung S. 341/42).
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Ich lese derzeit erneut die Manuskriptfassung von A & D. Heute fiel mir eine verblüffende, beträchtliche Textänderung an exponierter Stelle auf.
Das Erdenleben ist das Fegefeuer, aus dem Dich nur der Schmerz befreien und zum wahren Menschen erheben kann!
steht im Manuskript.

Und im "Deutschen Hausschatz" und auch bei Fehsenfeld steht
Das Erdenleben ist ein Läuterungsfeuer, aus dem Dich nur der Glaube befreien und zum wahren Menschen erheben kann!
Das sind ja nun weltanschaulich zwei verschieden' Paar Schuh' ...

Es handelt sich um die Inschrift auf einem Stein, den der Dschirbani seiner verstorbenen Mutter auf die 'Insel der Heiden' gesetzt hat. Kurz darauf steht im Manuskript
Ich begann zu ahnen, daß sich mir hier bei den Ussul eine Welt erschließen werde, welche bis heutigen Tages der meinigen zwar nicht ganz fremd gewesen war, ihr aber auch nicht so nahe gelegen hatte, daß ich sie als eine mir vollkommen vertraute betrachten konnte.
In "Hausschatz" und Buchausgabe wird daraus
Ich begann zu ahnen, daß sich mir hier bei den Ussul eine Welt erschließen werde, welche bis jetzt der meinigen größtenteils fremd gewesen war.
was inhaltlich erneut etwas völlig anderes ist ...

(Es mag "gut gemeint" sein, aber mehr [ist es] eben auch nicht, eine komplizierte Formulierung etwas vereinfachen zu wollen. Wenn man das nicht richtig macht, bleibt halt die ursprüngliche Aussage auf der Strecke ... Komplizierte Sachverhalte verlangen halt gelegentlich nach komplizierten Formulierungen.)
markus
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von markus »

Daß er im ersten Zitat anstelle von "Schmerz" "Glaube" genommen hat, war wohl ein Entgegenkommen an den katholischen Hausschatz. Oder eine Bearbeitung Keiters ("Oh diese Herren Redakteure..."). Aber ich glaube da war er schon nicht mehr Redakteur.
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Otto Denk. (war Redakteur)

Ihm könnte in der Tat das Lied "Wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst ..." gewidmet sein ... (a.) wegen der Wortspielerei, haha, aber b.) vor allem weil er sich vermutlich ganz schlau dabei fühlte, während er beträchtlichen Schaden anrichtete ...)

Was Manuskriptfassungsherausgeber Wollschläger von ihm hielt, läßt er seinen Leser wissen mit freundlichen Formulierungen wie z.B. "das Gemisch aus verklemmter Beschränktheit, Bigotterie und Moralinsäure in seinen Briefen läßt an seinem Charakter wenig Zweifel" ... "Die redaktionelle Bearbeitung Otto Denks muß nicht diskutiert werden; sie war, wo sie über das Ideologische hinaus stilistisch blieb, ein jedenfalls nirgends zwingend nötiger Eingriff in den Text und gegenüber einem Autor wie May in diser Weise einwandfrei ungehörig. Denks Ideal bildete ersichtlich ein schulmeisterlicher Einheitsstil" ... "Besserwisserei" ... "änderungswütigen Unsinn" ...

(A & D Manuskriptfassung Band 2 S. 979 / 1013)
markus
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von markus »

Aber Keiter war derjenige, der May seine "Heimat" absprach. Ein Weltenbummler darf halt keine Abenteuer vor der eigenen Haustüre erleben. :mrgreen:
Zwockel

Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von Zwockel »

Keiter hatte gute Gründe Mays "Heimat" nicht in den Gesamtroman einzubeziehen. Diese sind auch der Karl-May-Forschung hinreichend bekannt.

Die Verärgerung Mays ist mehr als verständlich, Dennoch. Wie Illmer in seiner Abhandlung im Werkband von "Satan und Ischariot" aus dem Igel-Verlag nachweist, hatte May in dieser sehr lesenwerten Erzählung seinen Frust über seine Dreierbeziehung und für die Fehsenfeld-Ausgabe erkannte dann May wohl selbst, das "In der Heimath" nichts in der Reiseerzählung verloren hat.

Generell muß festgehalten werden, das Keiter ein weit kompetenterer Redakteur als Otto Denk war.
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Zwockel hat geschrieben:Keiter ein weit kompetenterer Redakteur als Otto Denk
Wie heißt doch der gute alte Spruch, „den einen nehmen und den anderen damit totschlagen“ ...

:mrgreen:

Es ist eine Art Kulturschock, wenn einem bewußt wird, daß [teilweise] offensichtlich nicht einmal die Fehsenfeld-Bände Originaltext enthalten ...

May hat Flüchtigkeitsfehler gemacht, neigte zu Nachlässigkeiten usw., na klar, und darauf hinzuweisen und in Absprache mit dem Autor Änderungen vorzunehmen, ist seitens eines Redakteurs völlig in Ordnung, weil sein „Job“. Aber einfach verständnisfrei drüberzuschnuddeln über die Texte und nach Gutdünken und ohne Absprache mal hier und mal dort zu ändern, wenn man eine Formulierung nicht oder falsch versteht usw. (u.v.a.), ist, wie Wollschläger sehr richtig schreibt, einem Autor wie May gegenüber ungehörig.

Heutzutage ist das ja auch wieder üblich, diese Texteinheitsverwurschterei á la Denk & Keiter; ich habe vor einigen Wochen im „Mittagsmagazin“ mitbekommen, wie eine dieser unsäglichen Muttchen-Typen, die das ZDF sich da offenbar sehr geschickt und gezielt aussucht für das Ankommen der Sendungen bei kompakter Majorität, sich mit einer, Verzeihung, hergelaufenen „Autorität“ in Sachen Sprache einig war, daß lange, komplizierte Sätze generell zu vermeiden seien ... Der vermeintlich komplizierte Beispielsatz, den sie da am Wickel hatten, war dabei derart simpel, daß ihn eigentlich sozusagen jeder Idiot hätte verstehen müssen ... Thomas Mann z.B. hat weitaus längere und kompliziertere geschrieben.

(Was soll’s. Über „Kunst und Kultur“ und allerhand andere Erscheinungsformen der Gegenwart ausführlich die Wahrheit zu sagen, verbietet zwar nicht [direkt] das Strafgesetz, aber Einsicht und einigermaßen pragmatische Zeiteinteilung ...)

In Sachen „In der Heimath“ gehe ich davon aus, daß sich May aufgrund der unverschämten Aktion Keiters auch langfristig hat verunsichern lassen ... wenn man Old Surehand II mit alten Piratengeschichten usw. veröffentlicht kann man natürlich auch eine Heimat-Episode innerhalb eines Abenteuerromans veröffentlichen, warum denn nicht. Das hätte die Buchausgabe schon verkraftet.

(Übrigens: In Sachen Zwockel-Identität bezweifele ich mittlerweile meine Erstvermutung und tendiere jetzt doch in eine Richtung, in der andere schon zuvor unterwegs waren; aber das nur nebenbei. :wink: )
Zwockel

Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von Zwockel »

Das Keiter der kompetentere Redakteur war beruht auf ein Gespräch, das ich vor einigen Jahren mit der Seniorchefin des Pustet-Verlages hatte. Das überliefert sich wohl von Generation zu Generation.

Aber....die große Zeit des "Hausschatzes" war um 1900 überhaupt abgelaufen. Der Kulturkampf war seit einigen Jahren beendet und es bedurfte nicht mehr eines Gegenstückes zur evangelischen "Gartenlaube". Insofern bin ich der Meinung, dass der Niedergang des "Hausschatz" nicht Otto Denk anzulasten ist. Vielmehr war er wohl überzeugt, dass Karl May das Blatt retten könnte und engagierte ihn 1907. Dem war nicht so und es ist auch verkehrt, das Denk dann Karl May anlasten wollte, den "Hausschatz" ruiniert zu haben.
Die Seniorchefin des Pustet-Verlages hat sich diesbezüglich mir gegenüber ganz anders geäußert.
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Es mag auch durchaus sein, daß Keiter verglichen mit Denk der Bessere war, das wollte ich gar nicht in Abrede stellen mit meiner flappsigen Bemerkung vom „Totschlagen“. Das sollte nur heißen daß sie beide nicht allzu überzeugend daherkamen, was den Umgang mit Autor May betrifft ...

Schuld ... (am Niedergang der Zeitschrift) Weder der eine noch der andere. Das ist ja immer so, die Dinge geschehen im Zuge umfassenderer Entwicklungen, und dann sucht man immer Schuldige, um besser damit zurechtzukommen ...
markus
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:In Sachen „In der Heimath“ gehe ich davon aus, daß sich May aufgrund der unverschämten Aktion Keiters auch langfristig hat verunsichern lassen ... wenn man Old Surehand II mit alten Piratengeschichten usw. veröffentlicht kann man natürlich auch eine Heimat-Episode innerhalb eines Abenteuerromans veröffentlichen, warum denn nicht. Das hätte die Buchausgabe schon verkraftet.
"Weihnacht" hasse noch verjessen. Dat kam nach "Satan und Ischariot". Määt ja nix.

:wink: :lol:
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Ich hab' gar nichts vergessen. Es ging um die Integration eines seitens Dritter möglicherweise als Fremdkörper empfundenen Textes innerhalb eines Romans.
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rodger
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von rodger »

Im Nachinein ist mir aufgefallen, daß ich im letzten Beitrag schlecht argumentiert habe, da ja auch bei "Weihnacht" ein in der Heimat spielender Teil enthalten ist, der ggf. als Fremdkörper empfunden werden könnte. Ok. Aber man muß ja, wenn man ein Beispiel nennt, nicht unbedingt alle anderen in Frage kommenden auch mit aufzählen. (Insofern war der erste Satz des Beitrags inclusive der beabsichtigten mitschwingenden Pampigkeit schon richtig) 8)
Zwockel

Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von Zwockel »

Der bei "Weihnacht" im sächsisch-bömischen Grenzgebiet handelnde Teil ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des Gesamtromans, folglich nicht zu vergleichen mit "In der Heimath" der nur wenig mit der eigentlichen Handlung von "Satan und Ischariot" zu tun hat.
Andererseits hatte Keiter schon andere Beweggründe, diese Episode zu streichen. Ich denke da unwillkürlich an Therese Keiter, seine Ehefrau.
Dernen
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Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von Dernen »

Zwockel hat geschrieben:Der bei "Weihnacht" im sächsisch-bömischen Grenzgebiet handelnde Teil ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des Gesamtromans, folglich nicht zu vergleichen mit "In der Heimath" der nur wenig mit der eigentlichen Handlung von "Satan und Ischariot" zu tun hat.
Andererseits hatte Keiter schon andere Beweggründe, diese Episode zu streichen. Ich denke da unwillkürlich an Therese Keiter, seine Ehefrau.
Das interessiert mich. Ich habe keine Ahnung von Keiters Ehefrau. Magst Du das mal etwas genauer ausführen? Danke im Voraus.

Grüße
Rolf
Zwockel

Re: A&D-Manuskriptfassung

Beitrag von Zwockel »

@Rolf

Eigentlich ist es nichts Neues, dass Keiter kein Freund von Mays Werken war und seine Frau Therese Keiter verstärkt im "Hausschatz" unterzubringen versuchte.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Streichung von "In der Heimath" von Keiter oder sogar von dessen Ehefrau durchgeführt wurde um May zu schaden, zu vergreulen und Platz zu schaffen für die Arbeiten von Therese Keiter.

Das ist auch alles im http://www.karl-may-wiki.de unter Therese Keiter sehr ausführlich nachzulesen.
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