Am Jenseits

Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu rodgers Eintrag vom 2.1.08, 23.27 Uhr:

Zunächst einmal sind der Okkultismus und der vulgäre Spiritismus nicht einfach gleichzusetzen. Das ›Okkulte‹ ist ein Oberbegriff, der außersinnliche Dinge mit einschließt, die heute als ›parapsychologische‹ Phänomene bezeichnet werden und mit Aberglauben nicht verwechselt werden dürfen.

Nun aber zur Aussage von Georg Thomalla über einen verstorbenen Komiker-Kollegen (»Aber er ist ja da, er ist ja gar nicht weg«): Vielleicht wollte Thomalla einfach nur sagen, dass der Kollege weiterlebe, in unsrer freundlichen Erinnerung. So wie man es in Sterbeanzeigen oft liest: »Wer weiterlebt in unseren Herzen, ist nicht tot.«

Vielleicht wollte Thomalla aber auch sagen: Der Verstorbene existiert nicht nur in unserem menschlichen Gedächtnis, sondern – ganz real – in der Ewigkeit Gottes, die unsere vergängliche Welt umschließt. Vielleicht wollte er sagen: Wir sind mit dem Verstorbenen innerlich verbunden und können mit ihm, in Gedanken, real kommunizieren.

Nach biblisch-christlicher (oder auch muslimischer) Auffassung jedenfalls – und auch nach der Auffassung Karl Mays – hören intensive menschliche Beziehungen mit dem Tode nicht auf. Bei May finden wir diesen Gedanken sehr ausgeprägt in der Winnetou-Trilogie, in der Surehand-Trilogie, in »Weihnacht!« und im gesamten Spätwerk einschließlich ›Am Jenseits‹.

Wie unterscheidet sich diese Art von Jenseitshoffnung vom Spiritismus? Im vulgären Spiritismus geht es um die Schein-Befriedigung von platter Neugier: Mit Hilfe von ›Medien‹ werden Verstorbene herbeizitiert und über alles Mögliche ausgefragt. Im christlichen Glauben indessen – wie er auch dem ›Jenseits‹-Roman zugrunde liegt – geht es um das innere Liebesband zwischen Lebenden und Verstorbenen. Es geht um die unvergängliche, in der Schöpfertreue Gottes begründete Liebesbeziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung bzw. der Menschen untereinander.

Diese nicht-spiritistische Jenseitshoffnung finden wir nicht nur bei May, wir finden sie weit verbreitet auch in der Poesie der Antike, des Mittelalters, der Renaissance, der Barockzeit, der Aufklärung, der Romantik, der Klassik, der Literatur des 19. Jh. und der Gegenwart.

Als Beispiel zitiere ich das folgende Gedicht von Droste-Hülshoff:

Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
So weint mir keine Träne nach;
Denn, wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ew’ger Tag!
Wo aller Erdengram verschwunden,
Soll euer Bild mir nicht vergehn,
Und Linderung für eure Wunden,
Für euern Schmerz will ich erflehn.
Weht nächtlich seine Seraphsflügel
Der Friede übers Weltenreich,
So denkt nicht mehr an meinen Hügel,
Denn von den Sternen grüß’ ich euch!

In diesem Gedicht (das meist Annette von Droste-Hülshoff zugeschrieben wird, vielleicht aber von deren Nichte Elisabeth verfasst wurde) bezeugt die Sprecherin ihre Hoffnung, auch NACH dem Tod mit den Ihren verbunden zu bleiben und für die Erdenkinder auch weiterhin viel Gutes tun zu können (»Linderung für eure Wunden, für euern Schmerz will ich erflehn«).

Diese Art von Zuversicht unterscheidet sich von spiritistischen Geisterbeschwörungen fundamental. Herr Math freilich (und, wie ich befürchte, die breite Mehrheit in der Mayszene) wird diesen Unterschied nicht wahrnehmen und nicht anerkennen, oder?
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rodger
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Beitrag von rodger »

Werner Fleischer hat geschrieben: Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens
Ja, leider, wohl wahr ...

:wink:

Aber so ist das halt. Vom Mark Twain wollten sie auch alle immer am liebsten lustige Geschichten lesen, vom Jack London Abenteuer, von Jules Verne, usw. usw. ...

Wie sagte der alte Mann in meiner Heimatstadt einst so wunderbar abgeklärt lächelnd auf die Klage eines jungen Mannes über unverständige und oberflächliche Schauspielermitmenschen: "Es können ja nicht alles kleine König Ödipusse sein ..."

:wink:
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rodger
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Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: diesen Unterschied nicht wahrnehmen und nicht anerkennen, oder?
Der Unterschied ist ja ganz klar.

Aber im Hause May hat es Dinge wie Tischerücken usw. ja offensichtlich auch gegeben, und daß Emma mit dem Argument, Stimmen aus dem Jenseits wollten das so, zur Unterschrift gedrängt wurde bei der Ehescheidung, ist ja nun auch nicht unbedingt die feine Drostesche Art.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Werner Fleischer hat geschrieben: Karl May wäre gut beraten gewesen, wenn er nach der Rückkehr von der Orientreise die Fortsetzung von ›Am Jenseits‹ geschrieben hätte. ›Et in terra pax‹/›Und Friede auf Erden!‹ IST die Fortsetzung von ›Am Jenseits‹. Siehe dazu Wollschlägers berühmten Aufsatz im Jb-KMG 1972/73.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Interessante Überlegungen zu "Am Jenseits" von Hermann Wohlgschaft (aus der Erstfassung seiner Leben&Werk-Biographie) kann man übrigens auf den Seiten der KMG unter

http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... 6.htm#k131

nachlesen.
›Et in terra pax‹/›Und Friede auf Erden!‹ IST die Fortsetzung von ›Am Jenseits‹
Hübsch gesagt. Da muß ich doch gleich noch mal die wunderschöne Stelle zitieren, die dem Frank von Magde- und Naumburg sowie einigen Damen seinerzeit nicht so gut gefallen hat wie mir ...
Die Yacht verläßt den empirischen Raum, um Shen-Kuo, das heilige Land, zu erreichen. Angesichts dieser metaphysischen Grundkonzeption des Romans hat die Frage nach der Authentizität des Mayschen China-Bildes nur periphere, nur marginale Bedeutung
Foren-Elefantengedächtnis e.V.
-Der Vorsitzende-

:wink:
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu rodgers Eintrag vom 4.1.08, 19.25:

Dass »Emma mit dem Argument, Stimmen aus dem Jenseits wollten das so, zur Unterschrift gedrängt wurde bei der Ehescheidung«, ist eine unbewiesene Behauptung der May-Gegner, die durch permanentes Aufwärmen nicht wahrer wird.

Die ganze Angelegenheit ist dunkel und bis heute nicht aufgeklärt. Sollte die obige Aussage aber einen realen Hintergrund haben (ich weiß es ebenso wenig wie Herr Wick), so wäre ja – wie in diesem Thread schon mehrfach vermerkt – erneut wieder bestätigt, dass May kein gläubiger Spiritist war (sondern bisweilen, oder des öfteren, ein Schlitzohr).

Natürlich darf sich rodger, vice versa, auch MEINES Wohlwollens gewiss sein. Dass May nicht immer und »nicht unbedingt die feine Drostesche Art« hatte (eine aparte Bemerkung!), gebe ich ja durchaus zu.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Er war, sozusagen, der Vorsitzende des Schlitzohren-Verbandes ...

ABER: wenn er denn nicht daran geglaubt hat, und es BENUTZT, um eigene Interessen durchzusetzen (die er auf anständigerem Weg durchzusetzen dann offenbar nicht in der Lage war), dann ist es keine Schlitzohrigkeit mehr, sondern, hemsärmelig ausgedrückt, eine Riesensauerei, und, weniger hemdsärmelig, Frevel.

"Gläubiger Spiritist", das behauptet ja keiner, ich zumindest gewiß nicht. Wobei ja die Grenzen, wie schon des öfteren gesagt, fließend sind. Wenn einer z.B. mal 1 Jahr lang (oder ein halbes, ich habe es verdrängt) in der CDU war, muß er dann als CDUler bezeichnet werden ?

:wink:
Zuletzt geändert von rodger am 4.1.2008, 22:53, insgesamt 1-mal geändert.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Weil ›Am Jenseits‹ (leider auch von rodger, der ja ansonsten ein hochintelligenter Mann, ein witziger Zeitgenosse und, wie ich stark vermute, ein grundsympathischer Mensch ist) geradezu reflexartig mit dem Spiritismus verquickt wird, erkläre ich nun zum 123. (oder ist es das 124.?) Mal in aller Feierlichkeit:

Wohl 1883 hat May aus Neugier eine spiritistische Sitzung besucht. Schon beim zweiten Mal (einige Jahre später) haben ihn die Seancen, weil er sie als urkomisch empfand, belustigt. Doch mehr und mehr haben ihn derartige Veranstaltungen (die seine Ehefrau Emma so entzückend fand) nur angewidert.

Und mit ›Am Jenseits‹ hat dies alles höchstens insofern zu tun, als May in diesem Roman (wie auch schon in früheren und ebenso in späteren Romanen) seine ANTI-spiritistische Einstellung literarisch zum Ausdruck bringt.

PS: Bei fast allen meinen Beiträgen möge man sich einen Smilie (schreibt man das so?) hinzudenken. Da ich ein technisches Rindvieh bin, habe ich noch immer nicht kapiert, wie man das macht.
Werner Fleischer

Beitrag von Werner Fleischer »

Lieber Hermann Wohlgschaft, nun ich denke wenn es eine zeitmaschine geben würde, sollten wir beide sie benutzen und den Menschen im Jahre 1906 diese These einmal nahebringen. Ich wage zu behaupten, daß kaum jemand sie verstehen wird. Selbst heute dürfte es sich für den Wald- und Wiesenleser bei Friede auf Erden um alles andere als um eine Fortsetzung von Am Jenseits handeln.

Nun gibt es ja Menschen, die durchaus eine symbolische Handlung über mehrere Bände eines Autors zu entdecken vermögen. ich halte es für legitim, schließlich gibt es auch Leser die behaupten Perry Rhodan wäre der Nachkomme von Old Shatterhand und würde seine Abenteuer nur deshalb im Weltall erleben, weil es kaum noch Indianer gibt.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Leser die sich ein Buch kaufen mit dem Wunsch eine spannende Geschichte lesen zu dürfen. Diese besitzen natürlich den Wunsch zu erfahren was es mit dem fast blinden Menschen in der Wüste auf sich hat, ob sein Wohltäter wohl irgendwo gesteinigt wird, die die Frage umhertreibt ob Kara und Halef Mekka erreichen und vor allen Dingen ob sie es wieder lebend verlassen.

May hat diese Menschen jahrelang um eine Fortsetzung betrogen, sie vertröstet und immer wieder ein neues Fragment begonnen.

Friede auf Erden ist alles andere als die Fortsetzung von Am Jenseits. Wenn Am Jenseits eine Fortsetzung hat so lautet sie In Mekka.
Werner Fleischer

Beitrag von Werner Fleischer »

Sollte es wieder einmal eine Karl May Verfilmung geben, so könnte ich mir sehr gut den Stoff von Am Jenseits/In Mekka vorstellen.
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Natürlich ist "In Mekka" keine Fortsetzung von Karl Mays "Am Jenseits" sondern wurde von Franz Kandolf 1922 eher lustlos zusammengeschustert.

Dieses Buch von Kandolf als Band 50 der "Gesammelten Werke" zu präsentieren ist schon eine ganz schöne Dreistigkeit des Karl-May-Verlages.
Werner Fleischer

Beitrag von Werner Fleischer »

Sehe ich völlig anders. Aber wer ein besseres Buch schreiben kann, den sollte man nicht aufhalten. Immer nur zu Herr Altherr.

Übrigens gibt es bei der ehrwürdigen Karl May Gesellschaft ein interessantes Heft zu In Mekka:

Nr. 39/1983
Volker Krischel: Franz Kandolfs Roman IN MEKKA. Eine erste Annäherung

Leider hat sich bisher niemand an eine zweite Annäherung herangewagt. Schade eigentlich, aber es gibt auch beispielsweise wenig Abhandlungen zu den Dessauergeschichten oder den Gedichten Karl Mays.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: (1) Doch mehr und mehr haben ihn derartige Veranstaltungen (die seine Ehefrau Emma so entzückend fand) nur angewidert.

(2) möge man sich einen Smilie (schreibt man das so?) hinzudenken. Da ich ein technisches Rindvieh bin, habe ich noch immer nicht kapiert, wie man das macht.
(1) Das glaube ich halt nicht. Und selbst wenn es so sein sollte, Dinge, die einen einerseits anwidern, können einen gleichzeitig auch irgendwie faszinieren. Von (harmlosen und weniger harmlosen) Beispielen sehe ich mal ab, obwohl es 22 Uhr durch ist.

Schreibt denn einer solche Sachen, von einem der mit zwei Stimmen spricht, der zielsicher gehen kann obwohl er blind ist, der etwas von Wesen erzählt, die normalerweise nicht zu hören und zu sehen, aber dennoch da sind, und die jetzt durch ihn (Ben Nur) sprechen, wenn ihn die Sachen, in die er da offenbar "hineingerochen" hat, nur noch anwidern ? M.E.: Nein.

(2) Wenn Sie einen Beitrag schreiben, sehen Sie links neben dem Eingabefeld die Smilies (jetzt weiß ich selber nicht mehr wie ich das sonst geschrieben habe; kaum denkt man drüber nach, klappt's nicht mehr). Da klicken Sie an der Stelle, wo Sie ihn haben möchten, einen an, und - schwupps - steht er da. Allerdings noch nicht in der Form, wie er sich später darstellt, sondern da steht dann z.B. Doppelpunkt Strich o Strich Doppelpunkt, aber wenn Sie den Beitrag abschicken, wird ein echter Smiley (Smilie ?) daraus, oder ein böser roter Löwe äh Smiley, oder eine Glühbirne.

Noch amol:

"Reine Ausgelassenheit und tödlicher Ernst sind meine besten Freunde" (Philip Roth)
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rodger
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Beitrag von rodger »

Werner Fleischer hat geschrieben: aber es gibt auch beispielsweise wenig Abhandlungen zu den Dessauergeschichten oder den Gedichten Karl Mays.
Zu den Dessauer-Geschichten hat z.B. der Herr Wohlgschaft allerhand geschrieben in seinem Dreibänder. Erst seitdem ich dort gelesen habe daß der Olle AUCH (nicht nur) eine Spiegelung von Mays Vater darstellt (darstellen kann) habe ich einen besseren Zugang zu den Geschichten gefunden. - Aber verglichen mit Perry Rhodan ist das vermutlich nichts, da würd' ich Dir abraten.

:wink:
Werner Fleischer

Beitrag von Werner Fleischer »

Ich denke May war vom Spiritismus sehr fasziniert, war sich aber auch bewußt wie seine Umwelt und seine Lesern diesen Dingen gegenüberstanden. Glauben Sie ernsthaft, daß Karl May es sich leisten konnte in den Unionsbänden seine Leidenschaft für den Spiritismus niederzuschreiben?

Ich nicht!
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