Seite 1 von 1

Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 2.8.2009, 18:07
von rodger
Die Geschichten und Figuren Karl Mays – allesamt, mal mehr, mal weniger: [Arbeit an,] Auseinandersetzungen mit sich selbst …

Das ist alles er selber, entweder als eine Art „gedachte Variante“, was wäre geworden wenn, oder aber als erlebte und empfundene Anteile …

Die kleinen und die großen „Schurken“, vom Jüterbogker Gesell über Murad Nassyr, Santer und Schut bis zu „Edel“-„Schurken“ wie Abrahim Mamur, Abu Seif oder Sendador …

Die Schwachen, Albani, Selim Agha, Ohlert, Selim, Carpio, der Pole Dozorka …

Die Sichselbstüberschätzer, Halef, Turnerstick, Don Parmesan, Hobble Frank …

(Usw. Usf.)

Im „Silberlöwen“ wird es dann ja unverhohlen ganz deutlich, da wird gleichsam aus Carpio Tifl und aus dem „besseren Selbst“ [teilweise] der Ustad …

(Ganz so einfach Eins zu Eins ist das alles natürlich nicht, es mischt sich, zum Carpio z.B. mag auch ein Mitschüler Pate gestanden haben, dem er dann eigene Züge übertrug, usw.)

So ist der Satz zu verstehen, „Das Karl May-Problem ist das Menschheitsproblem“, er hat durch sie alle durchgeguckt, weil er durch sich selber durchgeguckt hat … ich muß in dem Zusammenhang immer an Samuel Hahnemann denken, den Begründer der Homöopathie, nicht weil ich über Homöopathie sprechen will sondern weil der Vergleich im übertragenen Sinne passt: Hahnemann hat all die Arzneimittelreaktionen an sich selber ausprobiert, um sich ein Urteil erlauben zu können … und May hat halt seine Pappenheimer gekannt, weil er sich selber kannte …

Insofern: die (schon vor längerer Zeit gelesene) These, May habe keine Kritik vertragen, sei nicht in der Lage gewesen, sich mit sich selber auseinanderzusetzen (dieser Tage auch wieder gelesen): Quark !!! Es muß halt nur der oder die richtige kommen. Die Kritik muß Hand, Fuß, Format haben. Wie schrieb er doch in „An den Dresdner Anzeiger“, nachzulesen im Internet oder im Band 85 der grünen Bände:

Ich beanspruche nämlich wie jeder andere, das Recht, mir unter meinen Gegnern denjenigen wählen zu dürfen, den ich für meiner Sache würdig halte, und bis der kommt, scheint es noch gute Wege zu haben.
[…]
da darf ich wohl hoffen, auf einen Kritiker, wie ich ihn mir wünsche, zu treffen, einen gerechten, gesunden, offenen und ehrlichen Mann, der keine Schonung gibt, aber dann von meiner Seite auch keine Schonung erwartet. Auf einen solchen Gegner freute ich mich […]

und so bin ich, anstatt mich mit einem geistig muskulösen, widerstandsfähigen Opponenten messen zu können, gezwungen, mich anständigerweise genau nach Wilhelm Busch zu verhalten, nämlich: »Im Gesichte Seelenruhe, an den Füßen milde Schuhe!«
[…]
Und hier bin ich bei dem Punkt angelangt, bei welchem gewissen Leuten der Verstand stehen zu bleiben pflegt. Daß dies auch bei Fräulein Silling geschehen ist, kann mich nicht wundern, nachdem ich gelesen habe, mit welcher majestätischen Handbewegung sie die plebejische Broschüre Max Dittrichs von sich abgewiesen hat. In diesem Büchlein steht sehr deutlich zu lesen, daß man in meinen Büchern auf jene Stelle zu achten habe, von welcher an nur noch »innere Ereignisse Geltung haben«. Da aber diese Dame während ihres ganzen Aufsatzes nur auf Äußerlichkeiten trumpft und von der »Seele« eines Buches nicht die geringste Ahnung zu haben scheint, so wird es am besten sein, hierüber wohl zu schweigen. Sie ahnt ja nicht einmal, was heut jeder Schulknabe weiß, nämlich, daß ich mit meinem so viel angefeindeten »Ich« etwas ganz anderes meine, als man von gewisser Seite den Lesern glauben machen will. Ihr scheint es vollständig unbekannt zu sein, wie sehr ich in diesen Büchern grad mich und meine persönlichen Fehler aufrichtig bekenne und geißele, und daß sie sich selbst geradezu als Ignorantin schildert, wenn sie von »seiner Ruhmsucht usw. phantasiert!

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 2.8.2009, 20:37
von markus
Ich sachs ja immer, wer was über Karl May erfahren will, der lese doch bitte seine Werke, aber richtig :) .

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 31.7.2010, 21:24
von Thomas Math

… ich muß in dem Zusammenhang immer an Samuel Hahnemann denken, den Begründer der Homöopathie, nicht weil ich über Homöopathie sprechen will sondern weil der Vergleich im übertragenen Sinne passt: Hahnemann hat all die Arzneimittelreaktionen an sich selber ausprobiert, um sich ein Urteil erlauben zu können …


Ich hoffe nur das May nicht aehnlich dumme Schluesse gezogen hat ,wie der Quacksalber Hahnemann.
mit welcher majestätischen Handbewegung sie die plebejische Broschüre Max Dittrichs von sich abgewiesen hat. In diesem Büchlein steht sehr deutlich zu lesen, daß man in meinen Büchern auf jene Stelle zu achten habe, von welcher an nur noch »innere Ereignisse Geltung haben«. Da aber diese Dame während ihres ganzen Aufsatzes nur auf Äußerlichkeiten trumpft und von der »Seele« eines Buches nicht die geringste Ahnung zu haben scheint, so wird es am besten sein, hierüber wohl zu schweigen. Sie ahnt ja nicht einmal, was heut jeder Schulknabe weiß, nämlich, daß ich mit meinem so viel angefeindeten »Ich« etwas ganz anderes meine, als man von gewisser Seite den Lesern glauben machen will. Ihr scheint es vollständig unbekannt zu sein, wie sehr ich in diesen Büchern grad mich und meine persönlichen Fehler aufrichtig bekenne und geißele, und daß sie sich selbst geradezu als Ignorantin schildert, wenn sie von »seiner Ruhmsucht usw. phantasiert!
Zuerst erfindet er die Old Shatterhand-Legende, behauptet die absurdesten Dinge wie seine uebermenschlichen Sprachkenntnisse,dann wenn man ihm auf die Schliche kommt,heisst es dann April April das war nicht so gemeint ihr habt einfach meine Buecher nicht verstanden.
Nonsense der gute May hat schlicht eine Schutzbehauptung aufgestellt.
Ehrlicher waere gewesen wenn er gesagt haette,ja ich habe gelogen weil sich meine Buecher damit besser verkauften und ich den Ruhm in vollen Zuegen genossen habe.
Da das jetzt nachdem ich den letzten Teil meiner Glaubwuerdigkeit verloren habe, nicht mehr geht,habe ich mich aufs Schreiben unlesbarer, esoterischen Buecher verlegt.Gottseidank habe ich als" Old Shatterhand "genug Geld verdient,dass es keine Rolle spielt,dass diese Buecher keiner kauft.

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 1.8.2010, 3:41
von Tobias K.
Ob May so zentral die ganze Zeit auf sich sleber zielte lass ich mal dahingestellt. Ich tendiere da zu einem noch ganzheitlicheren Ansatz. Wie hieß es beim Waldröschen so schön? "Ein Enthüllingsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft"...

Verblüfft hat mich aber in diesem Kontext einmal eine vermeintliche Randepisode im Silbersee. Und wenn man den betreffenden Menschen im Roman weiter verfolgt, so fällt eines auf: Er macht sich selber schuldig, 'opfert' einen anderen (auch wenn er keinesfalls beide hätte retten können) und kann nachher nur noch die Bedrohten warnen. Quasi eine Parallelfolie zu den beiden entsprungenen Sklaven in der Sklavenkarawane... Aber hier die Stelle, die mich aufhorchen ließ, weil sie zugleich aufzeigt wie sich jemand etwas schönredet und dabei zugleich mit sich selber ins Gericht geht:
»Diese Titel und Würden besitze ich; das weiß ich am allerbesten, denn ich selbst habe sie mir verliehen.«
»Ihr – – Ihr selbst?«
»Freilich! Ich bin offen gegen Euch, weil ich denke, daß Ihr meinen Antrag annehmen werdet.

Eigentlich bin ich Schneider; dann wurde ich Friseur, nachher Tanzlehrer; später gründete ich ein Erziehungsinstitut für junge Ladies; als das aufhörte, griff ich zur Ziehharmonika und wurde wandernder Musikant. Seitdem habe ich mich noch in zehn bis zwanzig andern Branchen rühmlichst hervorgethan. Ich habe das Leben und die Menschen kennen gelernt, und diese Kenntnis gipfelt in der Erfahrung, daß ein gescheiter Kerl kein Dummkopf sein darf.

Diese Menschen wollen betrogen sein; ja, man thut ihnen den größten Gefallen, und sie sind außerordentlich erkenntlich dafür, wenn man ihnen ein X für ein U vormacht. Besonders muß man ihren Fehlern schmeicheln, ihren geistigen und leiblichen Fehlern und Gebrechen, und darum habe ich mich auf diese letzteren gelegt und bin Arzt geworden. Hier seht Euch einmal meine Apotheke an! [...] Was Ihr da seht, ist alles weiter nichts als ein klein wenig Farbe und ein bißchen viel Wasser, Aqua genannt. In diesem Worte besteht mein ganzes Latein. Dazu habe ich mir die übrigen Ausdrücke selbst fabriziert; sie müssen möglichst schön klingen. Und so seht Ihr hier Aufschriften wie: Aqua salamandra, Aqua peloponnesia, Aqua chimborassolaria, Aqua invocabulataria und andre. Ihr glaubt gar nicht, welche Kuren ich mit diesen Wassern schon gemacht habe, und ich nehme Euch das gar nicht übel, denn ich glaube es selbst auch nicht.

Die Hauptsache ist, daß man die Wirkung nicht abwartet, sondern das Honorar einzieht und sich aus dem Staube macht. Die Vereinigten Staaten sind groß, und ehe ich da herumkomme, können viele, viele Jahre vergehen, und ich bin inzwischen ein reicher Mann geworden. Das Leben kostet nichts, denn überall, wohin ich komme, setzt man mir mehr vor, als ich essen kann, und steckt mir, wenn ich gehe, auch noch die Taschen voll. [...] Der Glaube thut alles. Meine Patienten glauben an die Wirkung meiner Medizin und werden gesund davon. Ist das Betrug?«
(Karl Mays Werke: Der Schatz im Silbersee. KMW-III.4, S. 250-252) zusätzliche Absätze von mir.)

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 1.8.2010, 15:25
von rodger
tragophil hat geschrieben:Ich tendiere da zu einem noch ganzheitlicheren Ansatz. Wie hieß es beim Waldröschen so schön? "Ein Enthüllingsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft"...
Das meinte ich ja, da sind wir uns einig:
So ist der Satz zu verstehen, „Das Karl May-Problem ist das Menschheitsproblem“, er hat durch sie alle durchgeguckt, weil er durch sich selber durchgeguckt hat … ich muß in dem Zusammenhang immer an Samuel Hahnemann denken, den Begründer der Homöopathie, nicht weil ich über Homöopathie sprechen will sondern weil der Vergleich im übertragenen Sinne passt: Hahnemann hat all die Arzneimittelreaktionen an sich selber ausprobiert, um sich ein Urteil erlauben zu können … und May hat halt seine Pappenheimer gekannt, weil er sich selber kannte …
(Das hat Thomas Math übrigens offenbar nicht verstanden, daß es nicht um Hahnemann ging, sondern um die Übertragung eines Prinzips, das ich anhand dessen Beispiels am besten verdeutlichen zu können meinte.)
tragophil hat geschrieben:Verblüfft hat mich aber in diesem Kontext einmal eine vermeintliche Randepisode im Silbersee.
Eine sehr interessante Episode. Vom ganzen "Schatz im Silbersee" das, was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist. Solche Stellen sind das Salz in der Suppe bei Karl May ... der "gemeine Freilichtbühnenbesucher" ahnt freilich dank entsprechender Vermarktung gar nichts von der Existenz solcher Stellen.
tragophil hat geschrieben:die Stelle, die mich aufhorchen ließ, weil sie zugleich aufzeigt wie sich jemand etwas schönredet und dabei zugleich mit sich selber ins Gericht geht:
Sehr gut beobachtet.
Ein Enthüllingsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft
Ja, so ist das. Das ist wörtlich zu nehmen und ernst zu nehmen und gilt für's Gesamtwerk. Aber das versteht ja kaum jemand, man sieht halt nur die dick aufgetragene kitschig wirkende Formulierung und guckt nicht dahinter ... Die Leute, die meinen, 'Waldröschen' oder Karl May überhaupt verkaspern und persiflieren zu müssen, legen ja nur Zeugnis ab von ihrer eigenen Überforderung ...

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 1.8.2010, 16:23
von markus
Zufällig habe ich gestern Abend wieder angefangen (vor vier Jahren das erstemal) "Das Waldröschen" zu lesen (jetzt wo ich den Roman fast komplett (2 Bände fehlen noch) in der HKA vorliegen habe, ists auch einfacher und bequemer, als noch vor vier Jahren "online" und zwischendurch ausdrucken). Und beim zweiten Mal liest es sich gleich anders, nicht besser oder schlechter, sondern nur anders. Doch der Anfang im Schloß Rodriganda ist immer noch stark geschrieben.

8)

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 2.8.2010, 10:57
von rodger
Ein Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft
Gleichzeitig ist das "Waldröschen" natürlich auch Kitsch, Schmarren, Kolportage, voller Längen ... wohlgemerkt: gleichzeitig, auch ... Das schließt sich eben nicht aus. Das ist der "Witz" bei Karl May. Banalität & Tiefsinn, Schmiererei & Welttheater. ("Alles in einer Person", Zitat Hanns Dieter Hüsch über seinen Onkel, also in völlig anderem Zusammenhang, fällt mir aber trotzdem gerade ein weil sehr passend.)

Übrigens ist mir gestern durch den Beitrag tragophils überhaupt zum ersten Mal aufgefallen, daß dieser albern klingende Spruch
Ein Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft
durchaus zutrifft, das Beispiel aus dem "Schatz im Silbersee" half, der Spruch paßt wie gesagt auch eher zum Gesamtwerk als nun gerade speziell zum "Waldröschen". Dort paßt er aber auch.

Re: Karl May: Auseinandersetzung mit sich selbst ...

Verfasst: 2.8.2010, 14:43
von markus
rodger hat geschrieben:Gleichzeitig ist das "Waldröschen" natürlich auch...voller Längen ...
Habe gestern weitere ca. 150 Seiten gelesen und muß sagen, den Inhalt dessen hätte er auch gut und gerne in 30 Seiten unterbringen können. Aber er war ja jung und brauchte das Geld... :lol:

Obwohl, später als er unter Fehsenfeld keine Geldsorgen mehr hatte, hat er das ja (zwar nicht ganz so krass) weiter betrieben. Ist jemanden schon mal aufgefallen, daß es bei May, außer bei den Jugenderzählungen, wenige Romane und Erzählungen gibt als Einzelbuch (also 1 Buch=1 Roman)? Entweder sind es Sammelbände mit mehreren Erzählungen, oder es sind Fortsetzungsromane über mehrere Bände hinaus. Bei den 33 Fehsenfeld'schen Reiseerzählungen sind es nur "Weihnacht", "Am Jenseits" und "Und Friede auf Erden". Interessant.

8)