Wertungen, Sym- und Antipathien, Verständnis ...

Antworten
Benutzeravatar
rodger
Beiträge: 6992
Registriert: 12.5.2004, 18:10
Wohnort: Oberhausen

Wertungen, Sym- und Antipathien, Verständnis ...

Beitrag von rodger »

@Markus (Thread „Blindheit“; Beitrag vom 10.6., 22.11 h)

Jetzt wirst Du mir / wird es mir zu philosophisch … („Sie werden lachen ich mein' es ernst“ …) (aber ich halte noch 'ne Runde mit …) (aber stören wir nicht die medizinisch geprägte Debatte um blind und doch sehend …)

Ok, wenn man so will, sind Wertungen letzten Endes immer Unsinn, aber so weit sind wir halt noch nicht … Mir persönlich ist einiges an Karl May durchaus UNSYMPATHISCH, jawohl, und das schließt wiederum nicht aus, daß ich den Mann LIEBE (wem das zu pathetisch klingt, ok: er liegt mir. Reichlich[st].)

Auch wenn ich z.B. selber opportunistisch mich verhalte, im Beruf vielleicht, muß das dann heißen daß ich das auch in Ordnung finde ? (Nein, muß es natürlich nicht, die Frage ist rein rhetorisch). Alles verstehen muß auch keineswegs alles verzeihen heißen, man kann z.B. die Menschen vielleicht außerordentlich gut verstehen, sie aber trotzdem oft und zu großen Teilen einfach zum K….. finden. Howgh. (Wenn einer z.B., vergleichbar mit Hahnemann (Begründer der Homöopathie), der seine Mittel alle gut beurteilen konnte, weil er sie an sich selbst ausprobierte, die Menschen durchschaut weil er all die Züge und Eigenschaften, die er da so sieht, von sich selber her kennt, muß er sie nicht unbedingt mögen … („Den Hals umdrehen könnt’ ich ihnen allen“ soll der späte Freud gesagt haben, das verstehen wir … was einen im Außen stört, egal was es auch immer sein mag, sind indes oft Dinge, die man an sich selber nicht mag, vielleicht, ohne sich dessen bewußt zu sein ...))

(Der nächste Schritt wäre, die Wertungen zu überwinden, klar, aber wie gesagt, so weit sind wir noch nicht, s.o. … Und die meisten sind ja noch nicht einmal fähig oder willens oder auch beides, wirklich genau hinzugucken, bei anderen geschweige denn bei sich selber ...)

Ja, er war AUCH ein guter Kerl, unser Karl, mit einem riesengroßen Herzen, wem sagst Du das. Und er war AUCH ein durchtriebener kleiner Halunke, wie wir alle (nur sind wir uns halt in sehr unterschiedlichem Ausmaß dessen bewußt … der Mutter Theresa soll es auch bewusst gewesen sein, das erfuhr man nach ihrem Ableben, wodurch sie posthum richtig interessant wurde …)
Er hat nie jemand ernsthaft vorsätzlich schaden wollen, er ging nur mit denen hart ins Gericht bei denen es angebracht war,
Das ist übrigens m.E. ein sehr gutes Kriterium; Härte schadet überhaupt nichts, auch bei denen nicht, denen man im Grunde wohlgesonnen ist, aber beim „vorsätzlichen schaden“ ist tatsächlich der kritische Punkt erreicht … und Karl May hat auch den gelegentlich überschritten (auch das ist menschlich und verständlich …).
Ich sage auch, May hätte uns nicht mit seinen Erzählungen so erfreuen können, wäre er immer in allen Lebenslagen objektiv gewesen
Dochdoch, das hätte er schon … In „Schamah“ z.B. dürfen wir das ansatzweise miterleben. Wenn wir erkennen, daß er dort mit dem Jungen sich selber meint …

Das ist wirklich sehr schön, dieses „Schamah“ … und passt zu dem, was Du geschrieben hast. Ich zitiere mal aus (m)einer Textbesprechung
Es menschelt kräftig in dieser späten Geschichte von 1907, und entspannte Lebensfreude sowie Lust an kleinen Lausbübereien und Burschikositäten ist dem Altmeister trotz aller widrigen Lebensumstände gottlob immer noch nicht vergangen. - Und als Esoteriker und Psychologe, der er im Alter zunehmend war, zeigt er sich auch, und das nicht zu knapp („Wir Menschen machen nur allzuoft den Fehler ganz natürliche Dinge mystisch zu behandeln“ …“Unsere Seele steht mit ganz andern Welten in Verbindung als unser Körper.“)

*

„Blut um Blut, Auge um Auge, Zahn um Zahn! Das hatte im Altertum seine guten Gründe, mag sie bei gewissen wilden Völkern auch in der Gegenwart noch haben, ist aber unter zivilisierten Verhältnissen nicht nur verwerflich und sträflich, sondern einfach lächerlich.“

Karl May wusste das, vor annähernd hundert Jahren, wir heutigen scheinen noch nicht so weit zu sein, oder wieder weiter davon weg.

Und das ist auch nicht übel:

„Aber er lacht nicht mehr und prügelt auch nicht mehr, und das ist beides falsch!“

*

„Der Vater sagt: Er ist der "Auserwählte" der Mutter; die sieht ihm alles nach; aber er hat Talent zum Künstler und wird ein großer Mann. Die Mutter sagte immer: Er ist der "Auserwählte" des Vaters; der sieht ihm alles nach; aber er hat Talent zum tapferen Helden und wird ein großer Mann. Und der Lehrer, zu dem ich in den Unterricht gehe, der sagt stets: Er ist der "Auserwählte" seines Vaters, seiner Mutter und seiner ganzen Verwandtschaft; die sehen ihm alles nach; aber er hat nicht das geringste Talent zu irgend etwas Großem und ist nur zum Handel und Schacher und zum Vexieren bestimmt. So, nun weißt du es, Effendi!“

»Den Vater habe ich lieb, die Mutter habe ich lieb; aber sie haben beide unrecht. Den Lehrer habe ich nicht lieb, aber er hat recht.«

Da konnte ich nicht anders: Ich zog den Jungen an mich und küßte ihn auf die frei von Farbe gebliebene Stirn. Das Herz wollte mir überquellen, und ich sah, daß auch meine Frau tief innerlich ergriffen war; ihre Augen feuchteten sich. Es war ein geradezu heiliger Augenblick. Und Mustafa Bustani saß neben mir, sah uns lächelnd an und hatte nicht die geringste Ahnung von der tiefen Reinheit, der keuschen Offenheit und dem packenden Zauber der Kindesseele, die uns soeben offenbart worden war.

*

Karl May meint mit dem zitierten Kind sich selbst, wie im Laufe der Geschichte unschwer zu erkennen ist, und hinsichtlich des Textes kann ich mich seinen Worten „Das Herz wollte mir überquellen“ nur anschließen.

[…] geht es um Menschlichkeit, Weisheit und Erkenntnis, Läuterung und Reifung, inneres Wachstum, um Esoterik und Psychologie. Aber lassen wir doch noch einmal Karl May sprechen:

„ ... das Lied von Christus, der Blinde sehend macht und Tote wieder lebend. Es kommt mir wie eine Profanation vor die Arten dieser Blindheit und dieses Todes durch Worte anzudeuten. Solche Dinge muß man fühlen; ich aber habe nicht zu belehren, sondern nur zu erzählen.“
Dem ist nun wirklich bei aller Geschwätzigkeit ("Schreibseligkeit" ...) nichts mehr hinzuzufügen ...

:wink:
Antworten