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Karl Mays Glaubwürdigkeit

Verfasst: 28.1.2006, 9:45
von rodger
Über Karl Mays „Ein wohlgemeintes Wort“ habe ich unter www.karl-may-buecher.de folgendes geschrieben:

Wenn Karl May als Moralist mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, wird es meistens eher unangenehm. Bei den Marienkalendergeschichten oft peinlich und abstoßend, hier eher etwas albern. Beschreibt er doch zum großen Teil sich selbst, die eigene Kolportage und Schwarzweißmalerei, und ich denke, das ist ihm auch völlig bewusst.

In der Vorbemerkung in Band 79 heißt es, der Text sei „keineswegs als Heuchelei zu werten“. Das sehe ich durchaus anders. Zwar war Karl May wohl bewusst, dass die Lektüre von Ritter- und Räuberromanen auch auf seine frühe Entwicklung einen negativen Einfluß ausgeübt haben wird, er schreibt das ja auch in „Mein Leben und Streben“, aber ich denke, hier nimmt der Kommentator, der darauf hinweist, ihn zu ernst. Karl May hat mit den Dingen auch kokettiert, und dass er das alles nicht so bitter ernst nimmt, zeigt auch der in diesem Text immer wieder durchdringende sarkastische Humor eigentlich aufs deutlichste.

Er war ein Spieler (im weitesten Sinne), und er hat sich literarisch auch sozusagen prostituiert; der Kolportageverleger bekam Mord und Totschlag geliefert, der katholische „Hausschatz“ bzw. die Marienkalender-Fritzen erbauliche religiös verbrämte Geschichten. „Wer am meisten bezahlt, der bekommt uns“ sagte später sinngemäß sein „Erzfeind“ Lebius und hielt ihm damit, wenn man so will, eigentlich nur einen Spiegel vor. In ihm begegnete Karl May gleichsam einer Manifestation von Eigenschaften, die er selber in hohem Maße lebte, und die ihn nun auf ebenso unangenehme wie lehrreiche Weise einholen sollten.

Ich sehe in diesem Text einen augenzwinkernden Hallodri am Werk, der sich nicht schämt, mit den Dingen auf eigentlich ziemlich schamlose Weise zu spielen, und sich klammheimlich darüber freut, den Zeitungsredakteur letzten Endes nach Kräften hereingelegt zu haben. Aber, wie oben angerissen, das kann sich rächen im Leben.

*

Und wenn den Herrschaften, die unbedingt nur den guten, lieben, frommen, sich läuternden, edel aufstrebenden Karl May sehen wollen, mein Wort nicht gewichtig genug ist, bitteschön, dann komm’ ich ihnen gern mit Walther Ilmer, der dürfte vielleicht anerkannt genug sein:

>Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein< durchzieht als Motto die ganze Erzählung. Wieder und wieder lässt May sein von diesen Worten getragenes Gedicht im Text erscheinen, wird nicht müde, es den Menschen auf Erden ans Herz zu legen. Er selbst gab keine Liebe. Er gab Täuschung, Betrug, Verrat. Im Manuskript war er der Biedermann, der Vermittler einer alles Irdische wohlgefällig einenden Philosophie; wenn er in den Spiegel sah, starrte ihm der >Kupferstecher Hermes< entgegen, der im Angesicht der Leipziger Thomaskirche, dem Wahrzeichen der Gottesmacht, schimpfliche Büberei beging an arglosen Mitmenschen.

(über „Et in terra pax“ und den Scheidungskrieg, in „Hehres Anliegen im Zwielicht“, Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2002, S. 61)

Verfasst: 4.2.2006, 0:37
von Ekkehard Bartsch
Lieber Herr Wick,

Sie empfinden es als "eher unangenehm", wenn Karl May "als Moralist mit erhobenem Zeigefinger" daherkommt, und im Falle des Aufsatzes "Ein wohlgemeintes Wort" sogar als "etwas albern". Ich muß gestehen, daß ich dagegen in Ihren verschiedenen Stellungnahmen viel mehr immer wieder den erhobenen Zeigefinger entdecke. Was immer Karl May gesagt oder geschrieben hat, es wird mit moralischen Zensuren versehen.

Den Text "Ein wohlgemeintes Wort" empfinden Sie als Heuchelei, da Karl May gleichzeitig begonnen hatte, selbst Kolportageromane zu schreiben. Nun gibt es ja überzeugende Gründe zu der Annahme, May habe diesen Aufsatz schon um 1875/76 geschrieben, parallel zu den "Geographischen Predigten" und den belehrenden Aufsätzen für "Schacht und Hütte" (vgl. Wohlgschaft, Bd. I, S. 534 ff.), und er wurde dann erst im Stolpener Kalender 1883 abgedruckt. Dann könnte man sagen, May habe damals hehre literarische Ziele verfolgt, denen er später nicht immer treu geblieben sei. Aber ist das wirklich der Fall?

Was Karl May in seinem Aufsatz vor allem anprangert, das sind die Gefahren, die von Lektüre dieser Art ausgehen könnten, wenn deren Inhalt geeignet ist, das Rechtsempfinden des Lesers zu verwirren, wenn er durch die massenhafte Lektüre solcher Romane viele "falsche Lebensanschauungen eingesogen" habe und deshalb in Gefahr komme, auf die schiefe Bahn zu geraten. Aber gerade diese Gefahr erblicke ich in keiner Weise in Karl Mays Münchmeyerromanen. Vielmehr meine ich, Mays Kolportageromane waren in vieler Hinsicht durchaus geeignet, für das ganze Genre neue Maßstäbe zu setzen. Sicher findet sich bei ihm auch einiges von dem wieder, was er in seinem Aufsatz angeprangert hat, etwa die überragenden Heldengestalten. Obwohl sie gar so überragend bei näherem Hinsehen auch wieder nicht sind. Immerhin ist Karl Sternau mit seinen Freunden zweimal tollpatschig in die Falle getappt und ist jahrelang seinen schlimmsten Feinden ausgeliefert; nur mit Hilfe von außen kann er befreit werden. Und Gebhardt von Königsau ist 16 Jahre lang im unterirdischen Kerker seines Todfeindes Richemonte eingesperrt.

Was das literarische Niveau dieser Romane betrifft, so erübrigt sich jede Diskussion. Sie sind auf ihre bestimmte Lesergruppe zugeschnitten. Aber vom Inhalt her ragen Sie über viele vergleichbare Erzeugnisse dieses Genres hinaus. Ich habe mal zwei andere Kolportageromane aus jener Zeit gelesen: "Die Waldmühle an der Tschernaja" von Gustav Berthold, ebenfalls aus dem Münchmeyer-Verlag, sowie "Goldröschen oder Das Geheimnis der Kartenlegerin" von Otto Freitag (ein Name, der uns ja in Zusammenhang mit Karl May geläufig ist), erschienen 1888 bei O. Schmidt, New York. Wer sich durch solche Romane hindruchgeackert hat, weiß Karl Mays Münchmeyerromane zu schätzen. Und diese waren ja schließlich auch der Hauptgrund für Adalbert Fischer, 1899 den Verlag zu erwerben. Karl Mays Fortsetzungsromane verraten bei allem Kitsch und mancherlei unfreiwilligem Humor beachtliches Erzähltalent. May hat sich bemüht, Wissen zu vermitteln, etwa in Zusammenhang mit dem mexikanischen Aufstand unter Benito Juarez oder auch mit dem deutsch-französischen Krieg, die durchaus intensives Quellenstudium verraten.

Ihren Versuch, den Lebius-Satz "Wer am meisten bezahlt, der bekommt uns" auf Karl May und seine Schriftstellerei übertragen zu wollen, halte ich für völlig abwegig. Ich meine, May ist sich bei seinen literarischen Zielen nie untreu geworden. Natürlich mußte er sich in seiner Schreibweise jeweils dem betreffenden Lesepublikum anpassen. Für die Leser aus dem gehobenen Bürgertum des "Deutschen Hausschatz" gab's die spannend-belehrenden Reiseerzählungen, auf die Gymnasiasten waren die "Kamerad"-Erzählungen zugeschnitten, in denen sich Hobble-Frank austoben konnte mit seinem prahlerischen Halbwissen, den verdrehten lateinischen Sprichwörtern und Zitaten aus klassischen Balladen. Solche Wortspielereien wären dagegen für die Leser der Kolportageromane völlig sinnlos gewesen; die hätten sie niemals kapiert. Für sie gab er Geschichten, in denen sich die Wünsche und Sehnsüchte der einfachen Bevölkerungsschichten widerspiegelten (nicht nur "Mord und Totschlag", wie Sie behaupten). Und aus heutiger Sicht kann man sogar erkennen, wie diese Romane ein gehöriges Maß an revolutionärem Potential enthalten, einem Aufbegehren "von unten" -: wenn etwa der bürgerliche Lieutenant Kurt Helmers den adelsstolzen Offizieren die Leviten liest oder wenn Trapper Geierschnabel seine Späße mit deutschen Beamten treibt. Und der "Verlorene Sohn", den ich für den beachtenswertesten der fünf Romane halte, ist ja eine einzige Anklage gegen soziale Mißstände der Zeit. Selbst das, was zu Lebzeiten Mays als "abgrundtief unsittlich" angeprangert wurde, wenn etwa die Dienstmädchen in den herrschaftlichen Häusern sozusagen als Freiwild für die jungen Herren betrachtet wurden (Gustel Beyer), kann man aus heutiger Sicht als massive Sozialkritik betrachten. Und wenn der Autor durchaus auch Mitgefühl zeigt für Menschen, die durch unglückliche Umstände auf die schiefe Bahn geraten sind, etwa der junge Wilhelm Fels oder der Graveur Herold im "Verlorenen Sohn", so sieht man hinter solchen Personen auch immer den Menschen Karl May, der ein Stück der eigenen Biographie aufarbeitet.

Jedenfalls kann ich nicht feststellen, Karl Mays Glaubwürdigkeit habe gelitten, nur weil er sich in seiner Schreibweise den verschiedenen "Zielgruppen", wie es heute - etwas abgeschmackt - in der Werbebranche heißt, angepaßt hat. Und der Aufsatz "Ein wohlgemeintes Wort" ist zwar hier und da durchaus mit augezwinkerndem Humor geschrieben, aber nicht von einem "Hallodri", der sich darüber freut, einen Zeitungsredakteur hereingelegt zu haben (denn wenn's wirklich ursprünglich für "Schacht und Hütte" gedacht war, da war er der Redakteur ja selbst). Die Forderungen und Warnungen waren durchaus ernst gemeint.

Ach, lieber Herr Wick, was sollen denn zum Schluß noch diese Seitenhiebe auf den "guten, lieben, frommen, sich läuternden, edel aufstrebenden Karl May"? Sie bringen da als Beweis für Karl Mays Unglaubwürdigkeit ein Zitat von Walther Ilmer aus dem Jahrbuch der KMG 2002, aus Ilmers Rigi-Vortrag vom 22. September 2001. Ich war bei dem Vortrag auf der Rigi, und ich wünschte, alle Zuhörer hätten die erregte Diskussion auf der Bus-Rückfahrt nach Luzern miterlebt, als Ilmer sich sehr mühsam mit den Gegenargumenten von Zuhörern und besonders von Zuhörerinnen seines Vortrags auseinanderzusetzen versuchte.

Ich kannte Walther Ilmer seit vielen Jahren und schätzte ihn immer als sehr liebenswürdigen und geistvollen Menschen. Auch seine Jahrbuch-Aufsätze sind stets anregend zu lesen, auch wenn man bei den Werkinterpretationen nicht immer seinen bunten Assoziationen folgen kann. Seine Sicht des Themas Emma / Klara freilich hatte sich bei ihm im Laufe der Zeit regelrecht zu einer fixen Idee ausgeprägt, die ihren extremsten Ausdruck im Rigi-Vortrag fand. Die erwähnte Diskussion auf der Bus-Rückfahrt bestärkte mich dann in meinen Vorbehalten gegen Ilmers Darstellung, und mittlerweile gibt es ja diverse andere, sehr differenzierte Untersuchungen zu dem Thema. Immerhin meine ich, die Tatsache, daß Ilmers Vortrag ins Jahrbuch 2002 aufgenommen wurde, kann als Zeichen für Toleranz der Jb.-Redaktion auch gegenüber extremen Ansichten gewertet werden (in der Vergangenheit wurden da ja verschiedentlich Vorwürfe wegen angeblichen Meinungs-Monopols laut).

Aber wie auch immer Ilmers Betrachtung des Themas Emma / Klara zu bewerten ist, geradezu aberwitzig finde ich den von Ihnen zitierten Schlusssatz Walther Ilmers. Karl May sei nicht berechtigt, im Jahre 1901 Liebe und Völkerversöhnung zu predigen, denn immer wenn er in den Spiegel schaue, blicke ihm der Mann entgegen, der 1865 in der Rolle des Kupferstechers Hermes arglosen Menschen übel mitgespielt habe. Das würde ja bedeuten: wer irgendwann mal im Leben straffällig geworden ist, hat für alle Zeit das Recht verspielt, moralische Forderungen zu stellen. Eltern, Lehrer, Erzieher dürften dann Kindern niemals ethische Werte wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Treue beibringen, wenn sie beim Blick in den Spiegel sich jedesmal sagen müßten, daß sie als Jugendliche vielleicht auch gelegentlich über die Stränge schlugen...

Mit dem Ilmer-Zitat haben Sie ja im Hinblick auf das Thema "Glaubwürdigkeit" den großen Sprung gemacht vom frühen Karl May der 70er und 80er Jahre zum Altersjahrzehnt. Zu jenen Jahren, als er ernsthaft versuchte, die Old-Shatterhand-Legende zu überwinden und einen neuen Weg zu sich und seinem literarischen Schaffen zu finden. Vieles war und ist widersprüchlich bei diesem Mann, und er war gewiß kein Säulenheiliger. In einem früheren Beitrag schrieben Sie mal:
Ich sage ja auch nicht, dass Karl May grundsätzlich lügt, aber ich sage, dass man bei ihm leider nie weiß, ob er gerade die Wahrheit spricht oder eben nicht.
Das ist ja nun eine Binsenweisheit. Denn bei welchem anderen Menschen wissen Sie das denn sonst mit absoluter Sicherheit? Gewiß hat Karl May, wenn es um autobiographische Äußerungen geht, manches verschleiert, hat sich zum Beispiel nur mühsam und in einem quälenden Prozeß dazu durchringen können, die Vorstrafen zuzugeben. Wer breitet schon etwas, das er für längst überwunden hielt, gern vor einer breiten Öffentlichkeit aus? Richtungweisend für die Behandlung dieses Themas war für mich ja immer der Aufsatz von Karl-Hans Strobl "Scham und Maske", erstmals abgedruckt im Karl-May-Jahrbuch 1921 und dann später von 1958 bis 1991 enthalten im Anhang zu Bd. 34 "Ich". Auch was Ludwig Gurlitt in seinem Buch zu dem Thema "Lüge" sagt, ist bedenkenswert und überzeugend.

Karl May befand sich in den Jahren ab 1901 in einer regelrechten Notwehr-Situation. Alles Gute und Edle, nach dem er strebte und das er seinen Lesern vermitteln wollte, wurde ihm in hämischen Zeitungsartikeln abgesprochen. Leider war er in der Abwehr dieser Angriffe nicht immer sehr geschickt. Mißgriffe wurden ihm erneut zum Verhängnis, er verrannte sich mehr und mehr in eine verzweifelte Verteidigungs-Position, die manches, was er in dieser Zeit zu Papier brachte, schief und unglaubwürdig wirken läßt. Es ist leicht, heute aus dem Abstand von hundert Jahren und aus einem Kenntnisstand über Mays Biographie heraus, den er selbst vielleicht gar nicht so in allen Einzelheiten besaß, ihm diverse Lügen und unrichtige Darstellungen nachweisen zu wollen. Aber die grad in diesem Forum vorgebrachte Behauptung, Karl May habe grundsätzlich gelogen, nur hier und da könne man mal ein Körnchen Wahrheit herausfischen, halte ich für falsch und ungerecht.

Es lebt niemand mehr, der Karl May persönlich kennengelernt hat. Wir sind heute auf schriftliche Zeugnisse angewiesen. Und da gibt es ja nun etliche Zeugnisse von Menschen, die Karl May besucht haben, die einen Eindruck von seiner Persönlichkeit gewonnen haben. Sie alle legen Zeugnis ab von seiner Glaubwürdigkeit als Mensch, auch im Hinblick auf sein Denken und Wollen, auf seine idealistischen Ziele (so weltfremd sie aus heutiger Sicht manchmal auch erscheinen mögen). Den Erlebnisbericht von Euchar Albrecht Schmid haben Sie ja neulich bereits als "altbacken-bieder-kitschige Schriften" abgetan. Aber da ist zum Beispiel noch der spätere Wiener Burgschauspieler Amand von Ozoroczy, der als junger Mann von 22 Jahren im August 1907 Karl May besuchte. In seinem Aufsatz "Karl May und der Friede" (Karl-May-Jahrbuch 1928) erzählt er (S. 68) von dem Spaziergang mit Karl May durch die Radebeuler Lößnitzberge und von den Gesprächen mit dem Schriftsteller. Und in Karl Mays Gästebuch trug er sich ein mit den Worten:
Mit Karl May zwei Tage zu leben, ist mehr, bringt mehr und macht größer als ebensoviele Jahre des gewöhnlichen Lebens! Ich bringe viel nach Hause mit; wollte Gott, ist könnte es wiedervergelten.
(zitiert nach "Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Karl-May-Biographie", Nr. 12/1966).
Und wenn Karl Mays Rechtsanwalt, Justizrat Erich Sello, der wirklich auch mit den Schattenseiten Mays vertraut war, mit der Bitte an Ludwig Gurlitt herantrat, sich publizistisch für den Schriftsteller einzusetzen, so hatte das sicherlich nicht nur prozessuale Gründe. Dies gilt noch mehr für den gegnerischen Anwalt Oskar Gerlach, der nach Mays Tod in seinem viel zitierten Gedicht bekannte: "Doch schlug mein Herz dir heimlich hundertfach...". Waren das alles wirklich nur Ignoranten, die einem geschickten Schwindler auf den Leim gegangen sind? Die "Glaubwürdigkeit" Karl Mays, um auf Ihren Forum-Eintrag zurückzukommen, war den Zeitgenossen doch wohl überzeugender als manchem, der sein Wissen heute nur aus schriftlichen Quellen schöpft. Gewiß läßt sich vieles in Karl Mays Selbstdarstellungen korrigieren und präzisieren, was sicher auch für die Autobiographie "Mein Leben und Streben" gilt. Aber sie in Bausch und Bogen als Quellenwerk von nur zweifelhaftem Wert abzutun, wäre sicher der falsche Weg zur Wahrheitsfindung.

Mit besten Grüßen
Ekkehard Bartsch

Verfasst: 4.2.2006, 1:47
von rodger
Was wollen Sie mir eigentlich erzählen ?
da Karl May gleichzeitig begonnen hatte, selbst Kolportageromane zu schreiben.
Ob er sie davor, danach oder gleichzeitig schrieb, darauf kommt es nicht an.
(nicht nur "Mord und Totschlag", wie Sie behaupten).
Argumentieren Sie doch bitte nicht so undifferenziert.

Ihre positiven Anmerkungen zu den Koloprtageromanen, die ich in weiten Teilen völlig teile, stehen für mich in keinerlei Widerspruch zu der These, dass Lebius und May so weit voneinander entfernt nun auch wieder nicht waren. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.

Ich habe den Eindruck, wir reden völlig aneinander vorbei, bzw., Sie verstehen mich überhaupt nicht, oder wollen das, was ich meine, gar nicht sehen.
Das würde ja bedeuten: wer irgendwann mal im Leben straffällig geworden ist, hat für alle Zeit das Recht verspielt, moralische Forderungen zu stellen. Eltern, Lehrer, Erzieher dürften dann Kindern niemals ethische Werte wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Treue beibringen, wenn sie beim Blick in den Spiegel sich jedesmal sagen müßten, daß sie als Jugendliche vielleicht auch gelegentlich über die Stränge schlugen...
Da haben Sie nun offensichtlich weder Ilmer noch mich verstanden. Ich bin restlos verblüfft, dass Sie das so simpel interpretieren. Da war er wieder, der Kupferstecher, der einst in Leipzig und auch Jahrzehnte später auch immer noch in ihm war, und der, gegebenenfalls, bedenkenlos mit den Menschen spielte, sie manipulierte, kalt und berechnend, AUCH, nicht NUR !!!, so ist das, in etwa, gemeint. - Wenn das auch die illustre Bus-Gemeinschaft in der Schweiz nicht begriffen hat, dann ist das deren Problem. Besser als Ilmer es getan hat, kann man es nicht formulieren.
Den Erlebnisbericht von Euchar Albrecht Schmid haben Sie ja neulich bereits als "altbacken-bieder-kitschige Schriften" abgetan.
Sie argumentieren sehr unpräzise, was sich schon in „Erlebnisbericht“ (Singular) und „Schriften“ (Plural) zeigt. Ich kenne diesen Erlebnisbericht gar nicht, nur das Zitat daraus. Ich wollte sagen, dass diejenigen Schriften des Herrn Euchar Albrecht Schmid, die ich – flüchtig – kenne, auf mich alle teilweise etwas altbacken, bieder und kitschig wirken, und mich nicht überzeugen können. Das geht mir aber z.B. bei der Neujahrsansprache des Bundespräsidenten auch nicht unbedingt anders. Ich finde es überhaupt etwas merkwürdig, mit goldenen Worten und Gästebucheintragungen zu argumentieren.

Menschenskind, Herr Bartsch, Sie kommen ausgerechnet mir mit dem Gerlach-Text ! Was meinen Sie, wie rührend, wie hochinteressant, wie beeindruckend ich die Sache mit Gerlach finde ! Ich habe mich seinerzeit in Foren dezidiert dazu geäußert. Ich verlange ja gar nicht, dass Sie das wissen, aber ich sehe, Sie haben mich, bzw., das, worum es mir ging, wirklich überhaupt nicht verstanden.

Lebius ist kein Bilderbuch-Teufel und May kein Säulenheiliger.

Karl May steht mir nahe wie kein Mensch sonst, meine Lebensgefährtin freundlicherweise ausgenommen.

Das hindert mich nicht, mir den Mann ganz genau anzuschauen und hemmungslos offenzulegen, was mir so auffällt. Das hat mit Moralisieren und Zeigefinger überhaupt nichts zu tun. Ich habe mich oft genug und immer wieder aufs äußerste positiv geäußert und tue das auch immer wieder, aber mit den unangenehmen Wahrheiten oder meinetwegen Ansichten werden Sie und andere auch weiterhin leben müssen.

Ich liebe Karl May. Das hindert mich nicht, zu erkennen, was für ein, das Tier das grunzt darf ich hier vermutlich nicht hinschreiben, was für ein fürchterlicher Mensch er auch sein konnte.

Gute Nacht.

Verfasst: 4.2.2006, 9:31
von rodger
E. Bartschs persönlich an mich gerichteter Beitrag und meine nicht allzu freundliche Antwort darauf haben mich bis in Schlaf und Träume begleitet und die Nachtruhe auf ein paar Stunden verkürzt.

Sein Beitrag ärgert mich. Ich fühle mich genötigt, mich zu rechtfertigen, nur weil andere Dinge, die so schwierig nun eigentlich nicht sind, nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Wenn Herr Bartsch sich im Unklaren darüber ist, wie ich Karl May finde, braucht er z.B. nur einen Blick auf meine Internetseite werfen.

Von „über die Stränge schlagen“ zu reden, zeigt schon in der Wortwahl das [latente] Bedürfnis nach Schönfärberei, Verharmloserei und Unter-den-Teppich-kehren.

Ich war nicht dabei in dem Bus in Luzern. Gottlob. Mein Bedürfnis nach Zusammenkünften dieser Art schwindet auch immer mehr gegen Null. Das, was Herr Bartsch von dieser Fahrt erzählt, bestätigt nur meinen Eindruck, dass man es in KMG-Kreisen oft mit einer biederen Altherren-Mentalität zu tun hat, unbelehrbare Veteranen fallen mir ein, oder Heimat-Vereine. Nur nicht am Idol kratzen, immer hübsch alles Unbequeme unter den Teppich kehren oder Schönreden. Walther Ilmer steht gottlob turmhoch über solchen Erscheinungen.

Seien wir doch Lebius und Gerlach dankbar, dass sie auf ihre freilich unbequeme Weise dazu beigetragen haben, Karl May vor dem völligen Versinken in Hochmut und Größenwahn zu bewahren, und ihm, zumindest der eine ganz ohne es zu wollen, geholfen haben, auf dem Weg der Erkenntnis und Läuterung voranzukommen.

Im übrigen ist es ja irgendwie rührend, zu erkennen, dass Herr Bartsch und ich beide Karl May offenbar lieben, und uns beiden das Thema eine Herzensangelegenheit ist. Nur äußert sich bei dem einen so und bei dem anderen ein wenig anders.

:wink:

Verfasst: 4.2.2006, 11:16
von Hermann Wohlgschaft
Lieber Herr Bartsch, Ihre Entgegnung auf Rüdiger Wick finde ich perfekt. Besser kann man das alles nicht sagen, Ihren Ausführungen ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen, ich kann Ihnen nur danken!

Lieber Herr Wick, ich habe keine Strichliste geführt, aber ich glaube mich zu erinnern, daß die Klage „Sie verstehen mich nicht!“ in Ihren Beiträgen nicht gerade selten ist. Könnte es nicht auch sein, daß Sie sich – im Eifer des Gefechts – bisweilen ein bißchen mißverständlich ausdrücken? Um nicht schon gleich das nächste Mißverständnis zu provozieren: Viele Ihrer Beiträge sind m.E. hervorragend, aber gelegentlich hauen Sie, so meine ich, ganz schön daneben. Vielleicht liegt es daran, daß Sie oft sehr spontan (innerhalb von 5 Minuten) so ‚aus dem Bauch heraus‘ reagieren? Andrerseits: in einem Diskussionsforum haben Spontanreaktionen ja auch ihren Reiz und ihre Berechtigung. Man muß in einem solchen Forum (das durch den Widerstreit der Meinungen ja erst lebendig wird) nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Auch mir ist, wie Ihnen, Karl May eine Herzensangelegenheit. Schön, daß wir wenigstens hierin übereinstimmen.

Mit besten Grüßen
Hermann Wohlgschaft

Verfasst: 4.2.2006, 12:37
von rodger
Lieber Herr Wohlgschaft,

der eine braucht mehr, der andere weniger Zeit. Ich pflege mir das, was ich schreibe, recht genau zu überlegen und anzugucken, bevor ich es veröffentliche. Die Realität ist sehr komplex, der Versuch, sie zu formulieren, führt regelmäßig zu Missverständnissen, so ist das nun mal. Gelegentlich „haue ich daneben“, da werden Sie wohl recht haben, ich befinde mich diesbezüglich allerdings, wie wir alle, in bester Gesellschaft. „Perfekt“ fand ich Herrn Bartschs Beitrag nicht, sondern vom Ansatz her ärgerlich undifferenziert und simplifiziert.

Ihre Art und Weise, bei aller (teilweisen) Gegensätzlichkeit der Anschauungen objektiv und fair sowie höflich zu bleiben, gefällt mir. Diesbezüglich kann ich noch von Ihnen lernen.

Mit herzlichen Grüßen

Rüdiger Wick

Verfasst: 4.2.2006, 21:54
von Ralf Grosskurth
Allen "Kontrahenten" sei gesagt, daß zumindest ich der Diskussion gerne folge, weil sie in weitestgehend angenehmer sprachlicher Form erfolgt und das eine oder andere Bröckchen an Wissenswertem enthält.

Mal mag ich der einen Seite nicht folgen, mal kann ich mit der anderen Seite nicht übereinstimmen - aber so ist das nun einmal, wenn diskutiert wird.

An alle aber die Bitte: Weiter so!
Zumindest für mich als nur zeitweise hier Vorbeischauendem und leider mit zu vielen anderen Dingen Beschäftigtem, als daß ich mich selbst in angemessener Weise in die Thematik einarbeiten könnte, ist es sehr lesenswert.

Verfasst: 4.2.2006, 22:33
von Dernen
Hallo Ralf!

Da möchte ich Dir absolut zustimmen.

Freut mich, auch mal wieder ein paar Zeilen von Dir zu lesen.

Herzliche Grüße

Rolf

Verfasst: 5.2.2006, 0:42
von Ekkehard Bartsch
Lieber Herr Wick,

wenn mein Forum-Beitrag Sie bis in den Schlaf und in die Träume verfolgt, so war das bestimmt nicht meine Absicht. Ihr Gefühl, daß wir manchmal aneinander vorbei reden, habe ich allerdings mittlerweile auch. Sie antworten ja jeweils sehr schnell und spontan, wobei ich gelegentlich den Eindruck habe, Sie haben meinen Text gar nicht genau durchgelesen. Auf meine Feststellung, daß May für Münchmeyer nicht nur "Mord und Totschlag" habe liefern wollen, antworten Sie barsch: "Argumentieren Sie doch bitte nicht so undifferenziert". Dabei habe ich doch gerade differenziert dargelegt, daß Karl May in seinen Lieferungsromanen möglichst genau das zu vermeiden versucht hat, was er in "Ein wohlgemeintes Wort" angeprangert hatte. Lediglich seine Befürchtung, das massenhafte Lesen würde zu Versäumnissen bei den täglichen Pflichten verführen, dürfte besonders auf seine eigenen Romane zutreffen, denn diese lesen sich halt wesentlich packender als Münchmeyers sonstige Produktion.

Einig sind wir uns in der Einschätzung, daß Karl May kein "Säulenheiliger" war (genau dies schrieb ich in meinem Beitrag). Und auch daß Lebius kein "Bilderbuch-Teufel" war, ist sicher richtig. Jürgen Wehnert belegt das ja in seinem sehr einfühlsamen Vorwort zum Reprint des Lebius-Buches. Trotzdem halte ich es für falsch, das Lebius-Zitat "Wer am meisten bezahlt, der bekommt uns" auf Karl May anzuwenden. Lebius bot an, Karl May in seinem Blättchen zu loben und zu preisen, wenn dieser entsprechend großzügig in die Tasche greife. Und als Karl May ihm das gewünschte Darlehn verweigerte, schlug seine Sympathie ins Gegenteil um, und er ließ nun kein gutes Haar mehr an Karl May. - May hat zwar im Laufe der Jahrzehnte eine – durchaus bedeutsame - literarische Entwicklung durchgemacht, aber er ist seinen ethischen Prinzipien, die er schon in den "Geographischen Predigten" formuliert hatte, insgesamt treu geblieben, selbst - wenn auch auf unterer literarischer Ebene - in den viel gescholtenen Kolportageromanen. Und wenn ihm später etwas gegen den Strich ging, etwa die Tendenz von Kürschners "China"-Prachtwerk, dann schrieb er eben nicht in dessen Sinne. Dabei hätte ein Abenteuerroman in der von Kürschner erwarteten Form sicher beim breiten Publikum wesentlich mehr Begeisterung hervorgerufen als "Et in terra pax".

Was nun das Ilmer-Zitat betrifft, das Sie so vehement verteidigen, so habe ich ihn und auch Sie schon sehr gut verstanden. Es besagt, grob ausgedrückt: Karl May ist sein Leben lang ein Gauner geblieben, der schon mit 23 Jahren (1865) als Kupferstecher Hermes arglose Leipziger Bürger hintergangen hatte und der nun gleichermaßen mit 59 Jahren (1901) mit "Täuschung, Betrug, Verrat" die arme Emma hinterging. Und genau gegen diese Gleichsetzung wehre ich mich.

Walther Ilmer, so sehr ich seine sonstigen Forschungsbeiträge schätze, war von der fixen Idee besessen, Karl May sei schon vor und während der Orientreise unablässig hinter Klara her gewesen (und umgekehrt). Als dann am 14. Februar 1901 Richard Plöhn starb, sei für beide endlich der Weg frei geworden, Emma so schnell wie möglich abzuschieben und massiv auf die Scheidung Karls von Emma hinzuarbeiten. Doch so einfach war's meiner festen Überzeugung nach sicherlich nicht!

Daß eine enge Freundschaft mit Richard und Klara Plöhn bestand, ist unbestritten, mit Klara vor allem im Hinblick auf gemeinsame literarische Interessen. Daß es in der Beziehung zu Emma Krisen gab, ist ebenso bekannt (Reisetagebuch vom 27.7.1900: "O dieses Weib!"). Andererseits gab's für den ersten Teil der Reise auch wieder Zeugnisse großer Sehnsucht: "Das war in Genua für mich ein böses Scheiden..." (Karte an Emma vom 25.4.1899). Auch das wochenlange verzweifelte Warten in Kairo auf Nachrichten Emmas spricht dafür. Und wenn May nach Rückkehr von der Orientreise beim Notar ein Testament hinterlegte, in dem Emma als Alleinerbin eingesetzt war, so spricht das auch nicht grad für Scheidungsabsichten.

Karl May war lange Zeit hin- und hergerissen zwischen alter Anhänglichkeit (über 20 Jahre Ehe lassen sich halt nicht einfach beiseitewischen) und der Erkenntnis, daß diese Ehe imgrunde am Ende war. Und daß Karl May nach Richard Plöhns Tod zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen stand, vereinfachte die Situation sicherlich nicht. Ein bewußtes Hinarbeiten damals auf die Scheidung von Emma halte ich jedoch für sehr unwahrscheinlich. Stattdessen gab es vielfältige (und vermutlich leider oft ungeschickte) Versuche Mays, Emma für sich und sein gewandeltes Verhältnis zum Leben und zu seiner literarischen Arbeit zu gewinnen. Dafür sprechen auch die fast pausenlosen gemeinsamen Theaterbesuche. Mit ihnen wollte sich May einserseits wohl auf seine geplante künftige Arbeit als Bühnendichter vorbereiten; andererseits war's der Wunsch, hierdurch bei Emma Verständnis für seine gewandelte Einstellung zur Literatur zu gewinnen. Beides ging jedenfalls gründlich schief.

Zu den Versuchen, zu Emma zurückzufinden, zähle ich auch das von Ilmer in seinem Buch und dann auch in dem Jahrbuchaufsatz gebrachte May-Zitat aus "Et in terra pax": Karl May habe bei dem erwähnten Abschied in Genua mit seiner Frau vereinbart, sich abends gegenseitig durch das Sternbild des Himmelswagens oder Großen Bären Grüße zuzusenden. Ein Versprechen, das ich für absolut authentisch halte, denn es paßte sehr zur Mentalität Mays. Ilmer behauptet nun einfach freihändig, mit "meine Frau" habe May eindeutig Klara gemeint und dies sei "allemal schnöder Verrat an Emma" gewesen. Nun ist es ja bedenklich, erst eine Theorie in die Welt zu setzen und dann als Beleg für seine Schuldzuweisungen diese eigene Theorie beizuziehen. Ich glaube dagegen, im "Pax"-Text war mit "meine Frau" wirklich Emma gemeint. Es war ein verzweifelter Versuch, alte Zeiten und alte Gefühle zurückzubeschwören. Und selbst die "liebe, reine Seele" war als Streicheleinheit für Emma gedacht. Vielleicht hat er ihr diesen Text damals sogar zu lesen gegeben (wie früher die "Emmeh"-Passagen in "Silberlöwe I" und "Am Jenseits"). Genützt hat es nichts, wie wir wissen.

Zum großen Knall kam es erst im Sommer 1902 bei der ominösen Reise nach Berlin, Leipzig und dann weiter nach Süddeutschland und Südtirol. Und da hat Klara nun tatsächlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, wobei sie mit ihren Mitteln nicht eben zimperlich war, um Karls Trennung von Emma voranzutreiben. Über die Beweggründe läßt sich spekulieren: war's der egoistische Grund, Karl May für sich zu gewinnen, oder war's die Erkenntnis, daß dieser über kurz oder lang an der Beziehung zerbrechen würde (vielleicht von allem etwas)?

Daß ich mit dieser Sicht der Dinge nicht ganz allein dastehe, hatte ich belegen wollen mit der Erwähnung der vehementen Diskussion nach dem Vortrag, bei der Ilmer mit diesen oder ähnlichen Argumenten konfrontiert wurde. Das fordert nun sofort Ihren Spott heraus über die "illustre Bus-Gesellschaft", obwohl Sie selbst gar nicht dabei waren ("gottlob!", wie Sie betonen). Die damals beteiligten jungen Damen werden freilich, sofern sie hier im Forum mitlesen, sehr verblüfft sein, wenn sie erfahren, daß sie nach Ihrer Einschätzung "biedere Altherren-Mentalität" besitzen...

Wenn ich in meinem vorigen Beitrag auf Zeugnisse von Zeitgenossen Mays verwies, dann vor allem im Hinblick auf die Frage nach Karl Mays "Glaubwürdigkeit". Denn von einem Menschen, den man persönlich kennengelernt hat, kann man sich vielleicht doch ein authentischeres Bild machen als von jemandem, den man nur aus schriftlichen Zeugnissen kennt. E.A. Schmids persönliche Erinnerungen an Karl May finden sich (seit 1931 bis heute) im Anhang zu Bd. 34 "Ich" (Kapitel "Mein Weg zu Karl May") und in "Eine Lanze für Karl May" (Kapitel "In eigener Sache"). Wenn ich ferner auf Ozoroczy, Sello und Gerlach verwies, dann nur pars pro toto. Wie ich erfahren habe, sitzt Günther Wüste zur Zeit darüber, mal alle erreichbaren "Zeitzeugenberichte" zusammenzustellen, was ich sehr verdienstvoll finde. Das wird sicher manches im Bild Mays ergänzen.

An Ihrer Wertschätzung für Karl May habe ich keinen Zweifel; sonst würden Sie sich nicht so intensiv mit seinem Werk und seiner Biographie auseinandersetzen. Zugleich glaube ich aber auch zu erkennen, daß Sie ein Vergnügen daran haben, den Hecht im Karpfenteich zu spielen und sich zu amüsieren und zu freuen, wenn die Karpfen (sprich: die "biederen Altherren" und "unbelehrbaren Veteranen") aufgeregt herumschwimmen. Ich selbst werde mich, was Sie sicher erfreuen wird, in nächster Zeit mit ausführlichen Stellungnahmen im Forum zurückhalten. Erstens fehlt mir einfach die Zeit, und zweitens möchte ich nicht Ihrer Nachtruhe schaden, wenn meine Texte Sie bis in die Träume verfolgen.

Mit besten Grüßen
Ekkehard Bartsch

Verfasst: 5.2.2006, 1:55
von Dernen
Lieber Herr Bartsch!

Sie schrieben, speziell an Rüdiger Wick gerichtet:
Ekkehard Bartsch hat geschrieben:Ich selbst werde mich, was Sie sicher erfreuen wird, in nächster Zeit mit ausführlichen Stellungnahmen im Forum zurückhalten. Erstens fehlt mir einfach die Zeit, und zweitens möchte ich nicht Ihrer Nachtruhe schaden, wenn meine Texte Sie bis in die Träume verfolgen.
Da möchte ich Sie doch sehr bitten, dabei zu bleiben. Nicht nur ich bin sehr erfreut, von Ihnen in einem Internetforum öfters zu lesen. Es ist leider die Crux, daß es eine Menge Leute gibt, die nur mitlesen, sich aber selbst nicht äußern, aber mir in dieser speziellen Diskussion signalisiert haben, daß sie Ihre Teilnahme sehr schätzen.

Zur Karl/Emma/Klara-Problematik habe ich eine Frage: Einerseits hörte ich von jemandem, der Mays reale Spuren im Orient verfolgt hat, er habe im Hotel "Mena House" bei den Pyramiden von Gizeh in einem alten Gästebuch den Eintrag "Karl May und Ehefrau" in Klaras Handschrift entdeckt. Nach einer anderen Information sind Gästebücher aus der Zeit von Mays Orientreise gar nicht mehr vorhanden. Gibt es da gesicherte Erkenntnisse?

Viele Grüße

Rolf Dernen

Verfasst: 5.2.2006, 10:44
von rodger
Sehr geehrter Herr Bartsch,

auch ich schätze Karl Mays Kolportageromane sehr. Auf die abgeschnittenen Ohren und übelsten Gemeinheiten anderer Art, die oft und genüsslich geschildert darin (im „Waldröschen“) vorkommen, könnte ich allerdings gerne verzichten. An solchen Stellen steht Karl May als Kolportage-Autor nicht über anderen, sondern zeigt sich von einer hässlichen, sehr unangenehmen Seite. - Abstoßender Sadismus ist z.B. auch an einer Stelle im „Schwarzen Mustang“ zu spüren, als einem Häuptling unnötig und genüsslich die „Medizin“ genommen wird, und in einer Marienkalendergeschichte, als der ach so tolle und christliche Ich-Erzähler mal eben Frau und Kindern mit dem Tod droht und sich an deren Entsetzen weidet. So etwas widert mich an, und an solchen Stellen spüre ich von einer „bedeutenden literarischen Entwicklung“ und „ethischen Prinzipien“ nichts.

Die Stelle mit dem „bösen Scheiden“ (und andere), die Sie selbst nennen, belegt doch eigentlich, dass Emma nicht nur ausschließlich die, gerne noch einmal, Bilderbuch-Teufelin war, als die Karl May sie später gerne gesehen hätte, und mancher unkritische Anhänger mit ihm. Die Art und Weise, wie man sie abgeschoben hat, und wie beide (Klara und Karl) sie nach der Trennung moralisch fertig gemacht haben, ist deprimierend. In Chronik Band III und IV nachzulesen. Ich teile nicht alle Ansichten und (gelegentlich in der Tat sonderbaren) Thesen Ilmers, aber sein Satz mit dem Spiegel hat mich tief beeindruckt. Da hat er erfasst und genial-wundervoll ausgedrückt, was es, auch, auf sich hatte mit Karl May.

Daß Herr May allen Ernstes versucht hat, mit Theaterbesuchen u. dgl. seine Frau zu „bilden“, zeugt m.E. von einer gewissen Dummheit. Solche Anwandlungen kann man vielleicht als Zwanzigjähriger haben. In seinem Alter hätte ich nach ein oder zwei Theaterabenden gemerkt, dass das wohl nichts wird. Ohne Wertung übrigens. Daß er, spätestens ab „Babel und Bibel“ zunehmend den Kontakt zur Realität verlor, sich völlig in seinen eigenen Kokon einspann und zunehmend weniger in der Lage war, Dinge einigermaßen angemessen einzuschätzen, des Eindrucks kann ich mich bei der Lektüre von Chronik Band IV nicht erwehren. Ich muß sagen, dass mir Karl May bei der Lektüre dieses Buches zunehmend suspekt wird. (Kleines Beispiel: Als „Babel und Bibel“ sich nicht verkauft, was nun wahrlich kein Wunder ist, greift er Fehsenfeld an, der habe Schuld. Und: er, Fehsenfeld, hätte sich doch gefälligst um positive Kritiken kümmern sollen ! - Die Zahl von Kritiken oder Briefen, die Karl May unter anderen Namen positiv über sich selbst geschrieben hat, ist beträchtlich. Da zeigt sich übrigens auch wieder der Gauner, der er eben – auch – zeitlebens blieb.)

Die Texte von E.A. Schmid aus Band 34 kenne ich. Ich muß Ihnen sagen, ich mag sie kaum lesen. Dieser Stil, diese Wortwahl .. Aber das ist wohl mal wieder Geschmackssache. Jedenfalls von irgendetwas überzeugen kann man mich mit so etwas nicht, ebenso wenig wie mit Neujahrsansprachen oder Sonntagsreden.

Ihr Beitrag gefällt mir um Längen besser als der davor, offensichtlich haben wir uns wirklich kräftig missverstanden bzw. aneinander vorbei geredet. Allerdings: die Sache mit dem Hecht im Karpfenteich ist eine ziemlich sich weit aus dem Fenster lehnende Unterstellung: ich amüsiere mich nicht darüber, und freue mich auch nicht, dass der Biedermänner-Anteil mit Nichtbereitschaft zu kritischer und differenzierter Betrachtungsweise in Karl-May-Kreisen offenbar recht hoch ist, sondern es enttäuscht mich. Sie hatte ich damit übrigens nicht gemeint. Aber der Karl May für Kinder und Jugendliche, für Familien, mit Ringelpietz mit Anfassen, Volksfesten und buntem Tammtamm aller Art wird meine Sache nie sein, und alle Aktivitäten in diese Richtung betrachte ich mit unangenehm berührten Achselzucken.

Auch ich habe eigentlich keine Zeit, hier und andernorts immer so viel zu schreiben, nehme mir auch immer wieder vor, das einzuschränken. Aber es gibt doch immer wieder auch Leute, mit denen es sich offenbar doch auch lohnt, sich auszutauschen. Dazu zähle ich ausdrücklich auch Sie.

Mit besten Grüßen

Rüdiger Wick

Verfasst: 5.2.2006, 12:28
von Ekkehard Bartsch
Lieber Herr Wick,

auch mir geht im Werk Karl Mays durchaus manches gegen den Strich, und über Einzelheiten ließe sich trefflich diskutieren. Aber insgesamt sehe ich schon einen roten Faden in seiner literarischen Entwicklung (aber auch Fäden haben ja manchmal Knoten).

Bei unseren Stellungnahmen haben wir offenbar wirklich manchmal aneinander vorbeigeredet. Wenn Sie sich z.B. neulich empörten über den von mir gebrauchten Begriff "über die Stränge schlagen" und darin "Schönfärberei, Verharmloserei und Unter-den-Teppich-kehren" sahen, so haben Sie übersehen, daß ich hier gar nicht Karl May gemeint hatte, sondern die angesprochenen "Eltern, Lehrer, Erzieher".

Daß ich jetzt nochmal so ausführlich das Emma/Klara-Thema behandelt habe, hängt damit zusammen, daß Sie ja das Ilmer-Zitat - ohne jeden Kontext - in den Raum gestellt hatten, um den biederen "Herrschaften" contra zu geben, "die unbedingt nur den guten, lieben, frommen, sich läuternden, edel aufstrebenden Karl May sehen wollen". Ich kann mir vorstellen, daß mancher Forum-Leser sich daraufhin nochmal den Ilmer-Aufsatz im Jahrbuch 2002 vorgenommen hat. Und ich wollte mal darstellen, daß man das Thema auch etwas anders sehen und manche Fakten anders interpretieren kann als Walther Ilmer. Eine Theorie wird, auch wenn sie von prominenter Seite aufgestellt wurde, nicht unbedingt zur unumstößlichen Wahrheit.

All das Unerfreuliche, das sich dann leider während und nach der Scheidung entwickelt hat, ist wieder ein Kapitel für sich, hat aber mit Mays Haltung vom Sommer und Herbst 2001 meiner Meinung nach wenig zu tun. Aber die Karl-May-Forschung lebt ja auch von der Meinungsvielfalt.

Mit besten Grüßen
Ekkehard Bartsch


Lieber Herr Dernen,

die Gästebucheintragung aus dem "Mena House" in Ägypten kenne ich nicht. Ich ging auch immer davon aus, die Gästebücher dort seien verschwunden. Aber Überraschungen kann's ja immer geben.

Mit besten Grüßen
Ekkehard Bartsch

Verfasst: 6.2.2006, 9:41
von Ekkehard Bartsch
Kleine Selbst-Korrektur:
Im Schlußabsatz meines letzten Beitrags muß es natürlich heißen:
"Sommer und Herbst 1901" und nicht 2001.

Ekkehard Bartsch