Wilhelm Hauff & Karl May
Verfasst: 30.5.2005, 13:21
Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste
Mit diesen magischen Worten beginnt "Die Karawane" Wilhelm Haufs "Märchenalmanach auf das Jahr 1826". Nun hat Karl May zwar seinen 1. Band seiner Gesammelten Reiseerzählungen zunächst "Durch Wüste und Harem" genannt, doch erscheint der Ausdruck durch die Wüste bereits schon unter dem Ersttitel insgesamt fünfmal innerhalb des Erzählungstextes, davon erstmals in dem Kapitel "Abu Seif": Während des Rittes durch die Wüste hat man ebenso wie von der Hitze des Tages auch von der unverhältnismäßigen Kälte der Nächte zu leiden.
Tatsächlich aber verwandte May die Phrase schon in seinem allerersten Orient-Text, der Sahara-Beschreibung innerhalb der "Geographischen Predigten": Ihr westlicher Theil, die Sahel, ist die eigentliche Heimath des gefürchteten Flugsandes, der, von dem Winde zu fortrückenden Wellen emporgetrieben, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name »Sahel«, d.i. Wandermeer. [Kap.: Berg und Thal]
Diese Stelle ist dann auch wortwörtlich in das 3. Kapitel von "Unter Würgern" bzw. "Die Gum" (in: "Datteln und Orangen"). Und in Verbindung mit einer Karawane liest man den Ausdruck in einem zu Hauffs Satz ähnlichen Wortlaut in "Scepter und Hammer": Eine kleine Karawane zog durch die Wüste. [Kap.: Der schwarze Kapitän]
Es ist bekannt, daß sich May bei der Niederschrift seiner ersten Orient-Erzählung "Leilet" sich wesentlich an Hauffs Märchen "Die Errretung Fatmes" orientierte. Zu den Motiven, die er übernommen hat, gehört der Arzt, welcher der verschleierten Gefangenen durch ein Loch in der Wand den Puls fühlen darf, die Befreiung mittels Eindringen durch den Wasserkanal, die Umbennung der Gefangenen sowie das Auftreten eines Bruders (bei Hauff erzählt der Bruder des Protagonisten die Geschichte, da dieser einen der Zuhörer, welcher in der Erzählung eine zentrale Rolle spielt, nicht erkennen darf). Im einzelnen wird dieses etwa in dem Aufsatz "Karl Mays Novelle ›Leilet‹ als Beispiel für seine Quellenverwendung" von Wolfgang Hammer im KMG-Jahrbuch 19.. beschrieben.
-> http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1996/205.htm
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm (S. 27-31)
Darüber hinaus ist Karl May möglicherweise durch Hauffs "Karawane" auch zu seinen anderen frühen Orientgeschichten "Die Gum" (in: 'Frohe Stunden') sowie "Die Rose von Sokna" angeregt worden. Schon in "Leilet" entpuppt sich der Entführer Abrahim-Agha als ehemaliger Wüstenräuber-Anführer: »Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen!« rief ich so laut, daß es weit über das Wasser schallte und Hassan mich mit einer angstvollen Bewegung zum Schweigen mahnte. »Hedjahn Bei, der dann vom Vicekönig begnadigt wurde, um seine früheren Spießgesellen an den Strick zu liefern?« - »Ja, Hedjahn-Bei, der auch uns beraubte und gefangen nahm, und dem wir nur entkamen, weil Du sein Kameel tödtetest!«
In "Die Gum" greift May nun diese Figur des Hedjahn-Bei auf und der Ich-Erzähler berichtet nun von einer Konfrontation mit diesem Wüstenräuber. Zunächst rettet er den Karawanenwürger vor einem Löwen und findet deshalb Gnade und Vergeltung, vor dem Räuber, später jedoch zwingt er den Bei, die Karawane, welche durch einen seiner Männer in die Irre geführt worden ist, sicher zu einer Oase zu führen, anschließend trennt sich der Weg beider. Im Gegensatz zu den nachfolgenden Wüstenräuber-Geschichten "Die Rose von Sokna" und "Unter Würgern" bleibt der Karawanenwürger hier also am Leben.
Auch dies erinnert an Hauff, dessen Wüstenräuber Orbasan in "Die Errettung Fatmes" (er tritt außerdem in der Rahmenhandlung sowie der "Geschichte von der abgehauenen Hand" auf) freilich nicht in Gefangenschaft gerät, sondern den zunächst irrtümlich gefangengenommenen Mustafa nicht nur am Leben läßt, sondern in auch Vergütung und zukünftige Hilfe verspricht. Dabei steht die Figur Orbasan (wie auch der Räuberhauptmann im 'Wirtshaus im Spessart') noch ganz in der literarischen Tradition Rinaldo Rinaldinis. Denn zum einen stammt Hauffs Wüstenräuber ursprünglich aus Europa, er begann seine 'Karriere' typischerweise in Italien (Florenz), auch hat er sich in der arabischen Wüste 'lediglich' auf die Erpressung von Schutzgeldern spezialisiert: . »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«
-> http://gutenberg.spiegel.de/autoren/hauff.htm
Selbst die Beschreibung Orbsans erscheint dem Leser dabei auf dem ersten Blick auch durchaus typisch für einen Maytext zu sein, allein läßt sich über die Verwendung von einzelnen Wörtern hinaus keine Übereinstimmung von Satzteilen finden, so daß Karl May hier also nicht direkt abgeschrieben hat: Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen.
Hauffs Texte entstanden natürlich unter dem Eindruck der 'Geschichten aus 1001 Nacht'. Man lese etwa die beiden folgenden Auszüge aus zwei orientalischen Geschichten: (...) sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde [Wilhem Hauff: Die Karawane, Der kleine Muck]
Die Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten sie für Sandhügel, die anderen für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten. / Die Männer wehrten sich tapfer; aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und - ließ es schmerzlich wieder sinken; denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung, zielte er und schoß einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd. [Wilhem Hauff: Das Wirtshaus im Spessart, Saids Schicksale]
Nicht unähnlich dazu liest sich der folgende Ausschnitt aus "1001 Nacht", wobei die Texteauszüge bei Hauff sowie der orientalischen Märchensammlung natürlich einen stereotypen Charakter haben. Insofern ist ein Rückschluß bzgl dessen, daß die Szene aus "1001" möglicherweise als Quelltext in Frage kommt, nicht wirklich zu beantworten, zumal die hier zitierte erste "vollständige" Übersetzung aus arabischen Urtexten von Weil erst 1839-42, also mehr als ein Jahrzehnt nach dem Märchenalmanach für 1826, entstand.
-> http://gutenberg.spiegel.de/weil/1001/inhalt.htm
Als er aber um Mitternacht heraustrat, sah er in der Ferne etwas glänzen; er fragte den Führer, was das wäre, dieser sah scharf hin und bemerkte arabische Schwerter und Lanzen; es war eine Horde Beduinen mit ihrem Anführer Scheich Adjlan, welcher immer näherkam, und bald hörte Ala, wie sie untereinander sagten: »O Nacht der Beute!« Kemal Eddin schrie zuerst: »Packe dich, du elender Beduine!« aber alsbald wurde er von Scheich Adjlan selbst an der Tür des Zelts durchbohrt. Dem Wasserträger, welcher dann schrie: »Wehe euch, erbärmliches Gesindel!« wurde ein Hieb auf die Schulter versetzt, der ihn zu Boden stürzte. Dann gingen die Beduinen herein und heraus und verschonten niemanden von Alas Leuten, luden die Waren auf Alas Maultiere und gingen fort. Ala, der dies alles sah, dachte: mein Oberkleid und mein Maultier könnte mich noch in Gefahr bringen; er zog es daher aus und wendete sich gegen die Tür des Zeltes; da fand er einen See vom Blut der Erschlagenen, und er wälzte sich mit seinem Beinkleidern darin herum, so daß er wie ein Erschlagener aussah, der in seinem Blute lag. [1001 Nacht: Geschichte Ala Eddin Abu Schamats]
Interessanterweise gibt es auch bei Karl May eine ähnliche Szenerie, wobei man auch hier weder Hauff noch die zitierte Geschichte aus "1001 Nacht" als sicheren Quelltext benennen könnte. In dem Roman "Scepter und Hammer" ließ sich May von seiner "Leilet"-Novelle, und recht deutlich auch von Hauffs "Die Errettung Fatmas", zu einer weiteren Entführung eines Mädchens auf dem Nil inspirieren. In Fortsetzung dieses Abenteuers kommt es später dann zu einem Kampf in der Wüste: Tiefe Stille lagerte auf der Wüste; aber nach einiger Zeit erscholl der schrille Schrei des Adlers, und sofort wurde es laut im Duar. Befehlende Stimmen ertönten, Flüche erschallten, Schüsse krachten. Dann warf man die Flinten fort und arbeitete nur mit dem Messer. Nach und nach mischten sich auch weibliche Stimmen in den Lärm. Die Janitscharen waren zu übermächtig, sie siegten. Es war eine Scene, wie sie so wild, so schauerlich und unmenschlich nur in der Sahara vorkommen kann, wo in den Adern das Blut so glühend fließt, wie der Sonnenbrand über die Dünen des wandernden Sandes. (...) vor ihnen lagen Remusat, Omar und Katombo ausgestreckt. Die beiden ersteren waren todt; der letztere hatte eine schwere Hiebwunde über den Kopf erhalten und befand sich ohne Bewußtsein.
Was Karl May angeht, könnten des weiteren Einflüsse aus "1001 Nacht" für dessen "aufreizende" Beschreibungen in den Münchmeyer-Romanen Pate gestanden haben. In der aus höchst unterschiedlichen Erzählungen zusammengesetzte Märchensammlung gibt es auch ein gutes Dutzend Liebesgeschichten mit etaws ‚pikanteren' Formulierungen. Hier ein paar Beispiele aus der Weil-Übersetzung:
[i9Der Makler entfernte sich und kam nach einer Weile wieder mit einer Sklavin an seiner Seite, welche von schlankem Wuchse, feingeformtem Busen, glühend schwarzen Augen, feiner Taille, frischem Aussehen, süßem Atem, wohlgeformten Füßen und zarter Stimme war. Ein Dichter sagt von ihr: Ihr Wuchs war schlank, der Busen rund geformt, die Stirne leuchtend wie der Mond; sie hatte Augen wie ein Reh, Wangen wie Rosen, Lippen wie Korallen, Zähne wie Perlen und einen Hals wie der einer Gazelle, einen Mund wie Salomos Siegelring.[/i] [Geschichte der drei Kalender]
Als ich in diesem Schlosse mich eine Weile umgesehen, bemerkte ich ein Mädchen, so herrlich wie die reinste Perle, oder wie die helleuchtende Sonne. Als es zu reden anfing, verscheuchten seine Worte jeden Kummer, sie waren so süß, daß sie selbst des verständigsten Mannes Herz bezaubern mußten. Es hatte eine schlanken Wuchs, einen schön gerundeten Busen, hübsche Wangen, eine zarte Gesichtsfarbe und ein vornehmes Aussehen, hell strahlte ihre Stirn unter den dunklen Locken hervor. [Geschichte des zweiten Kalenders]
(...) und ich sah ein Gesicht so schön wie der Vollmond, er besaß alle Reize, Gott hatte ihn mit dem Gewande der Vollkommenheit umhüllt und es mit seinen Wangen schön geschmückt, wie ein Dichter sagte: »Ich schwöre bei der Trunkenheit seiner Augen, bei seinem Blicke, bei den Pfeilen, die seine Reize versenden, bei seiner weißen Stirne und seinen schwarzen Haaren, bei den Augenbrauen, die mir den Schlaf geraubt und mich unterjocht haben, bei der Gefahr, die seine Haarlocken verbreiten, die den Liebenden durch seine Trennung mit Tod bedrohen, bei den Rosen seiner Wangen und den Myrten seiner Schläfe, bei dem Karneol seines Mundes und den Perlen seiner Zähne, bei dem Wohlgeruch seines Atems und dem süßen Wasser seines Speichels, wo Honig mit klarem Weine gepaart, bei seinem Halse und schönem Bau der Granatäpfel auf seiner Brust, bei der Feinheit seiner Hüften, bei der Seide seiner Haut und der Zartheit seines Geistes und bei allem, was er von Schönheit umschließt, bei seiner freigebigen Hand und aufrichtigen Zunge, bei seinem edlen Stamm und erhabenen Range. Der Moschusgeruch ist nichts anderes als seine Ausdünstung, und der Ambraduft ist von ihm entnommen. Auch die leuchtende Sonne stehet so tief unter ihm wie einer seiner abgeschnittenen Nägel.« [Geschichte des ersten Mädchens]
Ob Hauff derartiges auch gelesen haben könnte, hängt davon ab, wie genau die alten Übersetzungen gewesen sind, zumal derartige Textpassagen in der aus höchst unterschiedlichen Literaturtypen bestehenden Märchensammlung aufs ganze gesehen eher selten anzutreffen sind. Allerdings sind Hauffs derartige Charakterisierungen - entsprechend dem auch jugendlichen Zielpublikum - recht kurz geraten. So auch bei der scheinbar Toten in "Die Geschichte von der abgehauenen Hand", der ein Arzt auf Bitten eines falschen Angehörigen nach alten Brauch den Kopf abnehmen will und dadurch zum Mörder wird: Nur der Kopf der Leiche war sichtbar, aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen.
Bei einer gleichartigen Situation, in der ein Arzt eine Totkranke besucht, hat Hauff später in "Die Sängerin" übrigens ähnlich formuliert: Ich trat näher, weiß und starr wie eine Büste lag der Kopf der Sterbenden zurück, die schwarzen, herabfallenden Haare, die dunklen Brauen und Wimpern der geschlossenen Augen bildeten einen schrecklichen Kontrast mit der glänzenden Blässe der Stirn, des Gesichtes, des schönen Halses.
Jedenfalls gibt es insbesondere eine Novelle Hauffs, bei der er nicht soviel sittsame Zurückhaltung geübt hat. Und die Geschichte dieser Novelle ist recht kurios.
Mit diesen magischen Worten beginnt "Die Karawane" Wilhelm Haufs "Märchenalmanach auf das Jahr 1826". Nun hat Karl May zwar seinen 1. Band seiner Gesammelten Reiseerzählungen zunächst "Durch Wüste und Harem" genannt, doch erscheint der Ausdruck durch die Wüste bereits schon unter dem Ersttitel insgesamt fünfmal innerhalb des Erzählungstextes, davon erstmals in dem Kapitel "Abu Seif": Während des Rittes durch die Wüste hat man ebenso wie von der Hitze des Tages auch von der unverhältnismäßigen Kälte der Nächte zu leiden.
Tatsächlich aber verwandte May die Phrase schon in seinem allerersten Orient-Text, der Sahara-Beschreibung innerhalb der "Geographischen Predigten": Ihr westlicher Theil, die Sahel, ist die eigentliche Heimath des gefürchteten Flugsandes, der, von dem Winde zu fortrückenden Wellen emporgetrieben, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name »Sahel«, d.i. Wandermeer. [Kap.: Berg und Thal]
Diese Stelle ist dann auch wortwörtlich in das 3. Kapitel von "Unter Würgern" bzw. "Die Gum" (in: "Datteln und Orangen"). Und in Verbindung mit einer Karawane liest man den Ausdruck in einem zu Hauffs Satz ähnlichen Wortlaut in "Scepter und Hammer": Eine kleine Karawane zog durch die Wüste. [Kap.: Der schwarze Kapitän]
Es ist bekannt, daß sich May bei der Niederschrift seiner ersten Orient-Erzählung "Leilet" sich wesentlich an Hauffs Märchen "Die Errretung Fatmes" orientierte. Zu den Motiven, die er übernommen hat, gehört der Arzt, welcher der verschleierten Gefangenen durch ein Loch in der Wand den Puls fühlen darf, die Befreiung mittels Eindringen durch den Wasserkanal, die Umbennung der Gefangenen sowie das Auftreten eines Bruders (bei Hauff erzählt der Bruder des Protagonisten die Geschichte, da dieser einen der Zuhörer, welcher in der Erzählung eine zentrale Rolle spielt, nicht erkennen darf). Im einzelnen wird dieses etwa in dem Aufsatz "Karl Mays Novelle ›Leilet‹ als Beispiel für seine Quellenverwendung" von Wolfgang Hammer im KMG-Jahrbuch 19.. beschrieben.
-> http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1996/205.htm
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm (S. 27-31)
Darüber hinaus ist Karl May möglicherweise durch Hauffs "Karawane" auch zu seinen anderen frühen Orientgeschichten "Die Gum" (in: 'Frohe Stunden') sowie "Die Rose von Sokna" angeregt worden. Schon in "Leilet" entpuppt sich der Entführer Abrahim-Agha als ehemaliger Wüstenräuber-Anführer: »Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen!« rief ich so laut, daß es weit über das Wasser schallte und Hassan mich mit einer angstvollen Bewegung zum Schweigen mahnte. »Hedjahn Bei, der dann vom Vicekönig begnadigt wurde, um seine früheren Spießgesellen an den Strick zu liefern?« - »Ja, Hedjahn-Bei, der auch uns beraubte und gefangen nahm, und dem wir nur entkamen, weil Du sein Kameel tödtetest!«
In "Die Gum" greift May nun diese Figur des Hedjahn-Bei auf und der Ich-Erzähler berichtet nun von einer Konfrontation mit diesem Wüstenräuber. Zunächst rettet er den Karawanenwürger vor einem Löwen und findet deshalb Gnade und Vergeltung, vor dem Räuber, später jedoch zwingt er den Bei, die Karawane, welche durch einen seiner Männer in die Irre geführt worden ist, sicher zu einer Oase zu führen, anschließend trennt sich der Weg beider. Im Gegensatz zu den nachfolgenden Wüstenräuber-Geschichten "Die Rose von Sokna" und "Unter Würgern" bleibt der Karawanenwürger hier also am Leben.
Auch dies erinnert an Hauff, dessen Wüstenräuber Orbasan in "Die Errettung Fatmes" (er tritt außerdem in der Rahmenhandlung sowie der "Geschichte von der abgehauenen Hand" auf) freilich nicht in Gefangenschaft gerät, sondern den zunächst irrtümlich gefangengenommenen Mustafa nicht nur am Leben läßt, sondern in auch Vergütung und zukünftige Hilfe verspricht. Dabei steht die Figur Orbasan (wie auch der Räuberhauptmann im 'Wirtshaus im Spessart') noch ganz in der literarischen Tradition Rinaldo Rinaldinis. Denn zum einen stammt Hauffs Wüstenräuber ursprünglich aus Europa, er begann seine 'Karriere' typischerweise in Italien (Florenz), auch hat er sich in der arabischen Wüste 'lediglich' auf die Erpressung von Schutzgeldern spezialisiert: . »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«
-> http://gutenberg.spiegel.de/autoren/hauff.htm
Selbst die Beschreibung Orbsans erscheint dem Leser dabei auf dem ersten Blick auch durchaus typisch für einen Maytext zu sein, allein läßt sich über die Verwendung von einzelnen Wörtern hinaus keine Übereinstimmung von Satzteilen finden, so daß Karl May hier also nicht direkt abgeschrieben hat: Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen.
Hauffs Texte entstanden natürlich unter dem Eindruck der 'Geschichten aus 1001 Nacht'. Man lese etwa die beiden folgenden Auszüge aus zwei orientalischen Geschichten: (...) sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde [Wilhem Hauff: Die Karawane, Der kleine Muck]
Die Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten sie für Sandhügel, die anderen für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten. / Die Männer wehrten sich tapfer; aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und - ließ es schmerzlich wieder sinken; denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung, zielte er und schoß einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd. [Wilhem Hauff: Das Wirtshaus im Spessart, Saids Schicksale]
Nicht unähnlich dazu liest sich der folgende Ausschnitt aus "1001 Nacht", wobei die Texteauszüge bei Hauff sowie der orientalischen Märchensammlung natürlich einen stereotypen Charakter haben. Insofern ist ein Rückschluß bzgl dessen, daß die Szene aus "1001" möglicherweise als Quelltext in Frage kommt, nicht wirklich zu beantworten, zumal die hier zitierte erste "vollständige" Übersetzung aus arabischen Urtexten von Weil erst 1839-42, also mehr als ein Jahrzehnt nach dem Märchenalmanach für 1826, entstand.
-> http://gutenberg.spiegel.de/weil/1001/inhalt.htm
Als er aber um Mitternacht heraustrat, sah er in der Ferne etwas glänzen; er fragte den Führer, was das wäre, dieser sah scharf hin und bemerkte arabische Schwerter und Lanzen; es war eine Horde Beduinen mit ihrem Anführer Scheich Adjlan, welcher immer näherkam, und bald hörte Ala, wie sie untereinander sagten: »O Nacht der Beute!« Kemal Eddin schrie zuerst: »Packe dich, du elender Beduine!« aber alsbald wurde er von Scheich Adjlan selbst an der Tür des Zelts durchbohrt. Dem Wasserträger, welcher dann schrie: »Wehe euch, erbärmliches Gesindel!« wurde ein Hieb auf die Schulter versetzt, der ihn zu Boden stürzte. Dann gingen die Beduinen herein und heraus und verschonten niemanden von Alas Leuten, luden die Waren auf Alas Maultiere und gingen fort. Ala, der dies alles sah, dachte: mein Oberkleid und mein Maultier könnte mich noch in Gefahr bringen; er zog es daher aus und wendete sich gegen die Tür des Zeltes; da fand er einen See vom Blut der Erschlagenen, und er wälzte sich mit seinem Beinkleidern darin herum, so daß er wie ein Erschlagener aussah, der in seinem Blute lag. [1001 Nacht: Geschichte Ala Eddin Abu Schamats]
Interessanterweise gibt es auch bei Karl May eine ähnliche Szenerie, wobei man auch hier weder Hauff noch die zitierte Geschichte aus "1001 Nacht" als sicheren Quelltext benennen könnte. In dem Roman "Scepter und Hammer" ließ sich May von seiner "Leilet"-Novelle, und recht deutlich auch von Hauffs "Die Errettung Fatmas", zu einer weiteren Entführung eines Mädchens auf dem Nil inspirieren. In Fortsetzung dieses Abenteuers kommt es später dann zu einem Kampf in der Wüste: Tiefe Stille lagerte auf der Wüste; aber nach einiger Zeit erscholl der schrille Schrei des Adlers, und sofort wurde es laut im Duar. Befehlende Stimmen ertönten, Flüche erschallten, Schüsse krachten. Dann warf man die Flinten fort und arbeitete nur mit dem Messer. Nach und nach mischten sich auch weibliche Stimmen in den Lärm. Die Janitscharen waren zu übermächtig, sie siegten. Es war eine Scene, wie sie so wild, so schauerlich und unmenschlich nur in der Sahara vorkommen kann, wo in den Adern das Blut so glühend fließt, wie der Sonnenbrand über die Dünen des wandernden Sandes. (...) vor ihnen lagen Remusat, Omar und Katombo ausgestreckt. Die beiden ersteren waren todt; der letztere hatte eine schwere Hiebwunde über den Kopf erhalten und befand sich ohne Bewußtsein.
Was Karl May angeht, könnten des weiteren Einflüsse aus "1001 Nacht" für dessen "aufreizende" Beschreibungen in den Münchmeyer-Romanen Pate gestanden haben. In der aus höchst unterschiedlichen Erzählungen zusammengesetzte Märchensammlung gibt es auch ein gutes Dutzend Liebesgeschichten mit etaws ‚pikanteren' Formulierungen. Hier ein paar Beispiele aus der Weil-Übersetzung:
[i9Der Makler entfernte sich und kam nach einer Weile wieder mit einer Sklavin an seiner Seite, welche von schlankem Wuchse, feingeformtem Busen, glühend schwarzen Augen, feiner Taille, frischem Aussehen, süßem Atem, wohlgeformten Füßen und zarter Stimme war. Ein Dichter sagt von ihr: Ihr Wuchs war schlank, der Busen rund geformt, die Stirne leuchtend wie der Mond; sie hatte Augen wie ein Reh, Wangen wie Rosen, Lippen wie Korallen, Zähne wie Perlen und einen Hals wie der einer Gazelle, einen Mund wie Salomos Siegelring.[/i] [Geschichte der drei Kalender]
Als ich in diesem Schlosse mich eine Weile umgesehen, bemerkte ich ein Mädchen, so herrlich wie die reinste Perle, oder wie die helleuchtende Sonne. Als es zu reden anfing, verscheuchten seine Worte jeden Kummer, sie waren so süß, daß sie selbst des verständigsten Mannes Herz bezaubern mußten. Es hatte eine schlanken Wuchs, einen schön gerundeten Busen, hübsche Wangen, eine zarte Gesichtsfarbe und ein vornehmes Aussehen, hell strahlte ihre Stirn unter den dunklen Locken hervor. [Geschichte des zweiten Kalenders]
(...) und ich sah ein Gesicht so schön wie der Vollmond, er besaß alle Reize, Gott hatte ihn mit dem Gewande der Vollkommenheit umhüllt und es mit seinen Wangen schön geschmückt, wie ein Dichter sagte: »Ich schwöre bei der Trunkenheit seiner Augen, bei seinem Blicke, bei den Pfeilen, die seine Reize versenden, bei seiner weißen Stirne und seinen schwarzen Haaren, bei den Augenbrauen, die mir den Schlaf geraubt und mich unterjocht haben, bei der Gefahr, die seine Haarlocken verbreiten, die den Liebenden durch seine Trennung mit Tod bedrohen, bei den Rosen seiner Wangen und den Myrten seiner Schläfe, bei dem Karneol seines Mundes und den Perlen seiner Zähne, bei dem Wohlgeruch seines Atems und dem süßen Wasser seines Speichels, wo Honig mit klarem Weine gepaart, bei seinem Halse und schönem Bau der Granatäpfel auf seiner Brust, bei der Feinheit seiner Hüften, bei der Seide seiner Haut und der Zartheit seines Geistes und bei allem, was er von Schönheit umschließt, bei seiner freigebigen Hand und aufrichtigen Zunge, bei seinem edlen Stamm und erhabenen Range. Der Moschusgeruch ist nichts anderes als seine Ausdünstung, und der Ambraduft ist von ihm entnommen. Auch die leuchtende Sonne stehet so tief unter ihm wie einer seiner abgeschnittenen Nägel.« [Geschichte des ersten Mädchens]
Ob Hauff derartiges auch gelesen haben könnte, hängt davon ab, wie genau die alten Übersetzungen gewesen sind, zumal derartige Textpassagen in der aus höchst unterschiedlichen Literaturtypen bestehenden Märchensammlung aufs ganze gesehen eher selten anzutreffen sind. Allerdings sind Hauffs derartige Charakterisierungen - entsprechend dem auch jugendlichen Zielpublikum - recht kurz geraten. So auch bei der scheinbar Toten in "Die Geschichte von der abgehauenen Hand", der ein Arzt auf Bitten eines falschen Angehörigen nach alten Brauch den Kopf abnehmen will und dadurch zum Mörder wird: Nur der Kopf der Leiche war sichtbar, aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen.
Bei einer gleichartigen Situation, in der ein Arzt eine Totkranke besucht, hat Hauff später in "Die Sängerin" übrigens ähnlich formuliert: Ich trat näher, weiß und starr wie eine Büste lag der Kopf der Sterbenden zurück, die schwarzen, herabfallenden Haare, die dunklen Brauen und Wimpern der geschlossenen Augen bildeten einen schrecklichen Kontrast mit der glänzenden Blässe der Stirn, des Gesichtes, des schönen Halses.
Jedenfalls gibt es insbesondere eine Novelle Hauffs, bei der er nicht soviel sittsame Zurückhaltung geübt hat. Und die Geschichte dieser Novelle ist recht kurios.