Wanda
Verfasst: 11.6.2008, 17:49
Beschäftigen wir uns heute einmal mit bzw. würdigen:
Fräulein Wanda, oder, wie sie allgemein genannt wurde, die wilde Polin.
Als sie vor mehreren Jahren die Residenz mit ihrem jetzigen Aufenthaltsorte vertauscht hatte, war eine rasch um sich greifende Epidemie unter der jungen Männerwelt der Stadt ausgebrochen, welche der alte bißfertige Doctor Kühne mit dem Namen Wandamanie bezeichnet hatte. Da aber das schöne Mädchen auch nicht die geringste Notiz von dieser höchst interessanten Krankheitsform nahm und selbst die hoffnungslos Darniederliegenden vollständig und consequent ignorirte, so verwandelte sich der Paroxismus nach und nach in ein Toggenburgisches Schmachten in die Ferne, und Wanda war Königin, ohne daß es Einer ihrer Unterthanen gewagt hätte, ihr eine officielle Huldigung darzubringen.
Von der Natur mit den herrlichsten Gaben ausgestattet, glänzte sie als leuchtendes aber unberechenbares Phänomen am gesellschaftlichen Himmel. Während Andere ruhig ihre Bahnen wandelten, flimmerte sie in den verschiedensten Lichtern, zuckte blitzähnlich von einem Punkte zum anderen, warf oft die ganze Planetenstellung über den Haufen und hätte auch den kaltblütigsten Astronomen zur Verzweiflung bringen können. Für sie gab es keine dehorsielle Unmöglichkeit. Sie ritt trotz eines Husarenleutnants, schoß mit den Jägerburschen um die Wette, betrat ganz unerwartet den Fechtboden und trieb mit dem Schläger in dem kleinen, weißen Fäustchen Jedmänniglich in die Enge, fuhr mit Vieren im sausenden Galopp über Haide und Stoppel, durch Dick und Dünn, erschien bei Tagesgrauen, wenn die ehrbaren Spießbürger sich noch in den Federn streckten, hochgeschürzt auf dem Turnplatze der Feuerwehr, um an Reck, Barren, Bock und Kletterstange ihre Meisterschaft zu bewähren, tanzte, sang und deklamirte prächtig, spielte das Piano mit ungewöhnlicher Fertigkeit, schien in jeder Sprache, in jeder Kunst und Wissenschaft zu Hause und wußte auch in die steifsten Zirkel Leben und Bewegung zu bringen.
Trotz dieser scheinbar unweiblichen Vielseitigkeit und Selbstständigkeit war jedem ihrer Worte, jeder ihrer Thaten, ihrem ganzen Wesen und Leben eine so bezaubernde Anmuth, eine so mädchenhafte Reinheit, ein so imponirender Adel aufgeprägt, daß es außer der Stiefmutter Niemanden gab, der auch nur die leiseste Spur eines Anstoßes zu entdecken gewußt hätte, und wie sie von der Männerwelt vergöttert wurde, so stand sie bei den Frauen in der unbeschränktesten Achtung und Ehrerbietung. Wo die Armuth ihre düsteren Schatten über ein Familienleben warf, wo die Krankheit drohend an die Thüren klopfte, wo irgend ein Leid den fröhlichen Schlag eines Menschenherzens hemmte, da erschien sie gewiß, um Rath, Trost und Hilfe zu bringen, und es war deshalb kein Wunder, wenn sie nicht blos von ihren Schutz- und Pflegebefohlenen, sondern auch von Anderen, die von ihrem stillen, liebevollen Walten Kenntniß nahmen, wie ein Engel verehrt wurde.
Mehr kann man eigentlich nicht verlangen …
Nächste Szene:
In ziemlich reservirter Haltung saß Wanda neben dem Verlobten, dessen rednerische Anstrengungen, nach dem leisen Unmuthe, welcher wie ein Schatten auf ihrem schönen Angesichte lag, zu urtheilen, von keinem glücklichen Erfolge gekrönt zu sein schienen.
»Also Du wirst mit aufbrechen, Wanda?«
»Nein!«
»Du wirst mitgehen, und ich bitte Dich um die Erlaubniß zu der Ueberzeugung, daß eine Dame von Deiner Distinktion an einem so plebejischen Spaße unmöglich Wohlgefallen finden könne.«
»Ich ertheile Dir meine Erlaubniß höchstens zu der Ueberzeugung, daß Du nicht das rechte Maß für dergleichen Dinge besitzest. Ich werde bleiben.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
»Dann zwingst Du mich, von dem Rechte, welches meine Stellung als Dein Verlobter mir ertheilt, Gebrauch zu machen, indem ich Dich diesen Schustern, Schneidern, Schmieden und Perückenmachern entziehe.«
»Ah!«
In diesem einen Laute lag eine unverhohlene Geringschätzung, und ihr großes, dunkles Auge blitzte mit spöttischem Blicke über die hagere Gestalt ihres Verlobten hin, als sie, die reichen, blonden Locken mit einer unnachahmlichen Bewegung nach hinten werfend, hinzufügte:
»Und wenn ich mir nun wirklich einen dieser Schneider und Perückenmacher zum Ballherrn wünsche? Deine so rücksichtsvoll bei den Haaren herbeigezogene Stellung als mein Verlobter giebt Dir keine andere Berechtigung, als einzig und allein diejenige, Dich in meine Wünsche fügen zu dürfen.«
Und gut Kirschen Essen ist mit ihr auch nur dann, wenn sie es will …
Warum sie so ist, wie sie ist, erfahren wir ansatzweise auch:
Wanda erhob sich, als Thomas von der Tafel stieg, auf welcher er bisher gestanden hatte, um ihr den König zuzuführen. Sie liebte das Ungewöhnliche und fühlte ihr aristokratisches Gewissen nicht im mindesten beschwert durch den Vorwurf, die Königin eines bürgerlichen Balles zu sein. Zudem war Winter ja als Vorsteher der Gesellschaft bezeichnet worden, ein Umstand, welcher ihm als Empfehlung dienen mußte. In der einfachen Natürlichkeit dieser Leute, deren harmlose Munterkeit, verbunden mit einem offenen, gutmüthigen Wesen, und unterstützt von dem treuherzigen Charakter ihres Dialektes auch eine stolzere Natur als die ihrige anmuthen und anheimeln mußte, lag wenigstens für sie nichts Verletzendes. Die Sonne des Lebens hatte für sie nur kaltes, winterliches Licht gehabt und ihr nur selten einen freundlichen, erwärmenden Strahl zugesandt. Die Quelle ihres tiefen, reinen Gemüthes war von einer falschen, auf wankenden Grundsätzen fußenden Erziehung zurückgedrängt und mit steinernem Riegelwerk verschlossen, der Reichthum ihres Geistes brach gelegt und ihr Wollen und Handeln von den rechten Bahnen seitwärts gelenkt worden. Der Anschluß an ein ihr innerlich verwandtes Wesen war ihr versagt geblieben, und so hatte sie sich stets einsam und verlassen gefühlt und in dieser Einsamkeit keine Gelegenheit gefunden, nach der echten Freiheit und Selbstständigkeit zu streben und diese hohen Güter auch in der rechten Weise anzuwenden. So war sie das geworden, als was man sie bezeichnete, die wilde Polin.
Ihre Verlobung war das Werk kalter Berechnung, der sie sich nur gezwungen gefügt hatte. Der Baron war ihr verhaßt und widerwärtig, und da er ihr mit verletzender Offenheit zeigte, daß er nur von geschäftlichen Rücksichten in ihre Nähe geführt worden sei, so machte auch sie keine Anstrengung, ihm ihre Gesinnung zu verhehlen und ersah sich aus der Verbindung mit ihm weder Glück noch Segen. Sein herrisches und hofmeisterliches Gebaren empörte sie, und mit Befriedigung ergriff sie deshalb jede Gelegenheit, sich unabhängig von ihm zu zeigen. Daher kam auch ihre gegenwärtige Bereitwilligkeit, sich von der Auction nicht auszuschließen, deren Ergebniß ganz ihren Wünschen entsprechend war. Hätte der Baron sie erstanden, so hätte sie sofort den Saal verlassen, nun er aber geschlagen worden war, beschloß sie, dem Sieger durch freundliches Entgegenkommen zu danken und heut einmal so recht fröhlich unter den Fröhlichen zu sein.
Sie hat ihren eigenen Kopf und den Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen …
„Unfehlbar“ ist sie wiederum auch nicht:
War es möglich? Deutlich fühlte sie das zornige Klopfen ihres Herzens; das Auge öffnete sich weit bei dem Anblicke des rußgeschwärzten Mannes, und über ihre weichen Züge legte sich jene strenge Kälte, hinter deren Schild die gekränkte Weiblichkeit sich so gern und erfolgreich flüchtet. Ein rascher Blick in das Angesicht des Barons zeigte ihr ein schadenfrohes, höhnisches Lächeln, welches ihr die in diesem Augenblicke so nothwendige Fassung zu rauben drohte und ihr es schwer, ja fast unmöglich machte, das Richtige zu treffen.
Und einsichtsfähig ist sie auch:
Sie schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. Ihr Auge hing noch an der Thür, welche sich hinter dem Essenkehrer geschlossen hatte. Die Härte in ihren Zügen war gewichen und hatte einem sinnenden Ausdrucke Platz gemacht. Wie kam dieser Mann zu der noblen Tournüre und behenden Sprachfertigkeit, die er während des ganzen für sie so beleidigenden Vorganges gezeigt hatte? Woher kam ihm die Geschicklichkeit. diese Beleidigung zu pariren und auf die Gegner zurückzuwerfen? War diese sonore, metallreiche Stimme nicht schon einmal an ihr Ohr geklungen und warum hatte dieselbe bei den Worten: »ich kenne Sie nicht« einen so merkwürdigen Klang gehabt?
Es wurde ihr klar, daß der faux pas, den sie begangen, größer war als der seinige, wenn bei ihm überhaupt von einem solchen die Rede war. Sie war nicht nur unhöflich, sondern sogar undankbar und rücksichtslos gewesen. Während die Andern sich in ihrem Vergnügen nicht hatten stören lassen, war er dem Rufe der Pflicht gefolgt und derselben gewiß im vollsten Maße nachgekommen. Sein Habit war verbrannt und zerrissen, und grad' der unausstehliche Geruch desselben führte den deutlichsten Beweis, daß er sich sogar mitten in die Flammen hineingewagt habe. Und diesem braven, vielleicht sogar kühnen Manne, der obendrein ihretwegen eine so bedeutende Ausgabe gemacht hatte, war für alles Das nur bittere Kränkung geworden. O, wie haßte sie den Baron, dessen Blick sie getrieben hatte, Worte zu sprechen, die sie jetzt bereuen mußte.
Und was nun? Die Freude war gestört, und wenn auch Viele der Anwesenden ihr Verhalten gerechtfertigt fanden, so war doch bei den Anderen die Unzufriedenheit mit demselben desto deutlicher zu erkennen, und sie selbst konnte sich bei dem Nachdenken über ihre Lage einer kleinen Verlegenheit nicht erwehren.
Wenn einem einer mitteilt, dass er einen liebt
»Dir meine Huldigung zu bringen,
Nah' ich, ein armer Troubadour.
D'rum laß fortan mein Lieb erklingen,
In Deiner Locken duft'ger Spur.«
ist es kein Wunder, wenn man errötet. (Wer solcher Regungen nicht mehr fähig wäre, sollte sich fragen, ob bei ihm noch alles in Ordnung ist.) Sie ist auch sehr schnell wieder gefasst und zettelt eine kleine Spielerei an, so ist das Leben:
Bei dem Klange dieser Stimme, an welcher sie sofort den Essenkehrer erkannte, zog tiefe Röthe über das Antlitz Wanda's, aber sie faßte sich schnell und erwiderte:
»Der Sänger ist uns hoch willkommen! Weilt bei uns, lieber Troubadour, und nehmt hier diese Rose als Zeichen Unserer königlichen Gunst.«
Das Knie beugend, nahm er die Rose in Empfang, drückte sie an seine Lippen und steckte sie an die Brust. Hernach erhob er sich.
»Doch ist die Rose einer Königin nicht ohne schwere Mühe zu erlangen. Es soll Uns Eure Kunst den Dank erstatten.«
»Ich harre des Befehls. Sprecht, Königin.«
»Die Flamme hat in Unsrer Nachbarschaft gewüthet, und kühne Heldenthat ist bei dem Brand geschehen. Uns war es nicht vergönnt, dabei zu sein; doch möchten gern Wir sichre Kunde hören. Dort ist die Bühne; zieht den Vorhang auf und laßt sofort Uns den Bericht vernehmen.«
Sie ist sich der Außergewöhnlichkeit ihres „Spielpartners“ und ihrer eigenen bewusst, sie ist überhaupt sehr bewusst:
Wanda hatte, wie gesagt, den Schornsteinfeger wieder erkannt; sie sah sich tief beschämt durch die Delicatesse, welches er durch das Verschweigen seines Namen und die Verzichtleistung auf seine Ansprüche zeigte, und zugleich mußte sie die Feinheit bewundern, mit welcher er sich von dem Baron Satisfaction verschafft hatte, dadurch, daß er sich von keinem Andern vorstellen ließ, als von ihm, der ihn erst vor Kurzem auf eine so unmanierliche Weise fortgewiesen hatte. Die Aufgabe, welche sie ihm ertheilt, war sicher keine leichte; aber es war ihr gewesen, als müsse und werde sie ihn mit etwas Leichterem beleidigen. Er hatte sich einen Troubadour genannt, hatte in Reimen zu ihr gesprochen, und sein ganzes Wesen sprach dafür, daß er der Aufgabe gewachsen sei. Mit Spannung harrte sie deshalb der Lösung derselben.
Und sie hat, bei aller Coolness, Burschikosität und Hemdsärmeligkeit: Gefühl, und kein Problem damit, das auch zu zeigen:
Als er durch die Portiere wieder in den Saal trat, stand Wanda vor ihm und streckte ihm beide Hände entgegen. An ihren Wimpern hingen helle Tropfen und die tiefste Rührung bebte um den feinen, zitternden Mund.
»Können Sie mir verzeihen?«
»Gern, o so gern.«
»Und wollen Sie mein König sein?«
»Ich wage es nicht.«
»Aber wenn ich Sie bitte?«
»Dann gehorche ich; denn eine Bitte von Ihnen ist mir Befehl.«
»Kommen Sie schnell. Noch haben wir Blumen zu einer zweiten Krone, und ich werde bestrebt sein, Alles gut zu machen.«
(Fortsetzung folgt)
Fräulein Wanda, oder, wie sie allgemein genannt wurde, die wilde Polin.
Als sie vor mehreren Jahren die Residenz mit ihrem jetzigen Aufenthaltsorte vertauscht hatte, war eine rasch um sich greifende Epidemie unter der jungen Männerwelt der Stadt ausgebrochen, welche der alte bißfertige Doctor Kühne mit dem Namen Wandamanie bezeichnet hatte. Da aber das schöne Mädchen auch nicht die geringste Notiz von dieser höchst interessanten Krankheitsform nahm und selbst die hoffnungslos Darniederliegenden vollständig und consequent ignorirte, so verwandelte sich der Paroxismus nach und nach in ein Toggenburgisches Schmachten in die Ferne, und Wanda war Königin, ohne daß es Einer ihrer Unterthanen gewagt hätte, ihr eine officielle Huldigung darzubringen.
Von der Natur mit den herrlichsten Gaben ausgestattet, glänzte sie als leuchtendes aber unberechenbares Phänomen am gesellschaftlichen Himmel. Während Andere ruhig ihre Bahnen wandelten, flimmerte sie in den verschiedensten Lichtern, zuckte blitzähnlich von einem Punkte zum anderen, warf oft die ganze Planetenstellung über den Haufen und hätte auch den kaltblütigsten Astronomen zur Verzweiflung bringen können. Für sie gab es keine dehorsielle Unmöglichkeit. Sie ritt trotz eines Husarenleutnants, schoß mit den Jägerburschen um die Wette, betrat ganz unerwartet den Fechtboden und trieb mit dem Schläger in dem kleinen, weißen Fäustchen Jedmänniglich in die Enge, fuhr mit Vieren im sausenden Galopp über Haide und Stoppel, durch Dick und Dünn, erschien bei Tagesgrauen, wenn die ehrbaren Spießbürger sich noch in den Federn streckten, hochgeschürzt auf dem Turnplatze der Feuerwehr, um an Reck, Barren, Bock und Kletterstange ihre Meisterschaft zu bewähren, tanzte, sang und deklamirte prächtig, spielte das Piano mit ungewöhnlicher Fertigkeit, schien in jeder Sprache, in jeder Kunst und Wissenschaft zu Hause und wußte auch in die steifsten Zirkel Leben und Bewegung zu bringen.
Trotz dieser scheinbar unweiblichen Vielseitigkeit und Selbstständigkeit war jedem ihrer Worte, jeder ihrer Thaten, ihrem ganzen Wesen und Leben eine so bezaubernde Anmuth, eine so mädchenhafte Reinheit, ein so imponirender Adel aufgeprägt, daß es außer der Stiefmutter Niemanden gab, der auch nur die leiseste Spur eines Anstoßes zu entdecken gewußt hätte, und wie sie von der Männerwelt vergöttert wurde, so stand sie bei den Frauen in der unbeschränktesten Achtung und Ehrerbietung. Wo die Armuth ihre düsteren Schatten über ein Familienleben warf, wo die Krankheit drohend an die Thüren klopfte, wo irgend ein Leid den fröhlichen Schlag eines Menschenherzens hemmte, da erschien sie gewiß, um Rath, Trost und Hilfe zu bringen, und es war deshalb kein Wunder, wenn sie nicht blos von ihren Schutz- und Pflegebefohlenen, sondern auch von Anderen, die von ihrem stillen, liebevollen Walten Kenntniß nahmen, wie ein Engel verehrt wurde.
Mehr kann man eigentlich nicht verlangen …
Nächste Szene:
In ziemlich reservirter Haltung saß Wanda neben dem Verlobten, dessen rednerische Anstrengungen, nach dem leisen Unmuthe, welcher wie ein Schatten auf ihrem schönen Angesichte lag, zu urtheilen, von keinem glücklichen Erfolge gekrönt zu sein schienen.
»Also Du wirst mit aufbrechen, Wanda?«
»Nein!«
»Du wirst mitgehen, und ich bitte Dich um die Erlaubniß zu der Ueberzeugung, daß eine Dame von Deiner Distinktion an einem so plebejischen Spaße unmöglich Wohlgefallen finden könne.«
»Ich ertheile Dir meine Erlaubniß höchstens zu der Ueberzeugung, daß Du nicht das rechte Maß für dergleichen Dinge besitzest. Ich werde bleiben.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
»Dann zwingst Du mich, von dem Rechte, welches meine Stellung als Dein Verlobter mir ertheilt, Gebrauch zu machen, indem ich Dich diesen Schustern, Schneidern, Schmieden und Perückenmachern entziehe.«
»Ah!«
In diesem einen Laute lag eine unverhohlene Geringschätzung, und ihr großes, dunkles Auge blitzte mit spöttischem Blicke über die hagere Gestalt ihres Verlobten hin, als sie, die reichen, blonden Locken mit einer unnachahmlichen Bewegung nach hinten werfend, hinzufügte:
»Und wenn ich mir nun wirklich einen dieser Schneider und Perückenmacher zum Ballherrn wünsche? Deine so rücksichtsvoll bei den Haaren herbeigezogene Stellung als mein Verlobter giebt Dir keine andere Berechtigung, als einzig und allein diejenige, Dich in meine Wünsche fügen zu dürfen.«
Und gut Kirschen Essen ist mit ihr auch nur dann, wenn sie es will …
Warum sie so ist, wie sie ist, erfahren wir ansatzweise auch:
Wanda erhob sich, als Thomas von der Tafel stieg, auf welcher er bisher gestanden hatte, um ihr den König zuzuführen. Sie liebte das Ungewöhnliche und fühlte ihr aristokratisches Gewissen nicht im mindesten beschwert durch den Vorwurf, die Königin eines bürgerlichen Balles zu sein. Zudem war Winter ja als Vorsteher der Gesellschaft bezeichnet worden, ein Umstand, welcher ihm als Empfehlung dienen mußte. In der einfachen Natürlichkeit dieser Leute, deren harmlose Munterkeit, verbunden mit einem offenen, gutmüthigen Wesen, und unterstützt von dem treuherzigen Charakter ihres Dialektes auch eine stolzere Natur als die ihrige anmuthen und anheimeln mußte, lag wenigstens für sie nichts Verletzendes. Die Sonne des Lebens hatte für sie nur kaltes, winterliches Licht gehabt und ihr nur selten einen freundlichen, erwärmenden Strahl zugesandt. Die Quelle ihres tiefen, reinen Gemüthes war von einer falschen, auf wankenden Grundsätzen fußenden Erziehung zurückgedrängt und mit steinernem Riegelwerk verschlossen, der Reichthum ihres Geistes brach gelegt und ihr Wollen und Handeln von den rechten Bahnen seitwärts gelenkt worden. Der Anschluß an ein ihr innerlich verwandtes Wesen war ihr versagt geblieben, und so hatte sie sich stets einsam und verlassen gefühlt und in dieser Einsamkeit keine Gelegenheit gefunden, nach der echten Freiheit und Selbstständigkeit zu streben und diese hohen Güter auch in der rechten Weise anzuwenden. So war sie das geworden, als was man sie bezeichnete, die wilde Polin.
Ihre Verlobung war das Werk kalter Berechnung, der sie sich nur gezwungen gefügt hatte. Der Baron war ihr verhaßt und widerwärtig, und da er ihr mit verletzender Offenheit zeigte, daß er nur von geschäftlichen Rücksichten in ihre Nähe geführt worden sei, so machte auch sie keine Anstrengung, ihm ihre Gesinnung zu verhehlen und ersah sich aus der Verbindung mit ihm weder Glück noch Segen. Sein herrisches und hofmeisterliches Gebaren empörte sie, und mit Befriedigung ergriff sie deshalb jede Gelegenheit, sich unabhängig von ihm zu zeigen. Daher kam auch ihre gegenwärtige Bereitwilligkeit, sich von der Auction nicht auszuschließen, deren Ergebniß ganz ihren Wünschen entsprechend war. Hätte der Baron sie erstanden, so hätte sie sofort den Saal verlassen, nun er aber geschlagen worden war, beschloß sie, dem Sieger durch freundliches Entgegenkommen zu danken und heut einmal so recht fröhlich unter den Fröhlichen zu sein.
Sie hat ihren eigenen Kopf und den Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen …
„Unfehlbar“ ist sie wiederum auch nicht:
War es möglich? Deutlich fühlte sie das zornige Klopfen ihres Herzens; das Auge öffnete sich weit bei dem Anblicke des rußgeschwärzten Mannes, und über ihre weichen Züge legte sich jene strenge Kälte, hinter deren Schild die gekränkte Weiblichkeit sich so gern und erfolgreich flüchtet. Ein rascher Blick in das Angesicht des Barons zeigte ihr ein schadenfrohes, höhnisches Lächeln, welches ihr die in diesem Augenblicke so nothwendige Fassung zu rauben drohte und ihr es schwer, ja fast unmöglich machte, das Richtige zu treffen.
Und einsichtsfähig ist sie auch:
Sie schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. Ihr Auge hing noch an der Thür, welche sich hinter dem Essenkehrer geschlossen hatte. Die Härte in ihren Zügen war gewichen und hatte einem sinnenden Ausdrucke Platz gemacht. Wie kam dieser Mann zu der noblen Tournüre und behenden Sprachfertigkeit, die er während des ganzen für sie so beleidigenden Vorganges gezeigt hatte? Woher kam ihm die Geschicklichkeit. diese Beleidigung zu pariren und auf die Gegner zurückzuwerfen? War diese sonore, metallreiche Stimme nicht schon einmal an ihr Ohr geklungen und warum hatte dieselbe bei den Worten: »ich kenne Sie nicht« einen so merkwürdigen Klang gehabt?
Es wurde ihr klar, daß der faux pas, den sie begangen, größer war als der seinige, wenn bei ihm überhaupt von einem solchen die Rede war. Sie war nicht nur unhöflich, sondern sogar undankbar und rücksichtslos gewesen. Während die Andern sich in ihrem Vergnügen nicht hatten stören lassen, war er dem Rufe der Pflicht gefolgt und derselben gewiß im vollsten Maße nachgekommen. Sein Habit war verbrannt und zerrissen, und grad' der unausstehliche Geruch desselben führte den deutlichsten Beweis, daß er sich sogar mitten in die Flammen hineingewagt habe. Und diesem braven, vielleicht sogar kühnen Manne, der obendrein ihretwegen eine so bedeutende Ausgabe gemacht hatte, war für alles Das nur bittere Kränkung geworden. O, wie haßte sie den Baron, dessen Blick sie getrieben hatte, Worte zu sprechen, die sie jetzt bereuen mußte.
Und was nun? Die Freude war gestört, und wenn auch Viele der Anwesenden ihr Verhalten gerechtfertigt fanden, so war doch bei den Anderen die Unzufriedenheit mit demselben desto deutlicher zu erkennen, und sie selbst konnte sich bei dem Nachdenken über ihre Lage einer kleinen Verlegenheit nicht erwehren.
Wenn einem einer mitteilt, dass er einen liebt
»Dir meine Huldigung zu bringen,
Nah' ich, ein armer Troubadour.
D'rum laß fortan mein Lieb erklingen,
In Deiner Locken duft'ger Spur.«
ist es kein Wunder, wenn man errötet. (Wer solcher Regungen nicht mehr fähig wäre, sollte sich fragen, ob bei ihm noch alles in Ordnung ist.) Sie ist auch sehr schnell wieder gefasst und zettelt eine kleine Spielerei an, so ist das Leben:
Bei dem Klange dieser Stimme, an welcher sie sofort den Essenkehrer erkannte, zog tiefe Röthe über das Antlitz Wanda's, aber sie faßte sich schnell und erwiderte:
»Der Sänger ist uns hoch willkommen! Weilt bei uns, lieber Troubadour, und nehmt hier diese Rose als Zeichen Unserer königlichen Gunst.«
Das Knie beugend, nahm er die Rose in Empfang, drückte sie an seine Lippen und steckte sie an die Brust. Hernach erhob er sich.
»Doch ist die Rose einer Königin nicht ohne schwere Mühe zu erlangen. Es soll Uns Eure Kunst den Dank erstatten.«
»Ich harre des Befehls. Sprecht, Königin.«
»Die Flamme hat in Unsrer Nachbarschaft gewüthet, und kühne Heldenthat ist bei dem Brand geschehen. Uns war es nicht vergönnt, dabei zu sein; doch möchten gern Wir sichre Kunde hören. Dort ist die Bühne; zieht den Vorhang auf und laßt sofort Uns den Bericht vernehmen.«
Sie ist sich der Außergewöhnlichkeit ihres „Spielpartners“ und ihrer eigenen bewusst, sie ist überhaupt sehr bewusst:
Wanda hatte, wie gesagt, den Schornsteinfeger wieder erkannt; sie sah sich tief beschämt durch die Delicatesse, welches er durch das Verschweigen seines Namen und die Verzichtleistung auf seine Ansprüche zeigte, und zugleich mußte sie die Feinheit bewundern, mit welcher er sich von dem Baron Satisfaction verschafft hatte, dadurch, daß er sich von keinem Andern vorstellen ließ, als von ihm, der ihn erst vor Kurzem auf eine so unmanierliche Weise fortgewiesen hatte. Die Aufgabe, welche sie ihm ertheilt, war sicher keine leichte; aber es war ihr gewesen, als müsse und werde sie ihn mit etwas Leichterem beleidigen. Er hatte sich einen Troubadour genannt, hatte in Reimen zu ihr gesprochen, und sein ganzes Wesen sprach dafür, daß er der Aufgabe gewachsen sei. Mit Spannung harrte sie deshalb der Lösung derselben.
Und sie hat, bei aller Coolness, Burschikosität und Hemdsärmeligkeit: Gefühl, und kein Problem damit, das auch zu zeigen:
Als er durch die Portiere wieder in den Saal trat, stand Wanda vor ihm und streckte ihm beide Hände entgegen. An ihren Wimpern hingen helle Tropfen und die tiefste Rührung bebte um den feinen, zitternden Mund.
»Können Sie mir verzeihen?«
»Gern, o so gern.«
»Und wollen Sie mein König sein?«
»Ich wage es nicht.«
»Aber wenn ich Sie bitte?«
»Dann gehorche ich; denn eine Bitte von Ihnen ist mir Befehl.«
»Kommen Sie schnell. Noch haben wir Blumen zu einer zweiten Krone, und ich werde bestrebt sein, Alles gut zu machen.«
(Fortsetzung folgt)