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Winnetou tritt

Verfasst: 11.7.2012, 15:33
von rodger
Dieser Tage las ich die Formulierung „dass Winnetou deutlich im Vordergrund tritt“, dazu fiel mir eine Stelle wieder ein, in der Winnetou in der Tat tritt, und zwar, wie ich dann beim Nachsuchen realisierte, einen Gegner gar zu Tode.
Es ertönte ein Schrei des Schreckens aus den Kehlen aller Utahs, welche in der Nähe standen. Winnetou war dem Alten mit einem gewaltigen Satze gegen den Leib gesprungen, hatte ihn dadurch hintenüber geworfen, versetzte ihm mit der Ferse einige Hiebe und Tritte auf die Brust und gegen den Kopf und kehrte wieder nach seinem Platze zurück.
Auf den allgemeinen Schrei trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, so daß man die laute Stimme des Apachen hörte: "Winnetou hat ihn gewarnt. Nanap neav hörte nicht und wird nun nie wieder einen Apachen beleidigen."
Die andern Häuptlinge waren aufgesprungen, um den Alten zu untersuchen. Die Hirnschale war ihm an der rechten Seite des Kopfes eingetreten und ebenso ein Teil des Brustkastens. Er war tot.
Das steht in „Der Schatz im Silbersee“, einer „Jugenderzählung“ ... (in der aktuell im Handel befindliche Bamberger Fassung so nicht) Andere Zeiten ... heute schlecht vorstellbar, daß in einer Erzählung für die Jugend eine „Positivfigur“ einen anderen tot tritt. Paßt auch so gar nicht ins heute vorherrschende sehr geglättete, falsch einseitige May-Bild. Wenn das auf einer Freilichtbühne so gebracht würde, wie es da steht, würden sie alle aufschreien ... nicht wissend / nicht ahnend, daß es bei May so steht (wie auch noch manches andere ...). Und auch unter den Informierteren „verdrängen“ die, die ihn gerne [ausschließlich] als Friedensapostel, Botschafter christlicher Nächstenliebe o.ä. vereinnahmen und 'verkaufen' („verkaufen“ einmal mit und einmal ohne Anführungszeichen gedacht & zu lesen ...), gern solche Stellen ... solche Facetten seines Wesens ... (Ereiferte sich nicht mal jemand in der Mailingliste, weil man nicht bereit war, die alberne These von der vermeintlichen Ablehnung von Gewalt bei Karl May hinterfragungsfrei so stehen zu lassen ...)

(Ich les‘ immer so viel blauäugig familiengerechtes Friedefreudeeierkuchenzeugs zu May, heuer zum „May-Jahr“ ist es besonders arg ... da kann ab und zu mal eine Art kleines Gegengewicht nicht schaden, sozusagen belebend oder auch anregend oder was weiß ich in die Suppe spuckender Weise ...) (just for fun, sozusagen, bringt nichts, th’is clear ...)

:D

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 15.7.2012, 9:26
von Dernen
Ein wirklich berechtigter und bedenkenswerter Zwischenruf. Und daß sowas nichts bringt, möchte ich zumindest nicht behaupten. Vielleicht greift der eine oder andere das Thema mal auf...

In der KMV- Bearbeitung ist die Szene noch drin, aber - wie Du ja schriebst - nicht so, nämlich nicht ganz so brutal. Da tritt Winnetou den alten Häuptling "nur" um, schlägt mit dem Kopf auf einen Stein und ist dann auch tot. Ich erinnere mich aber noch daran, daß mir dies vor 50 Jahren schon einigermaßen heftig vorkam. Wobei der "Silbersee" allgemein recht brutal ist. Abgeschnittene Ohren, die Tramps am Marterpfahl usw.

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 15.7.2012, 10:50
von rodger
Rolf Dernen hat geschrieben: Da tritt Winnetou den alten Häuptling "nur" um, schlägt mit dem Kopf auf einen Stein und ist dann auch tot.
Karl May hat geschrieben: Winnetou tot! Diese beiden Worte sind genügend, um die Stimmung zu bezeichnen, in welcher ich mich damals befand.
:mrgreen:

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 15.7.2012, 11:47
von Dernen
"Dieser" fehlte. Danke für die erneute Belehrung.

Meine Verehrung!

Rolf

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 0:22
von markus
Und in "Old Firehand" wird mit Äxte auf Schienbeine rumgehackt. Ja simma jetzt beim Metzger oder was...? :lol:

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 10:12
von rodger
Dernen hat geschrieben: Danke für die erneute Belehrung.

Meine Verehrung!
Immer wieder gern. Wenn man sonst nichts zu melden hat, muß man sich halt ab und zu einen ausgucken ...

8)
"Dieser" fehlte.
Gut daß Du’s erklärst. Ich hatte mich schon gewundert warum der anscheinend ganz korrekte Satz so eigenartig mißverständlich war ... Danke für die Belehrung. Meine Verehrung !

:D

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 10:55
von rodger
markus hat geschrieben:Und in "Old Firehand" wird mit Äxte auf Schienbeine rumgehackt. Ja simma jetzt beim Metzger oder was...? :lol:
Ja, wir sind [sozusagen] [auch] beim Metzger ... [wir haben hien iden Himmel & Hölle, gleichzeitig ... das ist das Gesicht der Welt.]

May beschreibt wie es halt immer wieder so zugeht in dieser unserer Welt, der ach so zivilisierten ... Wir erlebten es zuletzt in Jugoslawien, ist noch nicht so lange her, derzeit in Syrien und sonstnochwo (nicht über alles wird immer so berichtet ...) und in Europa vieleicht auch bald wieder ...

Und so heißt es auch in „Old Firehand“ nach dem Eisenbahn-Abenteuer

„Der Knoten, welcher uns für wenige Viertelstunden mit der Civilisation verband, war nur leicht geschlungen; vielleicht lößte er sich schon in dem gegenwärtigen Augenblicke, welcher uns in die ungewisse und gefahrvolle Nacht hinausführte.“

Das gilt noch heut'. Und so war's auch gemeint [seitens May]. Die sog. Zivilisation ist wie eine dünne Decke, unter der der Abgrund immer sowohl vorhanden als auch wahrnehmbar ist.

(Die Stelle mit Äxten und Schienbeinen hab' ich übrigens nicht gefunden, ich meine mich zwar auch an so etwas in der Art halbdunkel zu erinnern, aber die Suchfunktion liefert nichts entsprechendes)

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 11:14
von Rene Grießbach
Ich kann mich auch gut erinnern an die Äxte und Schienbeine in "Old Firehand",
gebe aber zu bedenken, dass zwischen der Entstehung jener ersten Erzählung und dem "Schatz ..." ne ganze Reihe von Jahren liegt und man somit diese beiden Erzählungen in dieser Hinsicht nicht wirklich miteinander vergleichen kann.

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 11:20
von Hermine
Vielleicht meint Markus die Szene als Old Firehand auf einem Gegner lag „…. und versuchte, einen zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte (mit der Axt) von sich abzuhalten…“

… ob es sich nun um ein Schienbein oder einen Arm handelt, bleibt sich in dem Fall wohl gleich…;o)

Übrigens – so ein gutes Gedächtnis hab ich bei weitem nicht… ich las es zufällig heute Morgen bei Arno Schmidt – für den dieser ganze „….Buhurt sich liest wie eine Orgie – ein Massen=Geschlechtsakt unter Männern…“

:mrgreen:

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 11:23
von rodger
Rene Grießbach hat geschrieben: gebe aber zu bedenken, dass zwischen der Entstehung jener ersten Erzählung und dem "Schatz ..." ne ganze Reihe von Jahren liegt und man somit diese beiden Erzählungen in dieser Hinsicht nicht wirklich miteinander vergleichen kann.
Es ging ja ursprünglich darum daß die „hehre“ Winnetoufigur Dinge betreibt, die man von ihr nicht unbedingt erwartet hätte ... Und auch die sogenannten „Guten“ in anderen Erzählungen verhalten sich halt nicht immer sozusagen sozialverträglich ... Das ist die Querverbindung.

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 11:26
von rodger
Hermine hat geschrieben:dieser ganze „….Buhurt sich liest wie eine Orgie – ein Massen=Geschlechtsakt unter Männern…“
Das ist was dran ... [auch wenn so etwas die Spießbürgerfraktion unter den Mayfreunden gar nicht gerne hört ...]

8)

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 16.7.2012, 20:04
von Dernen
rodger hat geschrieben:
Hermine hat geschrieben:dieser ganze „….Buhurt sich liest wie eine Orgie – ein Massen=Geschlechtsakt unter Männern…“
Das ist was dran ... [auch wenn so etwas die Spießbürgerfraktion unter den Mayfreunden gar nicht gerne hört ...]

8)
Es ist immer die Frage, wen man darunter versteht, nämlich der "Spießbürgerfraktion". Ich persönlich goutiere Schmidts - na ja - Interpretation sehr (ist einfach toll geschrieben), muß sie aber inhaltlich nicht unbedingt teilen. Wegen Schmidts "Sitara" wiederum in empörtes Geschrei auszubrechen wäre dann in der Tat auch nach meinem Geschmack spießbürgerlich.

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 31.7.2012, 22:03
von andrea
Und wenn es einen langweilt?? 8)

Hat denn noch niemand einen Artikel über die Gewalt bei May verfasst? Ich fand das Thema in der Mailingliste sehr interessant und dann wurde es nicht weiter verfolgt. Eine Abhandlung über den Einsatz der Gewalt, warum in der verwendeten Form, Auswirkung, etc. - klingt schon nach Interpretationen zu Schulzeiten. Brrrrr. :cry: Das Thema Gewalt könnte also durchaus mal aufgearbeitet werden. Falls es dazu schon was gibt, wäre ich für Hinweise dankbar.

Die in Filmen und Büchern vorkommende Gewalt bin ich durchaus bereit zu akzeptieren, allerdings nur, wenn sie der Handlung dient (klingt irgendwie gefährlich...). Aber sobald ich den Eindruck habe, dass es nur der Gewalt an sich dient, also ....hm, wie drückt man das aus?... ja, also dass es die Handlung nicht voranbringt, wenn man den Eindruck gewinnt, dass der Schreiber/Regisseur damit gewisse Seiten auslebt, dann lese ich nicht weiter bzw. switch auf einen anderen Kanal. Dann ist das für mich erledigt.

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 31.7.2012, 22:15
von rodger
Neben Handlung voranbringen und gewisse Seiten ausleben gibt es aber auch noch wesentlichere Beweggründe, z.B. aufzuzeigen, was halt so abgeht in der Welt ... Und das dürfte bei May meistens der Fall sein, wenn es um Gewalt geht. Meistens. Im "Schwarzen Mustang" z.B. vielleicht auch nicht, da könnte es auch durchaus um gewisse Seiten ausleben gehen ...

Re: Winnetou tritt

Verfasst: 31.7.2012, 22:40
von rodger
Ein weiterer Aspekt bei solchen Dingen bei May ist daß er herüberbringen will daß man eine eigene Moral haben kann ... die sich eben nicht gängigerweise nach 'Recht und Gesetz' u.ä. richtet ... Z.B. bei so Dingen wie der Erschießung Holferts durch Winnetou in W III, der Tötung eines Gegners durch Vater Jaguar im "Vermächtnis des Inka" oder eben auch der genannten heftigen Reaktion Winnetous im "Schatz im Silbersee" kommt das m.E. einigermaßen deutlich herüber ...