Vorlage von "Die Juweleninsel"

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Scheuch
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Vorlage von "Die Juweleninsel"

Beitrag von Scheuch »

Gibt es eine Vorlage oder einen geschichtlichen Hintergrund für den Indienteil von "Die Juweleninsel"?

-SCHEUCH-
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Der im Unterforum "Klassische Abenteuerliteratur (bis 19. Jh.)" andiskutierte Roman "Nena Sahib" von Sir John Retcliffe könnte ebenso wie die in Indien spielenden Teile von Eugen Sues "Der ewige Jude" ein Vorbild für May gewesen sein. Bei meiner Ustad-Ausgabe von "Nena Sahib" bin allerdings vorsichtig mit Textvergleichen, da die beiden Bände in typischer KMV-Manier bearbeitet worden sind, man weiß nie, ob ein Satz nun Original ist oder nicht. Die Würger-Episoden aus Sues Roman habe ich mir vor langer Zeit zwar auch mal aus einer zeitgenössischen Ausgabe kopiert, aber das ist wahrscheinlich auch nur eine von mehreren Übersetzungen.
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

»Aber, mein Herr, das klingt ja wirklich ganz so, als sei Ihre Erzählung aus der Feder von Alexander Dumas, oder Eugen Sue geflossen!« [Karl May: Die Juweleninsel]

»Wer ist er?« fragte der Maharadscha.
»Blicke ihn an! Hast Du ihn noch nicht gesehen?«
»Nie.«
»Und Du, Nena, kennst Du diesen Mann?«
»Nein,« antwortete der Indier. »Doch ist es mir, als ob ich ihn einmal gesehen hätte.«
[Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden]

Zur Verdeutlichung zitiere ich dann doch mal einige der Würgerszenen in den Romanen von Retcliffe und Sue. Doch zunächst erst einmal Karl May:

Die Juweleninsel: Aus Scheu vor den wilden Thieren, denen er beinahe unbewaffnet gegenübergestanden wäre, war er eben zur Umkehr bereit, als es neben ihm in den Büschen raschelte. Er zog seinen Handjar, kam aber nicht zum Streiche, denn noch ehe er irgend ein menschliches Wesen erblickt hatte, sauste ihm ein lederner Riemen um den Leib, zog ihm die Arme zusammen, und dann wurde er in fürchterlicher Eile durch die Büsche gerissen, so daß er die Besinnung verlor.
Als er erwachte, befand er sich auf einer engen Lichtung, welche rings von dichten baumhohen Farren umgeben war. Er lag noch immer gebunden am Boden, und um ihn herum hockten einige zwanzig wilde Gestalten, deren verwegenes Aussehen ihn nichts Gutes vermuthen ließ. Sie waren bis unter die Zähne bewaffnet, trugen lange, gekrümmte, absonderlich gestaltete Messer im Gürtel und lauschten auf die Worte eines Mannes, welcher auf einem Steine einen etwas erhöhten Standpunkt genommen hatte und in fürchterlicher Begeisterung zu den Andern redete.
Alphons schauderte. Das ganze Aeußere und besonders die Schlingen, welche sie trugen, belehrten ihn, daß er einer Bande jener berüchtigten Thugs in die Hände gefallen sei, bei denen der Mord zur Religion geworden ist, und welche dieser Religion mit der entsetzlichsten Energie huldigen.
Diese Thugs sind durch ganz Indien verbreitet, zu ihnen gehört nicht etwa der Auswurf der Bevölkerung, nein, sondern sie rekrutiren sich aus allen Kasten und Ständen, von dem verachteten Paria bis hinauf zum weiß gekleideten Priester und Brahmanen, oder gar dem Scepter tragenden Fürsten.
Der Thug ist der fürchterlichste Mensch, den es auf Erden gibt. Er überfällt Dich in der Einsamkeit des Waldes oder der Dschungel, er mordet Dich mitten in der Stadt, mitten in einer Versammlung, welche ihm ein Entkommen zur Unmöglichkeit macht. Du trittst aus dem Schiffe an das Land, und sein Dolch fährt Dir in das Herz; er begleitet Dich als treuer sorgsamer Diener Jahre lang durch Indien, und in der letzten Nacht vor Deiner Abreise stößt er Dir das Messer in die Kehle. Vor ihm ist keiner sicher, weder der In- noch der Ausländer, obgleich er es allerdings zumeist auf den letzteren abgesehen hat. Keiner der zu dieser furchtbaren Sekte Gehörigen verräth den Andern; selbst die größte Marter vermag nicht, ihm ein einziges Wörtchen oder auch nur die kleinste Mittheilung über seine infamen höllischen Satzungen zu entlocken, und nur so viel ist gewiß, daß es in diesem weit verbreiteten Henkerbunde verschiedene Grade und Stufen gibt, welche von den Angehörigen nach und nach erstiegen werden. Die Angehörigen des einen Grades morden nur mit der Schlinge, die Andern mit Gift, die Dritten mit dem Ersäufen, die Vierten mit dem Verbrennen, die Fünften mit der Keule und die Uebriigen mit andern Instrumenten oder Todesarten.
Der fürchterlichste Angehörige der Thugs aber ist der Phansegar, dessen Mordwaffe in einem haarscharfen, sichelförmig gebogenen Messer besteht, welches so giftig schneidend und dabei so schwer ist, daß es nur einer geringen Bewegung der geübten Hand bedarf, um ein Menschenhaupt in einem einzigen Augenblicke vom Rumpfe zu trennen.

Nun Sir John Retcliffes Nena Sahib:

Kapitel: In den Händen der Würger (Ustad-Ausgabe): Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er sich völlig aufgerichtet hatte, flimmerte eine dunkle Linie vor seinen Augen, und eine Schlinge fiel um seinen Nacken. Sie wurde zugezogen, und der Fremde stürzte, im Ersticken um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp von Kameldorn und stachelstarrenden Akazien hinter ihm erhob sich das gelbbraune wilde Gesicht eines Thug. Das lange schwarze Haar war nur mit einem schmutzigen blauen Tuch, der nackte Körper von den Hüften bis zum Knie mit einer baumwollenen Hose bekleidet.
Zugleich kam ein zweiter Thug hinter dem Stamm einer Tamariske hervor. Er hielt noch das Ende einer Schnur von Kokosfasern in der Hand. Kurze Zuckungen zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in dem Opfer floß, zu versiegen drohte.

Wie bei Karl May stirbt der europäische Held jedoch nicht, denn der Überfall war leider ein Irrtum, wie der Chef vom Würgerkomitee dann auch gleich entsetzt feststellt:

Der Fremde trug einen europäischen Jagdrock, und der kurze, stehende Kragen hatte das feste Zusammenziehen der Schnur verhindert. Der Marathenhäuptling glaubte noch einen leisen Herzschlag zu fühlen. Er befahl seinen beiden Dienern, des Erwürgten Glieder zu reiben, während er selber dessen Arm entblößte und mit dem Seidentuch , das der Mordtat gedient hatte, unterband.
„Laß ihn zur Ader!“ gebot er den Speerträger.
In stummen Erstaunen folgten die Mörder diesen Bemühungen, doch verriet keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken ihrer Augen ihre Gefühle oder ein Zeichen von Furcht. Aber sie rührten auch keine Hand zur Hilfe. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkeit geschlagen, gab anfangs wenig Blut. Nach und nach begann es reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten erhob sich, die Augen verloren die Starrheit des Todes, die Lider schlossen sich.

Mit einem 'Kräutertrunk' Güteklasse XXXL-Plus gestärkt kommt der so unhöflich Gewürgte denn auch bald auf die Beine. Die Würger sind natürlich von der wilden Sorte, wilde lange Haare, wilde braungelbe Körperfarbe - und bei Sue - mit wilden Black-Style der Zähne, ein ähnliches Design empfiehlt meines Wissens nach sonst nur der Südpolarkreis-Dentist in Poes "Arthur Gordon Pym":

Sue – Der ewige Jude, 3. Teil: Die Würger: Nicht lange, so wird unter Binsen ein Menschenhaupt von abstoßender Häßlichkeit sichtbar. Langes, schwarzes Haar bedecken dasselbe, und zwischen seinen Strähnen blitzen die schwarzen Augen in unheimlichen Feuer. Soweit sich von dem Gesichte und der übrigen Haut sehen läßt, ist der Mensch, dem das Haupt gehört, von dunkelbronzener Farbe. (...) Er ist bis auf das weiße Beinkleid, das durch einen brennendroten Gürtel um die Hüften zusammengehalten wird, nackt (...) Jetzt sieht er den schlummernden Dschalma, und seine Augen sprühen eine wilde Glut, in seinen Mundwinkeln spielt ein böses Lachen, das zwei Reihen glänzend schwarzer, dreieckig gefeilter Zähne zeigt.
(...)
Wer ist der Mann, der jetzt wieder den Kopf vorstreckt, um die Ajupa und den indischen Prinzen zu mustern? Der Dolch, der ihm am Halse hängt, kennzeichnet ihn als Malaien, eine seltsame Tätowierung der Arme als einen Anhänger der schrecklichen Würgersekte, die im ganzen östlichen Asien seit uralten Zeiten heimisch ist und sich die Vertilgung der menschlichen Rasse zum Ziele setzt.
(...)
Ein großer Schmetterling setzte sich in seiner Nähe auf eine Blume; und als er sich bückte, ihn zu fangen, da sah der Indier zu seinem Entsetzen die Schreckensgestalt das Würgers. Gleich darauf vernahm er ein Schwirren, dann ein Pfeifen. Dann fühlte er, wie eine Schnurr sich um seinen Hals ringelte, sich zu einen Knoten schlang, und wie in eine Bleikugel auf den Schädel fiel. Dies alles vollzog sich mit einer Schnelligkeit, und kam für den Indier so unvermutet, daß er nicht einmal aufzuschreien Zeit fand, sondern lautlos in die Kniee zusammenknickte und die Arme von sich streckte. Im andern Augenblicke hatte der Würger schon den Strick so fest um den Hals gezogen, daß das Blut aus der Haut spritzte. Noch ein paar krampfhafte Bewegungen des unglücklichen Opfers, dann war alles zu Ende; der Würger kniete vor ihm nieder und weidete sich an den letzten Zuckungen, wie von wilder Ekstase ergriffen.

Die Ausgabe, nach der hier zitiert wird, ist aus dem Verlag Weichert, der Redakteur desselben hat sich dabei übrigens befleißigt, den Leser in einer Fußnote auf ein weiteres Produkt der Firma aufmerksam zu machen: Wer sich über diese gefährliche Sekte der Würger oder Bihls, auch Bheels geschrieben, näher unterrichten will, der lese den Roman von Sir John Retcliffe: „Nena Sahib“ (im gleichen Verlage, U. Weichert, Berlin NO. 43, erschienen) Es ist dabei eher unwahrscheinlich, daß May diese Übersetzung gelesen haben könnte, insofern sollte die nun folgend zitierte alternative Schreibweise Phansigar - diese findet sich ebenso in der Ustad-Ausgabe des Tretcliffe-Romanes, May schreibt hingegen Phansegar - nicht irritieren, und zu der Vermutung verleiten, May habe den Ausdruck nicht von Sue oder Retcliffe übernommen.

„Du kein Phansigar?“ rief der Leutnant; „wem willst Du das weismachen? Leute! Seht nach an seinem Arme, ob er das Zeichen der Bhavani trägt oder nicht!“- „Die Mühe könnt ihr euch sparen,“ erwiderte höhnisch der Malaie, „er ist ein Phansigar gleich uns und trägt das Zeichen der Bhavani wie wir!“

Sue benutzt übrigens nur den Ausdruck Phansigar, nicht aber Thugs verwendet, Retcliffe dagegen beide: Es ist ein Phansigar aus dem Karnatik; sie nennen sich Tiger und halten diese Tiere heilig. Die Göttin Kali gebietet über sie. May benutzt ebenfalls beide Begriffe. Andererseits gibt es aber bei May keine Göttin Kali wie bei Retcliffe (oder etwa auch in der Indien-Episode von Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt) und keine Göttin Bhavani wie bei Sue und Retcliffe.

Abschließend seinen noch zwei Hinrichtungszenen bei May und Retcliffe gegenübergestellt:


Die Juweleninsel: Beide erblickten vor sich einen hohen, weiten, von riesenhaften Steinmauern begrenzten domartigen Raum, an dessen hinterer Decke sich ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort befand. Unten im Schiffe dieses kirchenähnlichen Raumes knieten vor einem steinernen Altare wohl an die zweihundert Männer, von denen jeder eine Fackel trug. Daher der Harzgeruch und Rauch. Diese Männer waren an ihren Waffen sehr leicht als Thugs und meist als Phansegars zu erkennen, denn in ihrer Armirung herrschte das krumme fürchterliche Messer vor. Zwischen ihnen und dem Altare kauerten vielleicht zwanzig gefesselte Personen, welche alle die englische Uniform trugen.
(...)
Einer der Gefangenen wurde ergriffen und vor den Altar geführt. Der erste Neuling trat zu dem von drei Thugs festgehaltenen Mann heran und that, als wolle er ihm in das Gesicht blicken. Im Nu aber blitzte das verborgen gehaltene Messer, und der Kopf des Opfers rollte zu Boden. Im Augenblicke des tödtlichen Streiches faßte Alphons die Begum am Arme, und das war sehr wohl berechnet, denn sie hätte bei dem Anblicke dieses Mordes sicher einen Schrei nicht unterdrücken können.

Beim KMV wurde die Szene übrigens entschärft, statt Köpfen ist dort Erwürgen angesagt, immerhin bleibt so der Körper intakt:

GW-Version: Einer der Gefangenen wurde ergriffen und vor den Altar geführt. Der erste Neuling trat zu dem von drei Thags festgehaltenen Mann heran und tat, als wolle er ihm ins Gesicht blicken. Im Nu aber warf er ihm die seidene Schlinge über den Kopf. Ich faßte die Begum am Arm, sonst hätte sie bei dem Anblicke des Mordes sicher einen Schrei ausgestoßen.

Und nun schließlich Retcliffe. Das Zitat entstammt wiederum der KMV-Version von "Nena Sahib" - ich kann also nicht ausschließen, daß hier auch der Text bearbeitet wurde, falls dies so sein sollte, so hat es den Kopf hier aber nichts genützt:

Retcliffe – Nena Sahib, In den Händen der Würger (Ustad-Ausgabe): Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft. Tukallah hatte vom Sattel das seltsame Gerät gelöst, den kurzen Stock und eine Stahlscheibe. Mit unhörbaren Tritten hatte er sich den beiden Thugs wieder genähert und war etwa fünfzehn Schritt entfernt stehengeblieben.
Nun steckte er die Spitze des Stabes in die Öffnung der Scheibe und wirbelte sie, kaum die Hand bewegend, im Kreise. So rasch waren die Schwingungen, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Funken zu sehen vermeinte. Mit einem kräftigen Ruck schnellte er den Stahlring durch die Luft – das Haupt Karams fiel zu Boden. Aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes. Der Rumpf hielt sich noch eine Weile in der knienden Sttellung und stürzte dann schwerfällig hin.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 11.6.2005, 14:14, insgesamt 1-mal geändert.
Sven-R. Schulz
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Beitrag von Sven-R. Schulz »

Ich ersetze mal die zitierten Textstellen von Retcliffe durch den entsprechenden Text meiner Buchausgabe aus dem Verlag: Rich. Eckstein Nach. (H. Krüger), Berlin
Thomas Schwettmann hat geschrieben: Nun Sir John Retcliffes Nena Sahib:

Kapitel: In den Händen der Würger (Ustad-Ausgabe): Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er sich völlig aufgerichtet hatte, flimmerte eine dunkle Linie vor seinen Augen, und eine Schlinge fiel um seinen Nacken. Sie wurde zugezogen, und der Fremde stürzte, im Ersticken um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp von Kameldorn und stachelstarrenden Akazien hinter ihm erhob sich das gelbbraune wilde Gesicht eines Thug. Das lange schwarze Haar war nur mit einem schmutzigen blauen Tuch, der nackte Körper von den Hüften bis zum Knie mit einer baumwollenen Hose bekleidet.
Zugleich kam ein zweiter Thug hinter dem Stamm einer Tamariske hervor. Er hielt noch das Ende einer schnurr von Kokosfasern in der Hand. Kurze Zuckungen zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in dem Opfer floß, zu versiegen drohte.
Band 2: Die indische Wüste:
Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er sich noch völlig in die Höhe gerichtet, sah er eine dunkle Linie vor seinen Augen flimmern und fühlte eine Schlingeum seinen Nacken fallen. Im nächsten Moment wurde sie, als er danach griff, zugezogen und der Reisende stürzte, krampfhaft um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp und Gewirr von Kamelkraut, Karyl, Dab und Kedschra, womit die andere Seite des Tamarindenstammes besetzt war, erhob sich ein gelbbraunes wildes Gesicht, das lange schwarze Haar nur mit einem schmutzigen blauen Tuch bedeckt, und der nackte Körper den nur von den Hüften bis zum Knie eine baumwollene Hose bekleidet, folgte .In dem Gürtel steckte ein kurzes Messer.
Zugleich kam eine zweite gleiche Gestalt hinter dem Stamm der Tamarinde hervor; ihre Hand hilt noch das Ende der Schnur von Aloe-Fasern, deren Schlinge den Fremden erwürgt hatte. Leichte kurze Zuckungen des Opfers zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in ihm floß, zu versiegen drohte.
Der Thug – denn ein Mitglied dieser furchtbaren Sekte war es, der nach dem Reisenden die Schlinge geworfen, – wandte sich nach seinem Gefährten.
Thomas Schwettmann hat geschrieben:Der Fremde trug einen europäischen Jagdrock, und der kurze, stehende Kragen hatte das feste Zusammenziehen der Schnurr verhindert. Der Marathenhäuptling glaubte noch einen leisen Herzschlag zu fühlen. Er befahl seien beiden Dienern, des Erwürgten Glieder zu reiben, während er selber dessen Arm entblößte und mit dem Seidentuch , das der Mordtat gedient hatte, unterband.
„Laß ihn zur Ader!“ gebot er den Speerträger.
In stummen Erstaunen folgten die Mörder diesen Bemühungen, doch verriet keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken ihrer Augen ihre Gefühle oder ein Zeichen von Furcht. Aber sie rührten auch keine Hand zur Hilfe. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkit geschlagen, gab anfangs wenig Blut. Nach und nach begann es reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten erhob sich, die Augen verloren die Starrheit des Todes, die Lider schlossen sich.
Hierbei zeigte sich der Grund, weshalb die Schlinge bei dem ersten Mordanfall das Opfer nicht sogleich erwürgt hatte, während doch sonst die hand des Thugs bei dem furchtbaren Geschäft nimmer fehlte.
Der Reisende trug, wie erwähnt, einen europäischen Jagdrock, und der kurze stehende Kragen desselben hatte das feste Zusammenschnüren der Schlinge verhindert. Der Mahrattenhäuptling legte die Hand auf die Brust der Leiche und glaubte noch einen leisen, kaum bemerkbaren Schlag des Herzens zu fühlen. Sofort rief er seine beiden Diener herbei und befahl ihnen des Erwürgten Glieder leise zu reiben, während er selbst den Arm desselben entblößte und mit dem Seidentuch, das zu der Mordthat gedient, unterband. Dann befahl er seinem Speerträger, eine Ader des Mannes zu öffnen.
Mit stummen Erstaunen waren die beiden Mörder den Bemühungen gefolgt, welche der Serdar der Wiederbelebung ihres Opfers widmete, doch legte keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zuckender Augen, ihre Gefühle an den Tag, oder zeigte ein Zeichen von Furcht und von der Absicht, zu entfliehen. Dagegen rührten sie auch keine Hand, um Hilfe zu leisten. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschick geschlagen, gab anfangs wenig Blut, nach und nach aber begann dies reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten hob sich, seine Augen verloren die grässliche Starrheit des Todes, und die Augenlider schlossen sich.

Thomas Schwettmann hat geschrieben: Und nun schließlich Retcliffe. Das Zitat entstammt auch der KMV-Version von "Nena Sahib" - ich kann also nicht ausschließen, daß hier auch der Text bearbeitet wurde, falls dies so sein sollte, so hat es den Kopf hier aber nichts genützt:

Retcliffe – Nena Sahib, In den Händen der Würger (Ustad-Ausgabe): Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft. Tukallah hatte vom Sattel das seltsame Gerät gelöst, den kurzen Stock und eine Stahlscheibe. Mit unhörbaren Tritten hatte er sich den beiden Thugs wieder genähert und war etwa fünfzehn Schritt entfernt stehengeblieben.
Nun steckte er die spitze des stabes in die Öffnung der Scheibe und wirbelte sie, kaum die hand bewegend, im Kreise. So rasch waren die Schwngungen, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Fuken zu sehen vermeinte. Mit einem kräftigen Ruck schnellte er den stahlring durch die Luft – das haupt Karams fiel zu Boden. Aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes. Der Rumpf hielt sich noch eine Weile in der knienden stellung und stürzte dann schwerfällig hin.
Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft.
Tukallahhatte vom Sattel seines Pferdes das seltsame Gerät gelöst, den kurzen Stock und den breiten Stahlring. Mit leisen unhörbaren Tritten hatte er dann den Weg zurückgemacht zu dem Grabe des Thugsund war etwa fünfzehn Schritte entfernt von demselben stehen geblieben.
Dort steckte er die Spitze des Stabes in die Öffnung der Stahlplatte, hob denselben und wirbelte, kaum die Hand bewegend, den Ring um den Stab.
Die Schwingungen waren so rasch, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Funken zu sehen vermeinte.
Plötzlich schnellte er mit einerkräftigen Handbewegung das Ende des Stabes in der Richtung des knieenden Mannes. Der Stahlring fuhr gleich einem Blitzstrahl durch die Luft und in demselben Augenblick fiel das Haupt Karams zu Boden, aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes, der Rumpf hielt sich noch einen Augenblick in der knieenden Stellung und stürzte dann schwerfällig nieder.
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wolf
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Beitrag von wolf »

Hallo,

mir liegt noch eine weitere Variante von „Nena Sahib“ vor.
„Sir John Retcliffe’s historische Romane. Bearbeitet und herausgegeben von Barthel-Winkler. Retcliffe-Verlag GmbH, Berlin 1926“.

Dieser Text ist sehr ähnlich dem der Ustad-Ausgabe.
Trotzdem stelle ich hier noch mal ‚meine’ Texte ein; Unterschiede in rot bzw. unterstrichen.
Thomas Schwettmann hat geschrieben:...
Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er sich völlig aufgerichtet hatte, flimmerte eine dunkle Linie vor seinen Augen, und eine Schlinge fiel um seinen Nacken. Sie wurde zugezogen, und der Fremde stürzte, im Ersticken um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp von Kameldorn und stachelstarrenden Akazien hinter ihm erhob sich das gelbbraune wilde Gesicht eines Thug. Das lange schwarze Haar war nur mit einem schmutzigen blauen Tuch, der nackte Körper von den Hüften bis zum Knie mit einer baumwollenen Hose bekleidet.
Zugleich kam ein zweiter Thug hinter dem Stamm einer Tamariske hervor. Er hielt noch das Ende einer schnurr von Kokosfasern in der Hand. Kurze Zuckungen zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in dem Opfer floß, zu versiegen drohte.
Kapitel: In den Händen der Würger:

Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er sich völlig in die Höhe gerichtet, flimmerte eine dunkle Linie vor seinen Augen und eine Schlinge fiel um seinen Nacken. Sie wurde zugezogen und der Fremde stürzte, im Ersticken um sich schlagend, zu Boden.
Aus dem Gestrüpp und Gewirr von Kamelkraut, Karyl, Dab und Kedschra hinter ihm erhob sich das gelbbraune wilde Gesicht eines Thugs. Das lange schwarze Haar war nur mit einem schmutzigen blauen Tuch, der nackte Körper von den Hüften bis zum Knie mit einer baumwollenen Hose bekleidet.
Zugleich kam ein zweiter Thug hinter dem Stamm einer Tamarinde hervor; er hielt noch das Ende einer Schnur von Aloefasern in der Hand. Kurze Zuckungen zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in dem Opfer floß, zu versiegen drohte.
Thomas Schwettmann hat geschrieben:...
Der Fremde trug einen europäischen Jagdrock, und der kurze, stehende Kragen hatte das feste Zusammenziehen der Schnurr verhindert. Der Marathenhäuptling glaubte noch einen leisen Herzschlag zu fühlen. Er befahl seien beiden Dienern, des Erwürgten Glieder zu reiben, während er selber dessen Arm entblößte und mit dem Seidentuch , das der Mordtat gedient hatte, unterband.
„Laß ihn zur Ader!“ gebot er den Speerträger.
In stummen Erstaunen folgten die Mörder diesen Bemühungen, doch verriet keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken ihrer Augen ihre Gefühle oder ein Zeichen von Furcht. Aber sie rührten auch keine Hand zur Hilfe. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkit geschlagen, gab anfangs wenig Blut. Nach und nach begann es reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten erhob sich, die Augen verloren die Starrheit des Todes, die Lider schlossen sich.
Der Fremde trug einen europäischen Jagdrock, und der kurze, stehende Kragen hatte das feste Zusammenschnüren der Schnur verhindert. Der Mahrattenhäuptling glaubte noch einen leisen Herzschlag zu fühlen. Er befahl seinen beiden Dienern, des Erwürgten Glieder zu reiben, während er selber dessen Arm entblößte und mit dem Seidentuch, das zu der Mordtat gedient, unterband.
„Laß ihn zur Ader!“ gebot er dem Speerträger.
In stummen Erstaunen folgten die Mörder diesen Bemühungen, doch verriet keine Miene der ehernen Gesichter, kein Zucken der Augen ihre Gefühle oder ein Zeichen von Furcht. Aber sie rührten auch keine Hand zur Hilfe. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkeit geschlagen, gab anfangs wenig Blut; nach und nach begann es reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten erhob sich, die Augen verloren die Starrheit des Todes, die Lider schlossen sich.
Thomas Schwettmann hat geschrieben:...
Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft. Tukallah hatte vom Sattel das seltsame Gerät gelöst, den kurzen Stock und eine Stahlscheibe. Mit unhörbaren Tritten hatte er sich den beiden Thugs wieder genähert und war etwa fünfzehn Schritt entfernt stehengeblieben.
Nun steckte er die spitze des stabes in die Öffnung der Scheibe und wirbelte sie, kaum die hand bewegend, im Kreise. So rasch waren die Schwngungen, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Fuken zu sehen vermeinte. Mit einem kräftigen Ruck schnellte er den stahlring durch die Luft – das haupt Karams fiel zu Boden. Aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes. Der Rumpf hielt sich noch eine Weile in der knienden stellung und stürzte dann schwerfällig hin.
Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft.
Tukallah hatte vom Sattel das seltsame Gerät gelöst, den kurzen Stock und die Stahlscheibe. Mit unhörbaren Tritten hatte er sich dem Grabe des Thugs wieder genähert und war etwa fünfzehn Schritte entfernt stehengeblieben.
Nun steckte er die Spitze des Stabes in die Öffnung der Scheibe und wirbelte sie, kaum die Hand bewegend, im Kreise. So rasch waren die Schwingungen, daß man im Sonnenlicht nur einen blitzenden Funken zu sehen vermeinte.
Mit einem kräftigen Ruck schnellte er den Stahlring durch die Luft – das Haupt Karams fiel zu Boden; aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes; der Rumpf hielt sich noch eine Weile in der knienden Stellung und stürzte dann schwerfällig nieder.

Eigentlich dachte ich ja, dass ich eine recht originalgetreue Ausgabe, bzw. eine so wie sie Karl May gekannt haben könnte, erworben hatte. Aber wie das ja so mit dem denken ist …

Im Vorwort stand dort u.a. folgendes zu lesen:

Solche Mängel zu beseitigen, war die Aufgabe dieser vorliegenden Gesamtbearbeitung. Zum ersten Male, wie schon erwähnt, liegt „Nena Sahib“ vor dem Leser als ein wirklich abgeschlossenes Werk und lässt ihn den Ausklang der entsetzlichen Tragödie am Ganges erleben. Daß nebenher auch andere, im Arbeitsfieber Goedsches unterlaufene stilistische Mängel im langwierigen Nachschaffen ausgemerzt wurden, versteht sich von selber.

Gereinigt zwar von den allzu krassen Auswirkungen seines tagespolitischen Standpunkts, ist doch kein Wort gestrichen, nur weil es vielleicht dem heutigen Geschmack zu stark erschien; keine Zeile hinzugefügt, wenn es nicht die Umgruppierung unbedingt zu besserem Verständnis erheischt. Kurz: Retcliffe ist Retcliffe geblieben. –
Daß dieses Ziel erreicht wurde, ist zum großen Teil das Verdienst des ausgezeichneten Geschichtsforschers Otto Gottstein – Leipzig und des vorzüglichen Kenners der gesamten erotisch-romantischen Literatur, Dr. Euchar Schmid – Radebeul, denen für ihre selbstlose und opferfreudige Mitarbeit herzlich Dank gesagt sei; sie haben das Werk in wertvoller Gemeinschaft mit dem Verfasser unseres Geleitwortes, dem ehrwürdigen Imam der indisch-muslimischen Gemeinde von Berlin, Professor Jabbar Kheiri – einem Sohn der uralten Kaiserstadt Indiens, des goldenen Delhi – über manche Fährnis hinwegführen helfen.

Berlin, im März 1926.
Barthel-Winkler.

Außerdem liegen mir noch zwei Ausgaben von Sue vor.
- Eugen Sue „Der ewige Jude“ Berlin W50, Schreitersche Verlagsbuchhandlung, übersetzt und bearbeitet von Paula Feuerharmel; ohne Jahresangabe (vermutlich eine gekürzte Ausgabe, da nur ein relativ dünner Band).
- „Der ewige Jude“ von Eugéne Sue, in’s Deutsche übertragen von Theodor Hell, Grimma 1845, 2. – 10. Teil (leider fehlt mir der 1. Teil).

Wenn sich hier ebenfalls Textänderungen ergeben sollten, werde ich diese auch noch mal einstellen, kann aber etwas dauern, da ich erst mit „Nena Sahib“ angefangen bin zu lesen. :lol:


Gruß
Wolfgang König
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