Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erden")

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rodger
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Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erden")

Beitrag von rodger »

... fiel mir heute bei recht banaler Gelegenheit wieder einmal ein (das kommt des öfteren vor ...).

Er ist m.E. so [gleichsam] atemberaubend, daß ich ihn gern noch einmal hier wiedergebe
»Die Leiche eines aus dem Paradies Gestürzten fiel in das Licht; da dunkelte es für einen Augenblick, und dieser Augenblick ist unser Erdenleben; da herrscht nun die Verwesung der Leiche. - - - Meine Brüder, es gibt - - - Krieg!«
»Wo - wo - wo - - - wo?« rief es rundum.
»Hier - - bei uns - - im Lande unserer »Shen«! Der Bote brachte mir die Trauerkunde. Fragt nicht, weshalb, und fragt auch nicht, mit wem? Ich aber frage im Namen der Menschheit in dieses tiefe Dunkel, in diese Finsternis hinein: - - -«
Er kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn plötzlich wurde es wieder hell, fast heller noch, als es vorher gewesen war, um uns und auch da draußen, im Freien. Die Leiche des verunglückten Dilke war, ob durch Naturkraft oder durch Menschenhand, das ließ sich jetzt nicht sagen, beseitigt worden, und sofort kehrte das Licht in die verfinsterten Körper zurück. Von neuem stand das Kreuz in weithin leuchtender Glut, und überall ertönten jubelnde Stimmen, seine Rückkehr zu begrüßen. Bei seinem Lichte sahen wir die Scharen der Menschen, welche aus dem Dorfe hinauf nach der Kapelle zogen. Das waren nicht nur die bekehrten Anhänger der Fan-Fan, sondern Hunderte und aber Hunderte mehr, die sich ihnen angeschlossen hatten.
»Noch habe ich die Frage nicht ausgesprochen, so ist schon die Antwort da!« rief Fu. »Ich hoffe, daß wir alle sie verstehen! Ziehen wir jetzt mit nach der Kapelle. Dort fließt uns die Quelle des Lichtes, das zwar verdunkelt werden, doch nie verlöschen kann!«
»Ja, steigen wir mit hinauf,« stimmte der Ho-Schang bei. »Nicht hier, sondern dort oben ist der rechte Platz, die kaiserlichen Worte zu verlesen, die ich Euch mitzuteilen habe. Sie sichern Euch die allerhöchste Gnade und allerhöchsten Schutz; das sollen Alle hören, die sich jetzt dort versammeln. Wir feiern heut den Shen-Ta-Shi, den großen Tag der »Shen«, doch reicht er über Tag und über Nacht, geht über Monden, über Sonnen hin und wird auf Erden nie und nimmer enden!«
Da faltete der alte, ehrwürdige Reverend die Hände und sprach:
»Die allerhöchste Gnade und der allerhöchste Schutz! Im Sinne unserer »Shen« also die Gnade und der Schutz des Allmächtigen und Allliebenden, bei dem es ewig Frieden gibt, selbst wenn des Krieges Ruf hier bei uns Törichten sogar am »großen Tag der Menschlichkeit« erklingt. Hinauf zu ihm, zu unserer Kapelle! Gleich ist es Mitternacht; sie soll uns betend - dankend - hoffend finden!« - - -
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rodger
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Re: Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erde

Beitrag von rodger »

Auf der Rückfahrt von einem Ausflug ins Gebirge, bei heraufkommendem "Wettergewölk" und "Sturmstimmung", "als flöhen wir geduckt von einem drohenden Weltuntergang", sehen Hermann Hesse und sein Begleiter "mitten in dieser prächtig wilden Verdüsterung" einen beeindruckenden Regenbogen. "Sieh, das soll uns ein Zeichen sein, das bedeutet Frieden." Es folgt
Indessen gelang es uns nicht, durch das gleißende farbige Tor zu fahren, sondern der Bogen, stets auf beiden Talseiten bis zum Boden sichtbar, schwebte leuchtend vor uns her, immer zum Greifen nah, so neckisch wie feierlich, immer dicht vor uns, nie erreichbar, und begleitete uns so die ganze lange Paßstraße entlang. Nochmals berührte Hans meinen Arm, und als ich mich lächelnd zu ihm umwandte, meinte er: "Er schwebt vor uns her, der Friede, er lacht uns an, er tröstet uns, aber wir erreichen ihn nicht, wir werden ihn nie erreichen."
(Hermann Hesse, Rundbrief aus Sils-Maria, 1954. In Sämtliche Werke Band 12, S. 653)

So ist das. Auch in F 30. Wobei der Ton bei Hesse milder, entspannter klingt.
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rodger
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Re: Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erde

Beitrag von rodger »

Und noch einmal Hesse in Sachen Friede auf Erden,
Das Vollkommene aber ist hienieden
Ohne Dauer, Krieg wohnt jedem Frieden
Heimlich inne, und Verfall dem Schönen.
('Orgelspiel', Materialien zu Hermann Hesses 'Das Glasperlenspiel', Erster Band, S. 330)

So ist es. Und das kommt eben auch bei May am Ende von F 30 herüber. Wertungsfrei und entspannt. (Na gut vielleicht nicht ganz so wertungsfrei und entspannt wie bei Hesse ...)
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Doro
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Re: Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erden")

Beitrag von Doro »

Der Ton macht die Musik, oder so ähnlich ... Krieg klingt schon hart und unentspannt, im Gegensatz zu Frieden.
Nie wieder, nie wieder ... die Gegenwart weiß es besser. Als würde die 'höhere Zivilisation' oder angebliches 'Bewusstsein' dazu tendieren, vllt ist's auch Dekadenz ... :confused:

P. S. : Hesse war ein Wort Maler ... seine Bilder sind traumhaft schön.
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rodger
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Re: Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erden")

Beitrag von rodger »

Hesse geht ja davon aus, daß es halt immer wieder so sein muß, nennt in dem Zusammenhang eine indische Gottheit, die immer wieder alles zerstört. (Shiva)

(und aktuell kann ich mich leider des Eindrucks nicht erwehren, daß die Politiker alles tun, auf das auch hier bald die Raketen einem um die Ohren fliegen ... würde mir ein friedlicheres Ableben wünschen.)
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Doro
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Re: Der atemberaubende Schluß von F 30 ("Und Friede auf Erden")

Beitrag von Doro »

Jupps ... die Geschichte zeigt es, von Ur über Alexandria bis Tenochtitlan etc.

(Mhhmm, s'wahr)
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