Jack London

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rodger
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Jack London

Beitrag von rodger »

Derzeit lese ich die Biographie von Rolf Recknagel, aus dem Verlag Neues Leben aus Vor-Wende-Zeiten, nach ersten Eindrücken stramm auf Sozialistisch gebürstet, wogegen nicht unbedingt generell etwas spricht, womit man allerdings Jack London nicht so richtig gerecht wird, der zwar AUCH (unter anderem) Sozialist war, aber, ähnlich wie Karl May, nicht einfach auf einen Aspekt festzulegen, mal hier, mal dort sich bewegte und in letzter Konsequenz so richtig vereinnahmen sich nie ließ, weder für das eine, noch für das andere.

Ich bin, wie gesagt, über Michael Kleins DAS WEISSE SCHWEIGEN vor einigen Wochen zu Jack London gekommen (vorher kannte ich seltsamerweise nur sein autobiographisches KÖNIG ALKOHOL). Seitdem habe ich gelesen: MARTIN EDEN – AN DER WEISSEN GRENZE – LOCKRUF DES GOLDES – DIE FAHRT DER SNARK – WAS MIR DAS LEBEN BEDEUTET (kleiner Essayband) - DER SEEWOLF sowie die Biographien von Ayck und Sinclair. Als nächstes folgen DER RUF DER WILDNIS – DAS MONDTAL – DIE MEUTEREI AUF DER ELSINORE, die drei sind bestellt und dürften dieser Tage eintreffen, sodann voraussichtlich (nach Empfehlung von Fox Mulder in privater Mail) DIE ZWANGSJACKE, in der Übersetzung von Uschi Gnade.

Viele Werke sind nur noch antiquarisch erhältlich. London erlebte in Deutschland offenbar in den Siebzigerjahren nach Populär-Verfilmungen im Fernsehen (Der Seewolf u.a.) einen gewissen Boom, mit dem es aber, wie bei Karl May, wieder vorbei ist. Mir persönlich ist das, bei dem einen wie bei dem anderen, mittlerweile einigermaßen gleichgültig, solange die Werke irgendwie erhältlich sind. Missionieren ist eh sinnlos, die Ignoranz und der schlechte Geschmack der Masse haben sich über Jahrtausende nicht geändert und werden das auch nie tun. – Und es ist vielleicht ganz gut so, dass er nicht so populär ist. Kuriosa wie Freilichtaufführungen (auf die ich persönlich halt gut und gerne verzichten kann) sowie damit verbundene oder dadurch verursachte völlige Fehleinschätzungen seitens Hinz & Kunz (mit Kind und Kegel) bleiben uns somit einigermaßen erspart. Obwohl geschickte Marketing-Strategien es auch bei London geschafft haben, ihn im Bewusstsein der breiten Masse eher als Jugendautor und Verfasser rührender Tiergeschichten zu verankern.

;)
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Wolfgang Sämmer
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Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Guten Morgen zusammen!

Kurt Altherr stellt die Frage, ob Karl May Jack London gelesen hat. Er hat zumindest einen Roman von ihm besessen. Ende 1911/Anfang 1912 schrieb er seinem Verleger Fehsenfeld: Daß Sie "Wolfsblut" von J. London an den Dresdener Anzeiger geschickt haben, ist geradezu ein Geniestreich von Ihnen. Ich danke herzlichst!!! F.K., der Verfasser der Rezension, ahnt gar nicht, was er sich da eingebrockt hat. Ekkehard Bartsch zu dieser Briefstelle: "Wolfsblut' von Jack London war Fehsenfelds neuester Band aus der Reihe 'Welt der Fahrten und Abenteuer' (den Fehsenfeld dem Ehepaar May zu Weihnachten 1911 schickte); was May jedoch mit dem Geniestreich meinte, konnte bisher nicht gesichert ermittelt werden."

Beste Grüße
Wolfgang Sämmer
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Helmut
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Beitrag von Helmut »

Aber und das ist wohl auch wieder "typisch May":
Aber geben Sie den Bänden nicht die Ausstattung meiner Werke.
(Aus einem Brief Mays an Fehsenfeld, zitiert nach Klußmeier/Plaul)

Helmut
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rodger
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Beitrag von rodger »

Und, apropos typisch May:

Ganz im Gegensatz zum genannten Beschönigungs-Fetischisten, den ja sozusagen nur böse Geister in die Arme der Kriminalität wie der Kolportage getrieben haben, schreibt London regelrecht wohltuend:

In Zeitungen, Zeitschriften und biographischen Nachschlagewerken stoße ich immer auf Abrisse meines Lebens, in denen es in eleganten Wendungen heißt, daß ich Landstreicher wurde, um soziologische Studien zu betreiben. Diese Darstellung der Biographen ist gewiß nett und rücksichtsvoll, nur ist sie leider ungenau. Ich wurde Landstreicher einfach aus meiner überschäumenden Lebenskraft heraus, wegen der Wanderlust in meinem Blute, die mir keine Ruhe ließ. (...)
Ich wurde zum Tramp, weil ich nicht anders konnte, weil ich das Fahrgeld für Reisen mit der Bahn nicht in der Tasche hatte, weil ich so gebaut war, daß ich nicht mein ganzes Leben auf "ein und demselben Gleis" arbeiten konnte, weil - na, weil es einfach leichter war, es zu tun, als es zu lassen.

(zitiert nach der erwähnten Biographie von Recknagel, S. 82)

Interessant ist auch, daß London in frühen Jahren zunächst Austernräuber war und unmittelbar darauf sozusagen im Handumdrehen auf Seiten der Polizei Jagd auf eben diese Austernräuber gemacht hat, also hinsichtlich Integrität oder auch moralischer Glaubwürdigkeit auch nicht immer der überzeugendste war.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Zum von Herrn Sämmer wiedergegebenen Zitat ist noch folgendes zu ergänzen: im Dresdener Anzeiger war eine Rezension eines F.K. zu „Wolfsblut“ erschienen, in der es geheißen hatte „gibt auch reiferen Lesern, nicht bloß dem nach Abenteuern und seltsamen Erlebnissen verlangenden Sinn der Jugend eine gesunde und frische Nahrung“. May bezog diese Bemerkung auf sich (Chronik Band V, S. 519).

Typisch Karl May. Es geht eigentlich gar nicht um ihn, aber trotzdem ist er beleidigt. Das kann ich als ebenfalls zu Überempfindlichkeit und gelegentlichen unverständlich wirkenden schroffen Reaktionen neigender allerdings sehr gut nachvollziehen. Ich habe heftig schmunzeln müssen, als ich den Satz („May … bezieht diese Bemerkung auf sich“) las. Wenn das da nicht gestanden hätte, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass der Rezensent F.K. bei seinen Worten in vergleichender Weise an Karl May gedacht haben könnte.
FoxMulder
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Beitrag von FoxMulder »

Um die Frage von Rodgers zu beantworten (teilweise hat sie sich ja schon von selbst beantwortet): Call of the Wild erschien in den USA im Jahre 1903, und da es auf Anhieb ein Sensationserfolg war dürfte die erste deutsche Übersetzung kaum viel später erschienen sein, bestenfalls ein Jahr.

Karl May starb 2 Jahre vor Jack London, und selbstverständlich hat er ihn als berühmten Schriftsteller gekannt. Das wäre etwa so, als würde man heute Martin Walser fragen ob er schon mal von Stephen King gehört hat. JL war der meistgelesene und bestverdienende Autor seiner Zeit, darüberhinaus ein echter Medienstar (vielleicht der erste des 20. Jahrhunderts) dazu der meistverfilmte (das Medium Film war sehr jung, aber "Der Seewolf" wurde bereits 1906 das erste Mal verfilmt, JL spielt damals übrigens eine Nebenrolle).

Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Karl May Jack London gelesen hat. Für ihn dürfte er halt "so ein Star" gewesen sein, jemand, den man einfach kannte, weil er in die damalige Medienwelt gehörte, wie heutzutage Paris Hilton. Aber ich bin kein Karl May Experte, wenn ich auch in meiner Jugend so ziemlich alles von ihm gelesen habe (Winnetou noch bevor ich eingeschult wurde). Ich habe mich dann mal beruflich mit ihm auseinandersetzen müssen, weil ich als Redakteur eine Arbeit für einen Juristen übernahm, der sich mit Karl May und angewandtem Strafrecht beschäftigte. Erst da habe ich eine Biographie von ihm gelesen. Jack London gehört sicher nicht zu seinen Favoriten, und ich kann mir auch denken, warum.
:-)
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Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Das lässt doch durchaus die Schlußfolgerung zu, dass Karl May den Band "Wolfsblut" von Jack London gelesen haben könnte. Wir werden es natürlich nie wissen.

By the way: Jack London starb 4 Jahre nach Karl May. Das sollte jetzt aber nicht besserwisserich und schulmeisterlich sein.
andrea
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Beitrag von andrea »

Wenn man (ich) den "Seewolf" lesen wollte, gibt es da eine zu empfehlende Ausgabe?
andrea
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Ja, die Ausgabe des Diogens-Verlages aus dem Jahre 2001.
FoxMulder
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Beitrag von FoxMulder »

Hm. Ich mag auch die Ausgabe des Winkler Verlags... ist ne neue Übersetzung
:-)

btw. danke für die Korrektur, Herr Altherr, ich war schon immer schwach in Mathe...
lol

ach und nochwas (3. edit jetzt) Der Seewolf ist immer noch mein Lieblingsroman von JL. Ist auch nicht von ungefährt der am häufigsten verfilmte, die Charaktere sind einfach umwerfend. Wolf Larsen, der sich in der Karikatur eines brutalen Machtmenschen irgendwann als Naturphilosoph zeigt, sich dann aber wieder zum mörderischen Tier wandelt, um als unfassbar tragische Figur zu enden; Humphrey van Weyden, der als verwöhnter Schöngeist erstmal vom Leben die Hucke voll bekommt und sich dann in einen Meister der Überlebenskunst wandelt. Einzig die Figur der Maud erschien mir immer ein wenig blass, wenn sie auch stark dem Frauenideal Jack Londons entspricht (Stichwort Kameradschaftsehe). Dazu eine Fülle weiterer Charaktere, die schlicht unvergesslich bleiben. Doch, "Der Seewolf" ist ein verdammt starkes Buch und immer noch faszinierend.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Andrew Sinclair weist in seiner Biographie darauf hin, daß man Larsen und van Weyden als EINE Person sehen kann, in verschiedene Anteile aufgespalten. Ich mußte gegen Ende des Buches assoziativ auch an die Doppelfigur im letzten Kapitel von Hermann Hesses "Die Morgenlandfahrt" denken, in der es aus der einen Hälfte in die andere kontinuierlich fließt.

Die Frauenfiguren bei Jack London, ein Thema für sich. Das ist ja noch kurioser als bei Karl May. Geschlechtliches findet nicht statt, und er schreibt über Frauen irgendwie ein bißchen wie ein Konfirmand. Ich freß' einen Besen, wenn da nicht ein Problem größerer Art vorlag. Ich fand es in "Lockruf des Goldes" wie in "Der Seewolf" ziemlich absurd, wie sich da Männer, die sonst sozusagen Tod und Teufel nicht fürchten, angesichts des Auftauchens einer begehrenswerten Frau in völlig hilflose passive Wesen verwandeln.
andrea
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Beitrag von andrea »

rodger hat geschrieben:Ich fand es in "Lockruf des Goldes" wie in "Der Seewolf" ziemlich absurd, wie sich da Männer, die sonst sozusagen Tod und Teufel nicht fürchten, angesichts des Auftauchens einer begehrenswerten Frau in völlig hilflose passive Wesen verwandeln.
:D Rüdiger, das ist dir wirklich neu??? :lol: Sowas erlebe ich tagtäglich. (äh, um Mißverständnissen vorzubeugen, das bezieht sich nicht auf mich, für so unwiderstehlich halte ich mich nicht 8) )
andrea
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rodger
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Beitrag von rodger »

Naja, daß Männer sich angesichts beeindruckender Wesen dusselig ohne Ende anstellen können, ist mir durchaus bekannt.

Aber im "Seewolf" landet eine attraktive Frau auf einem Schiff, auf dem die wildesten Typen sich tummeln, die vor nichts zurückschrecken und sich gelegentlich gegenseitig umbringen, und es geschieht sozusagen rein gar nichts; auch später auf der einsamen Insel, wo sie mit dem Herrn ihrer Wahl lange Zeit allein ist, nichts. Das wirkt schon sehr merkwürdig.

Andererseits las ich heute, das sei auch Wunsch des Verlegers gewesen, daß da nichts geschieht auf der Insel. Aber in der Hinsicht kriegt es dann wirklich einen Jugendbuch-Touch, bzw., heutzutage würden sich die Jugendlichen sozusagen totlachen.

Aber mal wieder ganz im Ernst: das ist mir schon bei "Martin Eden" aufgefallen, daß London mit Frauen ein Problem hat. Da wirkt er unglaublich unbeholfen, und mit denen kommt er irgendwie nicht zurecht.
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Natürlich kam Jack London mit Frauen nicht zurecht, weder literarisch noch privat, was sich aus seiner Vita und seinen späteren Lebenumständen ergibt.

Das ist psychologisch relativ einfach erklärbar.
FoxMulder
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Beitrag von FoxMulder »

Nun, das ist vielleicht ein wenig zu eindimensional formuliert. Sein Verhältnis zu Frauen war komplex.
Mit Anna Strunsky schrieb er sich poetisch schwärmerische Briefe und verfaßte mir ihr gemeinsam ein Buch.
Mabel Applegarth war ein nettes Ding aus "gutem Hause" in welches er jahrelang verliebt war, die aber erfolgreich von ihrer herrschüchtigen und dünkelhaften Mutter von ihm ferngehalten wurde. Sie diente als Vorbild der "Ruth" in "Martin Eden". Eine später Triumph übrigens, denn als JL ein gefeierter und vor allem "steinreicher" Autor war, saßen Mabel und ihre bornierte Mutter bei Lesungen in der vordersten Reihe und applaudierten verhalten...
Man darf bei all dem nicht vergessen, daß zu der damaligen Zeit kaum ein Mann wirklich Freundschaft für seine Frau empfand - die Welten der Geschlechter waren strikt getrennt und die Rollen klar definiert. JL war allerdings ein Vorreiter der Emanzipation (er stimmte für das Frauenwahlrecht, wenn auch angeblich aus dem Grund, die Prohibition fördern zu wollen) und fand in Charmian Kittredge, seiner zweiten Frau nach Bessie Madddern zumindest in der ersten Zeit eine ebenbürtige Partnerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Und für die Zeit der Jahrhundertwende war Charmian auch sexuel ungewöhnlich freizügig, was JL sehr gefiel..
:-)

Er hat also durchaus gerne... nun lassen wir das.

Daß Charmian von fast ihrem gesamten Umfeld regelrecht gehaßt wurde lag wohl an ihrem am Ende weltfremden, flatterhaften Gehabe und ihrem stündigen Geplapper. Böse Zungen behaupten, sie habe ihn nur umgarnt und an der Nase herumgeführt - ihm weisgemacht, sie sei die Frau seiner Träume und in Wahrheit nur an dem berühmten Namen interessiert.
Es stimmt zwar daß Charmian Stunden an ihren Kleiderschränken verbringen konnte, aber sie stand auch furchtlos und tapfer im Sturm an Deck und hielt das Steuer gegen eine unerbittliche See.. so wünschen sich viele Männer ihre Partnerin. Maud Adams ist in vielen Augenblicken so, wie JL seine Frau gerne sah.

Daß in seinen Romanen nicht gepoppt wird hat ín der Tat mehr verlegerische Gründe. Heute sind Sexszenen in Mainstream Büchern fast obligatorisch, damals war das ein wenig anders. Und das hat nichts mit seiner Kategorisierung als "Jugendbuchautor" zu tun, das war er nämlich zu Lebzeiten überhaupt nicht. Ist er nichtmal heute in den USA, dazu hat man ihn hauptsächlich hierzulande gemacht...
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