Das Buch der Liebe

Hans-Jürgen Düsing
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Beitrag von Hans-Jürgen Düsing »

Hallo Herr Sudhoff,
was um Gottes willen haben Sie denn da gelesen? Was ist dumm gelaufen? (Friedemann Schulz von Thun würde hier wohl von einem Konflikt zwischen Sach- und Beziehungsebene spechen!?)
Ich habe nie behauptet, Spiller als erster entdeckt zu haben, ich habe lediglich Herrn Wohlgschafts Frage nach "Mitwissern" beantwortet unter Nennung von Quelle und Zeitpunkt. Punkt! Die Priorität überlasse ich Ihnen ohne jedes Problem.
Sie stellen Fragen zu diesem Herrn Spiller? Nun, wir sind sicher alle hinreichend beschäftigt und sollten daher Doppelarbeit vermeiden, so dass es also hilfreich wäre, wenn Sie zuvor Ihre Ermittlungsergebnisse - die Sie als Herausgeber sicherlich vorliegen haben - publizieren würden, denn ich gehe selbstverständlich davon aus, dass diese Ermittlungen sich nicht nur auf dürre biographische Daten und "die banale Entdeckung eines Plagiats" beschränken (finde ich nach 130 Jahren übrigens gar nicht so banal!)
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Düsing
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Sehr geehrter Herr Düsing,

wer auch immer es als erster entdeckt hat – jedenfalls wissen wir nun, dass Karl May für die 3. Abteilung des ›Buches der Liebe‹ längere Partien von Spiller bzw. Haeckel übernommen hat. Damit ist freilich noch längst nicht gesagt, dass diese 3. Abteilung insgesamt ein ›Plagiat‹, also geistiger Diebstahl wäre. Denn die aus meiner Sicht (s. meine Einträge vom 22.9. u. 24.9.06) wirklich bedeutsamen Teile des ›Buches der Liebe‹ (einschließlich der 3. Abteilung) stammen ja zweifelsfrei von May.

Nun gibt es freilich noch mindestens eine weitere Passage in der 3. Abteilung, deren Autorschaft mir fraglich erscheint: Seite 368f. in der Paginierung des KMV-Bandes 87. May zitiert hier – kenntlich gemacht durch » « – aus Hegel, Platon, Aristoteles und Leibniz. Dass May die Werke dieser Philosophen selbst gelesen hatte, scheint mir doch eher unwahrscheinlich. Wie aus der (wohl von Sudhoff stammenden) Fußnote 109 hervorgeht, konnten die Zitate nicht ermittelt werden. Aus welcher – sekundären – Quelle könnte May geschöpft haben? Vielleicht könnten Sie, Herr Düsing, hier weiterhelfen?

Mit freundlichem Gruß
Hermann Wohlgschaft
Hans-Jürgen Düsing
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Beitrag von Hans-Jürgen Düsing »

Hallo Herr Wohlgschaft,

ich teile vollkommen Ihre Vermutung, dass in dem BdL weitere, noch nicht erkannte Quellen versteckt sind. Neben dem von Ihnen erwähnten Abschnitt zähle ich dazu beispielsweise noch die Ausführungen über Religionsphilosophie im Kapitel "Liebe und Glaube" und auch die Seiten 420f, wo statt der sonst anonymisierenden Angaben (bedeutender Gelehrter, scharfsinniger Forscher) völlig untypisch zwei Bibelzitate und zwei Zitate von Thomas von Kempis ganz konkret gekennzeichnet sind (wobei möglicherweise die Naturbetrachtungen ab Seite 412 bereits dazu gehören).
Tatsache ist leider aber, dass diese Vermutungen derzeit nicht mit Quellen belegt werden können - hier bleibt noch viel Raum für weitere Nachforschungen. Die von Ihnen angesprochene Fußnote (die Herr Sudhoff natürlich selbst geschrieben hat - wer denn sonst? Allerdings ist er nach kurzem Triumphgeschrei nun wieder verstummt. Offenbar war es ihm sehr wichtig, dass er - wenn schon nicht der Einzige - wenigstens der Erste war. Es ist schon putzig, dass 130 Jahre nach der Erstveröffentlichung zwei Menschen unabhängig voneinander innerhalb weniger Tage die gleiche (Wieder-)Entdeckung machen.)
- genug der Abschweifung -
Diese Fußnote besagt ja, dass selbst die primären Zitate noch nicht zugeordnet werden konnten, viel weniger die - vermutete - sekundäre Quelle. Natürlich hängt man sich erst einmal an den Wortlaut der in Anführungszeichen gesetzten Zitate, aber möglicherweise führt das in die Irre, denn recht gute Entsprechungen für die sinngemäßen Aussagen findet man z.B. bei Hegel "Die Philosophie des Geistes" im Abschnitt "Die Familie" § 518 f oder in der "Nikomachischen Ethik" von Aristoteles.
Nun - ich bin zuversichtlich, dass nicht nochmals 130 Jahre vergehen werden, bis weitere Quellen entdeckt werden.

Beste Grüße
Hans-Jürgen Düsing
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hallo Herr Düsing!

Wie früher schon angedeutet (s. meinen Eintrag vom 22.9.06, 10.40 Uhr, Z. 5/6 v. u.), bin auch ich mir nahezu sicher, dass May über die bisher ermittelten Quellen hinaus noch weitere Literatur für das ›Buch der Liebe‹, insbesondere für die 3. Abteilung dieses Buches, verwendet hat: sei es durch glattes Abschreiben oder in resümierender Wiedergabe mit eigenen Worten.

Die präzisen Stellenangaben z. B. auf S. 420f. (des KMV-Bandes 87) sind in der Tat völlig untypisch für die Schreibweise Mays. Was nun freilich die – in christlich-gebildeten Kreisen verbreitete – ›Nachfolge Christi‹ des Thomas von Kempen (lat.: Thomas a Kempis) betrifft, ist zu bedenken: In Mays Bibliothek in der Villa »Shatterhand« findet sich dieses Werk, allerdings in einer Ausgabe von 1887. Gleichwohl halte ich es für sehr gut möglich, dass May – der ja ein kenntnisreicher Autor und ein ausgebildeter Katechet war – die ›Nachfolge Christi‹ schon zur Entstehungszeit des ›Buches der Liebe‹ ganz oder teilweise gelesen hatte.

Übrigens: Beim zweiten Thomas-Zitat (S. 421, Z. 3-6, in der KMV-Ausgabe) ist May bzw. der von ihm (wahrscheinlich) verwendeten Sekundärquelle ein Zitierfehler unterlaufen: statt Th. v. K. 1. B. *5*, 1 muss es heißen: Th. v. K. 1. B. *4*, 1. Herr Sudhoff hat diesen Fehler für die KMV-Ausgabe des ›Buches der Liebe‹ heimlich ›bearbeitet‹, d. h. stillschweigend korrigiert (aufmerksam gemacht vielleicht durch die Fußnote 190 auf S. 397 meiner May-Biographie).

Womöglich könnte der Zitierfehler, falls er auf eine von May verwendete Sekundärquelle zurückgeht, die Recherche nach der vermuteten Quelle erleichtern?

Mit freundlichem Gruß
Hermann Wohlgschaft
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Am 27. November 2006 wurde im NDR-Kulturjournal über das ›Buch der Liebe‹ berichtet. Das war für mich der Anlass, noch einmal in das Vorwort von Dr. Sudhoff (S. 34) zu schauen. Er zitiert zunächst Karl May:
»Da unser Buch nicht zu denjenigen schriftstellerischen Werken gehört, welche bestimmt zu sein scheinen, durch eine der Sinnlichkeit schmeichelnde Lektüre einen gewissen Naturen wünschenswerten Reiz auf den Leser auszuüben und es ja nur für solche Leute bestimmt ist, denen die heimlichen Fragen des Geschlechtslebens durch die Erfahrungen schon längst beantwortet worden sind, so sei es erlaubt, hier von einem weiteren Eingehen auf den Augenblick der durch die Gattenliebe herbeigeführten Vereinigung abzusehen.« An Stellen wie diesen, die zweifellos von May selbst geschrieben wurden, verrät sich deutlich genug ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität: Wie immer man die Geschlechtskrankheiten des Menschen medizinisch und ethisch auch bewerten mag, eine »der Sinnlichkeit schmeichelnde Lektüre« konnten die mechanistischen Beschreibungen (»Die Rute wird nun ähnlich einem Spritzenstempel unter der sich auf- und niederwärts bewegenden Tätigkeit des Mannes, und gewöhnlich auch des Weibes, hin und her bewegt und die Nerven, welche die Wollustempfindung vermitteln und in der Eichel endigen, werden durch diese Reibung an den Falten der Scheide immer mehr gereizt«) allenfalls für den sein, welcher dergleichen lange entbehrt hatte und es nicht gelernt und erfahren hatte, in dem »bekannten Mechanismus« einen natürlichen, beglückenden Akt zu sehen, an dem idealerweise Liebe und Begierde gleichermaßen beteiligt sind. Wie absurd es wirken musste, dass in einem Aufklärungswerk ausgerechnet der entscheidende Vorgang der Kopulation als hinreichend bekannt übergangen wird, scheint May im Übrigen gar nicht bewusst geworden zu sein.
Im Übrigen scheint es Dr. Sudhoff gar nicht bewusst geworden zu sein, dass hier überhaupt kein »gestörtes Verhältnis zur Sexualität« bei May vorliegt. Am 16. Dezember 1874 war der ›Venustempel‹ in Österreich verboten worden, auch anderswo wurde der Vertrieb rechtlich immer problematischer. Das Werk war den Behörden offensichtlich zu freizügig. Karl May musste den Text ganz einfach entschärfen. Als Redakteur musste er zudem besonders vorsichtig verfahren, weil er unter einer zweijährigen Polizeiaufsicht stand.

Mays Vorsicht war sehr begründet. Im Sommer 1876 stand er unter Anklage, wurde jedoch freigesprochen, weil er einige Stellen im ›Buch der Liebe‹ abgemildert hatte!
Die Rute wird nun ähnlich einem Spritzenstempel unter der sich auf- und niederwärts bewegenden Tätigkeit des Mannes, und gewöhnlich auch des Weibes, hin und her bewegt und die Nerven, welche die Wollustempfindung vermitteln und in der Eichel endigen, werden durch diese Reibung an den Falten der Scheide immer mehr gereizt.
Natürlich klingen diese Sätze aus heutiger Sicht harmlos, aber noch in den 1960er/70er Jahren hätte mancher Sittenwächter heftig reagiert. Man denke hierbei an die Jugendzeitschrift ›Bravo‹.

Ralf Harder
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Was Dieter Sudhoff im Vorwort zum KMV-Band 87 über Mays Sexualität schreibt, sind unbewiesene und unbeweisbare Hypothesen (die das Ansehen Karl Mays in der Öffentlichkeit sicher nicht fördern).

Ganz grundsätzlich bin ich, was die Bewertung der von May verfassten Teile des ›Buches der Liebe‹ betrifft, anderer Meinung als Sudhoff und andere Rezensenten. Ich halte diese Partien – trotz etlicher Schwächen – keineswegs für pseudowissenschaftlich und keineswegs für religiös verbrämten Kitsch. Mays Texte sind m. E. ein interessanter und beachtenswerter Beitrag zur damaligen Diskussion über Glaube und Wissenschaft.

Diese Auffassung habe ich in der May-Biographie Bd. I (S. 379-405) eingehend und argumentativ begründet.

Hermann Wohlgschaft
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Aus der aktuellen Presse:
Sexuelle Belästigung durch Vierjährigen?
Schüler nach Busen-Berührung suspendiert

* Kind soll bei Umarmung zudringlich geworden sein
* USA: Vater entsetzt über Vorgehen der Schulleitung

Ein Vierjähriger ist wegen sexueller Belästigung in Waco (US-Bundesstaat Texas) vom Unterricht in der Vorschule vorübergehend ausgeschlossen worden. Er habe eine Frau umarmt und dabei deren Brüste berührt, erklärte die zuständige Behörde. "Als ich den Brief bekommen habe, dachte ich, die Welt ist verrückt", sagte der Vater des Buben der "Waco Tribune Herald". Er habe erfolglos versucht, gegen die Maßnahme zu protestieren - sein Sohn könne die Strafe gar nicht verstehen, versuchte er die Schulleitung zu überzeugen.

Nachdem sich der Vater direkt bei der Schulbehörde beschwert hatte, änderten die Bürokraten die Formulierung "sexuelle Belästigung" in "unangebrachten physischen Kontakt". Aber der Vorwurf blieb bestehen: Der Kleine habe "sein Gesicht an den Brüsten jener weiblichen Angestellten gerieben".

Andere Medien berichteten, der Bub habe die Frau berührt, als er sich beim Betreten des Schulbusses in die Schlange eingereiht hatte. Die Schule hat inzwischen mitgeteilt, den Vorfall aus der Akte des Kindes zu streichen.

(apa/red)
Man kann davon ausgehen, dass die Schulleitung nicht unbedingt Mays "Buch der Liebe" in der Schulbibliothek anbieten wird.

Ganz und gar undenkbar wären die Sätze, welche May aus dem "Venustempel" für das "Buch der Liebe" entfernt hatte.

Ralf Harder
Thomas Math
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Beitrag von Thomas Math »

Man muss sich mal ansehen,wo, das passiert ist a)in Texas und b)in Waco besser Wacko genannt.Vielleicht sollte man May's Buch der Liebe mal in einer texanisch-englischen Uebersetzung auflegen,waere dort bestimmt noch immer aktuell.
marlies

Beitrag von marlies »

Hallo Herr Wohlgschaft

Habe mich nun durch die 6-seitige Diskussion gelesen. Da ich das BdL nicht gelesen habe, werde ich mich hueten, zu kommentieren, aber den thread habe ich gelesen und da moechte ich nur eines sagen ... die Menschheitsfrage 'is alive and well'. Wo waere die Menschheit wenn jemand wie May nicht ab und zu den Devil's Advocate spielt.
***
@Thomas Math
how about paying 'us' over there in the English Language forum a short visit and, as an American, perhaps give us the benefit of your personal views on Karl May, his relevance in today's society (religious, scientific or otherwise - I only ask for balance), after all you have American roots, participate in this forum, and have therefore, so I deduce, an interest in May from a non-German perspective, and the (so I hope) right mindset to comment on the writer to non-Germans (in this case English Language readers). May I perhaps even ask your opinion on HOW May should be portrayed/represented in a language where he thus far is unknown.
This of course is not an attempt to 'whisk you away' from this forum, rather the opposite is true, I don't believe in separation, and would welcome a form of (if only peripheral) interaction. cheers - Marlies - http://karl-may-stiftung.de/engl/forum
Bear in mind that discussions of this calibre will not be possible in the near future, as the understanding in the English Language is of course not 'yet' there.
***
3 Stunden spaeter, nach Garten, Esel und Ziegen versorgen und Tomaten ablesen, dachte ich mir es waere vielleicht nett das obige kurz zu uebersetzen ... Ich habe an Thomas Math die Einladung gemacht mal in inserer English Language Karl May Forum hereinzuschauen und vielleicht seine Meinung ueber Karl May zu aeussern, vielleicht von einem Amerikanischen Standpunkt, und wie er sich's denkt dass Karl May am besten vorgestellt sein sollte in einer Sprache die May noch nicht (fast noch nicht) kennt. Ich habe auch gesagt dass ich ihn nicht von thesem forum weg-locken will, sondern im Gegenteil die zwei Foren (wenn auch nur am Rande) vielleicht etwas naeher bringen kann damit, da ich 'Trennung' im menschlichen Sinne nicht gerne sehe.
(Ich hoffe auch dass andere English Sprechende nicht zu scheu sind mal reinzuschauen ...)
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Danke, Marlies, für den Eintrag! Eine Frage nur: Wie meinst du das mit dem ›advocatus diaboli‹? An welche Aussagen von Karl May denkst du hier?

Mit herzlichem Gruß
Hermann
marlies

Beitrag von marlies »

Es ist meine persoenliche Meinung dass May's ganzes Lebenswerk (man bedenke dass es zwischen 1874-1912 geschrieben wurde) ein argument fuer, Friede, Menschenliebe, Liebe zur Natur, und 'spiritual freedom', und Toleranz war in einer Zeit wo eigentlich keines dieser Dinger in der Sozialstruktur von damals so richtig ihren Platz hatten, und in vielen Laendern und Situationen auch heute noch nicht hat. Obwohl er fuer die Massen schrieb, in einer Form die der Obrigkeit gefiel (ob religioes oder politisch), der Unter- oder Ober-ton oder was zwischen den Zeilen stand war ein konstantes argument gegen den Strom von damals.
Bildlich gesehen hat er ja den Teufel heraufbeschworen, auf Umwegen, wegen seiner 'Jugend delikten' - die Mentalitaet von damals sorgte dafuer, und manchmal denke ich die hat sich nicht viel geaendert.
Sein ganzes Werk enthaelt doch ueberall Meinungsaeusserungen - und die Anstoesse zum Denken, und zur Bildung einer eigenen Meinung oder Lebensansicht (nicht einfach blind durchs Leben gehen) - an welchen die Leser heute noch zum stolpern kommen, sich 'naechtelang' darueber 'unterhalten'.
Er haette ja an einem Punkt aufhoeren koennen - zum Beispiel befor er nach dem Orient reiste, da war noch einiges zu retten (vielleicht auch frueher), aber er tat es nicht, er machte weiter, allem zum Trotz, was motivierte ihn? Er war ja reich nach der Winnetou trilogie?
Vielleicht ist 'Devil's Advocate' nicht der richtige Ausdruck, aber von etwa mid/ende 1890 haette er etwas zurueckhaltender bekommen koennen, seinem Frieden und seiner Gesundheit zuliebe, aber er tat es nicht ... warum?
Solche Menschen entzuenden etwas das langsam aber sicher durch die Bevoelkerung troepfelt.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Der Gedanke, dass May – vordergründig – die Bedürfnisse der Obrigkeit und der Massen bediente, gleichzeitig aber – teilweise unterschwellig – ein Querdenker war, gefällt mir sehr gut. Ich schließe mich dieser Auffassung gerne an und meine, dass gerade das ›Buch der Liebe‹ ein passendes Beispiel für die Eigenständigkeit und die Originalität des May’schen Denkens ist. Vielleicht könnte ›Devil’s Advocate‹ im Deutschen auch durch Bezeichnungen wie ›provozierend‹, ›anstößig‹ oder ›querdenkerisch‹ ersetzt werden.
marlies

Beitrag von marlies »

Ja 'querdenkerisch' ginge (je mehr opposition desto mehr daraufherumpauken?) ... ueber Nacht ist mir noch ein Zusatz eingefallen ... schlechte Nacht, konnte nicht schlafen :( dann geht 'all things May' durch meinen Kopf.

Ich sehe die Stufen in seinem Leben etwa so:
1 - bis 1874 (dafuer fehlen mir eigentlich die Worte)
2 - 1874-1893 Aufstieg
3 - 1893-1889/1900 (ungefaehr) Erfolg - und da denke ich dass er haette aussteigen sollen - vielleicht schon frueher
4 - 1900-1912 Anknuepfungsphase und Verteidigungsphase (womit bei Anknuepfungsphase meine ich sein Versuch an die 93-98 Erfolgszeit (mit etwas neuem) - und ich sage auch nicht dass Werke nach 1889/1900 nicht erfolgreich waren, aber sein fortgesetztes 'querdenkerisches' Werken durch diese Buecher brachte ihm nicht was andere Menschen unter 'friedlicher Lebensabend' verstehen wuerden, und das sollte er eigentlich als ausgewogener Mensch gesehen haben, aber er war nicht ausgewogen, und ich denke mir dass er es nicht so sah).
Er war ein fantasiefroher, impulsiver, und auch naiver Mensch und Denker der (wie ich meistens) Freude daran hatte anderen Mitmenschen seine Gedanken mitzuteilen, und der 'global consciousness' beizutragen (wie heissts? Globales Bewusstsein?)
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Bei der Bewertung der letzten Lebensjahre des ›Maysters‹ sollten wir nicht nur die unerfreulichen Rechtsstreitigkeiten bedenken, sondern vor allem das literarische Werk. Mit seinem Spätwerk (ab ›Am Jenseits‹) hat May sich als Dichter, wie ich meine, noch erheblich gesteigert.

Inhaltlich gesehen, sind im ›Buch der Liebe‹ freilich schon wesentliche Themen des Spätwerks vorweggenommen: neben der starken Betonung des Spirituellen (»Gott ist die Liebe«) vor allem die Weltfriedensidee, die strikte Ablehnung der Gewalt und des Imperialismus, der Versöhnungsgedanke und nicht zuletzt der Entwicklungsgedanke.

Die Evolution, die Entwicklung der gesamten Schöpfung und der individuellen Person, ist aus der Sicht des späten wie des frühen May ein zielgerichteter Weg nach oben (»per aspera ad astra«) – was ja Durststrecken und Rückfälle überhaupt nicht ausschließt.
marlies

Beitrag von marlies »

Da sind wir uns schon einig -- in all 3 paragraphen. Wobei ich Rueckfaelle und Durststrecken nicht gerade mit sowas entsetzlichem verbinde -- in seinem Falle wuerde ich es eher Katastrophen nennen. Ich stelle mir vor was er noch haette leisten koennen wenn diese Hetzjagden und Prozesse haetten vermieden werden koennen; aber eben Hypothesen ueber was haette sein koennen und was er haette machen sollen um das alles zu vermeiden (oder wenigstens in einem gemilderten Format zu erleben) nuetzen ihm jetzt auch nichts mehr.

Karl May war eben Karl May und mir 'meerschtenteels' auch noch ein Raetsel.

Eine kleine Pause zwischen dem Old Shatterhand 'wirbel' und dem 'neuen' Karl May haette nicht geschadet und den Gegnern wahrscheinlich auch ein wenig den Schwung genommen - aber eben ... man sagt ja, was einen nicht umbringt macht ihn staerker ... ihn hat es umgebracht. Aber der Weg nach oben ist schon breit und sichtbar entwickelt; und da gibts noch einiges zu finden.
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