Ahriman Mirza, Old Wabble, Tod und Teufel ...

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rodger
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Ahriman Mirza, Old Wabble, Tod und Teufel ...

Beitrag von rodger »

Querverbindungen zu Karl May gibt es doch immer wieder, gelegentlich auch antithetisch …

„der erbärmlichen und schauderhaften Komödie, die das Christenthum mit der Sterbestunde getrieben hat. Man soll es dem Christenthume nie vergessen, dass es die Schwäche des Sterbenden zu Gewissens-Nothzucht, dass es die Art des Todes selbst zu Werth-Urtheilen über Mensch und Vergangenheit gemissbraucht hat!“

las ich kürzlich bei Nietzsche (Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemäßen, Nr. 36), und schlagartig fiel mir Old Surehand III ein, die beiden berühmten Sterbeszenen, Old Wabble und der General (wobei Autor May bei letzterer aufgrund hartnäckiger Weigerung seines „Opfers“, „Vernunft“ anzunehmen, kaum Worte verliert …)

*

Karl Mays frühes Manuskriptfragment „Ange et diable“ (enthalten in GW Band 79) setzt sich übrigens noch auf angenehm hemdsärmelige und respektlose Weise sozusagen mit Tod und Teufel auseinander, und er vertritt dort aufs erfrischendste eine wesentlich differenziertere Weltanschauung als zu späteren Zeiten.

"Wie nun das Kind eines Vaters bedarf, in welchem es den Herrn über alle seinem Gesichtskreis nahe liegenden Erscheinungen und Verhältnisse sieht, wie manche Erzieher ferner eines bösen Wesens bedürfen, mit welchem sie gleichsam als Popanz den Zögling von bösen Wegen und Thaten abzuschrecken vermeinen, so bedurfte auch der Mensch auf der Stufe seiner Kindheit eines allmächtigen etc. Vaters, den er Gott nannte, und so stellten auch die damaligen Erzieher eine Krautscheuche ins Feld, welcher sie den Namen Teufel gaben.

Je mehr sich aber der Mensch entwickelt, desto mehr kommt er zu der Erkenntniß, daß Vieles, was er außer sich gesucht hat, in ihm selber wohnt und lebt, und so wird und muß auch einst die Zeit kommen, in welcher er seinen Gott in sich selbst fühlt und findet und den Teufel in die Rumpelkammer unter das alte Eisen wirft. Kirchen, Pagoden, Synagogen etc. werden verschwinden; Tauf- und Confirmationsscheine wird selbst ein Antiquitäten- oder Raritätensammler kaum aufzuweisen haben, und der aufgeklärte Mensch wird mit demselben Gefühle in die Vergangenheit zurückblicken, mit welchem der geschulte Reiter an den Augenblick denkt, an welchem er sich das Hosenkreuz zerplatzte, als ihn das Pferd zum ersten Male abwarf.
[…]
und wer den Teufel in die Buttermilch wirft, der stößt auch die Dogmen unsrer Bibellehre um."

Aus seinen Werken kann der geneigte Leser solches später nur noch bei genauem Hinschauen herauslesen, hier steht es noch schwarz auf weiß.

Man überlese bitte nicht den Passus „und so wird und muß auch einst die Zeit kommen, in welcher er seinen Gott in sich selbst fühlt“, nicht dass noch einer meint, hier ginge es nur ratzfatz um Hemdsärmeligkeit und Respektlosigkeit an sich, Nein, solches ist, auch bei Karl May, manchmal nur so etwas wie ein Stilmittel, um einerseits zwar Wesentliches vorzutragen, aber auch wiederum nicht allzu großes Aufhebens davon zu machen …

Will sagen: auch der zitierte frühe Text Mays zeugt m.E. keineswegs von Gottlosigkeit oder dergleichen, sondern von freier, selbständiger & selbstbestimmter Auseinandersetzung mit dem Themenbereich Glauben & Religion.

(Und es spricht auch keineswegs irgendetwas gegen tiefgehende Reflektion und ganz genaues "Hingucken" in der Sterbestunde. Spätestens dann wird es Zeit, besser: weit vorher. Aber so Dinge wie Gewissen und Wertungen sind auch dann durchaus flexibel handhabbar bzw. betrachtbar ...)
marlies

Beitrag von marlies »

schnip>>>Aus seinen Werken kann der geneigte Leser solches später nur noch bei genauem Hinschauen herauslesen, hier steht es noch schwarz auf weiß.<<<schnap

die Frage ist: Warum in 'verkleideten' Grautoenen spaeter, und nicht bei 'schwarz auf weiss' bleiben?

Eine Antwort (ist es die 'overriding' Antwort?) dass er viele Adressaten ansprechen musste, ja ... und Angst vor einer reduzierten Verkaufs-Anzahl hatte? Jedoch 'die' Angst hatte er bei seinem Beitrag zu 'China' mit seinen 'Friedensansichten' nicht, da blieb er fest auf seinem Standpunkt. Was machte das (siehe oben) anders?
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Wesentliche im Textfragment ›Ange et Diable‹ (1870) sehr provozierend formulierte Positionen hat Karl May in späteren Jahren nicht mehr vertreten. Im Gegenteil, er hat sie heftig kritisiert. Dass Gott – wie es in ›Ange et Diable‹ anklingt – nur eine Erfindung des menschlichen Geistes sei (eine Auffassung, die wir pointiert bei Ludwig Feuerbach finden), widerspricht den Ansichten des späteren May (ab 1874) total.

Dass der Mensch – wie es ebenfalls in ›Ange et Diable‹ heißt – »seinen Gott in sich selbst fühlt und findet«, ist allerdings eine Aussage, die auch dem christlich-biblischen Denken durchaus entspricht. Denn der »Heilige Geist« ist ja – laut Paulus (Römer 5, 5) – »ausgegossen in unsere Herzen«.

Im übrigen ist ›Ange et Diable‹ mit größter Vorsicht zu interpretieren. Es gibt da viele Fragezeichen. Wir wissen ja gar nicht, in welchem Zusammenhang und unter welchen konkreten Umständen das Textfragment ›Ange et Diable‹ entstanden ist.
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rodger
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Beitrag von rodger »

die Frage ist: Warum in 'verkleideten' Grautoenen spaeter, und nicht bei 'schwarz auf weiss' bleiben?
Er wird es später nicht mehr so gesehen haben.
Jedoch 'die' Angst hatte er bei seinem Beitrag zu 'China' mit seinen 'Friedensansichten' nicht, da blieb er fest auf seinem Standpunkt. Was machte das (siehe oben) anders?
Man (May) ist nicht immer gleich. Mal angepasster, mal konsequenter.
Im übrigen ist ›Ange et Diable‹ mit größter Vorsicht zu interpretieren. Es gibt da viele Fragezeichen. Wir wissen ja gar nicht, in welchem Zusammenhang und unter welchen konkreten Umständen das Textfragment ›Ange et Diable‹ entstanden ist.
Das Gleiche gilt aber mehr oder weniger für JEDEN Text Karl Mays ...

Ich vermag ihm, bei aller Liebe, jedenfalls nicht mehr vorbehaltlos über den Weg zu trauen, sozusagen. Spätestens seit den Chronik-Bänden. Und auch die Lektüre des Briefbandes zeigt aufs Deutlichste, daß er es mit der Wahrheit bis zuletzt nie so durchgehend "hatte". Wie er den Fehsenfeld über Jahre und Jahrzehnte zum Narren gehalten, um nicht zu sagen angelogen hat, das ist schon verblüffend.

Und er schreibt zwar (in einem der Briefe), es gehe ihm in seinen Werken um Gott, aber drei oder vier Zeilen später steht schon wieder das Wort Geschäft. - Das ist übrigens das Hauptthema in der Korrespondenz: Geld, Geld und nocheinmal Geld. (Nicht aus Habsucht freilich, sondern weil er damit offenbar nicht umgehen konnte).

Ich will ihm nichts und ich werte nicht. Aber von einem allzu idealisierten May-Bild habe ich mich schon lange verabschiedet. Vermutlich schon als mir seinerzeit klar wurde daß er die genüßlichen Ohrenabschneidereien und sonstigen Gemeinheiten im "Waldröschen" NACH den erbaulichen Gesprächen mit Marah Durimeh in Kurdistan geschrieben hat. Weil für einen Kolportageverleger statt für eine katholische Familienzeitschrift.

Oder man sehe sich die Änderungen der "Ehri"-Geschichte durch May selber an. Mal ist der christliche Missionar der "Böse" und der Heide der "Gute", und schwuppdiwups ist es in einer anderen Fassung gerade umgekehrt. (vgl. http://141.30.89.80/~thomas/maybuecher/ ... 90&_sort=A ) Mehr sein Mäntelchen nach dem Winde hängen geht ja kaum noch.
marlies

Beitrag von marlies »

schnip>>>Mehr sein Mäntelchen nach dem Winde hängen geht ja kaum noch.<<<schnap

Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch - auch Karl May - obiges ist auch meine Ansicht - er wusste auf welcher Seite sein Brot gebuttert wurde.

Zudem - mir scheint - Text geschrieben waehrend dem Stress von Gefangenschaft muss von einer Seite her angesehen werden die nicht als normaler 'Schreibprozess' gesehen werden kann. ... der Teufel in der Buttermilch ... hm ... fuer ihn gabs den Teufel also gar nicht mehr ... ?
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rodger
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Beitrag von rodger »

mir scheint - Text geschrieben waehrend dem Stress von Gefangenschaft muss von einer Seite her angesehen werden die nicht als normaler 'Schreibprozess' gesehen werden kann. ...
Damals, als ich mich im Gefängnisse befand, da war ich frei. Da lebte ich im Schutze der Mauern. Da meinte es ein Jeder gut und ehrlich, der zu mir in die Zelle trat. Da durfte mich niemand berühren. Da war es keinem erlaubt, den Werdegang meines inneren Menschen zu stören. Kein Schurke hatte Macht über mich. Was ich besaß und was ich erwarb, das war mein sicheres, unantastbares Eigentum, bis ich - - entlassen wurde, länger nicht! Denn mit dieser Entlassung verlor ich meine Freiheit und meine Menschenrechte. Was andere, die nur materiell zu reden wissen, als Freiheit bezeichnen, das ist für mich ein Gefängnis, ein Arbeitshaus, ein Zuchthaus gewesen, in dem ich nun schon sechsunddreißig Jahre lang geschmachtet habe, ohne, außer meiner jetzigen Frau, einen einzigen Menschen zu finden, mit dem ich hätte sprechen können wie damals mit dem unvergeßlichen katholischen Katecheten.
:wink:
hm ... fuer ihn gabs den Teufel also gar nicht mehr ... ?
Gott & Teufel, oder, allgemeiner, Polarität, wird es, m.E., nach wie vor für ihn gegeben haben. Im Menschen. In der Schöpfung.

(Für die Deutschlehrer: die vielen Kommas da oben müssen schon sein. Beim Sprechen läßt man die Zäsuren ja auch nicht weg.)

:wink:
marlies

Beitrag von marlies »

Zitat 2 Text kenn ich auch. Das wurde viel, viel spaeter, und nicht unter Gefangenschafts Stress geschrieben. Wie er seine Gefangenschaft vom 'Rueckblick' her sah war anders als er sie sah wo er drinnen steckte (obwohl er philosophisch da die Wahrheit ganz sicher spricht). Doch so romantisch konnte Lattenarrest jetzt auch wieder nicht gewesen sein. Er erwaehnt Kochta - der Herr war der wichtigste menschliche 'point of reference' fuer den jungen May zu dem Zeitpunkt - alles andere wurde mit der Zeit verdraengt (jedoch nicht ganz 'verarbeitet' ! nur in der Form von 'Reiseerzaehlungen' u.a.). Ein Zeugnis fuer die ungeheure 'resilience' des Menschen May.

*

Sicher ... ohne Dunkelheit gibts kein Licht - ohne das 'Schlechte' (Teufel) kann das 'Gute' nicht existieren - ist ja klar -balance- jedoch meint er hier etwas ein bisschen anderes ... oder? Darf ich wagen zu sagen dass es sich in Babel und Bibel und im Maerchen von Sitara (habe Ardistan und Dschinnistan noch nicht gelesen) wiederspiegelt?
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rodger
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Beitrag von rodger »

Doch so romantisch
Von Romantik war keine Rede.

Seitens May: nüchterne Analyse.
meint er hier
Wo ?

(Ich verstehe die Frage nicht, weil ich nicht weiß, welche Stelle gemeint ist)
marlies

Beitrag von marlies »

war May ein nuechterner Analyst?

sorry, die Stelle unten - ich denke wieder mal dass einjeder meine Gedanken lesen kann ... ist so eine schlechte mode von mir (mach ich aber unbewusst...)

>>>Je mehr sich aber der Mensch entwickelt, desto mehr kommt er zu der Erkenntniß, daß Vieles, was er außer sich gesucht hat, in ihm selber wohnt und lebt, und so wird und muß auch einst die Zeit kommen, in welcher er seinen Gott in sich selbst fühlt und findet und den Teufel in die Rumpelkammer unter das alte Eisen wirft. Kirchen, Pagoden, Synagogen etc. werden verschwinden; Tauf- und Confirmationsscheine wird selbst ein Antiquitäten- oder Raritätensammler kaum aufzuweisen haben, und der aufgeklärte Mensch wird mit demselben Gefühle in die Vergangenheit zurückblicken, mit welchem der geschulte Reiter an den Augenblick denkt, an welchem er sich das Hosenkreuz zerplatzte, als ihn das Pferd zum ersten Male abwarf.
[…]
und wer den Teufel in die Buttermilch wirft, der stößt auch die Dogmen unsrer Bibellehre um.<<<

(Mit einer Prise Hemdsaermeligkeit (?) )
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rodger
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Beitrag von rodger »

war May ein nuechterner Analyst?
Nicht immer, bewahre ... (welch Frage !)

Ich meinte natürlich, in dem Textzitat. Wo er ganz nüchtern analysiert und erklärt, warum es im Gefängnis eigentlich und wenn man so will am Schönsten war (das meine ich ernst, ebenso wie er es ernstgemeint hat.)
(Mit einer Prise Hemdsaermeligkeit (?) )
Na klar.
Darf ich wagen zu sagen dass es sich in Babel und Bibel und im Maerchen von Sitara (habe Ardistan und Dschinnistan noch nicht gelesen) wiederspiegelt?
In den letztgenannten Werken geht es ja um das Entwickeln von A nach B, oder, wie Hermann Wohlgschaft einmal in ähnlichem Zusammenhang schrieb, um das "Hinauskicken" gewisser Anteile. In dem Zitat vom Teufel und der Buttermilch geht es m.E. um das wertungsfreie Annehmen beider Angelegenheiten (A und B).

(Ich persönlich bin ja immer der Ansicht, der Mensch wird, was die Jahreszeiten betrifft, schlecht den Herbst überwinden oder den Winter hinauskicken, er wird schon damit leben müssen. - Womit wir einmal mehr bei Hanns Dieter Hüsch wären, "Obwohl der Herbst ist auch schön ne. Auch der Winter kann schön sein. Kann. Muß nicht, aber kann.")

:wink:
marlies

Beitrag von marlies »

Aha ... verstehst du all das? :?
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rodger
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Beitrag von rodger »

Was ?

Hüsch ? May ? Dich ? Mich ?

Ich glaub' schon, einigermaßen ...

:wink:
Zuletzt geändert von rodger am 6.9.2007, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.
marlies

Beitrag von marlies »

Goodnight! :D
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rodger
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Beitrag von rodger »

Goodnight!
Immer diese doppelsinnigen Beiträge ...

:wink:

(den meinigen obigen habe ich übrigens realistischer- & bescheidenerweise nachträglich noch um ein Komma und ein "einigermaßen" ergänzt)

:wink:
marlies

Beitrag von marlies »

je mehr ich verstehe desto mehr verstehe ich dass ich ueberhaupt nichts verstehe. (Ist das von Confuzius?) Gut dass du wenigstens das alles so einigermassen verstehst ... :lol: ... vielleicht :lol:
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