Ardistan & Dschinnistan

Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Ein bisschen missverstanden fühle ich mich von Sandhofer schon – falls mit dem »Rückzug aufs rein Subjektive« mein gestriger Eintrag hier im Thread gemeint ist.

Natürlich wollte ich nicht sagen, dass es für die besondere Wertschätzung für A&D (und andere Spätwerke Mays) überhaupt keine objektiven Kriterien gebe. Über den hohen literarischen Wert von A&D ist z. B. in Kittlers Literatur Lexikon, in diversen May-Biographien und in den Jahrbüchern der KMG schon viel geschrieben worden. Nur – dass meine Vorliebe für A&D gleich SO weit geht, dass ich diesen Roman selbst großen Werken der Weltliteratur vorziehe, DAS ist (im Blick auf formale Bewertungskriterien) ein subjektives Urteil.

Übrigens: Sandhofer meint, mit seiner Präferenz der Mayschen Reiseerzählungen gegenüber dem Spätwerk eine Minderheit zu vertreten. Richtig scheint mir das Gegenteil. Leute, die – wie ich – das Spätwerk bevorzugen, sind innerhalb der KMG und auch innerhalb dieses Forums doch eher die Ausnahme.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hallo, mir ist ein dummer Fehler unterlaufen. Bitte um Entschuldigung. Ich meinte natürlich KINDLERS Literatur Lexikon.
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giesbert
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Beitrag von giesbert »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Hallo, mir ist ein dummer Fehler unterlaufen. Bitte um Entschuldigung. Ich meinte natürlich KINDLERS Literatur Lexikon.
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Rene Jochade
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Beitrag von Rene Jochade »

Hallo Herr Sandhofer!

Was ich mit Paradies im übertragenen Sinne meinte, läßt sich, profan gesagt, schon bei Wiki nachlesen:
Das ursprüngliche Paradies ist "...der Ort, an den selige Menschen nach ihrem Tode kommen."
Übertragen wird es dort als "Ort der Seligkeit, der Freude" definiert.

Dschinnistan ist aber kein Paradies im üblichen Sinne (dann wäre Ardistan die Hölle).
Hier möchte ich es daher eher als einen "Ort der Vollendung" bezeichnen, zu dessen Erreichen May schrieb: "Werde Mensch; Du bist es noch nicht!"

Damit möchte ich auch gleich zu einem zweiten Punkt kommen.
Sie schrieben: "Besonders die Eigeninterpretation Karl Mays sollte man mit Vorsicht geniessen und ins Feld führen."

Dazu sage ich mal "Njein"!
Als Beispiel fällt mir hier etwas ein, was ich in meiner Schulzeit erlebte und was mich schon damals gestört hat:
Da hieß es also wieder mal: Heute schreiben wir einen Aufsatz zu dem Thema "Was will uns der Künstler mit seinem Werk sagen?"
Schon die Fragestellung ist hier falsch. Was der Künstler mit seinem Werk tatsächlich sagen will, das weiß nur er allein und niemand anders!
Man kann ein Werk interpretieren, wie man will - es kommt letztendlich nur das dabei heraus, was man selbst darin erkennt - ob nun richtig, oder falsch.
Um die tatsächlichen Gedanken des Künstlers zu erraten (ich sage bewußt "erraten") müßte man Hellseher sein.
Und wie oft die "heiligsten" Bücher schon fehlinterpretiert wurden, zeigt uns ja die Weltgeschichte leider zur Genüge.
Ich will damit sagen: Wenn es denn schon tatsächlich eine Eigeninterpretation des Künstlers gibt, dann sollte man diese auch akzeptieren, denn wenn die nicht stimmt, dann ist das ganze Werk eine Lüge!

Und um noch einmal kurz auf die Geschichte mit den "eigenen Gedanken" zurückzukommen:
Das ging mit Sicherheit nicht gegen Sie sondern war mir tatsächlich als ein allgemeines Problem aufgefallen. Insgesamt wurde sich mir ein wenig zuviel auf die Meinung anderer berufen und dabei die eigenen Gedanken vernachlässigt.
Doch gerade das macht ja den Sinn und den Reiz eines solchen Forums aus und soll zu neuen Erkenntnissen führen. Ansonsten könnten wir hier sämtliche Sekundärliteratur online reinstellen und das war's dann. Also bitte, das ganze keinesfalls persönlich nehmen!

MfG,
Rene Jochade

PS: Ich meinte eigentlich schon Herrn Dr.E.A.Schmid, den "Vater" der Sekundärliteratur...
Sandhofer
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Beitrag von Sandhofer »

Rene Jochade hat geschrieben:Was ich mit Paradies im übertragenen Sinne meinte, [...]

Dschinnistan ist aber {...]
Ich sehe den Unterschied, der gemacht werden soll. Einerseits stimmt das auch, da v.a. Ardistan und Märdistan menschlich-diesseitige Entwicklungsstadien darstellen sollen (wobei May Phylogenese und Ontogenese gleichsetzt), und dementsprechend Dschinnistan die diesseitige Vollendung darstellen soll. Andererseits ist der vollkommene Mensch diesseitig nicht zu finden, und Kara Ben Nemsi und seine Truppe kommen dementsprechend auch nie wirklich nach Dschinnistan. Somit ist Dschinnistan gleichzeitig etwas Jenseitiges, dem diesseitigen Menschen Unerreichbares, und die Dreiheit Ardistan / Märdistan / Dschinnistan wird zur Allegorie der Dreiheit Hölle / Fegefeuer / Paradies.
Rene Jochade hat geschrieben:Man kann ein Werk interpretieren, wie man will - es kommt letztendlich nur das dabei heraus, was man selbst darin erkennt - ob nun richtig, oder falsch.
So pessimistisch sehe ich das nun nicht. Das würde letzten Endes bedeuten, dass jede Kommunikation ins Leere läuft, weil man im Andern immer nur sich selber erkennt.
Rene Jochade hat geschrieben:Wenn es denn schon tatsächlich eine Eigeninterpretation des Künstlers gibt, dann sollte man diese auch akzeptieren, denn wenn die nicht stimmt, dann ist das ganze Werk eine Lüge!
Die Eigeninterpretation eines Künstlers ist eine unter vielen - und nicht einmal die beste. Abgesehen von Phänomenen wie einem Karl May, der in seine Reiseromane plötzlich symbolistisch-grossartige Gedanken hineininterpretiert, nachdem er noch vor kurzer Zeit doch ganz klar die Interpretation darbot, er sei - in Fleisch und Blut - Old Shatterhand und habe alle diese Abenteuer erlebt - - - abgesehen von solchen bewussten Mystifikationen durch einen Autor: Wie gut kennt der Autor sich selber? Nicht erst seit Freud weiss die Menschheit, dass im Hirn oder im Herzen (oder wo auch immer man das lokalisieren will) eines Menschen Dinge vorgehen, die dieser Mensch von sich selber gar nicht weiss. Jeder Mensch ist sich selber das erste Du. (Nicht meine Erfindung, diese Aussage. Das hat schon Feuerbach gesagt.)

Womit ich noch rasch auf diesen Einwurf antworten möchte:
Rene Jochade hat geschrieben:Insgesamt wurde sich mir ein wenig zuviel auf die Meinung anderer berufen und dabei die eigenen Gedanken vernachlässigt.
Doch gerade das macht ja den Sinn und den Reiz eines solchen Forums aus und soll zu neuen Erkenntnissen führen.
Man soll die Meinungen anderer nicht ungeprüft übernehmen, da bin ich einverstanden. Andererseits beruht die menschliche Kultur natürlich auch darauf, dass wir die Gedanken anderer aufnehmen. Wir sind alle Zwerge, die nur darum so weit sehen, weil wir auf den Schultern von Riesen stehen. Die wiederum sehen nur so weit, weil sie auf den Schultern anderer Giganten stehen. Die wiederum ...
Rene Jochade hat geschrieben:Also bitte, das ganze keinesfalls persönlich nehmen!
Schade, ich hatte mich schon gefreut! :lol:
Rene Jochade hat geschrieben:PS: Ich meinte eigentlich schon Herrn Dr.E.A.Schmid, den "Vater" der Sekundärliteratur...
Öhm ... ja ...
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Sandhofer schreibt m. E. zu Recht, dass Dschinnistan »etwas Jenseitiges, dem diesseitigen Menschen Unerreichbares« meint. Im Unterschied zu Sandhofer aber kann ich in Ardistan keine Allegorie für die »Hölle« erkennen.

Nein, Ardistan steht für die ERDE mit ihrem Leid, ihrer Schuld, ihrer Gewalt, ihrem Unrecht, ihren Kriegen, ihrem Hunger und Durst, ihrer Todverfallenheit. Diese Erde ist jedoch zu retten – sofern sie sich der Verbindung zu Dschinnistan, dem göttlichen Bereich, nicht verschließt. Thema des Romans ist die Vision eines irdischen Paradieses – bewirkt durch das lebendigmachende Wasser Dschinnistans.

In der Utopie des Romans wird der Weltfriede, als »Himmelsgabe«, gefunden – und das Wasser aus Dschinnistan kann zurückfließen nach Ardistan. Das lebendige Wasser spendet der Dschebel Allah, der von göttlichen Energien gespeiste Vulkan.

Blühende Gärten, brennende Vulkane, ausgetrocknete Flüsse, scheinbar leblose Wüsten sind in der Weltparabel A&D stets allegorisch zu verstehen. Die metaphorische, über die Landschaftsbeschreibungen hinausweisende spirituelle Dimension des Wassers, der Wüste, der Berge, der Gärten usw. spielt die entscheidende Rolle.

Claus Roxin schrieb zu A&D: »Tempel, Vulkane, Berge, Fluss, Brunnenengel stehen alle miteinander in Beziehungen, die einerseits natürlich physikalischer Art sind, andrerseits aber auch eine göttliche Heilsbotschaft bergen, auf die Grundfragen von Leben und Tod verweisen und ihre Beantwortung in den Gedanken von Friede, Liebe und Gewaltlosigkeit suchen.«

Ardistan steht m. E. für das Diesseits, Dschinnistan für das Jenseits. Erde und Himmel aber sind nicht von einander getrennt, sondern – dies ist eine zentrale Botschaft des Romans – geheimnisvoll miteinander verbunden. Der Mensch nun kann wählen zwischen Tod und Leben, zwischen Selbstsucht und Liebe: indem er sich (wie der Mir von Ardistan VOR der Bekehrung) den Kräften des Himmels verschließt oder sich (wie der Mir von A. NACH der Bekehrung) diesen Kräften anvertraut.

Mit freundlichem Gruß an die Runde
Hermann Wohlgschaft
marlies

Beitrag von marlies »

Hello Hermann

Du schreibst:
>>>Ardistan keine Allegorie für die »Hölle« erkennen...Nein, Ardistan steht für die ERDE mit ihrem Leid, ihrer Schuld, ihrer Gewalt, ihrem Unrecht, ihren Kriegen, ihrem Hunger und Durst, ihrer Todverfallenheit<<<

widerspiegelt meine Auffassung von A&D - so sehe ich das auch (obwohl zugegebenermassen ich 'nur' in A&D geblaettert habe, 'cover to cover' lesen kommt dann noch) ... ABER DANN ... wenn man 'Leid, Schuld, Gewalt, Unrecht, Krieg, Hunger, Durst, Todverfallenheit' ... als Eigenschaften der 'Erde' [oder dem mystischen Ardistan] bezeichnet dann erscheint mir es doch eher als 'Hoelle' ... wo ist das 'nicht leiden' 'nicht schuldig sein', 'Gewaltlosigkeit' 'Gerechtigkeit' 'Friede' 'genug zu Essen' 'keinen Durst zu haben' 'Lebenslust' ? Nur in Djinnistan?

Es scheint mir fast so ... und solange die Menschheit Sachen duldet wie die juengste 'assassination' in einem fuer alle obengenannten Eigenschaften bekanntes Land, dann sind wir alle dazu verdammt in Ardistan herumzukriechen bis zum juengsten Tag. In anderen Worten: wir machen uns (als Menscheit schlechthin) tagtaeglich unsere eigene Hoelle - schade eigentlich ... was wir alles verpassen dabei koennen wir nie mehr zurueckholen. Die Erkenntnis dass Ardistan und Djinnistan nur 2 Gesichter der gleichen Existenz (oder 2 Seiten der gleichen Muenze) sind leuchtet den meisten nicht ein.
Rene Grießbach
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Beitrag von Rene Grießbach »

Ist Karl Mays Ardistan die Hölle?
Ich denke auch, nein, das ist sie nicht.
Allerdings stimme ich z.B. Marlies zu - "...wir machen uns (als Menscheit schlechthin) tagtaeglich unsere eigene Hoelle..." .
Aber wenn May sein Ardistan nicht als "...ERDE mit ihrem Leid, ihrer Schuld, ihrer Gewalt, ihrem Unrecht, ihren Kriegen, ihrem Hunger und Durst, ihrer Todverfallenheit..." (aus dem Beitrag von Hermann Wohlgschaft) gesehen hätte, warum ließ er dann dorthin das Wasser zurückkehren aus den Bergen Dschinnistans? Warum ließ er das so höllische Ardistan nicht untergehen. Warum lässt er die in Ardistan lebenden Menschen, unter denen er so gute Freunde gefunden hatte, in ihrer Heimat bleiben? Warum, wenn nicht deshalb, weil er auch Dschinnistan als einen Teil der Erde, des Erdenlebens betrachtet hatte.
Als den Teil des Erdenlebens, den (nicht nur) er als erstrebenswertes Leben betrachtete. Nicht als Paradies, aber als Leben mit paradiesischen Zügen und Eigenschaften.
Und das Wasser von da oben kehrte zurück nach Ardistan, weil May das feste Vertrauen besaß. dass auch hier wieder lebenswertere, paradies- oder dschinnistanähnliche Verhältnisse Einkehr halten können. Dass die Menschen eben aufhören, ihre Welt sich selbst zur Hölle zu machen. Ardistan und Dschinnistan - das sind zwei Teile einer Welt, die nicht ohneeinander zu existieren vermögen.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Bei dem Wort ›Hölle‹ dachte ich im traditionell theologischen Sinn an eine irreversible Gottesferne, an eine selbstgewählte Einsamkeit, in die kein Wort der Liebe mehr dringen kann. In einem weiteren Sinn – da haben Marlies und René Griesbach natürlich Recht – wird die ›Hölle‹ aber auch als Übel verstanden, das Menschen sich hier auf Erden wechselseitig antun. In diesem weiteren Sinn könnten manche Zustände in Ardistan tatsächlich eine Allegorie für die Hölle sein. Vermutlich war auch Sandhofers Bemerkung in diesem übertragenen Sinne gemeint.

Zum Verhältnis von ›Ardistan‹ und ›Dschinnistan‹ fällt mir ein Wort von Dietrich Bonhoeffer ein: »Gott ist mitten im Leben jenseitig.« Der transzendente, weltjenseitige Mir von Dschinnistan ist mitten in Ardistan unerkannt präsent: besonders in den Brunnenengeln und zuletzt in der menschlichen Gestalt des Schech el Beled. Der rettenden Gegenwart des Mirs von Dschinnistan ist es zu verdanken, dass Ardistan nicht verloren geht.
marlies

Beitrag von marlies »

Hi Rene

>>>Und das Wasser von da oben kehrte zurück nach Ardistan, weil May das feste Vertrauen besaß. dass auch hier wieder lebenswertere, paradies- oder dschinnistanähnliche Verhältnisse Einkehr halten können.<<<
Das ist eben das was mir an May gefaellt, der unerschuetterliche Optimismus, die Hoffnung, das Vertrauen - ja sogar den Glauben - dass alles 'besser werden wird'.

Ohne 'Ardistan' (oder den Zustand 'Ardistan') gaebe es wahrscheinlich keine, oder nur eine sehr langsame 'Evolution' von beidem, dem Mensch und der Erde; denn dass Erde und Mensch und alles dazwischen unzertrennlich voneinander abhaengig sind (in beide Richtungen [und in Richtung Mensch-Erde als Einzelmensch sowohl als auch als gesamt Humanitaet]) is mir persoenlich eine ganz logische Tatsache.

Natuerlich geschieht 'Evolution' in einer 'besser werdenden' Direktion (nach oben) fuer alles was 'Evolution' unterlegen ist --- 'schlechter werdende' Evolution heisst Extinction, nicht anpassen koennen heisst Extinction --- So Ardistan ist die Evolutions-Muehle die den naechsten Schritt 'aufwaerts' nach Djinnistan vorbereited, und die ziemlich eindeutige 'Geistermuehle' in Mardistan und dem Wald von Kulub (wenn ich A&D / Maerchen von Sitara / Babel und Bibel richtig verbinde - ich werd schon korrigiert falls ichs falsch sehe) spuckt diejenigen Wesen aus nach oben, nach Djinnistan welche die Evolution ueberstanden haben - Koerperlich, Geistig, Seelisch etc. Und deren 'reines Wasser' (im uebertragenen Sinne) fliesst zurueck nach Ardistan um die 'Evolutions'-Schmerzen etwas zu mindern - wenn's die in Ardistan erkennen koennen.

So fuer mich persoenlich ist A&D nicht nur eine spirituell/religioese parabel, sondern eine direkte (bewusst oder unbewusst von May) Referenz zu Evolution der Menschheit generell (in May'scher Verpackung - wobei May auch schon in 'Winnetou 1,2,3' [oder in Old Surehand und anderen] dieses Prinzip bearbeitete, da Winnetou von Ardistan [den Wilden] durch die Geistermuehle [Leben mit Old Shatterhand - welcher den Roten im Grunde genommen durch seine 'Christen-Schmiede' hindurch forcierte] schlussendlich nach Djinnistan kam dadurch dass er 'ein Christ' wurde als er starb - wobei auch May den Tod nur als die Tuere zur naechsten Existenz sah ... [meine ganz persoenliche Meinung]).

Obwohl wir uns unsere eigene Hoelle tagtaeglich machen, ist es von der Sicht der 'Evolution' her eine Notwendigkeit. Nur die Starken ueberleben, die welche sich 'aendern' und 'anpassen' koennen. Und in den wenigsten Faellen geht es so wie die Haeupter der Menschheit (Pharaonen, Koenige, Kaiser, Diktatoren, Presidenten und und und) es sich denken, sondern die Ardistan'sche Muehle kann niemand aufhalten.

Nur-paradiesische Existenz wird so ziemlich bald nicht-ueberlebensfaehige Schwaechlinge hervorbringen und damit waer die Kreatur 'Mensch' dann tatsaechlich weg vom Fenster.

Eben ... das grosse Paradox [schon anderswo angesprochen] ... das eine kann ohne das andere nicht sein, nur sollte man ab und zu mal ueber die Mauern von Ardistan herueber nach Djinnistan gucken und die lichten Hoehen bewundern die man im Schlamm von Ardistan nicht sehen kann.

Letzter Paragraph sind so meine Gedanken fuer 2008 ... wuensche noch allen einen 'Guten Rutsch!'
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

›Ardistan‹ und ›Dschinnistan‹ im gleichnamigen Roman (1907/09) dürfen nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit ›Ardistan‹ und ›Dschinnistan‹ im ›Märchen von Sitara‹ (1910). ›Ardistan‹ im ›Märchen‹ ist der Inbegriff des Bösen, sozusagen die Hölle; das Land Ardistan im Roman aber wird keineswegs dämonisiert, es ist schlichtweg die Erde mit ihren Licht- und Schattenseiten. DIESES Ardistan ist entwicklungsfähig, am Zielpunkt der Evolution wird es zum irdischen Paradies.

Was nun ›Dschinnistan‹ betrifft: Im ›Märchen von Sitara‹ ist es tatsächlich nur die irdische Kehrseite von ›Ardistan‹, gewissermaßen das befreite, das erlöste Ardistan im Sinne der Romanversion. Im Roman A&D hingegen scheint mir ›Dschinnistan‹ doch eher eine jenseitige Wirklichkeit zu sein, die auf Erden nie erreichbar ist, auch nicht als Zielpunkt der innerweltlichen Evolution. Das Land Dschinnistan im Roman ist m. E. eine Allegorie für die Jenseitigkeit Gottes, die – rettend und belebend – im Diesseits präsent ist. (Siehe meine gestrigen Einträge, die sich auf den Roman A&D beziehen, nicht aber auf das Märchen von Sitara.)
marlies

Beitrag von marlies »

Hi Hermann
Danke. Gleichsetzen tue ichs schon nicht, nur 'verbinden'. Eine Verbindung besteht da schon, nicht nur schon vom Namen der 'Gegenden' her. Beide 'Geschichten' sind auch verbunden durch's gleiche Prinzip ... 'Dunkel' 'unten' vs 'Licht' 'oben', was auch mit 'boese' und 'gut' 'uebersetzt' werden kann. Ich muss sagen dass in beiden (A&D, Sitara) mir das 'Prinzip' [mir faellt kein anderes Wort dazu ein - sorry] als Philosophie des Lebens - in der Dualitaet des Ganzen mit Betonung auf 'Einfluss des Guten am Boesen' - als ausserordentlich hoffnugsvoll fuer die 'Zukunft' erscheint (die Frage ergibt sich: wie lange und wo ist die Zukunft?). Wie man es auch anschaut ... die Wagschalen gehen immer auf und ab...und dass die Wagschalen zur Zeit wo May es schrieb sich nicht gerade in seine Richtung hoben macht diese Werke (speziell A&D der Roman) umso bemerkenswerter (dass er ueberhaupt noch schreiben konnte in der Situation ist schon ein Wunder). Natuerlich ist sein ganzes Alterswerk durch dieses Prinzip verbunden, nicht nur die obenerwaehnten Stuecke. Jedoch hat die Gegenueberstellung des verdorbenen Ardistans mit dem verherrlichten Djinnistans einen besonderen Reitz und (obwohl nicht gleichgestellt wie erklaert von Dir) die Geisterschmiede im kurzen Stueck spielt eine bedeutende Rolle - das Fegefeuer 'in one-way-mode' ... von der Hoelle durch's Fegefeuer in den Himmel (um religioese Ausdruecke zu gebrauchen) - nicht von Erden ins Fegefeuer und dann entweder in die Hoelle oder in den Himmel - weil wer's nicht durch die Geisterschmiede hindurchmacht hoert auf zu existieren. Aber hier gehts um A&D, nicht Sitara.

*

Ich frage mich aber ... hat Evolution einen Zielpunkt?
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hallo Marlies,

gewiss gibt es zwischen den Ideenwelten des ›Märchens von Sitara‹ und des Romans A&D eine enge Verbindung. Beide Texte stammen ja vom gleichen Autor und sind in nur geringer Zeitdifferenz entstanden. Gleichwohl erscheint mir der Roman sehr viel hoffnungsfroher als das Märchen. Bei der wiederholten Lektüre des Romans hatte ich den Eindruck, dass am Ende nur der ›Panther‹ verloren geht, während ansonsten ganz Ardistan sich verwandelt in einen blühenden Paradiesgarten. Bei der Lektüre des Märchens von Sitara indessen beschleicht mich ein eher ungutes Gefühl. Denn es entsteht – bei mir wenigstens – der Eindruck, dass der Aufstieg von Ardistan nach Dschinnistan nur ganz wenigen Auserwählten gelingt. Ich vermute, dass das Sitara-Märchen sehr stark autobiografisch gefärbt ist (als unmittelbare Spiegelung der Lebenssituation des Autors zum Entstehungszeitpunkt des Märchens). Die Botschaft des Romans hingegen scheint mir ›zeitlos‹, d. h. von allgemeiner Gültigkeit zu sein.

Gibt es einen Zielpunkt der Evolution? Bei Karl May ja wohl schon! Ich denke an den Vortrag über ›Drei Menschheitsfragen‹ in Lawrence/Mass. (im Oktober 1908). May sagte: Wir kommen von Gott und kehren zu Gott zurück. Ich verstehe das so: Die endgültige Heimkehr zur göttlichen Liebe ist der Zielpunkt der Evolution. Im individuellen Dasein wird dieses Ziel im Tod (evtl. nach einer, mehr oder weniger schmerzhaften, Läuterungsphase) erreicht. Die Schöpfung als Ganze aber erreicht ihr Ziel am ›Jüngsten Tag‹, also einem fernen Zeitpunkt, der uns nicht bekannt ist. Im Roman A&D nun freilich wird beides – die Vollendung des Einzelnen und die Vollendung der Welt – synchronisiert.

Liebe Marlies, das alles ist noch ›ins Unreine‹ gesprochen! Ich werde über diese Fragen noch intensiver nachdenken.
marlies

Beitrag von marlies »

Hi Hermann
>>>das alles ist noch ›ins Unreine‹ gesprochen<<< macht nichts ... so ein 'think tank' frei von der Leber weg (anstatt ein einstudierter dialog) ist manchmal ganz erfrischend.

>>>Bei der Lektüre des Märchens von Sitara indessen beschleicht mich ein eher ungutes Gefühl. Denn es entsteht – bei mir wenigstens – der Eindruck, dass der Aufstieg von Ardistan nach Dschinnistan nur ganz wenigen Auserwählten gelingt. <<<
:lol:
Schoen gesagt - geht mir ebenso. Da ist was ganz dunkles drin - Eben oder vielleicht - die Auserwaehlten sind die 'Starken' welche die 'Evolutions [oder Ardistans]'-Muehle ueberstanden haben und nun trotzdem noch in die Geisterschmiede geschmissen werden um dann nochmals gepeinigt zu werden (als Nebengedanke: auch das 'Boese' kann die Evolutions-Muehle ueberstehen und sich weiterentwickeln [muss es ja koennen], und die Geisterschmiede ist dazu da, das 'Boese' nun endlich herauszufiltern und nur das 'Gute' auszuspucken. Das waere dann wieder nicht in Balance.
Ich muss gestehen dass A&D auf meiner 'muss lesen als naechstes' Liste steht sobald mir mein 'Uebersetzungs' Kalender mal etwas Luft laesst (wie gesagt habe ich darin nur fluechtig herumgeblaettert). Es scheint mir auch, wie erwaehnt, ueberaus hoffnungsvoll fuer die 'Zukunft'. (Zukunft ist bei mir so ein wunder Punkt ... davon wo- und wann-anders).

Autobiographisch (mehr oder weniger) ist ja fast alles von May, das Sitara Maerchen wuerde ich als eine 'Momentaufnahme' bezeichnen. (?)
marlies

Beitrag von marlies »

Nachtrag:
>>>Die endgültige Heimkehr zur göttlichen Liebe ist der Zielpunkt der Evolution.<<<
Hmm ... und was passiert danach?
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