Ardistan und Hindistan: Fiktive und reale Geographie

Thomas Schwettmann

Ardistan und Hindistan: Fiktive und reale Geographie

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Das unbekannte Land

Meine Erzählung beginnt in Sitara, dem in Europa gänzlich unbekannten Land der Sternenblumen', von dem ich im 'Reiche des Silbernen Löwen' erzählt habe.
[Ardistan und Dschinnistan, Anfang]

"Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?" - Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück geradeso viel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: "Kannitverstan"
[Schlegel: Kannitverstan]

In einem Verlagsprospekt des KMV von 1997 liest man zu Band 31 'Ardistan': Mays bedeutendes Spätwerk führt Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar auf einen ganz neuen Schauplatz; den Stern "Sitara". Spielt die Handlung von 'Ardistan und Dschinnistan' also wirklich auf einen anderen Planeten (wie es astronomisch korrekt heißen muß, ein Stern ist eigentlich eine Sonne) und nicht etwa der Erde selbst?

Dieser Interpretation liegen gleich zwei Mißverständnisse zu Grunde. Zum Einen ist Mays Darstellung von Sitara als Stern, die er in seiner Autobiographie 'Mein Leben und Streben' oder im Augsburger Vortrag vertritt, erst nach der Niederschrift von 'Der Mir von Dschinnistan' bzw. 'Ardistan und Dschinnistan' entstanden, in dem Doppelroman ist von Sitara als Stern an keiner Stelle die Rede, insofern ist diese 'Stern'-Neudeutung prinzipiell überhaupt nicht relevant bei der Beurteilung der Erzählung (Zwischen 1955 und 1967 erschien im KMV allerdings eine Bearbeitung, in die das 'Märchen von Sitara' und somit auch die Interpretation Sitaras als Stern in den Romananfang integriert war). Zum anderen meint Karl May auch in seinem Sternen-Gleichnis mit Sitara nicht etwa einen neuen, anderen Planeten, sondern die Erde selbst. Seine 'Raumfahrt' beginnt auf der Erde und führt auch wieder zu dieser zurück: Wenn man von der Erde aus drei Monate lang geraden Weges nach der Sonne geht und dann in derselben Richtung noch drei Monate lang über die Sonne hinaus, so kommt man an einen Stern, welcher Sitara heißt. Sitara ist ein persarabisches Wort und bedeutet eben »Stern«.

Sitara ist nämlich nicht etwa ein Zwillingsplanet, der von der Erde aus nicht zu sehen ist, weil er, um eine halbe Umlaufbahn versetzt, durch die Sonne verdeckt wird. Man darf nicht vergessen, daß May auch zweimal drei Monaten für die Reise ansetzt, wer also tatsächlich Mays Reiseroute wie auch die Reisezeit berücksichtig, kommt wieder bei der guten, alten Mutter Erde an, welche in dieser Zeit ebenfalls eine halbe Umlaufbahn um die Sonne vollendet hat. Im Gegensatz zu 'Mein leben und Streben' hat May seine Mystifizierung von Stern Sitara im Augsburger Vortrag auch in genau diesem Sinne aufgelöst: Auf welchen stern stoßen wir, wenn wir, von dem jetzigen Augenblicke an genau 3 Monate lang auf die Sonne zugehen und dann noch 3 Monate lang in derselben Richtung über die Sonne hinaus? Auf die Erde! Denn sie hat bis dahin genau einen halben Umlauf gemacht und steht dem Punkt, an dem wir uns jetzt befinden, grad gegenüber! Sitara ist also nichts anderes als unsere Erde. Aber nicht astronomisch oder geographisch, sondern mit dem Auge des Märchens betrachtet

Tatsächlich haben wir es bei 'Ardistan und Dschinnistan' also mit irdischen Schauplätzen zu tun, mit Schauplätzen, die zwar im orientalischen Raum liegen, sich aber etwa wie die Orte und Länder in vielen 'Erzählungen aus tausendundeiner Nacht' - man denke z.B. an die Messingstadt oder die Inseln und Küstenländer in Sindbads Reisen - einer genauen geographischen Einordnung entziehen, gleichwohl aber nach dem Vorbild realer Städte, Länder, Flüsse und Berge u.s.w. geformt sind.

Möglicherweise könnte Karl May schon in einer sehr frühen Phase seiner Schriftstellerei auf den Name Sitara gestoßen sein. So liest man im Begleitband 'Leben - Wer - Wirkung' zur Edition 'Karl May's Illustrierte Werke' (S. 186): In der der Zeitschrift 'Novellen-flora' (Jahrgang 1875), in der nach heutigen Wissen die erste größere Erzählung des sächsischen Autors Die Rose vom Ernstthal erschien, ist auch eine 'Erzählung nach dem Persischen' mit dem Titel 'Der Sterndeuter wider Willen' von H. Neumann enthalten. In dieser in Ispahan spielenden Erzählung kommt eine junge Frau namens Sittara vor. (...) Nordnordöstlich von Isphan liegt die Ortschaft Ardistan (...). Istpahan wird von Karl May übrigens auch als der Ort erwähnt wird, zu dem Kara Ben Nemsi noch vor den Ereignissen in 'Durch die Wüste' eine seiner ersten Reisen in den Orient unternommen hat: Ich hatte ihn (d.i. Abrahim Mamur) gesehen, und zwar in Ispahan auf dem Almaiden-Shah, wo er auf ein Kamel gebunden wurde, um als Gefangener nach Konstantinopel geschafft zu werden. Mein Weg führte damals eine kurze Strecke mit derselben Karawane (...).
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Thomas Schwettmann

Der Sternenhimmel über Ardistan

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In 'Der Mir von Dschinnistan' bzw. 'Ardistan und Dschinnistan' bezeichnet May mit Sitara jedenfalls noch keinen ganzen Stern, sondern lediglich eine Sultanat: Meine Erzählung beginnt in Sitara, dem in Europa fast gänzlich unbekannten »Land der Sternenblumen«, von dem ich im »Reiche des silbernen Löwen« erzählt habe. Die Sultanin dieses Reiches ist Marah Durimeh, die allen meinen Lesern wohlbekannte Herrscherin aus uraltem Königsgeschlecht. (...) Ikbal ist eine der schönsten Residenzen Marah Durimehs. Ihre fürstliche Wohnung, mehr einem Tempel als einem Schlosse gleichend, hebt sich wie die aus weißem Marmor gedichtete Strophe eines salomonischen Psalmes hell, klar, rein und leuchtend von dem dunkeln Hintergrunde der himmelanstrebenden Berge ab. Diese liegen im Norden. Nach Süden dehnt sich die blaue, von silbernen Fäden durchzogene See (...)

Darüber hinaus, daß Ikabal an einer nördlichen Steilküste einer sich nach Süden erstreckenden See liegt und eine offensichtlichen Nähe zum persisch-indischen Kulturkreis hat, scheint May auf den ersten Blick nichts weiter über die geographische Lage zu verraten, doch findet sich ein weiterer, etwas verschlüsselter Hinweis in dem von Marah Durimeh beschriebenen Sternenhimmel, mit dem sie ihren Vortrag an Kara Ben Nemsi beginnt: Schau hinauf zum Firmament! Nicht deine heimischen Sterne leuchten, sondern die Sterne des Südens. Du siehst die Jungfrau, den Raben, den Becher und den Kelch. Hier das Herz, den Kompaß; dort Antares, den Wolf, den Zirkel und das Kreuz.

Nicht alle genannten Namen gehören zu Sternbilder, drei davon sind Einzelsterne: Antares [griech. für Gegenmars] ist der hellste Stern im Skorpion, der Kelch [oder auch Krug, arab.: Alkres] ist der hellste Stern des Bechers und das Herz [arab. Kabeleced] ist der hellste Stern im Löwen. Der Zirkel und das Kreuz (des Südens) sind die beiden südlichsten Sternbilder dieser Konstellation, welche auf der nördlichen Halbkugel nur im Winter/Frühjahr sichtbar sind, wobei der Beobachtungszeitpunkt sich von Ende der Nacht zum Anfang der Nacht hin verschiebt. Morgens vor Sonnenaufgang kann dieser Teil des Himmels also nur im Winter, Abends nach Sonnenuntergang nur im Frühjahr beobachtet werden.

Ab welchen Grad nördlicher breite kann man diese Sternenkonstellation überhaupt wahrnehmen? Dazu ein Zitat aus dem 'dtv-Atlas zur Astronomie' [1973/1987, S. 281]: Von 30° nördlicher Breite aus (Nordamerikanische Golfküste, nördl. Florida, Kairo, Dehli, Schanghai) ... [ragt] vom südlichen Kreuz ... nur noch der nördl. Teil gerade über den Horizont, so daß es also praktisch noch nicht gesehen werden kann. Dieses wird erst vom nördl. Wendekreis (23,5° nördl. Breite; Habana auf Kuba, Oberägypten, Kalkutta, Kanton, Formosa) an der Fall sein. In Übereinstimmung von Sternenhimmelkonstellation und der Genese der Marah-Durimeh-Figur, die sie an den persischen Raum bindet, liegt das Sultanat Sitara deshalb wohl an der nördlichen, persisch/pakistanischen Meeresküste des Golfes von Oman, die sich etwas über den 25° nördl. Breite befindet. Dabei ist zu beachten, daß der Ausblick aufs arabische Meer den südlichen Sternenhimmel bis zum Horizont freigibt, das Kreuz also sichtbar ist. Der Beobachtungszeitpunkt, im Roman als kurz nach Sonnenuntergang angegeben (genauer nach Eintritt vollständiger Dämmerung, da sonst die südlichsten Sternbilder nicht sichtbar wären), läßt zudem darauf schließen, daß es sich um einen Tag des März handeln muß. Solcherlei Feinheiten sollte man jedoch eigentlich mit Hilfe einer Sternenkarte demonstrieren.

Nachdem Karl May mit dem 'Großen Bären' ein einzelnes Sternbild bereits in 'Durchs wilde Kurdistan' thematisiert hatte, beschrieb er eine Sternenhimmelgesamtansicht übrigens erstmals in bei der Visionsszene in 'Am Jenseits', in welcher Ben Nur mit Hilfe des Blinden als Medium seine Ausführungen ebenfalls mit einer Aufforderung zur Betrachtung der Sternenbilder beginnt: Richtet eure Blicke empor zum Himmelszelt! Über und hinter euch stehen die Sterne des Herkules, rechts der Adler und Delphin, links die Schlange und vor euch der Schlangenträger mit dem Ras Alhagua und hunderten von Welten, von denen ihr nur wenige als kleine Punkte erkennt. Diese Himmelskonstellation beschreibt dabei freilich einen typischen Sommerhimmel, wie er auch in Mitteleuropa sichtbar ist, auf spezifisch arabische Sternenbilder wie den Wolf oder den Einzelstern Achernar, die nur von einem weiter südlichen Standort - wie etwa Kairo oder Mekka - sichtbar wären, verzichtet Karl May in 'Am Jenseits' ganz. Die Faszination des südlichen Himmels packte May dann erst auf seiner Fahrt auf dem indischen Ozean während seiner Orientreise.

Ausgehend von der Identifizierung von Sitara als imaginärer Ort irgendwo an der persischen Küste des indischen Ozeans, kann man aufgrund der Dauer der Reise der Arche in etwa abschätzen, in welchem Bereich die Gestrande Ussulistans liegen sollte. Nach dem Buch 'Die Söhne Sindbads' von Alan Villeiers, in dem der Autor eine Fahrt auf einer Baggala in den 50er Jahren schildert, konnte so ein traditionelles typisches arabisches Segelschiff durchaus 8 Knoten (das sind ca. 15 km/h) zurückliegen. Nimmt man nun an, daß Sitara in etwa in der Mitte der persischen Meeresküste, also etwa bei Gwudar, so ließe sich in drei Tagen sowohl Aden als auch die Indusmündung erreichen, wesentlich weiter enfernte Ziele, wie etwa Zansibar in Afrika, Madagaskar, Goa oder gar Ceylon ließen sich aber keinesfalls injener kurzen Reisezeit ansteuern, selbst wenn man eine weiter westliche oder östliche Lage Sitaras annehmen würde sowie die Abhängigkeit der Reisegeschwindigkeit von den jeweiligen Windverhältnisssen in Rechnung stellen würde. Allerdings sollte man auch bedenken, daß Mays Angabe der Reisezeit nicht notwendigerweise eine konkrete Berechnung zugrundeliegt, sondern auch willkürlich gewählt sein könnte.

Um die Reiseroute genauer bestimmen zu können, erweist sich der Sternenhimmel aber auch weiterhin als nützlich. So schildert Kara ben Nemsi zunächst einen weiteren nächtlichen Himmelsblick auf dem Weg in die Hauptstadt von Ussulistan: Über mir bereiteten sich die dunklen Wipfel der Bäume, die keinen Blick des Sternenhimmels hindurchließen. Aber wenn ich mich auf die Seite wendete, wo unweit von meiner Lagerstätte die freie Lichtung begann, da konnte ich zwischen den Stämmen hindurch zwei Sterne erkennen, die tief am Himmel standen und meine Augen auf sich zogen, weil sie die einzigen waren, die ich sah. Es war der Deneb und die Mira vom Bilde des Walfisches. Die letztere ist interessant, weil ihre Helligkeit innerhalb nicht ganz eines Jahres von zweiter bis zu zehnter Größe schwankt. Heut war sie ganz beträchtlich.

Tatsächlich hat Mira, der erste veränderliche Stern, der überhaupt entdeckt wurde, eine mittlere Schwankungsperiode von 332 Tagen, also gut etwas weniger als 11 Monaten, d.i. eine Periode von 11 Zyklen (11 X 332 = 3652) in 10 Jahren (10 X 365 + 2 Schalttage; kleinere weitere Schalttagsverschienungen über die Jahrhunderte). Die Werte der höchsten Helligkeit für die Zeit um die Jahrhundertwende waren (jeweils ca. Mitte bis Ende): November 1899, Oktober 1900, September 1901, August 1902, Juli 1902, Juni 1903, Mai 1904, März 1905, Februar 1906, Januar 1907, Dezember 1907. Das Sternbild Walfisch ist dabei im westlichen Indien ca. von August bis Januar zu sehen.

Ferner ist schließlich noch beim Besuch Karas bei der Priesterin in Ussula nochmals, und diesmal wieder recht ausführlich, der Sternenhimmel beschrieben: Ich saß mit dem Rücken nach Süd, schaute also nach Norden, wo Ardistan liegt und über ihm sich Dschinnistan erhebt. Grad hinter meinem Haupte leuchtete das berühmte Kreuz des Südens. Links über mir hatte ich die Sterne des Centaurus, weiter draußen die Waage und die Jungfrau mit der weithin strahlenden Spica. Fast grad im Norden schimmerte der Rabe, etwas weiter nach rechts der Becher und der Kelch, etwas zurück die Wasserschlange, an Helligkeit aber weit übertroffen von dem noch östlicher kreisenden Herzen. Demnach liegt Ussula südlicher als Sitara. Dazu nochmals der dtv-Atlas zur Astronomie: Vom 20° nördlicher Breite aus (Mexiko-City, Bombay, Hawai) sind die klassischen Südsternbilder Centauer und Kreuz vollständig und genügend hoch über den Horizont sichtbar. (S. 281) Wie im Falle von Sitara dürfte May jedoch ein um einige Grade zu weit südlichen Sternenhimmel gewählt haben, denn die geographisch-botanische Beschreibung paßt, wie man noch sehen wird, weniger auf Bombay, als auf ein großer Flußdelta wie das des Indus.

Allerdings paßt die aus dem Sternenhimmel entschlüsselte Jahreszeit (März-April) nicht mit der durch das Weihnachtsfest vorgegeben Jahreszeit überein. Da sich der Kampf bei der Landbrücke El Chátar drei Monate vor dem Dezember abspielen, errechnet sich für die Ereigisse in Usulistan eigentlich der Zeitraum von September bis Oktober, sodaß nach der angegeben Tageszeit - nach der Abenddämmerung - Ikabal und Ussula eher in der Nähe von Hawai liegen müßten, aber solcherlei Zeit-Schnitzer sind durchaus üblich bei May, zumal ihm bei der Niederschrift des Anfangs mögicherweise nicht bewußt war, daß Kara Ben Nemsi später in Ard ein 'liebliches' Weihnachten am heimischen Tannenbaum verbringen sollte, wobei Karl May diese doch etwas schmalzig-biedere Sequenz taktisch geschickt direkt für die Dezember-Ausgaben des 'Hausschatzes' konzipiert haben dürfte.

Eventuell hat sich Karl May bei seinen Himmelsbeschreibungen auch auf eigene Betrachtungenb während seiner Orientreise gestützt, die ihn auf ein südlicheren Kurs von Aden und Massaua über Colombo nach Sumatra und zurück führte und so vielleicht auch die etwas zu südlich angelegten Nachthimmel erklären könnten. Allerdings konnte Karl May, da die geschilderten besondere Konstellationen über Sitara und Ussul nur im Winter/frühlings-Halbjahr sichtbar sind, den Sitara- bzw. den Ussul-Himmel allenfalls im Dezember 1899 auf der Rückfahrt von Padang nach Port Said beobachten, und dies auch nur in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang. Daß er aber sicherlich von dem 'himmlischen' Anblick jener Nächte auf dem Dampfer zu seinen Sternenschauen in 'Ardistan und Dschinistan' inspiriert worden sein dürfte, zeigen Zitate aus 'Et Terra Pax/Und Friede auf Erden': Es war eine wunderschöne, südliche Meeresnacht (...) Der südliche Himmel hat weniger sichtbare Sterne als der nördliche, aber sie scheinen größer und darum der Erde und mit ihr den Menschen näher zu sein (...). (auch: GW 82 'In fernen Zonen', S. 126). Sowie auch: Wir verbrachten eine ganze, helldunkle Strernennacht auf dem Oberdeck (...). (auch: GW 82, S. 132)
Thomas Schwettmann

Fauna und Flora

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Ein weiterer Schlüssel zur geographieschen Einordnug von Ardistan ist die im Roman geschilderte Tier- und Pflanzenwelt. Der Streifzug durch die Flora und Fauna beginnt im Delta des Suhl: Es war ein sumpfiger Rhizophorenwald, durch den wir ritten, nicht so dicht, wie Mangrovenwälder und Manglewälder gewöhnlich zu sein pflegen. Die Stämme, welche der Art Konjugata angehörten, standen ziemlich weit auseinander, schickten jedoch eine solche Menge von Luftwurzel von oben herab, daß die Aussicht eine sehr behinderte war. Karl May mischt hier zwei Pflanzenarten durcheinander: Rhizophoren sind zwar Luftwurzelgewächse, die in Gezeiten- und sonstigen Überschwemmungsgebieten auftreten, Konjugata aber sind Jochalgen, die in Torf- und Sumpfgebieten zu finden sind und sich zwar in den Luftwurzeln verfangen können, selber jedoch keine Stämme bilden. Die Relativierung der Dichte deutet darauf hin, daß hier eher eine als subtropische zu bezeichnende Flußmündung vergleichbar der des Indus gemeint sein könnte, im Gegensatz etwa zu der dichten tropischen Mangrovenvegetation im Delta des Ganges oder des afrikanischen Rufidji, wo man sowieso mit Pferden nicht voran kommt, und zudem mit einer Mosquito & Mückenplage rechnen muß, die zu mehr als nur einer kurzen Erwähnung Anlaß geben sollte. Ebenfalls in dieser Gegend treffen Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar dann auch auf eine Peddapoda, eine Tigerschlange, was nun ganz deutlich auf den indischen Subkontinent verweist.

In der Folge wird die Gegend dann weniger sumpfig beschrieben Es wurde trockener, und der Urwald bekam Bäume, welche die Nässe weniger lieben, als der bisherige Mangrovenwald. Weiter hinten im Text werden einige dieser Baumarten dann genannt, so etwa beim Besuch des Palastes von Ussula: Von allen Pflanzen hier in den Gärten waren nur die Duriobäume am interessantesten. Dies ist eine auch Zibetbaum genannte Gattung aus der Familie der Sterkuliaceen, mit der einzigen Art Durio zibethlnus L. (indischer Zibetbaum), einem 20-28 m hohen Baum in Hinterindien und auf den Inseln des Indischen Ozeans (Meyers Konversationslexikon, 3. Auflage von 1888, folgend mit 'Meyer 3' abgekürzt), dessen Früchte man zuweilen auch als Stinknüsse bezeichnet. Am Bangalo, dem indischen Landhaus des Erdschani, gibt es riesige Linden, Bäume die in Indien allerdings als eher exotisch bezeichnen zu wären. Weiterhin bestaunen die Reisenden dort einen See voller Lotosblumen: Zwischen ihnen glänzten wunderbar gefärbte Blütenrispen, deren Namen ich nicht kannte. Sie waren der amerikanischen Thalia dealbata ähnlich. Phantastisch schön wirkten die zweiteiligen, hell glänzenden Ähren einer noch wenig bekannten, indischen Aponogetonart. Es war ein Farbenreichtum, eine Farbenfrische und eine Farbenpracht sondergleichen! Wobei die zu den Marantaceen gezählten Thalia-Arten, die im tropischen Amerika und auch in den Südstaaten Nordamerikas vorkommen (Meyer 3), keine heimische indische Lotos-Sorte ist.

Eine weitere eigentlich amerikanische Planze ist die Canna indica, das indische Blumenrohr, von der Kara Ben Nemsi eine nicht näher bestimmte Art geröstet genießt. Diese subtropische und tropische Rhizomstaude kommt ursprünglich von den westindische Inseln und dem Festland Mittelamerikas, ließe sich gleichwohl natürlich auch in Indien kultivieren. Dabei dürfte unklar bleiben, ob Karl May wegen des irreführenden Namens einer Verwechselung auflag oder ob er in Kenntnis der echten Herkunftregion dennoch bewußt diese Planze wählte.

Auf dem Ritt hin zum Engpaß El Chátar befanden sich die Reisenden mitten in einem uralten Cedrelawalde, der sich längs des Wassers, an dem wir ritten, hinzog. Leider aber waren diese Cedrelen von der Gattung Toana, deren Rinde, Blätter und Früchte einen starken, knoblauchartigen Geruch aushauchen. Neben der in Süd- und Mittelamerika weitverbreiteten tropischen Zedernart Cedrela (odorata) liegt in Mexiko und Mittelamerika, in der Karibik, und dem tropischen Südamerika gibt es tatsächlich auch einen asiatischen Baum namens cedrala toona [sic!], dessen Früchte zum Färben benutzt werden, und den May gemeint haben dürfte. Im weiteren Verlauf der Reise ging der Toanabestand in einen fast ganz reinen, lederblättrigen Schoreawald über, der nur dann und wann von einer Gruppe von Sissubäumen unterbrochen wurde. Hier ist die Identifizierung eindeutig: Die meisten Schoreaarten wachsen zwar in Südostasien, die weitverbreitete Balau-Art ist aber auch in Indien bzw. dem heutigen Pakistan beheimatet. Und der Sissu ist ebenfalls ein indisches Gewächs, wenngleich stärker in Assam am unteren Brahmaputra vertreten, wo es im ausgehenden 19. Jahrhundert zudem auch noch wirkliche Wilde gab; diese haben keinen geregelten Wohnsitz, gehen fast nackt und leben von Jagd und Fischfang. (Meyer 3). Und auch die von Karl May beschriebenen Pfahlbausiedlungen sind typischerweise nicht im westlichen Indien sondern in Südostasien zu finden, beispielweise - und auch heute noch - in Bangkok.

Schließlich treffen Kara Ben Nemsi auf die beien Dschunuben, die Karl May nun ganz deutlich als Inder zeichnet: Diese beiden Männer trugen Anzüge aus jenem unendlich feinen, gelblichweiß glänzenden Dholeragespinste, welches in hindostanischen Gedichten als 'gewebte Luft' gepriesen wird! Was sollte man hierzu sagen? [...] Warum kleidete man sich in dieser sumpfigen, dunstigen Niederung genau so köstlich wie auf der offenen Straße oder dem sonnenbeleuchteten Tempelvorplatze von Delhi oder Benares? Dazu reiten die beiden Vertreter der höchsten Kaste der Menschheit Pferde von persisch-indischer Kreuzung und essen das Fleisch einer Tschikara, einer indischen Vierhornantilope.

Und beim Übergang in die Wüste bezieht sich May dann nochmals sehr direkt auf die indische Flora: Es war, als ob wir jetzt den Vorzug hätten, den weiten Weg von der hinterindischen Dschungel nach den westafrikanischen Wüstenregionen in der Zeit von wenigen Stunden zurückzulegen. Der Wald verschwand schließlich ganz. Wir ritten durch eine Steppe, die der Kalahari glich. Ich sah Bastard- und Kameldorne stehen, und daß sich da auch sofort die wilde Gurke einstellte, ist selbstverständlich. Nur da, wo der Sand noch Moor enthielt, traten noch einzelne oder weitläufig gruppierte Bäume auf, doch glichen sie den weitästigen Lebbach- und anderen schattenlosen Albizziarten. Tatsächlich ist die Albizzia Lebbek [sic!] in Afrika, besonders in Ägyppten zu Hause. Afrikanische Pflanzen benutzt May aber meist nur einschränkend als Vergleichs-Beispiele, so auch in der Folge bei den Narasäpfel, von denen er schreibt, daß es nicht die eigentliche Naras war, die meines Wissens nur in Südafrika vorkommt. Aber sie hatte große Ähnlichkeit mit Acanthosicyos horrida (...) und einer Lecanoraart, die in Wüstengegenden nicht nur vereinzelt, sondern sogar in großen Mengen vorzukommen pflegt.

Und so ist wohl eher fraglich, ob Karl May hier einen imaginären Landschaftwechsel vornehmen wollte, mit dem er von einem Kontinent auf den anderen zu springen gedachte, zumal sich die Vegetation der hindustanischen, östlich vom Unterlauf des Indus gelegenen Wüste Thar (auch Sind genannt) kaum von denen in den Wüsten Westafrikas unterscheidet. So liest man etwa in der 'Ersch & Gruber Encyklopädie' von 1831 (Band II,8, Stichwort: Hindostan) dazu: Das Ganze ist eine weite Ebene mit von Winden hin und her bewegten 20-50 Fuß hohen Sanddünen, zwischen welchen Grasbüschel, wenig Gesträuch von Mimosen und anderen Dorngewächsen hindurchziehen. So erzählt Hadschi Halef Omar auf dem Weg zum ersten Brunnenengel dem Leser, wie die Vegetation nun schließlich weitesgehend zum Erliegen kommt: Betrachte diesen Sand! Es ist Flugsand, fast wie Mehl so fein! Von dem Winde aus der Wüste der Tschoban über die Landmenge herübergetragen. Und er ist tief, sehr tief. Kein einziger Grashalm läßt sich sehen!

Insgesamt betrachtet kann man der Fauna und Flora Ussulistans eine deutliche indische Gewichtung wohl nicht absprechen, wobei Karl May hier und da mehr oder weniger verfremdene Akzente setzt, die den phantatisch-imaginären Charakter der Landschaft betonen. Bei den folgenden Ritt durch die Wüste hinauf in Richtung Dschinnistan hat der sächsische Autor dann aber auf spezifische Details weitgehend verzichtet, so schreibt er etwa von den Gärten der 'herrlichen Stadt' Ard nur recht allgemein, daß dort Palmen zu finden sind. Und die Tannen aus den um Ard herum liegenden Wäldern schließlich wird man als eine Verfremdung deuten müssen, die Karl May allein dafür benutzte, damit er für seine Hausschatz-Leser ein Weihnachtsfest deutschen Charakters in der Ferne feiern lassen konnte.
Thomas Schwettmann

Ussulistan

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Ich habe nicht die Topographie des Landes, durch welches wir ritten, zu behandeln [...]
[Ardistan und Dschinnistan I]

It is thought that this area was formed by the silt carried down by the river flowing across the Chatar Defile from Tshobanistan.
[Alberto Manguel & Gianni Guadalupi – The Dictionary of Imaginary Places: Ussulistan]

Karl Mays Reise durch Ardistan ist natürlich keine Reise durch eine zeitgenössische Gegenwart, sondern vielmehr eine Reise sowohl durch Raum als auch Zeit, von der Vergangheit der Urmenschen zur Gegenwart der Hochkulturmenschen sowie dem Ausblick auf den zukünftigen Edelmenschen, deren Reich, das Hochland Dschinnistan, freilich nicht betreten wird. Am Anfang dieser Reise steht Ussulistan. Welchen realen geographischen Ort könnte May für diese sumpfige, Mangroven bewachsende Gegend verwendet haben? Es ist möglich, daß May sich hier eine versunkene Landmasse gemeint haben könnte, von der er annahm, daß es sie einmal wirklich gegeben hat. In der Zeit vor Wegners Theorie der Kontinenten-Wanderung, erklärte man sich Phänomene von gleichartigen Fauna und Flora auf getrennten Kontinenten noch mit ehemaligen Landverbindungen, die im Laufe der Zeit versunken waren, eine solche hypothetische Landmasse stellte auch der damals angenommene Kontinent Lemuria dar, der, zwischen Madagaskar und Indien gelegen - gar als Wiege der Menschheit in Betracht gnommen wurde. Jedenfalls erklärt diese Hyphothese etwa auch, warum Karl May sein Gedichtes 'Wenn um die Berge von Befour' nicht nur auf Madagaskar, sonden auch auch Indien bezieht. Karl May schrieb über diese Urwelt bereits in der 3. Abtheilung des 'Buch der Liebe' [Kapitel: Im Dunkel der Vorzeit]: Es giebt aber eine Menge von Anzeichen besonderer chorologischer Art, welche darauf hindeuten, daß die Urheimath des Menschen ein jetzt unter dem Spiegel des indischen Oceans versunkenes Continent war, welches sich im Süden des jetzigen Asiens, und wahrscheinlich mit ihm im directen Zusammenhange, einerseits östlich bis nach Hinterindien und den Sunda-Inseln, andererseits westlich bis nach Madagaskar und dem südöstlichen Afrika erstreckte. Sehr viele Thatsachen sowohl der Thier- als auch der Pflanzengeographie machen die frühere Existenz eines solchen südindischen Continentes sehr wahrscheinlich, und ist von den Gelehrten wegen der für ihn charakteristischen Halbaffen ihm der Name Lemuria gegeben worden. Wenn wir dieses Lemurien als Urheiheimath annehmen, so läßt sich daraus am leichtesten die geographische Verbreitung der divergirenden Menschenarten durch Wanderung erklären.

Jenseits des hypothetischen Lemuria gibt es aber in der realen Geschichte der letzen Jahrhunderte geologische Ereignisse, die ein Projektion Ardistans auf das heutigte Pakistan und Westindien, sowie speziell von Ussulistan auf das jetztige Gebiet um den sogenannten Cutch unterhalb der Indusmündung plausibel erscheinen lassen. Wenn wir die Küstenlinie betrachten, so sieht man dort zwar nur die beiden Meereseinschnitte des Cutch-Golfes und den Golf von Cambal, doch der sogenannte Rann (Runn), in der Trockenzeit eine Wüste mit harten Boden, wird in den Regenzeiten ebenfalls vollständig überschwemmt, und ist auf älteren Karten stets als weitere Meeresbucht verzeichnet. Da diese Gegend öfters von tektonischen Beben betroffen ist, änderte sich dort wohl auch schon mal die Höhe der Tiefebene: Lying in a belt liable to pronounces seismic disurbance, the Runn suffered severe displacement in 1819; depression increased the 'rann' proper, but aeolian deposits have dimished it since. The impoverishment of the Runn and much of what is now Thar reflects the 'westering' of the Indus and associated Punjab rivers. (aus 14. Edition der 'Encyclopaedia Britannica' (1929), im folgenden kurz 'EB', Stichwort 'Indian Deserts, The Runn of Cutch')

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Geht man in der Zeit noch weiter zurück und blickt auf mittelalterliche Karten wie etwa die indische, asiatische und insbesondere die persischen Karte im ersten Weltatlas "Theatrum orbis terrarum' von Abraham Ortelius aus dem Jahre 1573, so erkennt man dort, daß der Indus (an dessen Unterlauf ferner eine Ortschaft Ardanat verzeichnet ist) mit einer weitere Hauptmündung im Golf von Cambay gezeichnet ist, wonach die heutige Kathiawar-Halbinsel also vollens von Wasser umgeben gewesen sein dürfte (es gibt da einige unterschiedliche Versionen, in der oben abgebildeten großen Übersichtskarte ist dem Indus dabei keine echte Insel vorgelagert). Heute sind diese östlichen Arme aber vertrocknet und 'enden' im Cutch. Nun sind diese Karten, vorallem was das Landesinnere angeht, alles andere als verläßlich, sodaß eine derartige Küstenlinie vielleicht nie bestanden hat, als Inspirationquelle für einen Schreibtischautor wie Karl May wird dieses aber wohl kaum einen Unterschied gemacht haben. Jedenfalls findet sich dort vor der Indusmündung im Gegensatz zu heutigen Karten eine ganze große, Ussulistan ähnliche Insel: Freilich ohne eine Land-mit-Fluß-Brücke, aber immerhin doch mit einem die Insel vollständig durchquerenden Kanal. Diese Konzeption ist allerdings schon in den Karten des 17. Jahrhunderts nicht mehr zu finden.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 25.7.2005, 16:08, insgesamt 2-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Die Legende vom verschwundenen Fluß

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(...) Dann sinkt das Wasser zusammen und beginnt, wieder abzufließen, doch nicht abwärts, wie bisher, sondern aufwärts, nach oben, woher es gekommen ist. Der Himmel wird wieder hell. Das Bett des Flusses aber liegt leer, und die entsetzte Menschheit flieht aus der Stadt, deren Trümmer heutigen Tages wasserlos in die Steppe starren, durch welche sich der dürre, ausgetrocknete Lauf in zahllosen Windungen vor Durst und Hunger krümmt, bis er in den Wäldern der Ussul verschwindet.

Was hat es mit dieser Sage von dem verschwundenen Flusse Sulh auf sich? Karl May spricht von zwei Wahrheiten, die sich dahinter verbergen: »[Die Wahrheit] Ist wahrscheinlich eine zweifache, eine äußerliche und eine innerliche, eine geographische und eine sozialphilosophische.« Weiter erklärt er: »Der äußere oder geographische Kern der Sage ist, daß es hier wirklich einen Fluß, und zwar einen bedeutenden, gegeben hat. Der ist verschwunden. Jedenfalls infolge eines Naturereignisses, welches man sich nicht erklären konnte, so daß man zur Sage griff, um es sich verständlich zu machen.«
»Aber so große Flüsse können doch nicht verschwinden, wenigstens nicht so schnell!«
»Allerdings nicht. Aber sie können ihr altes Bett verlassen, ihren bisherigen Weg verändern, sogar infolge von Entwaldungen der Berge sich nach und nach zurückziehen. Wie es sich in diesem Falle verhält, werden wir erfahren, wenn wir erst längere Zeit im Lande gewesen sind.«


Die bemerkenswerteste Parallele zwischen den Geographien des imaginären Ardistan und des realen Hindustan ist aber nun, daß es erstaunlicherweise tatsächlich im Industal einen 'verschwundenen Fluß' gibt: Die Flüsse Ghaggar und Saraswati, die zwischen Satsched (bzw. Sutjed) und Jumna im Himalaya entspringen, trocknen mittlerweile kurz nach ihrer Vereinigung in der Wüste aus, deren gemeinsame, nun verschwundene Wassermassen bildeten als Hakra einst jedoch nach der Durchquerung des Punschab einen zum Indus in östlicher Richtung parallenen und ca. 80 km entfernten Flußlauf, der bis hin zum Mündungsgebiet des Runn verlief. An diesem Fluß sind auch Ruinenstädte der ältesten Hochkultur des Industals, der sogenannaten Harappa (ca. 2500-1800 vor Chr.) zu finden. Zudem wird dieser Fluß auch alternativ mit den Namen der beiden Oberläufe bezeichnet, wobei Sarasvati als einer der sieben Flüße in den Veden, die in Sanskrit abgefaßten heiligen Schriften der nachfolgenden Arier, erwähnt wird, wobei mit den Namen Sarasvati zudem auch die Göttin der Inspiration bezeichnet wird.

Bild Bild

Leider ist das Kartenmaterial, welches man (auf die Schnelle) im Internet finden kann, meistens eher dürftig. Es gab einmal - mindestens noch vor gut einem Jahr- unter http://www.serotonin.de/zeitzone/felder ... r/main.htm wirklich gute Informatinen und auch gutes Bildmaterial, aber leider scheint die Seite vom Netz genommen zu sein. Die folgende Link zu einer zeitgenössische Karte ist aber ein guter Ersatz, und wer genau hinschaut, erkennt das 'dry Bed of Hakra or Ghaggar', der Unterlauf wird vom 'East-Nara', einen Nebenarm des Indus, gebildet , der dann in der Thar-Wüste versandet.

http://homepages.rootsweb.com/~poyntz/I ... putana.jpg

Der Flußverlauf ist in allen Fällen nur sehr schemenhaft wiedergegeben. Es gibt da durchaus genaueres (aber leider nicht on-lin verfügbares) Kartenmaterial, auch war der 'verschwundene Fluß' bzw. dessen ausgetrockneter Flußlauf durchaus auch schon in einigen zeitgenössischen Karten verzeichnet (wie etwa eine Indien-Karte von 1894 in der französischen 'la Grande Encyclopédie') wie auch in einigen Enzyklopedien benannt: A map shows that the streams making for Rajputana across the low Sutley-Jumna waterbed converge towards a large dry water course (the Ghaggar), which runs paraliel to the Sutlej and is traceable beyond through Sind to the Runn, roughly via the east Nara and Puran. This is the Hakra or 'Lost River', fed formerly by the Sutlej (possibly at one time by other Punjab rivers), and in its lower course (as the Mihran of Sind), by the Indus. Such was the known conditions in the 8th century A.D. Subsequent probably to phenomenal flooding in North Punjab, placed in the 14th century a rearrangement of drainage initiated the decline of the Hakra. Firts a "westering' Indus ceased to feed its lower reach; eventually the Sutlej completely deserted it and passed to the Indus via the Beas. By 1790 the Hakra was dead. The tapping by bunds of the waters latterly feeding the Puran from the Indus distributary assisted to complete the dereliction of the abandoneddelta (the Runn).

Es stellt sich freilich die Frage nach einem deutschsprachigen Quelltext. Denn Karl May wird natürlich nicht in englischen Lexika gestöbert haben, welche freilich aufgrund der Anwesenheit der Briten in Indien bessere und detailierte Informationen enthielten, in deutschsprachige Werke wie 'Meyers' oder 'Brockhaus', wurde die Geschichte vom 'verlorenen Fluß' möglicherweise (jedenfalls nach Suche unter einigen naheliegenden Schlagwörtern) aber nicht thematisiert. Selbst das dreibändigen Fachwerk 'Reisen in Indien und Hochasien' von den Brüdern Schlaginweits, welches laut Verzeichnis in Karl Mays Bibliothek vorhanden waren, übergeht diese Thematik, allerdings konzentriert sich die Bände auch ganz auf die Himalaja-Region.

Während der Unterlauf dieses Flußes heute noch durch einen sich bei Sukkor vom Indus abspaltenen kleinen Nebenarm, den Nava, erkennbar ist, so ist also der gesamte mittlere Teil schon mindestens seit dem 15. Jahrhundert gänzlich ausgetrocknet, wobei ein Großteil der Wassermaßen des Sadsched früher wohl vor dem Zusammenschluß mit dem Indus schon bei Bahawalpur zum Hakra hin abfloß, sodaß auf manchen Karten der so entsandene Fluß nicht als Hakra, Ghagger oder Sarasvati sondern gar als Alt-Sadsched bezeichnet wird. Tatsächlich gab es auch Spekulationen, daß der Sasched, der zusammen mit Indus, Ganges und Brahmaputra zu den vier heiligsten Flüssen Indiens gehört, bereits nach dem sogenannten Elbogen bei Ruptar, der zu Monsumzeiten einen See bildet, sich über ein anderes südliches Flußbett direkt mit den Ghagger verbunden hat. Wobei dieses letztere Model des umgeleiteten Seeabflußes zu Füßen des Hochgebirges doch an die Methode erinnert, die May beim Wasserschloß von El Hadd anwendet, an der den Bewohnern Ardistans gewissermaßen der Hahn ab- und wieder aufgedreht wird. Und östlich des Unterlauf des Indus, in etwa begrenzt von dem ausgetrockneten Flußbett des Ghaggar, liegt die Sandwüste Sind, in der sich wohl einige 'Todesstädte' befinden: Es ist eine unermeßliche, vom Indus befruchte Ebene, doch an manchen Stellen, wie um Multan, eine Trauerwüste darstellend, voll Ruinen alter Prachtstädte, welche noch heute die hier verlorenen gegangene Kultur beurkunden. (zeitgenössische Enzyklopedie von , Hindostan)

Zieht man nun alle die genannnten Parallelen zwischen Ardistan und Hindustan bzw. Hindostan oder Hindistan, wie es Karl May auch bezeichnete, in Betracht, so ist eine doch relativ stärke Orientierung Mays an realgeographischen Topographien ersichtlicht, als sie die phantastische Verarbeitung des Ardistan-Stoffes auf dem ersten Blick vermuten läßt. Sicher, es gibt hier keine eins-zu-eins Umsetzung wirklicher Verhältnisse, allein die Schematisierung in eine strenge Süd-Nord-Richtung der Reise, der dabei konsequente durchlaufene Weg von der Urmenschwelt der Jäger und Sammler zur städitschen Hochkultur und die exotischen Einsprengsel aus Natur und Kultur lassen eine direkte Identifizierung des Suhls mit dem Hakra scheitern. Und dennoch, wenn man auf der Landkarte Indiens die Sandwüste sind östlich anschließende große Thar-Wüste betrachten, so läßt diese genügend Raum für eine derart riesige Fata Morgana, wie sie Ardistan und Dschinnistan ist, übrig, sodaß diese imaginäre orientalisch-indische Teilwelt mit dem Auge des Märchens betrachtet genau hier und nirgendwo sonst zu beheimaten wäre.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 19.10.2004, 13:40, insgesamt 2-mal geändert.
Thomas Schwettmann

Belutschistan und Balkasch-See

Beitrag von Thomas Schwettmann »

„Diese drei Seltenheiten finden sich nur auf der Grenzlinie, die dahinstreicht zwischen dem Lande Hind und den anliegenden Ländern, zwanzig Tagemärsche östlich von hier auf der Straße, die am Hause vorübergeht. (...)“
[1001 Nacht: Die Geschichte von den beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten. Übersetzung von Greve)]

„Ich habe also die Ehre, dir zu sagen, daß die drei Dinge, von denen ich eben sprach, sich an einem und demselben Ort, auf der Grenze dieses Königreichs nach Indien zu, befinden.“
[1001 Nacht: Geschichte der zwei neidischen Schwestern. Übersetzung von Weil)]

Dennoch stellt sich natürlich doch die Frage, warum Karl May keine deutlicheren Hinwiese auf die Geographie gegeben hat, in welche er Ardistan und Dschinnistan projizierte, und nur allgemeine Bezeichnungen wie persisch und indisch verwendet oder allenfalls noch indirekte Fingerzeige liefert wie etwa in den folgenden Sätzen: Warum kleidete man sich in dieser sumpfigen, dunstigen Niederung genau so köstlich wie auf der offenen Straße oder dem sonnenbeleuchteten Tempelvorplatze von Delhi oder Benares? Oder auch in 'Merhameh': Es war im östlichen Teil von Ardistan, also tief im orientalischen Hinterlande.

Deutlicher wird er da schon in seiner 'Beichte' (1. Fassung): Indem ich meine Leser durch das Reich der Menschheitsseele führe, gebe ich den Provinzen desselben bekannte geographische Namen. Das erleichtert das Verständnis ungemein, gibt aber der Böswilligkeit die Handhabe, mich zu verleumden. Wenn ich z. B. das Reich der Kunst, um es veranschaulichen zu können, nach Indien verlege und das Reich der religiösen Unduldsamkeit nach Belutschistan, so verlangen diese innerlich blinden Menschen flugs von mir, auch wirklich in Indien und Belutschistan gewesen zu sein.

Ebenso wie schon Sitara als Land der Sternenblumen in 'Im Reiche des Silbernen Löwen' erwähnt wird, hat Karl May in diesem Roman auch schon erstmals diese Länder ins Visier genommen. Die 'Unduldsamen' werden u.a. im 4. Band benannt: Man nennt uns Schiiten unduldsam (...) und von der Grenze zu Indien (wobei damals derjenige südöstliche Teil Persiens, der an das damalige Indien - heute Pakistan - grenzte, in der Tat Belutschistan war) heißt es im 3. Band: Dann sollten sie dem Sipahsalar (Kriegsminister) geschickt werden, welcher grad jetzt nach Soldaten für Farsistan (= derjenige Teil Persiens, der am persischen Golf liegt) sucht und keine findet, weil kein Angeworbener hinab nach der ungesunden Grenze gegen Indien will. Wir sandten also einen Boten nach Isfahan, um diese Nachricht hinzubringen (...) (Unweit von Isfahan, in Zentralpersien gelegen, liegt übrigens eine reale Ortschaft namens Ardistan). Und was versteht May dabei unter 'ungesund'? Die Erklärung findet sich in 'Mein Leben und Streben': Das Tiefland ist eben, ungesund, an giftigen Pflanzen und reißenden Tieren reich und allen von Meer zu Meer dahinbrausenden Stürmen preisgegeben. Man nennt es Ardistan.

In jenem Grenzgebiet zwischen Persien und Westindien (Hind) spielt übrigens auch der phantastische Teil der Geschichte „Die zwei neidischen Schwestern“ aus 1001 Nacht. Die Prinzessin Parisade sucht und findet dort drei magische Objekte, den sprechenden Vogel Bulbülhesar, den singenden Baum und das magische goldgelbe Wasser.

In wieweit läßt sich nun aber das 'Reich der Kunst' in 'Ardistan und Dschinnistan' identifizieren, obgleich dieser Begriff dort nicht gebraucht wird? Von der trivialen Erwähnung in 'Der Weg zum Glück' abgesehen, wo diese Phrase noch nicht die spezielle Bedeutung im Kontext des Alterswerkes hat, liest man diesen nur im '6. Brief über Kunst': Man munkelt sogar von einem immer größer werdenen und sich immer weiter verbreitenden Zweifel an der Legitimität der jetzigen Regierungen im Reich der Kunst. Dazu muß man verstehen, wie May nach der Jahrhundertwende Kunst definiert. Dazu heißt es im '1. Brief über Kunst': Die Kunst ist diejenige Betätigung des menschlichen Geistes und der menschlichen Seele, welche in das Innere des Gegenstandes eindringt, um das Wesen desselben zu erfassen, und dann wieder nach außen zurückkehrt, um das Aeußere im Einklange mit dem Innern darzustellen!. Tatsächlich streut May in die Reise durch Ardistan immer wieder Kunstwerke ein, von dem spaßigen 'lebendigen' Denkmälern der Ussul ( »Welche Kunst ist wohl größer, Menschen oder Holz in Bildsäulen zu verwandeln?«) über die einfache, aber reine Gesangeskunst Merhames und ihres Vaters bis zu den Brunnenengel und den gewaltigen Palästen in der 'herrlichen' Stadt wie auch der Stadt der Toten. Allerdings erscheint die Kunst doch eher als Nebenmotiv in 'Ardistan und Dschinnistan', sodaß die Interpretation in 'Meiner Beichte' wohl nachträglichen erfolgt ist, was auch die erstmalige Verwendung des Ländernamens 'Belutschistan' vermuten läßt, welcher sich bei May weder in 'Ardistan und Dschinnistan' noch überhaupt im Werk finden läßt.

Jenseits der 'Beichte' hat Karl May aber bereits in der ursprünglichn Hausschatzfassung 'Der Mir von Dschinnistan' ein realgeographisches Gewässer geschildert, von dem der Zugang zu Dschinnistan möglich sein soll: Es gibt nur zwei Wege: entweder vom Balkasch-See (In der Buchfassungdann: Madaris-See) aus, und der ist entsetzlich weit; oder man reitet durch das ganze Reich von Ardistan, und der ist wohl ebenso weit, aber jedenfalls bequemer. Was aber ist so besonderes am Balkaschsee, daß der entsetzlich weite Weg nach Dschinnistan dort vorbeiführt? Einmal war der Balkaschsee nach der Jahrhundertwende bereits durch die Eisenbahn mit Krasnovodsk am Kaspischen Meer verbunden, ein Zwischenhalt dieser Strecke ist im nordpersischen Aschchabad zu finden. Eine Reise zum Balkaschsee von der persischen Küste des arabischen Meeres aus hätte man also nicht vollständig auf dem Rücken der Pferde verbringen müssen, aber vorher wäre erst ein Ritt quer durch Persien nach Norden hin nötig gewesen.

Das eigentlich Interessante am Balkaschsee ist aber, daß sein nordöstliches Ende in einer Ebene mündet, in der sich eine Kette weiterer kleiner Seen befindet, von denen man annimmt, daß sie früher einmal im Balkaschsee aufgegangen sind: (...) sands and rushes, which at a quiete recent time were covered by the lake; whlie it also undoubtedly extendet farther east so as to include the group of lakes Sasyk-kul and Ala-kul (EB, Balkhash]. Daran schließt sich dann die sogenannte dschungarische Pforte an, ein Tal zwischen den Hochgebirgen, durch das wohl früher ein Flußverbindung zwischen Balkaschsee und den Seen jenseits der Pforte bestanden hat: It seems, therefore, probable that Lake Balkhash stood formely in communication - though the lakes Ebi-nor, Ayar, &c., with the lake that formely filled the Lukchun depression (...) . Durch diese Pforte, eines etwas weiter nördlichen Gebirgsdurchbruch, sowie durch das noch weiter östlich gelegende Tal der Irtysch - übrigens unweit der Stadt Karamay [!] vorbei - führen die drei einzigen vom Westen erreichbaren Talverbindungen zur Gebirgspforte bei Tihwa (Urumtschi), die dem Reisenden einen relativ ebenen Anschluß an die Seidenstraße und damit an die ansonsten vom Hochgebirge des Himalaya sowie seiner nordwestlichen Ausläufer umschloßene Hochebene von Ostturkestan mit der Wüste Takla-Makan bietet. Alle anderen Wege von Indien im Süden, Afghanistan im Westen und Kirgisien im Norden führen über Hochgebirgspässe, allein der Weg aus dem Osten führt über weitere Hochebenen, die aber wie die Wüste Gobi weit und wasserarm sind. Die Exklusivität des Weges über den Balkaschsee nach Dschinnistan könnte also bedeuten, daß Karl May diese fiktive Landschaft sich in der Hochebene Ost-Turkestans dachte. So sagt Marah Durimeh denn auch noch in Ikbal: Dschinnistan aber steigt bis zu den höchsten Bergen auf, die es auf Erden gibt. Und die höchsten Berge gibt es ja bekanntlich im Himalaya.

Bild

detailierte zeitgenössische Karte von Ost-Turkestan unter: http://www-personal.umich.edu/~vika/cau ... _color.jpg

Seinerzeit gehörte gerade diese Hochebene Takla-Makans zu den letzten weißen Flecken, die etwa durch den Abenteuer Sven Hedin (Bücher seiner Reisen dort sind u.a.: 'Abenteuer in Tibet' und 'Durch Asiens Wüsten') erforscht wurden. Und daß auch Karl May von diesen berühmten Reisenden gehört hatte, zeigt ein Satz in seinen 'Aphorismen über Karl May' (1909, in GW 84): Forscher wie Sven Hedin etc. haben es nur it Erden- und Menschheitskörpern zu tun; ihre Reisen vertragen Lärm; der Seelenforscher aber hat ganz anders zu verfahren. Was also lag näher, als im Himalaya mit der immer noch lebendigen Quelle des im Unterlauf versunkenen Flußes Sarasvati, die aufstrebenen Berge Dschinnistan mit der Quelle des Suhl zu assozieren und dann auf jenes Dach der Welt eine ideale Welt zu projizieren: Das Hochland hingegen ist gebirgig, gesund, ewig jung und schön im Kusse des Sonnenstrahles, reich an Gaben der Natur und Produkten des menschlichen Fleißes, ein Garten Eden, ein Paradies. Man nennt es Dschinnistan.
Zuletzt geändert von Thomas Schwettmann am 27.7.2005, 13:05, insgesamt 3-mal geändert.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Hatten wir das alles nicht schon mal ? Oder ist es eine Neufassung oder Ausgabe letzter Hand ?
(Verzeihung, aber ich muß kräftig an „Perhaps we can repeat that“ von Hape Kerkeling denken, Hurz !)

Wo liegt Lummerland ? Das wird nun noch schwieriger, bei der relativen Nähe zu China, einem Magnetberg auf dem Weg dorthin, deutschsprachiger Bevölkerung und einem importierten Scheinriesen als Leuchtturmwärter, auch König Alfons der Viertelvorzwölfte dürfte in der Historie schwer zuzuordnen sein.
Gast

Beitrag von Gast »

Rodger schrieb: "..auch König Alfons der Viertelvorzwölfte dürfte in der Historie nur schwer zuzuordnen sein".

Nein keineswegs, handelt es sich hier doch - wie der Autor mir selbst erzählte - um den spanischen Köng Alfons XII. von Spanien (1857-1874*-1885). Da er jeden Reformwillen vermissen ließ, war es für ihn immer viertelvorzwölf. :lol:

* = Jahr des Regierungsantrittes.

Viele Grüße
Kurt
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rodger
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Beitrag von rodger »

Hallo Kurt,

bei Dir weiß man ja nie ... (was ernst gemeint ist und was nicht)

Zunächst hielt ich die Nachricht mit König Alfons für einen dicken Gag, aber Google belehrt mich, daß es den zumindest so gab (ich habe da so meine Bildungslücken).

Hast Du tatsächlich Michael Ende gekannt ? Wenn ja, wie war der so ? (Da bin ich mal furchtbar neugierig). Ich entdecke ihn gerade neu und bin einigermaßen beeindruckt.

Beste Grüße

Rüdiger

(Damit wir nicht allzu sehr vom Thema abkommen, kannst Du natürlich gern die neuesten Erkenntnisse in Sachen A & D noch präzisieren oder vervollständigen)
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

rodger hat geschrieben:Hatten wir das alles nicht schon mal ? Oder ist es eine Neufassung oder Ausgabe letzter Hand ?
Wir hatten das nur teilweise, und zudem an einem anderen Lagerfeuer. Die 'Fauna und Flora' ist neu, auch der Zusammenhang mit 'Lemuria', dazu der 'echte verschwundene Fluß', ferner ist alles ein bißchen länger und ausführlicher, und das Ganze wahrscheinlich auch noch eine Ausgabe noch-nicht-letzter Hand, sozugagen eine viertel-vor-zwölf Fassung.

Und Lummerland liegt natürlich gleich neben Fantasien, aber das ist freilich eine andere unendliche Geschichte.

PS: Soweit ich mich richtig erinnere, hieß es 'Maybe we ca repeat that (...) -> Da sprach der Jäger: H...
Ralf Grosskurth
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Beitrag von Ralf Grosskurth »

Ob nun bereits einmal veröffentlicht, oder erst die viertelvorzwölfte Fassung, es scheint mir einiges an Fleiß darin zu stecken. Dafür ein großes Bravo!

Leider mangelt es mir an der Zeit (und der Bibliothek) nun einen Atlas des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts hinzuzuziehen, um die Reise auch mit dem Zeigefinger zu tun, aber interessant liest es sich doch!
Mit freundlichen Grüßen,

Ralf Grosskurth
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Danke, Ralf!

Die oben unter dem Link http://homepages.rootsweb.com/~poyntz/I ... putana.jpg angebene Karte stammt höchstwahrscheinlich spätestens von Beginn des 20. Jahrhundert, es ist also nicht unbedingt nötig, nach einem zeitgenössischen Atlas zu suchen.

Außerdem habe ich in Direktansicht noch ein paar Karten eingebaut, die ich im Internet gefunden habe. Die Karte von Abraham Ortelius geht dabei leider zu wenig ins Detailt, aber die spezielle Westindienkarte, in der Ortelius deutlich eine vorgelagerte Insel statt eines nur abgespaltenen Mündungsdelta zeigt, konnte ich leider nicht auftreiben. Und da ich weder eine eigene Homepage habe noch hier (wie in einigen anderen Foren) eigene Bilder zufügen kann, kann ich leider keine selbstgescannten Illustrationen zeigen. Aber ich denke, wen das Thema interessiert, der kann ja selber durchs WWW reiten.

Leider war ich bislang nicht in der Lage, ein Buch zu finden, welches Karl May in seiner Bibliothek besaß und in dem der 'verschwundene Fluß' erwähnt ist. Ich hatte da einige Hoffnung hinsichtlich der dreibändigen Schlageweit-Ausgabe, doch leider wird der Hakra /Ghaggar/Sarasvati dort nicht erwähnt. Solange man aber nicht zeigen kann, daß May zumindestens die Möglichkeit hatte, von diesem ausgetrockneten Fluß zu wissen, bleibt es natürlich reine, wenn auch naheliegende Theorie, daß May sich von dieser Naturerscheinung inspirieren ließ.

Viele Grüße,
Thomas
Thomas Schwettmann

Der Karl-May-Welten-Artikel von Rudi Schweikert

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Mittlerweile ist in KMV-Publikation 'Karl-May-Welten' ein ausführlicher Beitrag zur Botanik von 'Ardistan' erschienen. Rudi Schweikerts Aufsatz 'Eine wilde Mischung: Karl May bepflanzt Ardistan' ist allen an der Thematik interessierten Leser unbedingt ans herz zu legen, seine Untersuchung ist dabei natürlich nicht nur ausführlicher, sondernd zitiert vorallem die tatsächlichen Quelltexte, die insbesondere aus Lexikonartikeln der 6. Auflage des 'Meyer' bestehen. Ich hatte mich vor eineinhalb Jahren, als ich die Thematik für einen eventuellen Beitrag für 'Karl May in Leipzig' recherchierte, vorallen bei der 3. Auflage des 'Meyer' schlau gemacht, da diese im Internet online mit Suchfunktion verfügbar ist und somit ein unkompliziertes Auffinden von Artikeln zu bestimmten Stichwörtern ermöglicht. Bei meinem schnellen Ritt durch Ardistan hatte ich glücklicherweise nicht viel übersehen, in der Hauptsache sind es Ginster und Pappeln, die mir in den Wäldern Ussulistans verborgen blieben.

Damals ließ ich meine Arbeit jedoch ruhen, da ich bei der Recherche gleichzeitig den echten "verschwundene Fluß" Hakra (bzw. Ghaggar oder Sarasvati) entdeckte. Zwar paßte dieser wunderbar als Inspirationsquelle zu Mays 'Ardistan und Dschinnistan', einen Beleg dafür, daß May tatsächlich von diesen Hakra je gehört hatte, konnte ich jedoch nicht finden. Erst die Mitteilung des KMV, innerhalb der angekündigten 'Karl-May-Welten' einen Artikel über die Botanik Ardistans abzudrucken, veranlaßten mich im Oktober, meine eigenen Recherchen doch noch kurzfristig hier im Forum vorzustellen, schließlich möchte man ja den Eindruck vermeiden, man hätte aus anderen Publikationen abgekupfert.

Natürlich habe ich mir nun aufgrund von Schweikerts Artikel nun den Ostindien-Artikel der 6. Meyer-Auflage besorgt, um zu sehen, ob dort wenigstens auch der 'verschwundene Fluß' erwähnt wird. Während der Artikel selbst keinen Hinweis gibt, ist aber auf der beigefügten Karte 'Ostindien' das ausgetrocknete Flußbett, wenn auch ohne Namensbezeichnung - deutlich eingezeichnet. Ferner verglich ich den Artikel der 6. Auflage mit dem der 3. Auflage und fand, daß auch in dieser Ausgabe eine Karte zu 'Ostindien' (die auch das namenlose ausgetrocknete Flußbett zeigt) beigefügt ist (Artikelanfang -> Ostindien (hierzu Karte "Ostindien") (...)) - tatsächlich ist der Titel der Karte aber 'Vorder-Indien' und ist leider weder unter dem einen noch dem anderen oder sonst irgendeinen Titel/Stichwort in der on-line-Ausgabe ( http://susi.e-technik.uni-ulm.de:8080/m ... vlet/index ) zu finden, das Teil ist dort scheinbar nicht eingescannt - Pech gehabt!

Fündig wurde ich in der 6. Auflage ferner beim Stichwort 'Indus'. Dort liest man: Der Ghaggar, dessen breites Bett noch bis an die Grenze von Sind deutlich erkennbar ist, erreicht den I(ndus) längst nicht mehr, da sein unteres Gebiet von der Wüste verschlungen wird. Oberhalb Schikapur zweigt sich der Nara-Arm ab, wahrscheinlich das frühere Bett des I(ndus), der im jetzigen Rann von Katsch mündete; indes ist dieser Arm nur bei starker Hochflut auf der ganzen Strecke mit Wasser gefüllt.

Damals hatte ich freilich in der 3. Auflage auch schon mit dem Stichwort Ghaggar gesucht, leider ohne Ergebnis. Sollte diese Erkenntnis vom 'verschlungenen Fluß' also erst nach der 3. Auflage ins Meyers aufgenommen worden sein? Nein, tatsächlich wird der Ghaggar dort auch schon erwähnt, die automatische Texterkennung der Frakturschrift hat aber leider das 'r' fehlerkannt und ein 'n' daraus gemacht, und so liest man - und vorallem die Suchfunktion - statt dessen dort Ghaggan. Deshalb habe ich damals also die Information nicht finden können, leider doppeltes Pech. Dort heißt es (korregiert): Ein ehemaliger, großer östlicher Nebenfluß, der Ghaggar, dessen breites Bett noch deutlich erkennbar ist, erreicht den I(ndus) längst nicht mehr, und sein unteres Gebiet ist bereits gänzlich von der Wüste verschlungen. Oberhalb Schikarpur zweigt sich der Narra-Arm ab, wahrscheinlich das frühere Bett des I(ndus) selber, der im jetzigen Rann von Katsch seine Mündung hatte; indessen ist dieser Arm, dessen mittlerm Lauf der Mithrunkanal folgt, nur zu Zeiten großer Hochfluten auf der ganzen Strecke vom I(ndus) bis zur Mündung mit Wasser gefüllt.

Damit aber hat sich nun bestätigt, daß Karl May prinzipiell etwas über den Ghaggar hätte wissen können. Natürlich reicht die kleine Lexikon-Information nicht aus, auch muß man davon ausgehen, daß der 'verschwundenen Fluß' als zentrales Motiv nicht in gleicher Weise aus einem Lexikon-Artikel geboren wurde, wie die Angaben zur Botanik Ardistans. Die Idee zur fiktiven Geographie Ardistans sollte früher entstanden sein, als die Überlegungen, wie diese Landschaft dann zu bepflanzen sei.
Ralf Grosskurth
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Beitrag von Ralf Grosskurth »

Vor einigen Wochen kam einmal sehr spät abends (oder war es doch schon eher sehr früh morgends?) ein Bericht über den Iran, in welchem unterirdische Wasserleitungen gezeigt wurden, die in mühevollster Kleinstarbeit ausgehoben waren.
Diese Wasserleitungen sammelten das Wasser, welches an den Hängen von Bergketten in die sich anschließende Wüste zu laufen und dort (für den menschlichen Gebrauch) verloren gehen zu drohte, und leitete es über dutzende, wenn nicht hunderte von Kilometern zu menschlichen Ansiedlungen.
Dem Bericht zufolge waren diese Wasserleitungen bis in die Mitte des 20ten Jahrhunderts in Gebrauch, entstanden aber bereits vor Jahrhunderten.

Als ich diesen Bericht sah, mußte ich an die "Wasserengel" denken, und frage mich, ob und wenn ja, was Karl May über diese Leitungen wußte.
Immerhin befanden sie sich im östlichen Teil des heutigen Iran, und würden damit zu der in diesem Thread vorgenommenen Lokalisierung einigermaßen passen.

Thomas, weißt du diesbezüglich genaueres?
Mit freundlichen Grüßen,

Ralf Grosskurth
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Ralf Grosskurth hat geschrieben:
Thomas, weißt du diesbezüglich genaueres?
Nein, leider nicht, Ralf. Klingt aber interessant. Karl May hatte, als er A+D schrieb, natürlich schon eine sehr umfassende Bibliothek mit Allgemeinlexika und geographischen, historischen und ethmologischen Fachbüchern aller Art, sodaß nicht auszuschließen ist, daß dort die Information irgendwo enthalten war. Andererseits hat er sicher nicht jedes seiner Bücher gelesen, sondern gerade bei Fachliterartur nur gezielt und selektiv nachgechlagen.

Andererseits ist die Thematik der langen Wasserleitungen natürlich nicht sehr speziell, auch im alten Germania gab es ja schon römische Überlandleitungen, so etwa die aus der Eifel nach Köln.

Vielleicht sollte man mal nachforschen, ob die Art von Zisternen, die May unter den Brunnenenngeln beschreibt, auch schon bei den Wasserleitungen im alten Persien üblich waren.

Viele Grüße
Thomas
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