Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

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rodger
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Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Mein Wochenkalender (die Schrift an der Wand ... :D ) bescherte mir dieser Tage dies:

Du bist kein Kaiser; du bist eine Zwiebel.
Jetzt will ich dich einmal schälen, mein Peer!
Es hilft dir nichts, stöhnst du auch noch so sehr.
(Nimmt eine Zwiebel und pflückt Haut um Haut ab.)
Da liegt die äußre, zerfetzte Schicht; –
Der Gescheiterte, der um sein Leben ficht.
Die Passagierhaut hier, dünn wie ein Sieb, –
Hat doch im Geschmack von Peer Gynt einen Hieb.
Hier ist das Goldgräber-Ich; – fahr hin!
Der Saft ist weg, – war je einer drin.
Dies Dickfell hier, mit dem Zipfel für zwei, –
Ist der Pelzjäger an der Hudsonsbai.
Dies gleicht einer Krone hier; – hat sich was –!
Dem geben wir ohne weitres den Paß.
Hier der Altertumsforscher, kurz aber kräftig,
Und hier der Prophete, frisch und vollsäftig.
Er stinkt von Lügen, wie's in der Schrift heißt;
Ein Duft, der ein ehrlich Mannsaug' wie Gift beißt.
Dies Blatt hier, das weichlich am Finger klebt,
Ist der Herr, der herrlich und in Freuden gelebt.
Das nächste scheint krank. Es hat schwarze Schwielen; –
Schwarz kann auf Neger wie Pfaffen zielen.
(Pflückt mehrere auf einmal ab.)
Das hört ja nicht auf! Immer Schicht noch um Schicht!
Kommt denn der Kern nun nicht endlich ans Licht?!
(Zerpflückt die ganze Zwiebel.)
Bis zum innersten Innern, – da schau' mir einer! –
Bloß Häute, – nur immer kleiner und kleiner. –
Die Natur ist witzig!
(Wirft den Rest fort.)

(aus 'Peer Gynt' von Ibsen, der Dichten sinnigerweise "Gerichtstag halten über das eigene Ich" nannte)

Dazu fiel mir sogleich dies ein:

Ring dich nieder; ring dich nieder!
Welch ein Wort und wie so wahr.
Sag dir's täglich, stündlich wieder;
Werde dir darüber klar!

Ring dich nieder, um zu zeigen,
Daß du deine Psyche kennst.
Du kannst dich nur dann erreichen,
Wenn du von dir selbst dich trennst.

Ring dich nieder, bis zerronnen
Ist dein ganzes, ganzes Ich,
Dann hast Alles du gewonnen,
Was verloren ist für dich.

Ring dich nieder; gehe unter,
Bis du gänzlich dir entschwebst;
Dann geschieht das große Wunder,
Daß du tausendfältig lebst.

Ring dich nieder; ring dich nieder;
Lös dich auf, und gehe ein;
Sterbend auferstehst du wieder
Und wirst ein Verklärter sein!

(aus Karl Mays 'Himmelsgedanken')
Hermann Wohlgschaft
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Auch an die "Geisterschmiede" in "Babel und Bibel" könnte man denken, auch an den "Gerichtstag", den der Ustad (im "Silberlöwen IV") über sich selbst hält.
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Und an 'Hans im Glück' (wenn man denn den tiefen Sinn hinter der vermeintlich belanglos-heiteren Geschichte erkennt ...) sowie an die letzten Tagebücher Sandor Marais, die bis 1989. Da verliert einer alles und bleibt innerlich aufrecht und stark dabei ...
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

In Sachen In-sich-gehen, Ego-Zertrümmerung usw. ist auch "Am Jenseits" zu nennen, einmal die langen Passagen am "Ort der Sichtung", die freilich viel mit des Erzählers Ich zu tun haben, und als Höhepunkt dies
Du bist der elendste, der armseligste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist! Mit Worten der Liebe hast du dich in mein Herz gestohlen, während in dem deinigen nur der Haß regiert! Du gabst dir den Anschein der Seelenreinheit, der Gedankenhöhe und wälzest dich doch in dem tiefsten, niedrigsten Schmutze des Verbrechens! Du hast das Kleid der Güte, der Barmherzigkeit um dich geschlagen und hetzest doch die Menschen wie Hunde, die sich zerreißen sollen, aufeinander. Du heuchelst Wahrheit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Treue und bist doch voller Falschheit, Lug und Trug! Ja, deine Gelehrsamkeit ist groß, wohl größer als das Wissen, weiches ich mir mühsam erworben habe, aber du hast sie in den Pfuhl der sittlichen Verdorbenheit geworfen, aus dem heraus sie nur verderbend anstatt Segen bringend wirken kann! Du gibst vor, himmelan zu streben und stehst doch nicht nur auf dem Weg zur Hölle, sondern bist schon jetzt und selbst ein Abgrund schlimmster Teufelei! Du tust, als liege dir der Menschen Seligkeit am Herzen und bist doch ein Verführer zum Verbrechen und trägst die Schuld an all der Schlechtigkeit, die hier geschehen ist! Ihr sprecht von einem Kanz el A'da, der eine unverschämte Lüge ist, du aber hast einen Raub an mir begangen, hast meine Seele betrogen und bestohlen und mir einen innern Verlust zugefügt, für den es keinen Ersatz gibt! Das mußte ich dir sagen; nur darum ließ ich mich jetzt zu dir führen, um dich des Seelenraubes, ja, des Seelenmordes anzuklagen und dir in das Gesicht zu speien, damit du erfährst, wie der von dir denkt, dem du das Herz nur öffnetest, um es noch ärmer und elender zu machen, als es vorher war! Das erblindete Auge meines Körpers ist trocken, aber mein inneres Auge weint. Ich gebe dich der Strafe Allahs heim und fordere von ihm, für dich nicht Gnade, nicht Barmherzigkeit zu haben, sondern nur den Untergang, das ewige Verderben!
was sich der Erzähler seitens des Münedschi anhören muß ...

Daß er damit nun tatsächlich sich selber gemeint haben könnte (denken wir an Marie Hannes ... oder an Gartow ... ("weil es ihn im Kreise der Harmlosen mit dem fröhlich dunklen Sinn nicht litt und das Mal an seiner Stirn sie verstörte" (Thomas Mann))), auch wenn er das im Buch freilich an späterer Stelle abstreitet ('Liebes Publikum, bist du wirklich so dumm' kann einem einfallen ...), werden hartgesottene Apologeten freilich nicht wahrhaben wollen ... (nicht Du bist gemeint, lieber Hermann, auch wenn es sein kann, daß es auch auf Dich zutreffen mag, das Apologetentum und das Nicht-wahrhaben-wollen ... :D ) wir erinnern uns z.B. an die undifferenzierten Proteste gegen Walther Ilmer im Bus nach seinem Vortrag auf einer Tagung ... das will ja in die Hirne einiger partout nicht hinein, daß einer sowohl 'gut' als auch 'böse' sein kann, warmherzig und eiskalt usw. ... nur weil sie sich nicht bewußt sind daß sie alle es ebenfalls sind, wenn auch vielleicht nicht in dem Ausmaß ...
Hermann Wohlgschaft
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zwar bin ich mit dem "Apologetentum" und dem "Nicht-wahrhaben-wollen" nicht gemeint, :wink: möchte aber vorsichtshalber doch daran erinnern, dass ich auf des Autors "Ego-Zertrümmerung" (schönes Wort!) in "Am Jenseits" schon in Jb-KMG 1988, S. 186-193, ziemlich ausführlich verwiesen habe.
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Du warst in der Tat nicht gemeint, nur als ich es geschrieben hatte, kam mir in den Sinn, daß es vielleicht dennoch einigermaßen passt ...
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:ich auf des Autors "Ego-Zertrümmerung" (schönes Wort!) in "Am Jenseits" schon in Jb-KMG 1988, S. 186-193, ziemlich ausführlich verwiesen habe.
Das werde ich mir gleich einmal vornehmen, dachte ich, und stellte dann beim etwas Herumsuchen fest, daß ich das schon einmal gemacht habe, und auch etwas dazu geschrieben, was hier noch einmal wiedergegeben sei
"Die Jahre 1898/99 müssen als Grenze zum letzten, zum bittersten, für des Dichters Entwicklung aber bedeutendsten Lebenskapitel gesehen werden. Der Untergang einer gespaltenen, nach Erlösung schreienden Existenz, die Faszination einer großen Verwandlung zeichnet sich ab. Der späte, zerbrechende, gerade jetzt sein Bestes schaffende May nimmt Gestalt an." So Hermann Wohlgschaft. Wohltuend, so etwas zu lesen, wenn man es ansonsten dieser Tage (2011) vermehrt mit Leuten zu tun hat, die solche Dinge der inneren Entwicklung einfach unter den Teppich kehren, wegwischen, gleichsam mit einer Handbewegung abtun (und z.B. von 1898 blauäugig als "glücklichster Zeit seines Lebens" schreiben).

Wohlgschaft erkennt die Figuren des Romans als Spiegelbilder Mays, Auseinandersetzung mit inneren Dingen als das eigentliche Thema.

"Münedschis Problem: Er sieht alles, das Vergangene, das Jetzige und das Künftige; jeden Ort kann er sehen, nur 'alles, was mich selbst betrifft, was sich auf meine Person bezieht, das sehe ich nicht'. (S. 173) So kann er auch die Liebe nicht finden, über die er so trefflich philosophiert, ohne sie 'auf sich selbst beziehen' zu können! Das Geschaute bleibt ihm persönlich verschlossen. Es bringt ihm kein Heil, keine Heilung."

Gut der Hinweis, daß es May nicht um "Angstmacherei" geht.

Schönes Zitat (H.U.von Balthasar), "Die verklärte, paradiesische Welt ist keine andere als die, in der wir gegenwärtig leben, sie wird nur mit anderen Augen betrachtet."

Und [Wohlgschaft] über May, kurz und zutreffend: "In seiner Art ist er ein Wissender." Wohl wahr. "Wer seine Biographie, seine Herkunft aus tiefsten Niederungen, seine Irrwege und (Selbst-) Täuschungen, seine Kämpfe und Befreiungen studiert hat, wer seine Werke – die Altersromane besonders – genau und verständig gelesen hat, der wird ihm die menschliche und künstlerische, auch die psychologische und theologische Größe nicht absprechen können."

"Im eigenen Glanz und im eigenen Elend erkannte der Dichter den Glanz und das Elend des Menschen überhaupt", schreibt Wohlgschaft, und zitiert Mays Satz "Das Karl May-Problem ist das Menschheitsproblem, aus dem großen, alles umfassenden Plural in den Singular, in die einzelne Individualität transponiert." Er hat ihn, im Gegensatz zu vielen anderen, offenbar verstanden.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Ich denke, die "Ego-Zertrümmerung" (Rüdiger Wick) als Voraussetzung für die eigentliche Selbstfindung ist ein zentrales, vielleicht sogar das zentrale Thema im gesamten Spätwerk Karl Mays - von "Am Jenseits" bis hin zu "Winnetou IV".
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Bei der persönlichen Ego-Zertrümmerung 'halfen' ihm Leute wie Ansgar Pöllmann, Hermann Cardauns, Rudolf Lebius, Fedor Mamroth, Oskar Gerlach ... Ja, er hätte sie als Erfüllungsgehilfen in Sachen Selbstfindung ansehen können / sollen, anstatt sie als 'böse Feinde' wahrzunehmen ...
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

... und daß der alte Karl ins Rote Meer versenkt worden sei, war ja leider nur Lippenbekenntnis ... (war es vorher der größte Westmann, der beste Schütze, der nobelste Charakter usw., sollte es nun schon der größte Leider / Dulder, das ärmste Opfer (usw.) sein ...) Denn

Der Kobold ist mit umgezogen
Und macht Spektakel und Rumor
Viel ärger noch als wie zuvor.
»Ha«, riet der Mann, »wer bist du, sprich?«
Der Kobold lacht: »Ich bin dein Ich!«

(Wilhelm Busch)

:D
Hermann Wohlgschaft
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Die genannten Herren (Ansgar Pöllmann usw.) waren zur Entstehungszeit des 'Jenseits'-Romans noch gar nicht im Blickfeld des Autors. :wink:
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Ja und :shock: :?:

(Die 'Ego-Zertrümmerung' war ein Thema spätestens ab "Am Jenseits", und dann erschienen einige Herren auf der Bildfläche, die ein wenig dabei halfen, unserem Autor auch persönlich den Kopf ein wenig zurechtzurücken ...)
Hermann Wohlgschaft
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Spätestens seit 'Am Jenseits' zertrümmerte May ganz bewusst und gezielt sein eigenes Ego. Für den Prozess der Selbstkritik und der Selbstfindung brauchte er also nicht die Polemiker Cardauns usw. Deren Attacken gegen May waren z.T. so ungerecht und so maßlos übertrieben, dass May sie nicht als hilfreich empfinden konnte. Anders verhält es sich mit der Streitschrift 'Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?' (1898) von Carl Muth. Die in dieser Broschüre enthaltene May-Kritik hat unser Autor akzeptiert, er hat sie sich (wie seine Randnotizen belegen) 'hinter die Ohren geschrieben'. Ich halte es für möglich, dass Muths Kritik die "Ego-Zertrümmerung" Mays im 'Jenseits'-Band gefördert hat.
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von Rene Grießbach »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Spätestens seit 'Am Jenseits' zertrümmerte May ganz bewusst und gezielt sein eigenes Ego. Für den Prozess der Selbstkritik und der Selbstfindung brauchte er also nicht die Polemiker Cardauns usw. Deren Attacken gegen May waren z.T. so ungerecht und so maßlos übertrieben, dass May sie nicht als hilfreich empfinden konnte. ...

Die mit spätestens "Am Jenseits" eingesetzte Ego-Zertrümmerung Mays hat einen grundsätzlich anderen Charakter als die Attacken von Cardauns, Lebius & Co.
Ersterer tat das mit dem Ziel, hinterher ein "neuer Karl May" zu sein,
letztere taten es mit dem Ziel, ihn komplett zu zertrümmern (natürlich sinnbildlich).
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rodger
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von rodger »

Welche Motive die Gegner im Außen hatten, und ob ihre Attacken - teilweise - ungerecht oder übertrieben waren, das 'bleibt sich gleich' ... Ihr Tun war notwendig ... um den Herrn von seinem hohen Roß herunterzuholen ... Mays eigene Einsicht war ja bis zuletzt allenfalls halbherzig, letztlich doch recht eingeschränkt ...

Lösen wir uns doch von diesem albernen Gut / Böse - Denken ... weder war May gut noch dessen Gegner böse ...

Lebius war ein Spiegel ... der Satz "Wer am meisten bezahlt, der hat uns" hätte von May selber sein können ... Der 'Hausschatz' bekommt Erbauliches und der Kolportageverleger Mord und Totschlag ... und die Marienkalenderverleger fatale Frömmelei ...

Wer jetzt meint, ich wäre nun plötzlich ein May-Gegner, der irrt ... ich konstatiere halt emotionlos und relativ wertungsfrei auch die "anderen Seiten" in und an ihm ...
mugwort
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Re: Stelle bei Ibsen / 'Himmelsgedanken'

Beitrag von mugwort »

War es denn Mays Ego wirklich zu groß, sein Ross so hoch? Ich sitze gelegentlich hinter der einen oder anderen biographischen Lektüre und frage mich: Meine Güte May, warum hast Du Dich eigentlich selbst über so viele Jahre so sehr verachtet?

Weite Teile seiner Irrfahrt durch das Strafgesetzbuch, die bis zur Absurdität gesteigerte Old-Shatterhand-Legende, noch vieles an der "Symbolismus-Attitüde" des späteren May, die spätere objektiv so völlig unverständliche Abwertung des eigenen früheren Schaffens erscheint mir weit weniger das Werk eines notorisch selbstverliebten Aufschneiders als der ebenso verzweifelte wie vergebliche Versuch eines hochsensiblen Menschen, sich selbst mit allen Unzulänglichkeiten zu respektieren und als liebenswertes - im wahrsten Sinne des Wortes - Individuum anzunehmen. Vielleicht war ja der Tag, an dem der "alte Karl" im roten Meer versenkt wurde der Tag, an dem May in aller Deutlichkeit verstanden hat, dass er mit sich selbst auch in Gestalt eines über die Jahre immer weiter perfektionierten Shatterhand Ben Nemsi nicht ins Reine kommen konnte.

Ob May nun auf dem darauf folgenden langen Weg zu sich selbst die Beiträge von Cardauns & Co. hilfreich sein konnten, erscheint mir eher zweifelhaft. Wie kann ein Mensch mit Herz und Seele begreifen lernen, dass er auch in seiner Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit wert ist, geliebt zu werden, wenn ihm seine Fehler und Unzulänglichkeiten immer wieder in aller Öffentlichkeit auf den Kopf geschlagen werden?

Viele Grüße
mugwort
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