Ardistan und Haggardistan / Die Messingstadt

Antworten
Thomas Schwettmann

Ardistan und Haggardistan / Die Messingstadt

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Vergleiche von Motiven und Sujets bei Karl May, Henry Rider Haggard
und einer Erzählung aus 1001 Nacht.

Der folgende längere Beitrag entstand zu großen Teilen vor einigen Jahren, als ich die Idee hatte, eine Art von Monographie zu „Ardistan und Dschinnistan“ zusammenzustellen. Die Textsammlung war zwar von Anfang an in verschiedene Einzelkapitel gegliedert, doch die Anzahl derselben hat sich ständig erweitert, auch trennte ich die Betrachtung der fiktiven Geographie, Flora und Fauna gänzlich heraus, und stellte die entsprechenden Überlegungen dazu wegen des Erscheinens des Artikels „Eine wilde Mischung: Karl May bepflanzt Ardistan“ in den „Karl-May-Welten“ bereits schon kurzfristig hier im Forum vor.

Da nun im September der erste Band der KMV-Manuskript-Ausgabe ansteht, erscheint es mir nun gleichfalls sinnvoll, jetzt auch noch den anderen Teil meiner Überlegungen vorzustellen, wobei dieser Thread in Form und Länge nochmals die von mir regelmäßig schon recht umfangreich bemessenen Dimensionen meiner üblichen Beiträge sprengt. Es sollte deshalb gar nicht erst versucht werden, den Beitrag ohne das notwendige Interesse an der Thematik und vor allem auch ohne die ausreichende Muße zu lesen. Möglicherweise empfiehlt sich auch ein Ausdruck der Lektüre, zumal diesmal ein nicht unerheblicher Teil der Textauszüge in englischer Sprache zitiert wird.


Einleitung: Das unerforschte Land

I would go again where the wild game was, back to the land whereof none know the history (...)
[Allan Quatermain, Introduction]

Ich habe viel Phantastisches gelesen und viel Phantastisches gehört ...
[Ardistan und Dschinnistan II]

Der im zeitgenössischen deutschsprachigen Raum ziemlich einzigartige Roman Ardistan und Dschinnistan hatte im englischsprachigen Bereich, was den imaginären Landschaftsentwurf betraf, in einigen Werken von Henry Rider Haggard durchaus seine Vorläufer, wobei die philosophisch-religiöse Ebene mit Haggard sicherlich nur bedingt vergleichbar ist, in seinen phantastischen Romanen gibt der Brite sich meist spekulativ esoterisch im Sinne einer exotischen Verfremdung der Handlung, auch wird dabei nicht unbedingt seine eigene Weltsicht wiedergeben.

Wenn auch das Werk von Sir Henry Rider Haggard durchaus einige Parallelen zu Karl May aufweist, gehört er zum Unterschied zu dem sächsischen Schriftsteller zu den Autoren, welche in den fernen Länder, die sie schildern, zumindest teilweise auch gelebt haben. Vor seiner literarischen Laufbahn war Henry Rider Haggard lange Jahre in Südafrika, wo die meisten seiner Romane spielen, später besuchte er u.a. auch Mexiko, Palästina, Ägypten, Italien und Spanien. Diese Schauplätze hat er dann auch in Büchern verarbeitete, Zentralasien hingegen, welches in dem hier noch näher zu besprechenden Buch Ayshea - The Return of She maßgeblich ist, hat aber auch er selber nicht gesehen.

Nach einigen Erstlingswerken gelang dem Briten mit King Solomons Minen (1885, erste dt. Übersetzung 1888 als König Salomons Schatzkammer) einer der Weltklassiker der Abenteuerliteratur. Das Buch war übrigens durch eine Wette entstanden. Nach der Lektüre von Stevenson's Treasure Island (DieSchatzinsel) hatte Henry Rider Haggard mit seinem Bruder gewettet, daß auch er einen solchen Abenteuerroman, natürlich einen noch besseren, schreiben könnte. Diesem Buch folgten dann in kurzen Abständen sein Meisterwerk, der noch berühmtere und mysteriösere Roman She (1887), sowie die etwas schwächere King-Fortsetzung Allan Quatermain (ebenfalls 1887), wobei Haggard wie Doyle mit "Sherlock Holmes" und May mit "Winnetou" seine Titelhelden sterben ließ, um einer Romanserie zu entgehen. Später besann sich der Autor bald wieder seiner Erfolgscharaktere, die er dann in einigen Vorgeschichten oder Fortsetzungen wiederaufleben ließ. Allan Quatermain trat dabei in einer ganzen Reihe von Büchern auf, die ebenso wie bei Mays Winnetou-Figur, Ereignisse aus der Zeit vor dessen Tode schildern, z.B. in Allan's Wife (1890), (Allan and) The Holy Flower (1915), The Ancient Allan (1920), Heu-Heu (1924), sowie in Allan and the Ice-Gods (1927) wo die interressante Variante angewandt wird, daß Allan Quatermain mit Hilfe von Drogen in einen Traum versetzt wird, der ihn in antiken Zeiten handeln läßt. "She-who-must-be-obyed" (Sie, der gehorcht werden muß) hingegen läßt er nach Doylescher "Holmes"-Variante wiederauferstehen, was zwar nach vollständigen Verbrennen nicht ganz so einfach ist wie bei Sherlocks Sturz in den Wasserfall, schließlich aber gibt es in Asien doch die gute alte Sitte der Wiedergeburt, die ein besonderes und dabei durchaus gelungenes literarisches Recycling der besonderen Art ermöglicht: Ayshea - The Return of She (1905). Da jedoch auch hier der Tod das Ende von Ayshea ist und der Autor der Versuchung widerstanden hat, diese Figur gleich dem Dracula der Hammer-Filme immer wieder neu auferstehen zu lassen, sind die beiden letzten "She"-Romane zeitlich vor die beiden ersten Bücher gelegt, in She and Allan (1921), treffen sich die beiden Hauptfiguren von Haggards literarischem Kosmos, Wisdom's Daughter (1923) hingegen spielt in antiken Ägypten.
Der Roman She war zudem das kaum verhüllte Vorbild von L'atlantide (1919) des Franzosen Pierre Benoite, der darin Überreste des alten Atlantis auferstehen ließ; ein anderer Atlantis-Roman – The Maracot-Deep (1929) von Arthur Conan Doyle - folgt ebenfalls der Tradition der "Lost Race"-Romane von Haggard.

Karl May dürfte auf Henry Rider Haggard keinerlei Einfluß gehabt haben, zumal England in Bezug auf Karl May der größte blinde Fleck in Europa war. So sind natürlich auch die Titel der beiden Romane Swallow (1899) und Treasure of the Lake (1926) nicht etwa einer Lektüre von Mays Winnetou oder Der Schatz im Silbersee geschuldet. Umgekehrt jedoch kann ein Einfluß von Haggards Werk auf Karl May nicht ausgeschlossen werden. Für die Erzählung Der Boer van het Roer, welche Haggards Sujet am ähnlichsten ist, hat der Engländer zwar keinerlei Vorbildcharakter, sie entstand auch schon lange vor Haggards ersten Buch Dawn (1884). Es sind aber in einigen Alterswerken, insbesondere in dem hier diskutierten Ardistan und Dschinnistan Sujet- und Textparallelen zu finden, die über das Maß der in phantastischen Romanen notwendigerweise öfter anzutreffenden geheimnisvollen Landschafts-, Städte- und Völkerbeschreibunngen hinausgehen.

Zum Zeitpunkt der Entstehung von Ardistan und Dschinnistan befanden sich in Mays Bibliothek zwei Bücher von Henry Rider Haggard, dabei handelt sich um die bei seinem Verleger Fehsenfeld in der Reihe "Die Welt der Fahrten und Abenteuer" in deutscher Erstübersetzung erschienen Romane als Das unerforschte Land [orig.: Allan Quatermain] (1896) und Der Zauberer im Zululande [orig.: Alans Wife]. Karl May hat diese Bände wie auch die anderen Bände der Reihe von Friedrich Fehsenfeld bekommen, was indes selbstverständlich kein Beweis dafür ist, daß er sie je gelesen hat. Dennoch, Das unerforschte Land aber könnte er durchaus mindestens quergelesen haben, da sich hier erste Parallelen zu Ardistan und Dschinnistan zeigen. Immerhin gab es wegen der Herausgabe dieses Buches eine Forderung Mays, daß die 'Welt'-Reihe nicht im Gewand seiner 'Gesammelten' erscheinen dürfe, was kurioserweise dazu führte, daß das ursprünglich für den Haggard-Band konzipierte Titelbild dann auf dem Buchdeckel von Auf fremden Pfaden übernommen wurde.

Die Quatermain-Bände indessen sind im Zusammenhang mit einem Vergleich mit Sitara aber nicht so ergiebig wie die beiden "She"-Romane She (erst 1911 unter dem Titel Sie übersetzt) und die späte Fortsetzung Ayasha - The Return of She (keine zeitgenössische Übersetzung). Beide Romane sind, jedenfalls zumindest nicht in Buchform, bis 1906 nicht übersetzt worden, einen direkten Einfluß auf Karl May können die Bücher also allerhöchstwahrscheinlich nicht gehabt haben. Allerdings sind beide Werke fast parallel zu ihrem Erscheinen in England auch im englischen Originaltext bei Tauchnitz in Leipzig, einen auf englische Ausgaben spezialisierten Verlag, erschienen, so daß diese Bücher durchaus vom im deutschen Sprachraum gelesen werden konnten. Insofern ist denkbar, daß Bekannte, die etwa die Vorliebe Mays zu Seancen teilten, den Inhalt dieser mit dem Okkulten spielenden phantastischen Romane von Haggard mit Karl May diskutiert haben und ihn so zu ähnlich Motiven angeregt haben. Denn die Parallelen mancher imaginären Orte, Landschaften und Gebäude Dschinnistans zu der Geographie der "She"-Romane ist unübersehbar, weshalb diese Analogien im folgenden Punkt für Punkt vorgestellt werden.

Bei der Bewertung von diesen Parallelen ist indessen Vorsicht geboten. Autoren, die ein ähnliches Sujets behandeln, werden zwangsläufig genreübliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Was May zunächst in Der Boer van het Roer und später Haggard in Allan's Wife über Zulus im allgemeinen, Dingaan, Tschaka und Sikukumi im besonderen oder über ein Roer - Allan Quatermain besitzt ein solches - geschrieben haben, ist selbstverständlich unabhängig entstanden. Und daß der Sohn von Quatermain und von Old Firehand jeweils Harry heißt, ist natürlich ein Zufall. Ebenso zweifellos dürfte es sich z.B. bei den Figuren 'Ustane' in She und 'Ustad' in Silberlöwe IV, der Planke über dem Abgrund in She und der 'Todesbrücke' in Am Jenseits, oder der Erwähnung von Dantes 'Inferno' in Allan Quatermain und der 'Jenseits'-Vision in Am Jenseits um jeweils eigenständige Schöpfungen halten, hier zunächst bei Haggard und später bei May.

Allerdings ist die Fülle von auch recht spezifischen Parallelen, wie man sie im Ardistan und Dschinnistan findet, dazu angetan, hier eine direkte Beeinflußung Mays durch Haggards "She"-Romane zu vermuten, ohne daß man jedoch eine endgültige Bewertung darüber abgeben könnte, ob es sich um von Karl May unabhängig von Rider Haggard entwickelte Motive handelt oder nicht. Wenngleich May in frühen Schriften vereinzelt literarische Vorbilder wie Cooper, Ferry, Marryat, Longfellow, Gerstäcker, Möllhausen, Sue und Dumas erwähnt und so deren Einfluß zumindest indirekt zugesteht, so gibt er, zumal später, keine direkten Hinweise darauf, welche Fremdtexte er für welche Eigentexte adaptiert hat, so daß es immer schon Aufgabe der May-Forschung war, solche Quelltexte zu finden und deren Übernahmen nachzuweisen. In der Regel läßt sich dann bei der Gegenüberstellung dieser Textzitate eine so große Übereinstimmung zeigen, daß eine Adaption von May zwingend sein muß. Hier nun ist ein solches Verfahren aber nicht möglich, da die Ursprungstexte in englischer Sprache verfaßt sind und insofern wörtliche Übereinstimmungen auszuschließen sind, zumal die fraglichen „She“-Romane Karl May allenfalls nur in mündlicher Form, dabei selektiv und zusammenfassend verkürzt, bekannt gewesen sein könnten. Insofern kann man sowieso nicht von Text- sondern bestenfalls von Motivübernahmen ausgehen, welche sich zwangsläufig nie sicher nachweisen lassen können, und deren Wahrscheinlichkeit hier nur durch die relativ hohe Anzahl einzelner Parallelen angezeigt ist.

Direkte Textbezüge zu Haggard-Romanen könnte man allenfalls in den beiden in diesem Vergleich ebenfalls zitierten Büchern suchen, welche im der Fehsenfeld-Abenteuer-Reihe erschienen sind. Dies müßte dann eine Untersuchung zeigen, die sich direkt mit den Fehsenfeld-Übersetzungen Das unerforschte Land und Der Zauberer im Zululand auseinandersetzt, was hier jedoch nicht zu leisten ist.

Ein – freilich eher schwaches – Indiz, daß sich May mit Haggard etwas stärker befaßt haben könnte, als daß er nur dessen von Fehsenfeld geschenkten zwei Bände im Regal verstauben ließ, könnte im dritten und vierten Silberlöwen-Band zu finden sein. So läßt sich etwa die Figur des Schahs, welche mit der Karl-May-Spiegelungsfigur „Ustad“ vertraglich verbunden ist, als Spiegelung seines Verlegers interpretieren, entsprechend könnte dessen verstorbenen Koch „Hagad“ - dieser Figurenname kommt von allen Figurennamen Mays dem Name Haggard am nächsten - eine kleine Hommage an den britischen Autor sein, der– wie schon erwähnt – in seinem Roman She eine Figur „Ustane“ tauchte. Zwingend ist dieser konstruierte Zusammenhang allerdings nicht, er könnte auch ganz zufällig sein.
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

0. Von Schätzen und Schatzgräbern

Com meus proprios olhos vé os diamantes sem conto guardados nas camaras do thesouro de Salomão a traz da morte branca (With my own eyes have I seen the countless diamonds stored in Solomon's treasure chamber behind the white Death
[Henry Rider Haggard - King Solomon's Mines, aus dem Text zur Schatzkarte]

Es glänzte rechts und links wie pures Gold und Silber. Da standen und lagen auf Unterlagen, welche bankartig aus Steinen hergestellt worden waren, allerlei Gegenstände, deren Metall- und Kunstwert jedes Auge blenden mußte.
[Das Vermächtnis des Inka]

Der Weg von der realen zur imaginären Landschaft führt in der Abenteuerliteratur sehr oft zu kleinen, auf keiner Landkarte verzeichneten Orten oder Inseln, an denen dann irgendwelche Schätze verborgen sind. Schließlich ist es wenig plausibel, einen Schatz an einen bekannten Ort zu verstecken, da eben dort in der Realität kein solcher zu finden ist. Insofern ist die Taktik der Autoren häufig die, daß zwar die Suche aus einer realen Welt heraus gestartet wird, dann jedoch, spätestens in geographischer Nähe zum Zielort, die Beschreibung ungenau wird, so auch bei Mays Der Schatz im Silbersee. Besonders einfach ist dieser Übergang aber natürlich, wenn wie in Stevensens Treasure Island nach einer Insel in der fernen unbestimmten Weite eines Meeres oder Ozeans gesucht wird. Bei Landexpeditionen wird zuweilen jedoch auch schon ein Großteil des Weges hin zum Schatz in einen imaginären Nebel gehüllt, was auch Ende des 19. Jahrhundert noch deshalb so gut funktionierte, weil es noch – zumindest in den Augen der großen Leserschaft – noch genügend weiße Flecken auf der Landkarte gab, in die man als Autor problemlos derartige ausgedachte Wege, ja ganze Landschaften verfrachten konnte, so etwa auch bei Haggards King Solomon‘s Mines

Bei Karl May wird zwar nur relativ selten ein Schatz gefunden, gleichwohl gilt auch bei ihm der Grundsatz, daß der exakte Fundort geographisch stets verschleiert wird: Während Der Schatz im Silbersee, das Goldlager am 'Dunklen Wasser', die angebliche Bonanza im Der Schwarzen Mustang oder der Inka-Schatz in El Sendador bzw. In den Kordilleren gar nicht erst gefunden werden, zeigt sich der Schatz in Das Vermächtnis des Inka auch nur kurzfristig seinen Entdecker, bevor er von den Banditen auf ewig in die Tiefe des Berges versprengt wird. Im Kolportageroman Waldröschen bzw. der Old Surehand II-Bearbeitung 'Der Königschatz' hingegen darf der Schatz genrebedingt behalten werden.

Im Silberlöwen II gibt es nun die Schatzhöhle der Schmuggler, die mit Waren aller Art angefüllt ist: Unser alter Bagdader Gastfreund hatte wirklich nicht zu viel von den hier hoch aufgestapelten Waren erzählt. Es gab da eine so tadellose Ordnung, daß man hätte meinen können, sich in einem wohlgeleiteten kaufmännischen Magazin zu befinden. jeder Pack und jeder Gegenstand hatte eine Etikette, welche sich auf seinen Inhalt bezog. Wir brauchten also nur diese Aufschriften zu lesen, um zu erfahren, was alles hier vorhanden war.
Es gab da Tabak aus Räscht, besten Opium, Haschisch, Tamariskenhonig, Hennah, Krapp aus Täbriz, Safran und Saflor, getrocknete Hallagäh- und Angur-i-Ali-Deresi-Trauben, gedörrte Melletzu- und Gulab-i-Schahi-Birnen, Kischmisch- und Savsa-Rosinen, Gulab (= Rosenwasser) und das herrliche teure Atr-i-gul (= Rosenessenz). Das Gegenteil davon, nämlich Asa foetida, war auch vorhanden. Es waren da verzeichnet wohlriechende Seifen aus der Stadt Kum, Demawendi-Schwefel, Arsenik aus Kaswin, ferner kostbare Lammfelle von Bokhara und Kum, große, schwere Ballen Maroquins, in Persien Tscherme hamadahni genannt, und Saghri-Chagrins, welche aus der Rückenhaut des wilden Esels gefertigt werden. Außerordentlich reich war das Lager an den verschiedensten Kleiderstoffen, als Sammet, Seide, Wolle, Baumwolle u. s. w., ebenso an köstlichen Shawls und Teppichen.


Man darf annehmen, daß Karl May hier – mindestens aus der Erinnerung heraus - durch die Lektüre orientalischer Märchen aus 1001 Nacht inspiriert wurde. So beginnt er ja auch „In Bagdad“, das fünfte Kapitel des ersten „Silberlöwen“-Bandes, mit den Worten: Bagdad! Welche Fülle glänzender Vorstellungen erweckt dieser Name in der Seele jedes Menschen, der, ohne dort gewesen zu sein oder die Verhältnisse zu kennen, die berühmte Stadt nur nach dem Inhalte von »Tausend und eine Nacht« beurteilt!

Das Paradebeispiel einer orientalischen Schatzkammer in dieser Märchensammlung findet sich natürlich in der Erzählung Ali Baba und die vierzig Räuber. Dort heißt es (in der ersten vollständigen Übersetzung von Weil, 1865): ( ...) und die war angefüllt mit den feinsten Gewändern aus allen irdischen Gebieten und Ländern; in ihr fanden sich Stoffe, aus kostbarer feiner Baumwolle hergestellt und Kleider aus Seide und den prächtigsten Brokaten der Welt; ja, es gab keine einzige Art von Stoffen, die sich nicht in diesem Raume gefunden hätte: sie stammten von Syriens Auenund Afrikas fernsten Gauen, aus China und dem Industal, aus Nubien und Hinterindien zumal. (...) Schließlich ging er in die Halle der Spezereien und des Weihrauchs und der Wohlgerüche, und das war die letzte jener Hallen. Dort fanden sich von diesen Dingen Sorten so zart und von jeder feinsten Art. Der Duft von Aloeholz und Moschus wallte dort empor; Ambra und Zibet strahlten in ihrer vollen Schönheit hervor; der Zauber von Rosenwaser und Nadd (Parfüm aus Ambra, Moschus und Aloeholz) erfüllte die Luft; von Weihrauch und safran stieg auf ein köstlicher Duft; wie Scheite zum Brennen lag Sandelholz dort herum; aromatische Wurzeln waren wie Reisig fortgeworfen, als brauche man sie nicht mehr.

Aber auch die Gold- und Edelsteinschätze sind dort einfach nur so auf den Höhlenboden gelagert: Dort lag eine Menge Barren von Gold, echt und rein, und anderer Dinge von Silber fein; gemünzte Dinare und Dirhems, unübersehbar; all das in Haufen wie von Kieseln und Sand, bei denen jede Zahl und Berechnung schwand. (...) Und weiter schritt er in die Halle der edlen Steine, das war die größte und wunderbarste von allen; sie enthielt Perlen und Juwelen, die konnte man weder erfassen noch zählen, Hyazinthe und Smaragde, Türkise und Topase; Berge von Perlen lagen dort, und Achate sah man neben Korallen am selben Ort.

Robert Louis Stevenson, der 1001 Nacht – oder besseer gesagt The Arabian Nights - so gut kannte, daß er sich dadurch zu seinen New Arabian Nights anregen ließ, hat in Treasure Island die gleiche Aufbewahrungsmethode gewählt. Zunächst ist der Schatz zwar in der Truhe, wird dann aber von Ben Gunn gefunden und in eine Höhle verfrachtet, wo er wie in einer der Räuberhöhlen in 1001 Nacht aufgetürmt ist: (...) and in a far corner, only duskily flickered over by the blaze, I beheld great heaps of coin and quadrilaterals built of bars of gold. That was Flint's treasure that we had come so far to seek ... It was a strange collection, like Billy Bones's hoard for the diversity of coinage, but so much larger and so much more varied that I think, I never had more pleasure than in sorting them. English, French, Spanish, Portuguese, Georges, and Louises, doubloons and double guineas and moidores and sequins, the pictures off all the kings of Europe for the last hundret years, strange Oriental pieces stamped with what looked like wisps of string or bits of spider's web, round pieces and square pieces, and pieces bored through the middle, as if to wear them round your neck - nearly every variety of money in the world must, I think, have found a place in that collection.

Vielleicht wurde Karl May zu seinem Schatzinhalt auch durch Stevensons Schatzinsel angeregt, welche ihm Fehsenfeld 1897 als Exemplar der Reihe „Die Welt der Fahrten und Abenteuer“ zukommen ließ. Eine weitere Parallele von Silberlöwe II und Die Schatzinsel ist die Schatzkarte, die bei May ihre Entsprechung in der Zeichnung mit babylonischer Keilschrift hat, welche Kara Ben Nemsi kurzzeitig den Pädär-I-Baharat abnimmt. Allerdings wählte May als Aufbewahrungsort für Gold und Edelsteine eine Truhe: Wie ein kleiner Knabe, dem eine große, ungeahnte Überraschung wird, spreizte er die Finger aus und starrte auf das flimmernde Gold und Silber und auf die funkelnden Edelsteine, welche vor uns lagen. In holzgeschnitzten Schalen sahen wir, offen, nicht in Rollen gepackt, in- und ausländische Gold- und Silberstücke in Haufen, während eingelassene Fächer eine Menge geschliffene oder ungeschliffene Halb- und Ganzedelsteine enthielten. Auch gab es Ringe, Ketten, Hals- und Armbänder, Haar- und andern Schmuck in Menge. Was dieser Kasten enthielt, das war ein Vermögen, wirklich ein Vermögen! Und als ich einige Fächer herausnahm, erblickte ich kostbare Pistolen und Dolche, welche den unteren Teil der Truhe füllten.

Eine Schatzkiste ist natürlich ein allgemeines Genre-Sujet, derartiges gibt es z.B. auch schon in Coopers Deerslayer (Wildtöter) (die Truhe von Old Tom Hutter) oder in Poes Goldbug (Goldkäfer). Auch Henry Rider Haggard hat in seinem Roman King Solomons Mines, welchen er wie bereits erwähnt unter dem Eindruck von Treasure Island verfaßt hatte, die Schätze in ihren - hier steinernen - Kisten belassen: We looked, and for a moment could make nothing out, on account of a silvery sheen that dazzled us. When our eyes got used to it, we saw that the chest was three-parts full of uncut diamonds, most of them of considerable size.Gegenüber jedoch lagert auch er den anderen, größeren Schatzteil ebenfalls ohne Behältnis lediglich auf dem Höhlenboden, was bei Elfenbein freilich verständlich ist: ( ...) there could not have been less than the ends of four or five hunderd tusks of the first quality visible to our eyes.

Der Schatzkammer im Silberlöwen ist eine Todeskammer gegenübergestellt, in denen die Schmuggler die Kaufleute der Karawanen versteckten. Dieses Motiv findet sich zwar nicht bei Ali Baba doch könnte die Beschreibung dennoch aus einer weiteren populären Geschichte aus 1001 Nacht inspiriert sein. Hier zunächst die schaurige Leichengruft bei May: Ich brannte es an und sah nun die elf Perser, denen man nicht ein einziges Kleidungsstück gelassen hatte, neben- und aufeinander vor mir liegen. Ich war an dergleichen Scenen gewöhnt, muß aber doch gestehen, daß es mich schauerte. Die Geschichte dieses Ortes trug wohl auch dazu bei. Da stand ich in einem verschütteten Kanale des babylonischen Turmes vor nackten, blutigen Leichen, die mit ihren starren, gebrochenen Augen und klaffenden Wunden einen grauenhaften Anblick boten, zumal bei der mangelhaften Beleuchtung. Das Flackern des Lichtes täuschte mir gespensterhafte Bewegungen hervor, und der mir unbekannte Teil des Kanals jenseits der Ermordeten schien von tausend schattenhaften, durcheinander huschenden oder tanzenden Wesen belebt zu sein. Dazu der schwere, drückende Modergeruch, welcher, je weiter ich vorgedrungen war, desto mehr Leichenduftartiges angenommen hatte. Dieser Gestank konnte nicht von den Persern stammen, die ja noch vor kurzem gelebt hatten. Ich mußte wissen, welche Ursachen er hatte, stieg also über die Toten hinweg, weil kein Platz war, an ihnen vorüberzukommen, und ging weiter. / Da sah ich denn, daß ich mich in einer wahren Massengruft befand. Es lagen Schädel, Knochen und andere Leichenreste in Menge da; ich stieß bei jedem Schritte an sie, bis ich eine Stelle erreichte, wo die Decke eingestürzt war und ich nicht weiter konnte; ich kehrte also um. Die Ghasai hatten ihre Ermordeten hierher geschafft; sie kannten also diese grausige Totenkammer und waren demnach schon oft hier gewesen, um die Spuren und Beweise ihrer Thaten diesem geheimen Orte anzuvertrauen.

Im Vergleich dazu die lebendige Beerdigung Sindbads des Seefahrers aus dessen vierter Reise: Als die Leute fort waren, sah ich mich in der Zisterne um, welche von einem abscheulichen Gestank angefüllt war (...) Dann ging ich an den Seiten der Zisterne umher und sah, daß es eine große Höhle war, in welcher viele Leichen und Knochen umherlagen..

Bei Sindbad findet sich auch das Schatzkammer-Motiv kurz angedeutet, raubt der Seefahrer doch die Leichen aus: Darauf ging ich in die Höhle zurück (...) und nahm alle Diamanten, Perlen, Rubinen, goldene Armspangen mit den übrigen Goldstoffen, die sich in den Bahren befanden, weg (...) [alle Zitate wiederum nach der Weil-Übersetzung]

Die Verbindung zwischen Schatz und Leichen wird aber auch bei Stevenson und Haggard evident. In Die Schatzinsel hat Kapitän Flint seine Besatzung massakriert und eine ihrer Leichen gar mit dem Kompaß ausgelegt: At the foot of a pretty big pine, and involved in a green creeper, which had even partly lifted some of the smaller bones, a human skeleton lay, with a few shreds of clothing, on the ground (...) the man lay perfectly straight - his feet pointing in one direction, his hands, raised above his head like a diver's, pointing directly in the opposite. Passenderweise liegt der ‚Treasure Island‘ dabei eine kleinere ‚Skeleton Island‘ gegenüber, wobei sich Stevenson bei seinem Roman wohl von Poes Gold Bug anregen ließ, bei dessen Schatzsuche auf Sullivan's Island ein Totenschädel (wie später auch bei Edgar Wallace, der die Insel von King-Kong ‚Skull-Island‘ nannte) eine herausragende Rolle spielt

In Haggards König Salomons Schatzkammer ist es eine Skelett-Statue, die im sogenannten 'Place of Death' über eine Versammlung toter präparierter Könige wacht, direkt neben der eigentlichen Schatzkammer: It was a ghastly sight. There at the end of the long stone table, holding in his skeleton fingers a great white spear, sat Death himself, shaped in the form of a colossal human skeleton, fifteen feet or more in height. High above his head he held the spear, as though in the act to strike; one bony hand rested on the stone table before him, in the position a man assumes on rising from his seat, whilst his frame was bent forward so that the vertebrae of the neck and the grinning, gleaming skull projected towards us and fixed its hollow eyeplaces upon us, the jaws a little open, as though it were about to speak.[7i]

Als Parallele zur Sindbad-Geschichte werden Quatermain und seine Freunde alsbald in der Schatzkammer lebendig begraben: 'Man, don't you see that we are buried alive?' - Until Sir Henry uttered these words, I do not think the full horror of what had happened had come home to us, preoccupied as we were with the sight of pour Foulata's end. But now we understood. The ponderous mass of rock had closed, probably for ever, for the only brain which knew its secrets was crushed to powder beneath it.

Besonders makaber präsentiert sich aber Haggards 'Tal der Totenknochen' in Ayshea, wo der Horror nicht mehr unter der erde verborgen wird: Still we descended the place, that was dark and rugged; pervaded, moreover, by an extraordinary gloom, and as we perceived that its lava floor was sprinkled over with a multitude of white objects. Soon we came to the first of these and found that it was a skeleton of a human being. Here was a veritable Valley of Dead Bones, thousands upon thousands of them; a gigantic graveyard. (...) Close by us lay a pile of bones, the remains evidently of a number of wretched creatures that, dead or living, had been hurled down from the cliff above (...)

Ein derartig bizarrer, dem Tageslicht offener und somit gänzlich unverborgener Ort kann man einem Leser als in der realen Welt gelegen aber nur schwerlich einigermaßen glaubhaft machen, derartige Schauplätze sind daher meist nur in reinen großräumigen Fantasy-Landschaften zu finden, wo eine nach anderen, ganz eigenen Regeln aufgebauten Welt auch Platz für ganze phantastische Naturen, Kulturen und Architekturen schafft.
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

1. Der Weg nach Dschinnistan

Es gibt nur zwei Wege: entweder vom Balkasch-See aus, und der ist entsetzlich weit; oder man reitet durch das ganze Reich von Ardistan, und der ist wohl ebenso weit, aber jedenfalls bequemer.
[Der Mir von Dschinnistan]

Now we were in country where, so far as I could learn, no European ever set a foot. In a part of the vast land called Turkestan there is a great lake named Balhkash, of which we visited the shores. Two hundred miles or so to the westward is aranged of mighty mountains marked on the maps as Arkarty-Tau, on which we spend a year, and five hundred or so to the eastward are other mountains called Cherga, whither we journeyed at last, having explored the triple ranges of the Tau. Here it was that at last our true adventures began ...
[Henry Rider Haggard - Ayesha]

War ist in der Fantasy-Literatur ab den 20. Jahrhundert nötig, imaginäre Welten ganz von der gegenwärtigen Erde zu verbannen und in andere Zeiten und/oder Welten auszuweichen, so gab es Ende des 19. Jahrhunderts einerseits noch genügend weiße Flecken auf der Landkarte, andererseits auch ein allgemeines Informationsdefizit über manche Gegenden. Die Kleinstaaterei Osteuropas etwa erlaubte es Anthony Hope, seinen bekannten Roman The Prisoner of Zenda in dem fiktiven Land Rurtania zu plazieren, aber auch die Aufteilung Deutschlands in zahlreiche Königreiche und Herzogtümer, die bis zur Gründung des deutschen Reiches 1871 herrschte, machte es Autoren leicht, sich auch für hierzulande fiktive Staatengebilde auszudenken. Karl May selber erfand so beispielsweise für den Doppelroman Scepter und Hammer / Die Juweleninsel die symbolischen Länder Norland und Süderland, während er fast alle exotischen Abenteuer der beiden Romane in realen Weltteilen spielen ließ, lediglich – aber aufgrund der märchenhaften Schätze und Paläste durchaus bezeichnend - die indischen Königreich Augh und Symoore sind wiederum fiktiv, das gleiche gilt dann auch noch für die Juweleninsel.

Normalerweise ist die Lage in der Fantasy-Literatur des 19. und des angehenden 20. Jahrhunderts natürlich so: Der Ausgangspunkt, die Heimat der Protagonisten liegt in der realen Welt, während die exotischen Abenteuer dann in einer fernen Welt erlebt werden, die zwar noch auf reale, aber eben noch weitgehend unbekannte Landschaften projektiert wird.

Der Raum, den der fiktive Landschafsraum in der Fantasy-Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts einnimmt, ist unterschiedlich. Während etwa in Haggards King Solomons Mines oder Allan Quatermain zunächst noch die reale afrikanische Georgraphie einen großen Raum einnimmt, wird erst in der jeweils zweiten Hälfte der beiden Romane eine gänzlich imaginäre Welt geschildert. Der Übergang von zwischen diesen beiden Welten wird anhand von geologisch scharfen und seinerzeit nur schwer zu bewältigen Grenzen bestimmt. In ersten Quatermain-Roman King Salomons Mines wird diese Grenze etwa durch die Doppelkegelberge „Sheba’s Breast“, die aus einen generellen langgezogen Bergkette herausragen und zwischen denen ein enger Durchgang zu finden ist, markiert, während im zweiten Quatermain-Roman ein Fluß die Reisenden zunächst durch einen Strudel und dann in einen unterirdischen Höhlenlauf führt und so den Weg in die imaginäre Welt eines phantastischen Reiches weist, wobei die Beschreibung beider Übergangszonen in Form überdimensionierter weiblicher Körperteile von Haggard natürlich bewußt gewählt wurde, ähnliches findet sich ja auch bei May, z.B. Das große Loch der alten Frau in „Old Surehand III“. Derartige von Arno Schmidt als S-Landschaften bezeichneten imaginären Orte hat der große Analytiker in „Sitara und der Weg dorthin“ ja umfangreich dechiffriert und beschrieben.

So ein unterirdischer Tunnelfluß ist natürlich keineswegs eine eigenständige Erfindung Haggards. Man kann da etwa an den Styx im Hades, der Unterwelt der griechischen Mythologie denken, so etwas findet sich z.B. aber auch in der sechsten Reise von „Sindbad dem Seefahrer“, wie der folgende Ausschnitt aus den Arabian Nights (in der Übersetzung von Richard Burton, 1882-84) zeigt: My boat-raft drifted with the stream, I pondering the issue of my affair; and the drifting ceased not till I came to the place where it disappeared beneath the mountain. I rowed my conveyance into the place which was intensely dark; and the current carried the raft with it down the underground channel. The thin stream bore me on through a narrow tunnel where the raft touched either side and my head rubbed against the roof, return therefrom being impossible. Then I blamed myself for having thus risked my life, and said, "If this passage grow any straiter, the raft will hardly pass, and I cannot turn back; so I shall inevitably perish miserably in this place." And I threw myself down upon my face on the raft, by reason of the narrowness of the channel, whilst the stream ceased not to carry me along, knowing not night from day, for the excess of the gloom which encompassed me about and my terror and concern for myself lest I should perish. And in such condition my course continued down the channel which now grew wide and then straiter till, sore aweary by reason of the darkness which could be felt, I fell asleep, as I lay prone on the raft, and I slept knowing not an the time were long or short.

Im Vergleich dazu die Einfahrt in den unterirdischen Flußtunnel bei Haggard: I Turned my head a little – I dared not lift it – and looked up: By the feeble light that yet reached the canoe, I could make out that a dense arch of rock hung just over our heads, and that was all. In another minute I could not even see as much as that, for the faint light had merged into shadow, and the shawdows had been swallowed up in darkness, utter and complete. (Kapitel: Into the Unknown)

(...) Then I slowly and cautiously raised myself on my knees and streched my hands upwards, but could touch no roof Next I took the paddle and lfted it above my head as high as I could, but with the same result. I also trust it out laterally to the right and the left, but could touch nothing except water. Then I bethought me that there was in the boat, amongst our other remainings possessions, a bull’s eye Lantern and a tin of oil. I groped about and found it, and having a match on me carefully lit it, and as soon as the flame had got a hold of the wick I turned it on down the boat. (Folgekapitel: The Rose of Fire)

Karl May beschreibt die Nahtstelle zwischen realer und fiktiver Geographie in Im Reiche des Silberlöwen III im Kapitel „Ueber der Grenze“ zunächst mit Hilfe einer bereits aus dem Schut bekannten tiefen Spalte, die nur von ganz außergewöhnlich guten Pferden und Reitern überwunden werden kann. danach hält er sich mit der Beschreibung phantastischer Architektur und Landschaft im Silberlöwen noch weitgehend zurück, und versetzt allenfalls eine Alpenlandschaft, wie er sie 1901 in schweizerischen Rigi bewunderte, nach Persien. Allein die Ruinen sind ein wirklich phantastisches Bauwerk, das durch den „großen Traum“ Kara Ben Nemsis zudem auch eine äußerst mystische Bedeutung bekommt. Bezeichnend beginnt die Erforschung dieser Stätte – ähnlich wie in Haggards unterirdischer Flußfahrt – dann auch durch eine Bootsfahrt in eine unterirdische Kanalwelt:

Am Landeplatze fanden wir das Boot. Es war nur angebunden. Die beiden Ruder hingen in den Dollen. Wir stiegen ein und paddelten uns leise nach der Stelle, welche ich untersucht hatte. Es war nicht schwer, die Maueröffnung hinter dem Gestrüpp aufzufinden. Wir stellten das Boot rechtwinkelig dagegen an und gaben hinten einige kräftige Ruderschläge. Es drang mit seiner ganzen vorderen Hälfte ein. Wir nahmen die Ruder in das Boot, bückten uns nieder und krochen unter dem nun auseinandergeteilten Rankengewirr bis an die Spitze des Kahns vor. Nun war der Sternenhimmel über uns verschwunden. Wir befanden uns in dichtester Finsternis. Die Ruder an uns nehmend, tasteten wir mit ihnen rechts und links aus dem Kahn heraus. Wir fühlten harte Wände und stießen uns an diesen so weit hinein, daß auch das Hinterteil des Fahrzeuges durch das Gestrüpp kam. Hierauf zog ich das Schibhata (Zündholz) aus der Tasche, um eine der Fackeln anzubrennen. Bei ihrem Scheine sah ich ein ganz vorn im Schnabel des Bootes befindliches Loch, in welches ich sie steckte.

In dieser wassergefüllten Unterwelt finden Kara Ben Nemsi und Kara Ben Halef dann nebst einer Alabasterblock mit einem Skelett auch eine Ansammlung von mit Kalk überzogenen Toten – Die unterirdische Ansammlung von Leichen ist eines der wenigen Motive, die May aus den ersten beiden Silberlöwen-Bänden in den beiden letzten Bänden wieder aufnimmt –und die dann im nachfolgenden Traum lebendig werden: Indem wir wenden wollten und darum die Ruder tief in das Wasser tauchten, brachten wir dieses in lebhaftere Bewegung als bisher. Dieser Wellenschlag vervielfältigte in der Tiefe die Bilder unserer Fackelflammen. Die Brechung des Lichtes bewirkte ein scheinbares Emporsteigen alles Dessen, was sich da unten befand, und so erhob sich vor unsern Augen eine Menge menschlicher Gestalten, welche sich zu bewegen und drohend auf uns zuzuschwimmen schienen. Kara stieß einen gellenden Ruf des Schreckens aus, und auch auf mich wirkte dieser Anblick so, daß mir fast das Ruder entfallen wäre. »Leichen, nichts als Leichen, über denen wir uns befinden!«

Obgleich Karl May mit der Formulierung des nachfolgenden Traumes der Höhepunkt in seinem Alterswerk gelingt, bleibt dies innerhalb des Silberlöwen nur eine relativ kleine, isolierte Passage aus dem Bereich der phantastischen Literatur. Das ändert sich erst, als er in seinem nächsten Reiseroman die komplette Handlung in eine gänzlich imaginäre Welt versetzt.

Boten vor der Jahrhundertwende noch Afrikas letzte weiße Flecken noch Projektionsräume für phantastische Welten, so wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts derartig geeignete Gebiete doch arg knapp. Letzte derartige Gegenden befanden sich aber noch in einigen Hochebenen: Auf kleineren isolierten Bergplateaus in Südamerika etwa, auf denen Artur Conan Doyle seine von Urwelttieren bevölkerte Lost World ansiedeln konnte, vor allem aber die relativ weiträumigen Hochebenen Zentralasiens, die damals gerade erstmals durch Reisende wie etwa Sven Hedin erforscht wurden. Was also lag näher, daß sich nach der Jahrhundertwende Autoren wie Haggard aber eben auch May diesen Gegenden zuwandten, um dort ihre utopischen Welten eine letzte Heimat zu geben. Die diesem Teil des Threads vorangestellten Zitate der beiden Autoren verdeutlichen dies ja entsprechend. Was sich in Haggards She schon andeutete, wird in Ayesha noch stärker vollzogen: der Umfang des Romanes, der noch in der realen Welt spielt, schrumpft auf eine bloße Einleitung der Erzählung zusammen, die wirklichen Abenteuer werden gänzlich nicht mehr in der bekannten Welt erlebt. Bei May minimiert sich diese reale Welt in der Hausschatz-Fassung Der Mir von Dschinnistan noch radikaler gänzlich auf die bloße Erwähnung des Balkaschsees – in Haggards Ayesha der letzte realgeographische Ort der Expedition – zusammen, in der Buchfassung Ardistan und Dschinnistan hat May diesen Ankerpunkt dann auch noch getilgt, so daß dieser Roman nun gänzlich in einer rein imaginären Welt angesiedelt ist.
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

2. Der Zauberer im Ussulland

»Emir, wir haben dir eine ruhige Nacht zu verdanken. Du bist ein großer Zauberer. Wird der Esel wieder schreien, wenn der Stein entfernt ist?«
[Durch die Wüste]

»Ja,« antwortete sogar auch der Zauberer, den der Gedanke, daß ich mich von den Hunden zerreißen lassen werde, für den Augenblick alle Schmerzen vergessen ließ.
[Ardistan und Dschinnistan I]

Wer kennt nicht Tarzan, den Affenmenschen aus dem dunklen Afrika, den der amerikanische Autor Edgar Rice Burroughs in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts erschuf? Wenig bekannt indes ist, daß nicht nur Mowgli, der Junge aus Rudyard Kiplings Dschungelbuch – ein Buch, das Fehsenfeld übrigens auch verlegte - bereits früher das Licht der literarischen Welt erblickte, sondern auch Kiplings Freund Henry Rider Haggard schon 1890 in seinem Roman Allan's Wife – den Fehsenfeld 1897 in deutscher Übersetzung als Zauberer im Zululand herausgebrachte, von beiden Bänden aus der Reihe „Fahrten und Abenteuer“ besaß May bei der Niederschrift von Der Mir von Dschinnistan ein Exemplar - ein Mädchen namens Hendrika beschreibt, welches seine Kindheit komplett in der Obhut von Menschenaffen verbringt: The woman was young, of white blood, very short, with bowed legs and enormous shoulders. In face she was not badlooking, but the brow receded, the chin and ears were prominent - in short, she reminded me of nothing so much as a very handsome monkey. She might have been the missing link.

Wie Tarzan kann sie sich zudem mit den Affen verständigen: From the mouth of Hendrrika came a succession of grunts, groans, sequelss, clicks and every other abominable noise that can conceived, conveying zto my mind a general idea of expostulation. At any rate baboons listened. One of them grunted back some answere, and then the whole mob drew off the rocks.

In Der Mir von Dschinnistan, der ursprünglichen „Hausschatz“-Fassung von Ardistan und Dschinnistan beschreibt May die Bewohner Uissulistans noch als über und über behaarte, den Menschenaffen äußerlich ähnliche Urmenschen: Diese gigantischen Menschengestalten! Tierisch behaart und massig gegliedert wie neu erstandene Wesen, die soeben erst den Übergang aus dem Tierreich in das Menschengeschlecht bewerkstelligt haben.

Selbst Halef wundert sich da: "... Aber ihre Behaarung! Allah 'l Allah! Was sind das für Menschen! Schon die Männer! Diese Köpfe und diese Bärte! Ich mußte mir Mühe geben nicht laut aufzulachen. Aber dann die Frauen, die Mädchen, die Weiber (...). Besonders die Frau des Scheiks, der jetzt nicht anwesend ist. Sie heißt Taldscha und ist im ganzen Gesicht behaart, auch an den Wangen und an der Stirn. Man sieht nur die Nasenspitze und die beiden kleinen Augen. Und diese Haare sind blond, ganz hellblond, und reichen bis auf die Lenden herab ..."

Und noch einmal: Es war unter ihnen nicht eine einzige gewöhnliche Gestalt; sie alle waren Riesen. Und sie alle waren ungewöhnlich behaart, doch nicht in gleicher Weise. Am wenigsten bebartet war der Zauberer. Sonst aber sah man alle möglichen Abstufungen von Haaresfülle, entweder wellig, wollig oder schlicht, doch konnte man nur fünf von ihnen als eigentliche, wirkliche "Haarmenschen" bezeichnen, bei denen vom Gesicht nur die Nasenspitze und die Augen zu sehen waren.

Haarmenschen haben freilich auch eine Tradition in den Erzählungen aus 1001 Nacht. Man findet sie in der dritten Reise von „Sindbad dem Seefahrer“. In der Standard-Übersetzung des 19. Jahrhunderts von Gustav Weil ist zwar stets nur von Affen die Rede: (...) und unser Mißgeschick hat uns an die Affeninsel gebracht, auf welcher Affen wie Heuschrecken umherspringen. Noch ist kein Mensch auf diese Insel gekommen, der nicht seinen Tod gefunden hätte. Der Kapitän warf die Anker aus und ließ die Segel einziehen, aber alsbald kamen die Affen von der Insel her auf uns zu, stiegen von allen Seiten her auf das Schiff in so großer Zahl, daß wir sie weder töten noch fortjagen konnten. Bald bissen sie auch mit ihren Zähnen das Ankertau und die Segelstricke durch, zogen das Schiff ans Land, ließen uns aussteigen und verschwanden mit dem Schiffe samt allem, was darauf war. Diese Affen hatten gelbe Augen, schwarze Gesichter und klebrige Haare.

Die Übersetzung von Felix Paul Greve, die 1907/08, also kurz vor bzw. parallel zur Niederschrift von Der Mir von Dschinnistan erschien und aus der hier weiter unten im Zusamenhang mit der „Geschichte von der Messingstadt“ noch ausfürlich zitiert werden wird, bezeichnet die menschenähnlichen Lebewesen jedoch als „behaarte Menschen“: 'Wisset, o meine Brüder (Allah behüte euch!), der Wind ist unser Herr geworden und hat uns aus dem Kurs geworfen, mitten in den Ozean, und das Schicksal hat uns zu unserem Unheil an den Berg der Zughb getrieben, das sind behaarte Menschen, Affen gleich, unter die ist noch niemand geraten und lebend davongekommen; und mein Herz weissagt mir, daß wir alle des Todes sind.' Kaum noch hatte der Schiffsführer seine Worte beendet, so waren die Affen auch schon über uns. Sie umringten, wimmelnd wie Heuschrecken, das Schiff von allen Seiten und drängten sich auf dem Ufer. Es waren die abscheulichsten aller wilden Tiere, bedeckt mit schwarzem, filzartigem Haar, ekelhaft anzuschauen, klein von Statur (denn sie maßen nur vier Spannen der Länge nach), mit gelben Augen und schwarzen Gesichtern. Niemand kennt ihre Sprache, und keiner weiß, was sie sind, denn sie meiden die Gesellschaft der Menschen.

Etwas auffällig ist ferner, daß nach dem Erscheinen des Haggard-Bandes Zauberer im Zululand (1897) auch in Mays Werk wieder gehäuft ‚Zauberer‘-Figuren auftreten. und zwar insgesamt dreimal: Zunächst in Scheba et Thar (1897, übernommen in die Buchausgabe Im Reiche des silbernen Löwen I, 1898), sowie in Im Reiche des silbernen Löwen IV (1903), und eben in Der Mir von Dschinnistan / Ardistan und Dschinnistan. Es gibt bezüglich solcher orientalischer ‚Zauberer‘ bei May jedoch durchaus eine eigene Tradition, wie sich etwa auch im Kapitel „Der Zauberer“ aus dem Waldröschen zeigt. Unter den Einwohnern Ussulistans nimmt diese Figur dabei eine Sonderstellung unter den „Haarmenschen“ einnimmt: Er war ein Hühne, doch bei Jahren, mit weißem Haar und Bart. Auch seine nackte Brust war dicht und weiß behaart. Das gab ihm etwas Eisbärartiges, zumal seine Bewegungen zwar nicht plump, aber ziemlich ungelenk zu nennen waren. (...)Er tat so außerordentlich martialisch und hatte dabei doch das gutmütigste Gesicht, das man sich denken kann! So, wie er aussah, pflegt man sich den heiligen Nikolaus, den »Weihnachtsmann«, den Knecht Ruprecht vorzustellen (...)

Allerdings vermag man hinsichtlich der körperlichen Merkmalen keinerlei Übereinstimmung zu Haggards Figur erkennen, beiden kann man allenfalls eine komische Erscheinung attestieren: He was a curious wizened man, appearently over fifty years of age, with thin hands that looked as tough as wire. His Nose was much sharper than is usual among these races, and he had a queer habit of holding his head sideways like a bird when he spoke, which, in addition to the humour that lurked in his eye, gave him a most comical appearance. Another strange thing about him was that single white lock of hair among his black wool.

Zum Zauberer der Ussul gehören einige Blut- bzw. Bärenhunde: Wir waren dem Orte jetzt so nahe gekommen, daß wir die Hunde sahen. Es waren ihrer drei, so hoch, so groß und riesenstark gebaut, wie ich noch niemals einen Hund gesehen hatte, selbst meinen starken, furchtlosen Dojan nicht, den meine Leser kennen. Ihr dickes, zottiges Fell und der Bau ihres breiten, mächtigen Schädels rechtfertigten den Namen Bärenhund, doch waren sie bedeutend höher als Bären zu sein pflegen. Auch ihre kurze, weit sich spaltende Schnauze und das kleine tückische Auge erinnerten an den Bären; aber ganz unbärmäßig waren die großen, weit herabhängenden und immer triefenden Lefzen. Die Tiere hatten eine mächtig breite Brust und außerordentlich kräftige Schenkel, deren breite Füße mit scharfen Klauen und sehr ausgebildeten Schwimmhäuten versehen waren, doch war dieser Brust und diesen Schenkeln mehr Kraft und Ausdauer als Sprungfertigkeit und Schnelligkeit zuzutrauen. Man brauchte diese mächtigen Geschöpfe nur anzusehen, so war man hinlänglich gewarnt. Sie hinterließen außer dem Eindruck der überaus rohen, physischen Kraft auch den der Arglist und Verschlagenheit, und nie ist mir bei dem Anblick eines Tieres der Ausdruck 'Bestie' so klar geworden, als in dem Augenblicke, da ich diese Blut- und Bärenhunde sah.

Bei der Beschreibung dieser Tiere konnte May auf die seine Erzählung Mater Dolorosa (1892) zurückgreifen, in der er derartige „Hunde des Todes“, riesige gefärbte kurdische Windhunde von der Rasse, welche von den Kurden Tazi genannt wird, beschreibt: So ein Tier hat die Höhe eines großen Kalbes, besitzt zwar eine schlechte Nase, läßt aber, einmal auf die Spur gehetzt, dieselbe nicht wieder fallen und ist darauf dressiert, demjenigen, auf dem er gehetzt wird, die Gurgel zu zerreißen. In beiden Fällen kommt es natürlich zum Kämpfen mit den Hunden.

In ähnlicher Weise beschreibt auch Haggard in Asheya derartige Todeshunde, die den Protagonisten ins 'Tal der Totenknochen' folgen: First she led us to the kennels where the death-hounds were kept, great flagged courts surrounded by iron bars, in which were narrow, locked gates. Never have I seen brutes so large and fierce; the mastiffs of Thibet were but as lap-dogs compared to them. They were red and black, smooth-coated and with a blood-hound head, and the moment they saw us they came raving and leaping at the bars as an angry wave leaps against a rock. / These hounds were in the charge of men of certain families, who had tended them for generations. They obeyed their keepers and the Khan readily enough, but no stranger might venture near them. Also these brutes were the executioners of the land, for them all murderes and other criminals were thrown, and with them, as we had seen, the Khan hunted any who had incurred his displeasure.
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

3. Die herrliche Stadt

(...) we perceived a great golden dome, not unlike that of St. Paul's (...)
[Allan Quatermain]

"Nicht wahr, eine herrliche Stadt?"
(Ardistan und Dschinnistan II)

Bei der Schilderung realer Städte kann ein Autor auf einschlägige geographische Literatur zurückgreifen. Imaginäre Städte hingegen verlangen jedoch ihren Schöpfern eher selbständige Ideen ab, obwohl es auch hier durchaus Vorbilder in der Literatur geben kann. Im folgenden werden die jeweils ersten Anblicke auf solche lebendigen Städte wiedergegeben. Man beachte, daß Haggard wie May nach kurzem Überblick ihr Hauptaugenmerk auf zentrale Architekturen richten, die sie jeweils als Mittelpunkte der jeweiligen Städte konstruiert haben. Zunächst die „Frowning City“ Milosis des „unerforschten Land“ aus Allan Quatermain:

On this brow of this precipice stood a great building of the same granite that formed the cliff, build on three siodes of a asquare, the fourth side being open, save for a kind of battlement pierced at its base by a little door. The imposing place we afterwards discovered was the palace of the queen, or rather of the queens. At the back of the palace the town sloped gently upwards to a flashing building of white marble, crowned by the golden days which we had already observed. The city was, with the exception of this one building, entirely built of red granite, and laid out in regular blocks with splendid roadways between. So far as we could see also the houses were all one-storied and detached, with gardens round them, which gave some relief to the eye wearied with the vista of red granite. At the back of the palace a road of extraordinary width streched awy up the hill. But right in front of us was the wonder and glory of Milosis - the great staircase of the palace, the magnificience of which fairly took our breath away. Let the reader imagine, if he can, a splendid stairway, sixty-five feet from balustrade to balustrade, consisting of two vast flights, each one hundred twenty-five steps of eight inches in height by three feet broad, connected by a flat resting-place sixty feet in length, and running from palace wall on the edge of the precipice down to meet a waterway or canal cut to its foot from the river. Thisnmarvellous staircase was supposed upon a single enourmous granite arch, of which the resting-place between the two flights formed the crown; that is, the connecting open space lay upon it. From this archway sprang a subsidiary flying arch, or rather something that resembled a flying arch in shape, such as none of us had seen in any other country, and of which the beauty and wonder surpassed all that we had ever imagined. Three hundred feet from point to point, and no less than five hundred and fifty round the curve, that half-arc soared touching the bridge it supported for a space of fifty feet only, one end resting on and built into the parent archway, and the other embedded in the solid granite of the side of the precipice.

Zum Vergleich dazu die Weltstadt Ard bei Karl May [A+D II]: Vor uns lag ein weiter, weiter, rundum von Bergen eingeschlossener Talkessel, den vier Flüsse durchzogen, die sich grad unter uns vereinigten. An den Ufern dieser Flüsse lag Haus an Haus und Garten an Garten, so weit unsere Blicke reichten. In den Gärten herrschte die Palme vor. Es war fast so, wie wenn man von den Baradafelsen aus auf Damaskus herunter schaut, nur noch viel schöner. Die Häuser zeigten alle möglichen Baustile. Auch Gotteswohnungen gab es in großer Zahl und, wie es schien, von jeder geschichtlichen Art. Wir sahen geschlossene und offene Säulentempel; links drüben ein Bau, der einem indianischen Teokalli glich, und rechts, auf der andern Seite, eine hoch und massig gebaute Chinesenpagode. Dazwischen ragten schlanke, mohammedanische Minarets in die Lüfte. Hier und da stand auch ein kleineres, bescheideneres Haus, mit einem christlichen Kreuze auf dem Dache. Sollten das etwa Kirchen sein?

Vor allen Dingen stieg grad im Mittelpunkte der Stadt ein wunderbar komponierter und gegliederter Bau aus Stein zum Himmel auf, der unsere Blicke auf sich zog und gar nicht wieder von sich lassen wollte. Das Mittelstück desselben, ein großes, kühnes Kuppelwerk, wurde nach Nord, Süd, Ost und West von vier gewaltigen Türmen flankiert, welche ganz gewiß die Höhe des Kölner Domes hatten, einander auf das genaueste glichen und, unten massig geschlossen, sich nach oben hin immer feiner und feiner filigranisierten, so daß ihre Spitzen sich in Äther zu verwandeln und ganz in ihm zu verschwinden schienen. An diese vier Haupttürme schlossen sich nach den vier Himmelsrichtungen wieder Kuppeln an, aber kleinere, die eine Interpunktion von gleichmäßig kleineren Türmen bekamen und in eine weitere Folge von immer tiefer herabsteigenden Kuppeln, Türmen und Türmchen verliefen, bis der hoch aufgeschwungene Grundgedanke die Erde wieder erreichte, aus der er gestiegen war. War das christlicher Dom? Etwa die Kathedrale?

"Nicht wahr, eine herrliche Stadt?" fragte der Oberst, der es uns ansah, welchen Eindruck das alles auf uns machte. "Hier stand zur Zeit der ersten Menschen das Paradies. Siehst Du die vier Flüsse? Sie heißen Phison, Dschihon, Tigris und Phrat. Diese Namen stehen schon in Euerm Koran oder in Eurer Bibel oder in Euern Vedabüchern.


Die Beschreibung des Kuppelbaues erinnert dabei ein wenig an die Haiga Sophia, die May 1900 bei seinem Istambul-Aufenthalt besuchte. Die Symbolik der vier Flüsse ist, wie May schreibt, auch im hinduistischen und tibetischen Glauben zu finden, allerdings sind es dort vier andere reale Gewässer, die allesamt in der Trans-Himalaya-Region um den heiligen Berg Kailas entspringen, sinnigerweise auch noch in die vier Himmelsrichtungen. Darüber berichtet auch Sven Hedin, so schreibt er in seinem Buch Transhimalaya über den See Manasarovar, der am Fuße des heiligen Berges gelegen ist: Wunderbarer See! Mittelpunkt der Sage und Legende, Tummelplatz der Stürme und der Farben, Ziel der Sehnsucht müder Pilger, Mittelpunkt der Protuberanz des alten Asiens, zwischen deren Bergriesen vier der berühmtesten Flüsse der Erde, der Brahmaputra (bzw. Tsangpo), der Indus, der Satledsch (= Sutlej) und der Ganges (bzw. Karnali), ihre Quellen haben (...) Schon zu uralten Zeiten, als die Vedabücher geschrieben wurden, sind zahlreiche gläubige Hindus und Tibeter an seine Ufer gekommen, um dort zu trinken, zu baden und Ruhe für ihre Seelen zu finden.

Möglicherweise könnten May und Haggard auch durch die Schilderung der „goldenen Stadt“ aus den Erzählungen aus Tausend und eine Nacht zu ihren phantastischen Stadtbeschreibungen angeregt worden sein. So heißt es in der im 19. Jahrhundert maßgeblichen Ausgabe von Gustav Weil in der „Geschichte Schaddads und der Stadt Irem, die pfeilerreiche“: Schaddad gab hundert seiner stärksten Emire den Befehl, ein weites, ebenes Land aufzusuchen, mit viel Wasser und gesunder Luft, um dort eine goldene Stadt zu bauen. (...) er (...) ließ eine viereckige Stadt bauen, die vierzig Pharasangen im Umfange hatte; man legte sehr tiefe Grundpfeiler, auf denen die Stadt sich bis zum Himmel erheben konnte, man nahm Steine von Jenem bis zur Oberfläche der Erde, dann gebrauchte man rote Backsteine zu den Mauern, die fünfhundert Ellen hoch und zwanzig Ellen breit waren. Schaddad schickte dann auch nach allen Fundgruben und baute in der Stadt dreihunderttausend Schlösser, jedes ruhte auf tausend Pfeilern von verschiedenem Smaragd und Rubinen mit Gold belegt und die Pfeiler, auf denen die Schlösser mit ihren reichgeschmückten Gemächern ruhten, waren hundert Ellen hoch. er ließ dann Kanäle graben und die Ufer mit Datteln und anderen Bäumen bepflanzen; hernach wurden vier Tore an die Stadt gesetzt, jedes hundert Ellen hoch und zwanzig breit, alles aufs feinste ausgeschmückt.

Die Geschichte ist bei Weil freilich um eine Rahmenhandlung gekürzt, vollständig liest man sie hingegen unter dem Titel „The City Of Many-Columned Iram And Abdullah Son Of Abi Kilabah“ - in der Abrabian Nights-Ausgabe (1882-84) von Richard Burton: Go ye forth therefore to the goodliest tract on earth and the most spacious, and build me there a city of gold and silver, whose gravel shall be chrysolite and rubies and pearls, and for support of its vaults make pillars of jasper. Fill it with palaces, whereon ye shall set galleries and balconies, and plant its lanes and thoroughfares with all manner trees bearing yellow-ripe fruits, and make rivers to run through it in channels of gold and silver. (...) Depart and make thereon an impregnable castle, rising and towering high in air, and build around it a thousand pavilions, each upon a thousand columns of chrysolite and ruby and vaulted with gold, that in each pavilion a wazir may dwell.

Felix Paul Greve übersetzte dann anfangs des 20. Jahrhunderts Burtons Fassung von der „Geschichte der Säulenstadt Iram“ getreulich: 'Zieht also aus in die Welt, in den herrlichsten Strich auf der Erde, wo sie am geräumigsten ist, und baut mir dort eine Stadt aus Gold und Silber, deren Kies aus Chrysolithen und Rubinen und Perlen besteht; und ihre Gewölbe zu stützen, macht Pfeiler aus Jaspis. Füllt sie mit Palästen und bepflanzt ihre Gassen und Straßen mit allerlei Bäumen, die gelbreife Früchte tragen, und in Kanälen aus Gold und Silber sollen Bäche sie durchströmen. (...) Brecht auf und erbaut darüber eine uneinnehmbare Burg, die sich hoch in die Luft erhebt und emportürmt, und ringsherum errichtet tausend Pavillons, einen jeden auf tausend Säulen aus Chrysolith und Rubin, überwölbt mit Gold, so daß in jedem Pavillon ein Vezier wohnen kann.
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

4. Engelsstatuen

»Figur? Was für eine Figur?« fragte er schnell. - »Wahrscheinlich ein Engel, denn ich sehe Flügel!«
[Ardistan und Dschinnistan II]

The coquetry went out of it, and in its place there shone a great light of love which seemed to glorify it, and make it like that of the marble angel overhead.
[Allan Quatermain]

Engelsstatuen kommen bei Henry Rider Haggard bereits recht früh im Roman "Allan Quatermain" vor, wo sie aber nur in aller Kürze beschrieben werden. Sie stehen im Blumen-Tempel der frowning city, der „finsteren Stadt“: (...) Standing in semicircles at equal distances from each other on the north and south of the sacred place are ten golden angels, or female winged forms, exquisitely shaped and draped. These figures, which are slightly larger than life-size, stand with bent heads in an attitude of adoration, their faces shadowed by their wings, and are most imposing and of exceeding beauty
.
Eine weitere Engelsfigur, diesmal aus Mamor, findet sich zusammen mit dem Abbild eines verstorbenen Herrschers im Thronsaal und wird beschrieben, wie sie effektvoll in das Licht des Vollmondes getaucht ist: One of these silver arrows fell üpon the statue of the sleeping Rademas, and of the angel form bent over him, illumining it, and a small circle round it, with a soft clear light (...)

Falls Karl May überhaupt durch literarische Vorbilder zu seinen Wasserengeln angeregt wurde - schließlich gab es schon seinerzeit genügend Freiluft-Engelsstatuen als öffentlichen Denkmäler oder Friedhofsskulpturen, die ihn inspiriert haben könnten - dann wäre es also durchaus möglich, daß er sich durch die Lektüre von Haggards Unerforschten Land beeinflussen ließ. Denn wie bei den Tempelfiguren wird das genaue Ausehen der Statuen in Ardistan und Dschinnistan ebenfalls nicht beschrieben. Die erste Erwähnung einer solchen Engelsfigur bei May findet sich im ersten Band, mitten in der Wüste ...:

"Ein Melek, ein Melek! Wahrhaftig, ein Melek!" rief Halef aus. "Mit einem Friedenszweige in der Hand! Er hat zwei Flügel und steht auf einem Postament von mehreren Felsentrümmern!" (...) Der Engel stand nicht, wie der Hadschi von Weitem gemeint hatte, auf einem Postament von mehreren Felstrümmern, sondern auf einen einzigen, kompakten, riesigen Block. (...) Die Figur des Engels war nicht etwa nach ihrer Anfertigung auf den Felsen gestellt worden, sondern sie gehörte zu ihm; sie war sein oberster Teil; sie bildete mit ihm ein Ganzes. Der untere Teil, das Postament, war breiter als der obere. Als ich dann selbst hinaufstieg, sah ich, daß hier künstlich nachgeholfen und mittels Werkzeugen eine ebene Fläche gebildet worden war, auf die sich das breite, faltige Gewand des Engels stützte, ohne daß die Füße aus demselben hervortraten.

... die zweite Engelsstatue folgt dann im zweiten Band, sie steht in der Stadt der Toden....: Dagegen wurde der Engel um so deutlicher, je näher wir ihm kamen. Er stieg zusehends höher und schärfer vor uns auf. Er war gewiß doppelt so hoch wie der Engel, den wir kurz vor dem Engpasse Chatar entdeckt hatten, doch war seine Figur ganz und genau dieselbe. Es schien, als ob der hiesige das Original des dortigen und dieser nur eine Verkleinerung von ihm sei.

... und schließlich gibt es am Schluß des zweiten Bandes noch den großen „Engel der Wasserscheide“ in El Hadd: Hoch oben aber, uns gerade gegenüber, ragte ein Engel himmelan, der ganz genau die Gestalt der Wasserengel in der 'Stadt der Toten' und an der Landenge von Chatar hatte, aber viel, viel größer als sie beide war. Er bildete den höchsten und zugleich auch den Höhepunkt des herrlichen Panoramas, welches vor uns lag.

Ob die Engelsfiguren ihre Flügel ausgebreitet haben, wie auf der schönen Illustration von Josef Ulrich (in der tschechischen Ausgabe von 1923) zu sehen ist, oder ob sie ihre Schwingen angelegt tragen, erfährt man leider nicht, allerdings verrät uns Karl May bei diesem letzten Engel wenigstens etwas über dessen Hand: Und hier, auf der Südseite des Sees, die fast übernatürlich hohe Gestalt des Engels, der, die Hand wie zum Segnen erhebend, von dem Hochland hinunter über die Grenze schaute (...) Ist die segnende Hand die gleiche Hand, die auch den Friedenszweig hält? Ansonsten erfährt man nur noch, daß die Engel jeweils ein faltiges Gewand tragen.

Im Gegensatz dazu sind die Schilderungen der allegorisch-symbolischen geflügelten Statuen in den "She"-Romanen ausführlich, detailliert und anschaulich. Da ist zunächst die Wahrheitsstatue 'Truth standing on the World' aus She: And there, in the centre of the inmost court, that might have been some fifty yardssquare, or a little more, we stood face to face with what is perhaps the grandest allegorical work of Art that the genius of her children has ever givento the world. For in the exact centre of the court, placed upon a thick square slab of rock, was a huge round ball of dark stone, some forty feet in diameter, and standing on the ball was a colossal winged figure of a beauty so entrancing and divine that when I first gazed upon it, illuminated and shadowed as it was by the soft light of the moon, my breath stood still, and for an instant my heart ceased its beating.

The statue washewn from marble so pure and white that even now, after all those ages, it shone as the moonbeams danced upon it, and its height was, I should say, a trifle under twenty feet. It was the winged figure of a woman of such marvellous loveliness and delicacy of form that the size seemed rather to add to than to detract from its so human and yet more spirituel beauty. She was bending forward and poising herself upon her half-spread wings as though to preserve her balance as she leant. Her arms were outstreched like those of some woman about to embrace one she dearly loved, while her whole attitude gave an impression of the tenderest beseching. her perfect and most gracious form was naked, save - and here came the extraordinary thing - the face, which was thinly veiled, so that we could only trace the marking of her features. A gauzy veil was thrown round and about the head, and of its two ends one fell down across her left breast, which was outlined beneath it, and one, now broken, streamed away upon the air behind her


Des weiteren gibt es n der Fortsetzung Ayesha[/i eine „Mutterliebe“-Statue: On this altar was placed a large statue of silver, that backed as it was by the black rock, seemed to concentrate and reflect from its burnished surface the intense light of the two blazing pillars. It was a lovely thing, but to describe it is hard indeed. The figure, which was winged, represented a draped woman of mature years, and pure but gracious form, half hidden by the forward-bending wings. Sheltered by these, yet shown betwen them, appeared the image of a male child, clapsed to its bearer's breast with her left arm, while the right was raised towards the sky. A study of motherhood evidently, but how shall I write off all that as conveyed by those graven faces?

To begin with the child. It was that of a sturdy boy, full of health and joy of life. Yet he has been sleeping, ans in his sleep some terror had overshadowed him with the dark shades of death and evil. There was fear in the lines of his sweet mouth and on the lips and cheeks, that seemed to quiver. He had thrown his little arm about his mother's neck, and, pressing close against her breast, looked up to her for safety, his right hand and outstreched finger pointing downwards and behind him, as though to indicate whence the danger came. Yet it was passing, already half-forgotten, for the upturned eyes expressed confidence renewed, peace of soul attained.

And the mother. She did not seem to mock or chide his fears, for her lovely face was anxious and alert. Yet upon it breathed a very athmosphere of unchanging tenderness and power invincible; care for the helpless, strength to shelter it from every harm. The great, calm eyes told their story, the parted lips were whispering some tale of sure, hope and immortal; the raised hand revealed whence that hope arose. All love seemed to be concentrated in the broading figure, so human, yet so celestial; all heaven seemed to lie an open path before those quivering wings. And see, the arching instep, the upward-springing foot, suggested that thither those wings were bound, bearing their Gog-given burden far from the horror of the earth, into the bosom of a changeless rest above. The statue was only that of an affrighted child in its mother's arms; its interpretation made clear even to the dullest by the simple symbolism of some genius - Humanity saved by the Divine.


Bereits im Silberlöwen IV hat Karl May eine Statue, das 'Steinerne Gebet' zu einem zentralen Symbol gemacht, und auch Haggard benutzt Skulpturen bereits in King Solomones Mines, die sogenannten „Silent Ones“: There upon huge pedestrals of dark rock, sculptred in unknown characters, twenty paces between each, and looking down the road which crossegdsome sixty miles of plain to Loo, were three colossal seated forms - two males and one female - each measuring about twenty feet from the crown of the head to the pedestal. The female form, which was nude, was of great though severe beauty, but unfortunately the features were injured by centuries of exposure to the weather. Rising from each side of the head were the points of a cresent. The two male colossi were, on the contrary, draped, and presented a terrififying cast of features, especially the one to our right, which had the face of a devil. That to our left was serene in countenance, but the calm upon it was dreadful. (...) The three formed a most awe-inspiring trinity, as they sat there in their solitude and gazed out across the plain for ever.

In dem späten Roman She and Allan hingegen haben Skulpturen keinen symbolischen Character mehr, hier wird lediglich eine typische griechische Statue beschrieben: It was that of a nude young woman in the attitude of diving, a very beautiful bit of work, I thought, though of course I am no judge of sculpture. Even the smile mingled with trepidation upon the girl's face was most beautiful portrayed.
Thomas Schwettmann

Totenstadt & Messingstadt

Beitrag von Thomas Schwettmann »

5. Die Messingstadt

Die fantstische Schilderung der >Totenstadt< (...) ist überdem ein wirkliches Meisterstück, das eine wirre Kette unvergeßlicher Bilder vorführt; (obschon die 1001-nächtige Legende von der >MESSINGSTADT<, 566.-578. Nacht, ihn angeregt haben dürfte).
[Arno Schmidt, Sitara und der Weg dorthin]

In diesem unserm Falle handelte es sich selbstverständlich nur um billiges Blattmetall aus Messing und Tombakblech.
[Ardistan und Dschinnistan II]

Christoph F. Lorenz griff in seinem Essay 'Von der Messingstadt zur Stadt der Toten' (in: Text+Kritik, Sonderband - Karl May) eine Anregung Arno Schmidts auf und untersuchte, ob die Geschichte von der Messingstadt aus 1001 Nacht May zu seiner Schilderung der Totenstadt beeinflußt haben könnte. Dabei orientierte er sich an seinerzeit populären Fassung von Gustav Weil, die er freilich in einer leicht bearbeiteten Fassung zitierte, die in Friedrich Wilhelm Maders gleichnamiger Erzählung (1912) abgedruckt ist und Karl May gar nicht vorgelegen haben kann. Inhaltlich weicht die Mader-Fassung freilich nicht von Weils Originaltext ab, so daß die Aussagen und Schlußfolgerungen von Lorenz in Bezug auf die Weil-Fassung sicherlich richtig sind. Diese Ausgabe wird auch heute immer noch noch nachgedruckt, z.B. in zwei dicken, zeitgenössisch illustrierten Bänden des Dörfler-Verlages, der Text ist aber auch online bei www.Gutenberg.de zu finden.

Es ist aber zu bezweifeln ob sich Karl May überhaupt an der Übersetzung von Weil orientierte, erschien doch - wie oben beim Zitat der 'Geschichte der Säulenstadt Iram' schon erwähnt - gerade in den Jahren 1907/08, also etwas vor der Niederschrift von Ardistan und Dschinnistan, eine ausführlichere Fassung der 'Messingstadt' innerhalb der Übersetzung von Felix Paul Greve nach Burtons englischer Version. Diese Übersetzung ist dankenswerterweise als Band 87 der 'Digitalen Bibliothek' erschienen, in der als Band 77 ja auch schon das Werk von Karl May auf eine CD-Rom gepreßt wurde. Das Original von Burton wie auch andere englische Übersetzungen sind gleichfalls On-Line vertreten, Infos dazu unter: ....
Arno Schmidt jedenfalls hat seinen Hinweis sicher nicht aufgrund der Lektüre der Weilschen Fassung gegeben, da in dieser die Zählung der Nächte fehlen, hingegen stimmt die Angabe der Nächte (566-578) sowohl mit Greves Version wie auch der mittlerweile klassischen und ebenfalls ausführlichen Gesamtübersetzung von Enno Littmann aus dem Jahre 1938 überein. Letztere, die immer noch als Gesamtpaket von acht Insel-TBs erhältlich ist, bietet den heutigen Leser jedenfalls eine sehr gute 'erwachsene' und ungekürzte Übersetzung und auch eine vollständige 'Geschichte der Messingstadt', wenngleich der genaue Wortlaut für Vergleiche mit Ardistan und Dschinnistan natürlich untauglich ist. Gleiches gilt natürlich auch für die erst kürzlich von Claudia Ott übersetzte, nach der 282. Nacht abbrechende 'Urfassung' der Märchen aus 1001 Nacht - in der Tat gibt es da verschiedene Handschriften unterschiedlichsten Inhaltes, die zudem früher auch noch von den europäischen Erstübersetzern nicht immer sehr getreulich übertragen und z.T. durch Geschichten aus anderen Quellen angereichert wurden.

Wie dem auch sein mag, wie Lorenz anhand der Weil-Übersetzung zeigt - was aber gleichfalls für die Greve-Version gilt - ergibt der Vergleich zwischen der 'Geschichte der Messingstadt' und Ardistan und Dschinnistan keinen spezifischen sondern allenfalls nur allgemeine Gemeinsamkeiten. Natürlich war May im Gegensatz zu exakten Beschreibungen etwa von Pflanzen und Tieren nicht auf wortwörtliche Textübernahmen angewiesen, sondern konnte - lediglich 'atmosphärisch' angeregt - frei fabulieren. Insofern läßt sich ein konkreter Einfluß der Geschichte aus 1001 Nacht auf May wohl nicht beweisen und bleibt also Vermutung.

Dies zeigt sich z.B., wenn man - wie es auch Lorenz in seinem Essay getan hat, die Statuen in der Geschichte von der Messingstadt und Mays Brunnenengel gegenüberstellt. Zwar ist der obige Vergleich mit den Statuen Haggards wohl fruchtbarer, andererseits ist aber erst recht bei dem englischen Autor zu vermuten, daß dieser von den 'Arabian Nights' beeinflußt wurde. Zunächst also Weil (hier im originalen Wortlaut): Nach drei Tagen kamen sie auf einen hohen Berg, auf dem sie eine große lange Säule sahen; als sie darauf zugingen, fanden sie eine Statue von schwarzem Stein, die einen Menschen darstellte, der bis zu den Achseln in der Säule steckte; er hatte zwei große Flügel, zwei Hände wie die Tatzen eines Löwen, mit eisernen Krallen, einen Haarschopf mitten auf dem Kopfe wie ein Roßschweif, zwei Augen, die in die Länge gespalten waren und Feuer sprühten, und aus der Stirne stach noch ein drittes häßliches dunkelrotes Auge hervor wie das eines Luchses.

Greve ist an dieser Stelle nicht wesentlich ausführlicher, unterscheidet sich allerdings in der Anzahl der Arme: Dann kamen sie zu einem Pfeiler aus schwarzem Stein, der einem Ofenschornstein glich, und in den ein Mensch bis zu den Armhöhlen versenkt war. Er hatte zwei große Flügel und vier Arme, von denen zwei den Armen der Söhne Adams glichen, zwei aber Löwentatzen, und diese hatten eherne Krallen; er war schwarz und groß und furchtbar anzuschauen, sein Haar glich den Schweifen der Rosse, seine Augen waren wie glühende Kohlen, und sie waren von oben nach unten geschlitzt. Ferner trug er mitten in der Stirn ein drittes Auge, dem eines Luchses gleich, und diesem entsprühten Feuerfunken (...)

Den Weg zu diesem Dämon wurde übrigens bereits durch eine weitere Statue gewiesen, die ebenfalls magische Kräfte besitzt: (...) und nach drei Tagen kamen sie an einen hohen Hügel, auf dem ein kupferner Reiter auf einem kupfernen Pferd saß; er hatte eine lange blendende Lanze in der Hand, auf deren Spitze folgendes mit römischen Buchstaben geschrieben war: »O Wanderer, der du hierherkommst, wenn du den Weg nach der messingnen Stadt nicht weißt, so reibe den Reiter, er wird sich herumdrehen. und wende dich dann nach der Seite, nach welcher er die Spitze der Lanze dreht.« Musa rieb den Reiter, er drehte sich herum, und sie schlugen den Weg ein, nach welchem er die Lanze hob und fanden sich bald auf geebnetem Wege. Soweit die Version von Weil. Die Fassung von Greve unterscheidet sich davon kaum, so daß auf ein Zitat verzichtet werden kann, erwähnenswert ist lediglich die Beschreibung der Lanze als einem blendenden Bitz.

Weitere - gleichfalls magische - Statuen befinden sich im Thronsaal innerhalb der Messingstadt, zunächst sei wieder Weil zitiert: Musas Auge fiel dann auf zwei Statuen, welche vor dem Mädchen standen; die eine war weiß, die andere schwarz, die eine hatte ein Schwert in der Hand, die andere eine Lanze. Beide entpuppen sich nicht nur als ewige sondern auch verzauberte Wächter ihrer Königin, da sie aus ihrer Starre erwachen können: (...) als er aber zwischen den beiden Statuen stand, schlug ihm die mit dem Schwerte den Kopf ab und die mit der Lanze spaltete ihm den Rücken.

Greve ist hier etwas genauer: (...) auf ihnen standen zwei Statuen aus andalusischem Kupfer, die Sklaven darstellten, die eine einen schwarzen und die andere einen weißen. Der erste hielt eine stählerne Keule, und der zweite ein Schwert aus gewässertem Stahl, der das Auge blendete (...). Auch in dieser Version erwachen die beiden kupfernen Wächter zu Leben und bestrafen den Frevler: (...) doch kaum war er im Armbereich der beiden Sklaven, als, siehe, der Keulenträger ihn auf den Rücken traf, während der andere mit dem Schwert in seiner Hand ausholte, also, daß sein Kopf davonsprang und er tot zu Boden fiel.

Es ist anzunehmen, daß auch Haggard die 'City of Brass' aus den 'Arabian Nights' kannte. So wie etwa Haggards Abenteurer nach 'König Salomons Diamanten' suchen, so sind die Reisenden in der 'Geschichte von Messingstadt' auf der Suche nach den kupfernen Flaschen des Königs Salomon. Interessanterweise gibt es nun Unterschiede zwischen den englischen Versionen von Burton und Lane, letzterer, der nach der Kalkutter Ausgabe übersetzte, schildert weder den Dämon noch die Sklaven als Statuen, sondern als lebende Wesen. So wird etwa der Dämon als a pillar of black stone, wherein was a person sunk to his arm-pits bezeichnet, also als ein Wesen, das in die Säule eingeklemmt, aber keineswegs damit zusammengewachsen ist. Die umfassende '1001'-Übersetzung von Littmann - mittlerweile die Standard-Ausgabe schlechthin - folgt dieser Beschreibung: ( ...) gewahrten sie plötzlich eine Säule aus schwarzen Stein, in die eine menschliche Gestalt bis zu den Armhöhlen versenkt war. Bei den späteren Übersetzungen von Lane und Littmann werden zudem die Diener der Königin lediglich als Slaves bzw. Sklaven bezeichnet. Der Leser dieser beiden Übersetzungen bekommt also nicht den unheimlichen Eindruck von lebenden Steinstatuen vermittelt.

Die Reise zur Messingstadt wie auch zur Stadt der Toten ist nicht von heute auf morgen zu bewältigen, doch ist der jeweilige Weg durch die Wüste wohl nicht nur langwierig sondern auch relativ ereignislos, weshalb er nur in kurzen Worten geschildert wird: Wisse, mein Vater hat mir einmal von seinem Großvater erzählt, er sei in diesem Lande gewesen und nach langen Irrwegen an dieses Schloß gekommen, und von da in eine messingne Stadt. Wir haben von hier nach dem Orte unserer Bestimmung nur noch zwei Monate zu reisen; wir müssen immer dem Rande der Wüste folgen, finden aber viele Wohnungen, Brunnen und Bäche, die Alexander der Zweihörnige eroberte, als er sich nach Westen wandte; die meisten Brunnen auf unserem Wege hat er graben lassen. [Weil]

Dabei ist aber schon auffällig, das der Weg zur Messingstadt wie die Durchquerung Ardistans nur mit Hilfe alter Brunnen zu bewältigen ist: Wir reisten einst in diesem Lande, und als wir vom Weg abkamen, gelangten wir zu dieser Burg, und von ihr zu der Messingstadt; zwischen ihr und dem Ort, den du suchst, aber liegt eine Reise von zwei vollen Monden; doch mußt du dich an die Meeresküste halten und sie nicht verlassen, denn dort gibt es Wasserplätze und Brunnen und Lagerstätten, die der König Zu al-Karnain Iskandar angelegt hat; denn als er auszog, um Mauritanien zu erobern, fand er unterwegs durstige Wüsten und Steppen und Wildnisse, und er grub dort nach Wasser und legte Zisternen an. [Greve]

Auffällig ist auch, daß bei May die Reise quer durch die Wüste vom Engpass El Chatar hin zur 'Herrlichen Stadt' ebenfalls zwei Monate dauert, dies ist möglicherweise aber nur ein zufall. Es war etwas über zwei Monate später. (...) Wir hatten Gharbistan quer durchritten und uns dann bei dem Mir von Ardistan als Abgesandte des Dschirbani melden lassen.

Schließlich aber gelangen die Reisenden an ihr Ziel, die Messingstadt: Nach einer kurzen Strecke sahen sie etwas Schwarzes in der Ferne, von zwei einander gegenüber lodernden Flammen umgeben. Als Musa fragte, was das wäre? Antwortete der Alte: »Freue dich, Fürst, das ist die messingne Stadt, so ist sie mir in meinem Schatzbuche beschrieben; denn sie ist aus schwarzen Steinen gebaut und hat zwei Schlösser aus spanischem Messing, welche wie zwei Feuer einander gegenüber aussehen, und daher hat sie auch ihren Namen. Sie gingen nun auf die Stadt zu, welche mächtige Gebäude enthielt und schön angelegt war, von sehr festen, achtzig Ellen hohen Mauern mit fünfundzwanzig Toren umgeben. Aber diese Tore konnten nur von innen geöffnet werden; Musa war daher in der größten Verlegenheit und wußte keinen Rat, um in die Stadt zu dringen und ihre Wunder zu sehen und der Alte sagte ihm: so ist sie in dem Schatzbuch beschrieben. [Weil]

Die Wegweiser-Funktion von aus der Ferne sichtbaren - und bei May und Haggard freilich echten - Feuern wird noch weiter unter ausführlich beleuchtet: Da verließen sie ihn und ritten weiter, bis sie vor sich in der Ferne eine große Schwärze erblickten, und darin einander gegenüber zwei Feuer; und der Emir Musa fragte den Schaykh: 'Was ist jene Schwärze mit den beiden Feuern?' Und der Führer erwiderte: 'Freue dich, o Emir, denn dies ist die Messingstadt, wie sie beschrieben wird im Buche der Verborgenen Schätze, das ich bei mir habe. Ihre Mauern sind aus schwarzem Stein, und sie hat zwei Türme aus andalusischem Messing, die dem Beschauer aus der Ferne erscheinen, als wären es zwei Feuer, und deshalb heißt sie die Messingstadt.' Und unablässig ritten sie dahin, bis sie sich der Stadt näherten, und siehe, sie war wie ein Bergesstück oder wie eine gegossene Eisenmasse, undurchdringlich ob der Höhe ihrer Mauern und Wälle; nichts aber konnte schöner sein als ihre Bauten und deren Ordnung. Sie also saßen ab und suchten nach einem Eingang, doch sahen sie keinen und fanden auch keine Bresche in der Mauer, wiewohl die Stadt fünfundzwanzig Tore besaß, deren keines freilich von außen sichtbar war. [Greve]

Hier sei zum Vergleich nur der Anblick der gleichfalls mit einer starken Mauer befestigten 'Totenstadt' bei May zitiert: Indem ich während des Bergabwärtsreitens meinen Blick auf die Zyklopenmauern der jenseitigen Festungsstadt gleiten ließ, wollte es mir um den Ausgang des gegenwärtigen Abenteuers doch ein wenig bange werden. Diese Mauern und Türme waren so stark und so hoch, daß für einen Jeden, der sich einmal hinter ihnen befand, das Entkommen unmöglich zu sein schien. [A+D II]

Das folgende Zitat aus Weils '1001 Nacht' setzt Lorenz in seinem Vergleich Mays nachstehend zitierter Schilderung der toten Stadt gegenüber und betont dabei zurecht wieder einmal die Unterschiedlichkeit, der beiden Schilderungen. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß die Schilderung diese Messingstadt auch nicht nur allein mit der 'toten Stadt' sondern auch mit der schon diskutierten 'herrlichen Stadt' verglichen werden sollte: Musa stieg dann mit dem Alten auf den höchsten Berg, der vor der Stadt lag, und von hier aus sahen sie die schönste Stadt vor sich liegen, die man finden konnte; hohe Häuser, feste Schlösser, fließende Bäche, schön angelegte Straßen. Ihr Auge entdeckte aber keinen Menschen, noch ein Haustier; Nachteulen hausten darin mit anderen Vögeln, aber sie war sicher vor jedem Wechsel der Zeit. Die Wohnungen beklagten die Bevölkerung, die sie einst umschlossen, und die Schlösser beweinten die, welche sie gebaut. Musa wunderte sich über den traurigen Zustand dieser Stadt (...)

Der Vergleich mit Ard drängt sich um so mehr auf, wenn man den ersten Teil der Übersetzung von Greve liest: Da nahm Musa Talib und Abd al-Samad und stieg mit ihnen auf den höchsten Hügel, der die Stadt überschaute. Und als sie den Gipfel erreichten, erblickten sie unter sich eine Stadt, wie sie größer und herrlicher nie ein Auge erblickte; Wohnstätten und Häuser ragten in türmender Wacht; Paläste und Kuppeln und Pavillons glitzerten in glorreicher Pracht, und Schanzen und Wälle starrten in gebietender Macht; und wo die Bäche sprangen, sahen sie der Blumen Prangen und der Früchte Hangen.

Auch der zweite Teil von Greves Textfassung läßt eine Assoziation mit der 'toten Stadt' bis in das Vokabular vom 'Verlassensein' stärker als in der Weil-Version erscheinen: Es war eine Stadt mit neinnehmbaren Toren, aber sie war leer und still, und keine Stimme ertönte, und kein Bewohner brachte Leben in das Bild. In ihren Winkeln schrie die Eule; über den Plätzen schwebte der Vogel dahin, und der Rabe krächzte in den großen Straßen und klagte und weinte um die Bewohner, die einst diese Stadt zu ihrer Stätte machten. Staunend und traurig ob der Verlassenheit der Stadt stand der Emir eine Weile da (...)

Sollte sich Karl May also tatsächlich an der Geschichte von der Messingstadt aus 1001 orientiert haben, so dürfte er dann wohl eher die Übersetzung von Greve als die von Weil gelesen haben: Wir erblickten Häuserleichen, die entweder einzeln oder auch in kleineren Gruppen, zuweilen aber auch in ganzen, ausgestorbenen Dörfern an unserem Wege lagen. Da, wo sie in größerer Menge zu sehen waren, zeigte es sich immer, daß es früher hier einen Bach, ein Flüßchen oder sonst ein fließendes oder auch nur stehendes Wasser gegeben hatte. Diese Leichen waren entweder nur teilweise oder auch ganz erhalten. Wir sahen zahlreiche Steinbrüche liegen, die ein äußerst dauerhaftes, widerstandsfähiges Material geliefert hatten. Die Ortschaften mit ihren steinernen Häusermauern und aus unzerstörbarem Lehm geschlagenen, platten Dächern besaßen oft ein Aussehen, als ob sie nicht schon vor Jahrhunderten, sondern erst vor kurzer Zeit von ihren Bewohnern verlassen worden seien. Die lange Dauer ihres Verlassenseins wurde dem Beschauer erst dann klar, wenn er stunden- und immer wieder stundenlang sich vergeblich bemühte, einen Baum, einen Strauch, ein Kraut oder auch nur einen einzigen Grashalm zu entdecken. Freilich, Bäume gab es gar wohl, in den einstigen Gärten, an den früheren Wegen, die man jetzt nur noch vermuten, nicht aber mehr sehen konnte; aber sie waren eben auch nur Leichen. [A+D II]

Und weiter: Wir sahen Hunderte von Straßen, Gassen und Gäßchen mit Tausenden und aber Tausenden von Tempeln, Kirchen, Moscheen, Palästen, Häusern und Hütten. Und das Alles machte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck des Verlassenseins, der Leblosigkeit, des Todes. Es gab keine Spur von Pflanzengrün, von Tier- und Menschenleben. Und doch war der Ausdruck 'Leblosigkeit' und 'Tod' nicht ganz richtig. Das Wort 'Schlaf' wäre vielleicht richtiger gewesen, aber auch wieder nicht. Es gibt überhaupt keine vollpassende, sprachliche Bezeichnung für das Gefühl, welches mich wie mit mächtigen, unwiderstehlichen Fäusten packte, als mein erstaunter Blick auf dieses ungewöhnliche, starre, öde, leere Häusermeer fiel. Diese Gebäude standen genau noch so da, wie sie vor Jahrhunderten gestanden hatten. Fast nichts war zerstört. Nur die weit draußen liegenden Hütten der Armut hatten sich in Trümmer, in formlose Haufen verwandelt, die aber nicht etwa Staub und Erde bildeten, sondern hart wie Eisen waren. [A+D II]

Der Eintritt in die Messingstadt erweist sich als nicht gerade einfach, die Tore sind von innen verschlossen, beim Versuch, die Mauer zu überqueren verlieren drei Männer nacheinander das Leben. Hierauf rief der Alte noch einmal: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen!« und ging bis zu zwei kupfernen, nach den Regeln der Kunst angelegten Türmen mit zwei goldenen Toren, an denen aber weder Schloß noch Riegel zu sehen war. Mitten am Tore war ein kupferner Reiter ausgehauen, welcher seine Hand ausstreckte, in deren Mitte war geschrieben: »O Wanderer, der du hierher kommst, willst du dieses Tor öffnen, so reibe zwölfmal den Nagel an meiner Brust, und sogleich wird sich dir das Tor mit der Erlaubnis des erhabenen Gottes öffnen.« Als der Alte dies tat, drehte sich der Reiter wie der Blitz herum, und das Tor öffnete sich; er stieg dann hinunter und kam in einen unterirdischen Gang, der zum Stadttore führte; aber auch dieses war mit Ketten und Schlössern verriegelt, viele Leichen lagen umher und allerlei Fahnen und Kriegsgeräte. Da dachte der Alte: Gewiß hat einer dieser Männer die Schlüssel zum Tore: er näherte sich ihnen daher und suchte, bis er den steinalten Torwächter fand, dem die Schlüssel zu Häupten lagen. Der Alte nahm die Schlüssel, räumte das Kriegsgerät weg und öffnete das Tor ganz allein, trotz seiner Höhe und Größe. Beim Öffnen des Tores vernahmen die Leute, die außen standen, ein Geräusch wie ein Donnern; freudig priesen die Leute Allah, sprangen dem Alten entgegen und wollten mit ihm in die Stadt gehen. [Weil]

Auch bei May läßt sich eine Tür nur schwer öffnen, hier muß Kara Ben Nemsi dazu chinesische Schriftzeichen entziffern. Die Szene, die Lorenz dazu vergleichsweise zitiert, ist freilich auch wenig geeignet, besondere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten erkennen zu lassen: Der Raum, in dem wir uns nun befanden, war ziemlich groß. Als wir uns da umschauten, sahen wir, daß ich Recht gehabt hatte, als ich vorhin annahm, wenn es hier eine Stube oder so etwas Aehnliches gebe, werde sie wohl mit einer Portierloge oder Hausmannsstube zu vergleichen sein. Es gab da wirklich Alles, was wir brauchten, nämlich alle möglichen Werkzeuge und, Gott sei Dank, auch die Schlüssel, die wir suchten. Es waren fünfzehn Stück. Sie hingen an der Wand, mit chinesischen Ziffern numeriert. [A+D II]

Dabei dürfte es wohl etwas weit hergeholt sein, die chinesischen Eisentore des Kuppelbaus als Inspiration für die chinesischen Schriftzeichen zu werten, ebensowenig dürften die beiden kupfernen Türme Vorbild für die beiden Säulen gewesen sein, deren Beschreibung Lorenz vergleichsweise anführt: (...) das Ergebnis war, daß es nur zwei Säulen gab, die nicht numeriert waren, und die lagen einander gerade gegenüber, die eine genau in der Mitte der Süd- und die andere genau in der Mitte der Nordseite der Gebäuderundung. Mit diesen beiden Säulen mußte es also eine besondere Bewandtnis haben. [A+D II]

Immerhin aber gibt es in der Konstruktion der Tore in der Messingstadt wie der Stadt der Toten eine Gemeinsamkeit. Beides sind Doppeltore, in deren Zwischenbereich sich jeweils ein Raum befindet: Er trat selbst an das Tor, ergriff den daranhängenden Klöppel und klopfte. Es wurde sofort geöffnet. Man schien auf dieses Klopfen gewartet zu haben. Jedenfalls hatte man uns kommen sehen. Das Tor war, wie ich nun sah, nicht ein einfaches, sondern ein doppeltes. Es gab zwei äußere und zwei innere Türflügel. Die einen schlugen auf den freien Platz heraus, die anderen nach dem Hof hinein. Zwischen beiden lag der Raum, in dem die Gefangenen in Empfang genommen und die hierbei gebräuchlichen Formalitäten erledigt wurde. [A+D II]

In der Messingstadt ist der Weg zwischen dem äußeren und dem inneren Torflügeln freilich etwas weiter, wie es diese zweite ausführlichere Version besonders gut verdeutlicht: Dann schritt er auf der Mauer hin, bis er zu den vorerwähnten zwei Messingtürmen kam, an denen er zwei goldene Tore entdeckte, die weder Schlösser noch sichtbare Eingänge hatten. Und er blieb dort stehen, solange es Allah gefiel, bis er inmitten des einen der Tore einen Reiter aus Messing erspähte, der die Hand ausgestreckt hielt, als zeige er, und in der Fläche seiner Hand war etwas aufgezeichnet. Er ging darauf zu und las diese Worte: 'O du, der du hierher gelangst, wenn du eindringen möchtest, so drehe den Wirbel auf meinem Nabel zwölfmal, und das Tor wird sich auftun.' Er untersuchte also den Reiter, und da er auf seinem Nabel einen goldenen Wirbel fand, der fest eingesetzt und gut befestigt war, so drehte er ihn zwölfmal, worauf sich der Reiter dem blendenden Blitz gleich wandte; und mit einem donnergleichen Getöse flog das Tor weit auf. Er trat ein und sah sich in einem langen Gang, darin ein paar Stufen zu einem Wachtraum niederführten, der mit schönen hölzernen Bänken versehen war; auf diesen Bänken aber saßen Tote, und über ihren Häuptern hingen schöne Schilde und scharfe Klingen und gebogene Bögen und fertig geschnittene Pfeile. Von dort aus kam er zum Haupttor der Stadt; und da er fand, daß es verriegelt war mit eisernen Riegeln und wunderlich geformten Schlössern und Ketten und Stangen und sonstigen Sicherungen aus Holz und Metall, so sprach er bei sich selber: 'Vielleicht sind die Schlüssel bei jenen Toten.' Und er kehrte zurück in den Wachtraum, und da er unter den Toten einen Alten sah, der auf einer hohen hölzernen Bank saß und ihm den Eindruck ihres Obersten machte, so sprach er in seiner Seele: 'Wer weiß, vielleicht sind sie bei diesem Schaykh? Zweifelsohne war er der Wachthauptmann der Stadt, und diese anderen standen unter seiner Hand.' Er trat also auf ihn zu, hob sein Gewand auf, und siehe, die Schlüssel hingen an seinem Gürtel; des freute er sich in höchster Freude, und ihm war, als müsse er fliegen vor Fröhlichkeit. Dann griff er nach ihnen, ging zu dem Tor, öffnete die Schlösser und zog die Riegel und Stangen zurück; und mit einem Krachen, dem schmetternden Donner gleich, flogen die beiden Flügel auf, so groß und gewaltig waren sie. [Greve]

Hinter den Toren jedoch sieht es ganz unterschiedlich aus. Während die Oberwelt von Mays Stadt der Toten von dem kleinen Gefängnis und Militärposten abgesehen, gänzlich verlassen ist, wimmelt es in der Messingstadt von Leichen in verschiedenen Verwesungszuständen, die insgesamt dennoch eher ein zeitloses, quasi eingefrorenes Bild des Todes bilden: Als der Alte hierauf an der Spitze der Hälfte seiner Leute die Straßen und die Märkte der Stadt durchzog, bewunderten sie die schönen Häuser, Schlösser und Bäche, die in der Stadt waren, und erstaunten über die vielen Leichen, die in den Straßen umherlagen. Auf dem Markte der Geldwechsler fanden sie alle Gerätschaften geordnet, aufgehängte Waagen, Gold und Juwelen, die niemand bewachte und niemand wegnahm, nur Leichen lagen dabei, die zum Teil schon in Verwesung übergegangen waren und nur noch die Knochen übrig hatten, als Warnung für Verständige. Sie kamen dann auf den Markt der Spezereihändler und sahen die Läden voll von dem feinsten Moschus, Ambra, Aloe und Kampfer, in Gefäßen von Elfenbein, Ebenholz, spanischem Messing und anderen Metallen, die so kostbar wie Gold waren und deren Eigentümer tot umherlagen. Hierauf gelangten sie an das königliche Schloß, das ganz unbewacht war; hier hingen Schwerter mit Gold verziert und daneben lagen tote Männer und Jünglinge, Schloßhüter und Adjutanten, deren Haut schon wie gedörrtes Fleisch aussah, und die man für Schlafende hielt. [Weil - das entsprechende ausführlichere Greve-Zitat wird im Vergleich mit der Beschreibung der 'Toten in der Stadt der Toten' weiter unten zitiert]

Schließlich betreten die Reisenden dann den großen Palast: Dann ging er weiter in das Innere des Palastes und kam in eine ungeheure Halle, wo in jedem der vier Winkel ein hoher und geräumiger Pavillon stand, belegt mit Gold und Silber und bemalt mit vielerlei Farben. Im Herzen der Halle aber stand ein großer Speibrunnen aus Alabaster, über dem ein brokatener Baldachin hing, und in jedem Pavillon befand sich ein Zimmer, und jedes Zimmer enthielt seinen reich geschmückten Brunnen und sein Becken aus Marmor, und am Boden hin liefen in Rinnen Wasserkanäle, die sich in einer weiten und großen Zisterne aus vielfarbigem Marmor trafen. [Greve - die Szene fehlt bei Weil]
Thomas Schwettmann

Ardistan & Haggardistan

Beitrag von Thomas Schwettmann »

6. Die Stadt der Toten

Diese Stadt lag vor uns wie der ohnmächtig zur Erde gesunkene Körper eines schönen Weibes, aus deren Angesicht jeder Tropfen Blut gewichen ist. Bleich, starr, bewegungslos! Aber sobald das Blut aus dem Herzen zurückkehrt, wird die Ohnmächtige aufspringen; ihre Augen werden leuchten, ihre Wangen glühen, und durch die überstandene Ohnmacht wird sie uns nur noch lieber und teurer werden, als sie uns vorher gewesen ist.
[Ardistan und Dschinnistan II]

Ich nahm sie in die Arme, strich ihr das lange, reiche, aufgelöste Haar aus der Stirn, rieb ihr die zarten Schläfe, legte, um der regungslosen Brust Athem zu geben, meinen Mund auf ihre Lippen, rief sie bei den zärtlichsten Namen, die ich jemals gehört, und - da ging ein Zittern über ihren Körper, erst leise, dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen ihres Herzens, trank den Hauch ihres Athems, sah die langen, seidenen Wimpern sich öffnen - sie lebte, sie erwachte, sie war dem Tode entgangen!
[Old Firehand]

In der 'Geschichte der Messingstadt' gibt es wie bei May zwei unterschiedliche Szenarien. Während bei May die 'Stadt der Toten' einen gänzlich verlassenen Eindruck macht und die Leichen lediglich in der unterirdischen 'Dschemma der Toten' zu finden sind, so gibt es in der Erzählung aus 1001 Nacht nicht nur die Messingstadt, in der im Gegensatz zu May auch die Straßen und Plätze mit Leichnamen übersät sind, sondern auch eine Art Vorposten der Stadt, zu dem die Reisenden noch vor dem Reiterstandbild und dem schwarzen Dämon gelangen. Dieser Vorposten ist ein riesiger Kuppelbau, der im Gegensatz zur Messingstadt völlig menschenleer ist bzw. in dem die Toten nicht frei herumliegen sondern in 400 Gräbern bestattet sind.

Bald sahen sie in der Ferne etwas Hohes und Schwarzes, sie gingen etwas näher und fanden ein Gebäude, so hoch und so fest wie ein Berg, ganz von schwarzen Steinen gebaut, mit furchtbar großen Altanen und einem chinesischen eisernen Tore, das einen blendenden Glanz von sich warf. Niemand wußte, wofür er dieses Riesengebäude halten sollte, das tausend Schritte im Umfang hatte und dessen hundert Ellen hohe bleierne Kuppel in der Ferne sich wie eine Rauchsäule ausnahm. (...) Er ging dann ins Schloß und bewunderte ungestört dessen schöne Bauart mit ungeheuren Räumen, in denen kein Mensch zu sehen war. Als er in den Hof kam, wo eine Kuppel sich erhob, fand er vierhundert Gräber. [Weil]

(...) und plötzlich erblickten sie am Weltrand, hoch und schwarz, einen großen Bau, aus dessen Mitte sich etwas wie Rauch bis zu den Grenzen des Himmels erhob. Sie ritten darauf zu, und sie ließen zu reiten nicht ab, bis sie sich ihm näherten, und siehe, es war eine hohe Burg auf festem Unterbau, groß und schauerlich wie ein ragender Berg, ganz aus schwarzen Steinen erbaut, mit drohenden Zinnen und einem Tor aus blankem, chinesischem Stahl, der die Augen blendete und den Verstand betäubte. Rings darum aber waren tausend Stufen, und was aus der Ferne wie Rauch erschienen war, das war eine bleierne Kuppel in der Mitte, hundert Ellen