Ilmers May-Buch

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rodger
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Ilmers May-Buch

Beitrag von rodger »

Sehr lesenswert, antiquarisch noch erhältlich: Walther Ilmer, „Karl May - Mensch und Schriftsteller. Tragik und Triumph“, Hansa Verlag, ca. 270 Seiten.

Einige sehr bemerkenswerte Stellen:
In „Schacht und Hütte“ veröffentlicht Karl May seine Aufsatzreihe „Geographische Predigten“, ein weltanschauliches Programm, inhaltlich anspruchsvoll und sprachlich von hoher Qualität – eine erstaunliche Leistung.

(S. 49)
Endlich einmal eine – in dieser Eindeutigkeit sehr seltene – angemessene Würdigung.
der im stillen nie aufhörte, seine Emma zu lieben, und dessen in den Prozessschriften ausbrechende wilde Hasstiraden und maßlose Übertreibungen diese Liebe, nur weil sie zum Scheitern verurteilt war, gewaltsam zuschütten.

(S. 104)
Interessanter Gedanke. Zwar bin ich im konkreten Fall nicht recht seiner Meinung, finde es aber beachtenswert, daß einer überhaupt so zu denken in der Lage ist, so in der Art meint Wollschläger sein wunderbares „He loved him“ in „Die Insel“, S. 97, über Arno Schmidt und May angesichts der von Schmidt losgelassenen vermeintlichen Nur-Haß-Tiraden.
In solchen Gestalten wie Frank und Halef, die alle Fehler und Schwächen des Menschen Karl May hervorkehren, hält der Autor sich seine ihm erhalten gebliebenen Unzulänglichkeiten – die er gar nicht ablegen will – vor Augen.

(S. 111)
Stark: „ nicht ablegen will“, vielleicht weil er erkannt hat daß er das gar nicht kann … (da fällt mir das Wohlgschaft-Zitat zu Carpio wieder ein: „In Carpio, dem 'zerrissenen', teilnahmslosen, zur Selbst-Zerstörung tendierenden Depressiven, hat der Schriftsteller das Erbärmliche, das Kranke – und absolut Hilfsbedürftige – bejaht und gerechtfertigt" (zwar sind Halef und Hobble Frank weder erbärmlich noch krank oder hilfsbedürftig, aber es geht bei ihnen wie bei Carpio um das Akzeptieren von Schwächen, kleinere hier, größere dort) sowie der Spruch „Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“ …)

Gelegentlich kommt Ilmer zu – m.E. – Fehleinschätzungen, etwa wenn er die „Old Firehand“ – Erzählung, die für mich zu Mays Wesentlichsten und Interessantesten gehört, heruntermacht, Winnetou als Bildnis Emmas (!) sieht und Letztere durch das ganze Buch hindurch wie ein Anwalt gleichsam zu verteidigen versucht. Aber insgesamt: ein einfühlsamer Betrachter und differenzierter Denker fern gängiger Schwarzweißmalerei, oberflächlichen Geplappers oder abstoßenden Akademikerhochmuts, womit man ja in Sachen May leider so oft konfrontiert wird.
markus
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:
In solchen Gestalten wie Frank und Halef, die alle Fehler und Schwächen des Menschen Karl May hervorkehren, hält der Autor sich seine ihm erhalten gebliebenen Unzulänglichkeiten – die er gar nicht ablegen will – vor Augen.

(S. 111)
Stark: „ nicht ablegen will“, vielleicht weil er erkannt hat daß er das gar nicht kann …
Können vielleicht schon, aber wäre dann nicht mehr er selber ("Mer bleeve wie wir sind").

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rodger
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von rodger »

Markus hat geschrieben:"Man muß sich vor allem erstmal selbst lieben, dann können einem alle anderen gern haben." - Eckart von Hirschhausen
Wenn man diesen überschätzten, medial hochgejubelten, marktgerecht geschickt agierenden relativ belanglosen Klugsprecher & Sprücheklopfer schon zitiert, sollte man das sprachlich korrekt tun, sonst kommt gleich der Bastian Sick um die Ecke, auch so einer von der Sorte ...

:mrgreen:

("Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge ihren Schatten", zwar offenbar doch nicht von Karl Kraus, aber hübsch, egal von wem, und wie in weiser Vorausschau zeitgenössischer Medien-"Stars" ...)

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markus
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:
Markus hat geschrieben:"Man muß sich vor allem erstmal selbst lieben, dann können einem alle anderen gern haben." - Eckart von Hirschhausen
Wenn man diesen überschätzten, medial hochgejubelten, marktgerecht geschickt agierenden relativ belanglosen Klugsprecher & Sprücheklopfer schon zitiert, sollte man das sprachlich korrekt tun, sonst kommt gleich der Bastian Sick um die Ecke, auch so einer von der Sorte ...

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("Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge ihren Schatten", zwar offenbar doch nicht von Karl Kraus, aber hübsch, egal von wem, und wie in weiser Vorausschau zeitgenössischer Medien-"Stars" ...)

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"Man muß sich vor allem erstmal selbst lieben, dann können einem alle anderen gern haben." - Eckart von Hirschhausen

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rodger
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von rodger »

Interessant Ilmers Deutungsansatz zu "Ein Rätsel" (in [Fehsenfeld] Band 27); Marah Durimeh wird als "Großmutter, Mutter, Menschheitsseele und Licht der Verheißung, alles in einem" bezeichnet, als "Leitstern einer Gedankenwelt", und Kara Ben Nemsi (in F 27) als auf der "Suche nach dem Bild der Großen Mutter" (S. 143). So gesehen ließe sich (das Folgende ist jetzt meine Interpretation (bzw.: eine von mehreren, sich mischen könnenden Interpretationsmöglichkeiten ...) aufgrund Ilmers Interpretation ...) das nie erklärte Gefangenseins Marah Durimehs in einem Turm deuten als Verschüttet-Sein ihres Bildes in Karl Mays Innern, May resp. Kara Ben Nemsi muß einen Zugang erneut finden, den er früher einmal schon [besser] hatte und der ihm teilweise verlorenging ... Dieser Turm, aus dem er sie herausholen muß, läge also, wie so vieles, in seinem eigenen Innern ... interessanter Gedanke ... ich hatte bis heute so meine Schwierigkeiten mit diesem "Ein Rätsel", es war mir in der Tat ein solches, aber dieser neue Gedanke könnte hilfreich sein ...
Thomas Math
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von Thomas Math »

Was zum Geier ist denn eine Menschheitsseele ?
Was ist im Innern (wo ist das uebrigens ?) Mays verschuettet und heisst Marah Durimeh ?
Die geografischen Predigten, da muss ich Ilmer widersprechen,sind das langweiligste was der Autodidakt in fruehen Jahren geschrieben hat.
Kein Wunder das sie lange Jahre in der verdienten Versenkung verschwanden.
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rodger
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von rodger »

Thomas Math hat geschrieben:Was zum Geier ist denn eine Menschheitsseele ?
Mit dem Begriff habe ich ehrlich gesagt auch so meine Schwierigkeiten …

Versuchen wir’s mal so: wir haben alle ein Herz, eine Lunge, eine Leber, eine (oder auch zwei) Niere(n) usw. … und eine Seele. Und so wie(, frei nach Peter Rosegger,) unsere Lebern und Nieren viel Gemeinsames haben, so auch unsere Seelen … (auch wenn es nicht immer den Anschein haben mag …) „Spottgeburt von Dreck und Feuer“ sagt Faust zu Mephisto, fällt mir gerade ein. Also mal so in die Richtung denken (hat Goethe vielleicht anders gemeint, aber egal …). Dreck (klingt hart, ja …). Und Feuer. (Licht.) - Da gibt’s doch so hübsche Sachen in der Mathematik, kgV, ggT … Ok, war 'n Versuch.
Thomas Math hat geschrieben:Was ist im Innern (wo ist das uebrigens ?) Mays verschuettet und heisst Marah Durimeh ?
Zugang zu Weisheit, Wahrheit, Bewusstheit, Verbundenheit[sgefühl], Licht, Klarheit, Liebe, Gott … („Nenn’ Se’s wie Se wollen“ …)

Aber damit es nicht zu schwülstig oder pathetisch klingt und Du damit etwas anfangen kannst, stell’ Dir vor Dein jüngstes Kind (ich weiß ja nicht wie alt sie jetzt sind … ggf. vor ein paar Jahren …) kommt [an einem schönen Sommertag] im Garten auf Dich zugelaufen und Du siehst in leuchtende Augen und bist einen Moment lang so richtig glücklich … also so ungefähr sowas in der Art. (Kannst Du natürlich auch mit Biochemie, Neuronen, Synapsen und was weiß ich was erklären, aber das willst ja nicht einmal Du …)

Und die Sache mit dem Verschüttetsein und Zugang verloren haben und wieder bekommen müssen kriegen wir auch auf dieser Schiene hin, stell’ Dir vor in zehn oder weiß ich wie viel Jahren nimmt er oder sie Drogen und macht Dich nieder und macht Dich fertig und lässt vielleicht kein gutes Haar an dem [Wohlstands- und] Kindheitsidyll und lässt auch Dich alles Schöne und Gute fast vergessen … dann wieder an die leuchtenden Augen denken um wieder [zu versuchen] Zugang zu finden …

:wink:

(Jetzt nicht sagen ich sei zynisch (wegen dieser kleinen 'Vision' mit den Drogen usw.). Kann ich doch nichts dafür daß die Welt so ist wie sie halt ist …)
Thomas Math hat geschrieben:Die geografischen Predigten, da muss ich Ilmer widersprechen,sind das langweiligste was der Autodidakt in fruehen Jahren geschrieben hat.
Kein Wunder das sie lange Jahre in der verdienten Versenkung verschwanden.
Sie gehören wie die „Himmelsgedanken“ zu Mays wesentlichsten Werken, nur war und ist die vielzitierte kompakte Majorität offenbar nie (war nie, ist nicht und wird vermutlich nie sein …) in der Lage, das zu erkennen … (ist auch vielleicht bissel schwierig ... wirkt beides erstmal teilweise kitschig, unbeholfen, unfreiwillig komisch usw. ... Muß man sich halt nicht dran stören und nicht von ablenken lassen sondern halt inhaltlich gucken ... (und wenn möglich verstehen))
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Doro
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von Doro »

rodger hat geschrieben:
der im stillen nie aufhörte, seine Emma zu lieben, und dessen in den Prozessschriften ausbrechende wilde Hasstiraden und maßlose Übertreibungen diese Liebe, nur weil sie zum Scheitern verurteilt war, gewaltsam zuschütten.

(S. 104)
Interessanter Gedanke. Zwar bin ich im konkreten Fall nicht recht seiner Meinung, finde es aber beachtenswert, daß einer überhaupt so zu denken in der Lage ist, so in der Art meint Wollschläger sein wunderbares „He loved him“ in „Die Insel“, S. 97, über Arno Schmidt und May angesichts der von Schmidt losgelassenen vermeintlichen Nur-Haß-Tiraden.
Macht durchaus Sinn, wenn noch nicht aufgearbeitete Gefühle im Spiel sind, kann Hass das Ventil sein. Irgendjemand hat mal geschrieben >das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass sondern Gleichgültigkeit< müßte jetzt aber suchen, wer.
Evtl. hat KM ja seine Kindheitszurückweisung bei Muttern in irgendeiner Form auf seine Emma projeziert bzw. hat sich da irgendwas vermischt in seinem Inneren.
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Doro
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von Doro »

Thomas Math hat geschrieben:Was zum Geier ist denn eine Menschheitsseele ?
Möglicherweise assoziierbar mit 'collective consciousness'
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rodger
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von rodger »

Doro hat geschrieben: Evtl. hat KM ja seine Kindheitszurückweisung bei Muttern in irgendeiner Form auf seine Emma projeziert bzw. hat sich da irgendwas vermischt in seinem Inneren.
Na klar, auch ... Laut Ilmer hat er es noch auf seine Leser projiziert, in der Renommierzeit ... wollte von ihnen die Anerkennung, "Liebkind" zu sein, die die Mutter vermissen ließ ... hat natürlich auch nicht funktioniert ...
markus
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:...wir haben alle ein Herz, eine Lunge, eine Leber, eine (oder auch zwei) Niere(n) usw.
Hast du jetzt das Hirn extra vergessen? Wenn ja, war das großartig... :D
Kann ich doch nichts dafür daß die Welt so ist wie sie halt ist …
Halbwahr. Jeder trägt eine kleine Mitschuld an dem großen Ganzen.

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markus
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von markus »

Doro hat geschrieben:>das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass sondern Gleichgültigkeit<
So wie wenn über Prominente in Zeitungen nur noch schlechtes steht. Schlimmer wäre für manche wenn sie überhaupt nicht mehr im Gespräch wären.
markus
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:
Doro hat geschrieben: Evtl. hat KM ja seine Kindheitszurückweisung bei Muttern in irgendeiner Form auf seine Emma projeziert bzw. hat sich da irgendwas vermischt in seinem Inneren.
Na klar, auch ... Laut Ilmer hat er es noch auf seine Leser projiziert, in der Renommierzeit ... wollte von ihnen die Anerkennung, "Liebkind" zu sein, die die Mutter vermissen ließ ... hat natürlich auch nicht funktioniert ...
Blödsinn. Ich habe von meiner Mutter Anerkennung erfahren und möchte sie auch heute noch erfahren (ich müßte ja demnach eigentlich gesätigt sein). Jeder strebt danach und erzählt mir nicht daß euch das kalt läßt wenn euch einer auf die Schulter klopft. Es fängt als Baby an und hört nicht mehr auf. Vielleicht wirds im hohen Alter weniger, kann ich nicht beurteilen, war noch nicht oft alt.
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Doro
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von Doro »

markus hat geschrieben:Blödsinn. Ich habe von meiner Mutter Anerkennung erfahren und möchte sie auch heute noch erfahren (ich müßte ja demnach eigentlich gesätigt sein). Jeder strebt danach und erzählt mir nicht daß euch das kalt läßt wenn euch einer auf die Schulter klopft. Es fängt als Baby an und hört nicht mehr auf.
Das Eine muss das Andere ja (wie immer) nicht zwangsläufig ausschließen.
Allerdings ist eine mütterliche Ab-/Zurückweisung sicher schmerzhafter, als eine anderweitige.
Glaubt mensch der modernen Psychologie, dann ist ja das gesamte Verhalten, welches wir an den Tag legen, ausschließlich davon geprägt, wie die emotionalen Konstellationen familiärer (insbesondere mütterlicher) Art waren/sind.
Vielleicht wirds im hohen Alter weniger, kann ich nicht beurteilen, war noch nicht oft alt.
Na ja, alt aussehen kenn ich durchaus und frag nicht, wie ich mich manchmal fühle... Da frag ich mich doch ab und an, ob ich sooo alt überhaupt werden kann
:mrgreen: :mrgreen:
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Hermann Wohlgschaft
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Re: Ilmers May-Buch

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Nur so nebenbei: Der Ausspruch »Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit« stammt von Elie Wiesel.
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