Ich zuerst und dann die anderen ...

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marlies

Ich zuerst und dann die anderen ...

Beitrag von marlies »

Immer wieder, das heisst, fast immer (in den Texten die ich uebersetze), wenn May sich selber und jemand anders aufzaehlt, stellt er sich zuerst hin und danach die anderen, so zum Beispiel:

... Wir, das heisst, Ich und Winnetou, gingen ...

Wenn damals (vor so circa fast einem Jahrhundert) meine Lehrer mir mit mehr oder weniger erfolgreichen Methoden das Einmaleins und andere Sachen beibringen wollten, wurde mir auch eingetrommelt dass wenn man 'sich' und 'andere' in einer Aufzaehlung erwaehnt, man IMMER die Anderen - politically correct - nennen soll, und erst nach allen anderen, sich selber, so zum Beispiel:

... Wir, das heisst, Winnetou und ich, gingen ...

Wenigstens ist May 'consistent' das heisst er hat sich 'meerschtenteels' oder so ziemlich immer, zuerst gestellt.

Meine Frage: ist das ein May-ism, oder hat sich 'convention' ueber die Jahzehnte hindurch so veraendert dass man die Version ... '... Ich und Winnetou ... ' also 'falsch' sehen MUSS und es auf ... '... Winnetou und Ich ...' korrigieren MUSS.

Ich frage nur weil ich dazu selber keine Antwort finde und es doch interessant finde ...

thanx - cheerio

(dazu moechte ich erleutern dass ich immer zuerst die 'Situation' anschaue BEFOR ich eine solche 'Korrektur' oder vielleicht 'Bearbeitung' vornehme ... und in vielen Faellen 'Ich und Winnetou' stehen lasse, weil's eben passt...und ich es persoenlich NICHT als Suende sehe.)
markus
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Ich zuerst und dann die anderen ...

Beitrag von markus »

Hallo,

also mir ist dies bisher nicht aufgefallen, obwohl ich auch einer bin der gerne nebensächliches in Mays Werken sieht, aber nur weils Spaß macht, nicht aus akribischer Forschungsarbeit :wink: .
Im Grunde ist es mir auch egal ob May sich wichtiger nimmt als seine Figuren. Daher fiel es mir auch bisher wohl nicht auf.

Vieleicht tat er es bewußt um zu unterstreichen daß es sich um Erzählungen handelt die er selbst erlebt hat (wie er ja immer wieder beschwor), richtige Reiseerzählungen halt. Selbst erlebt. Da würde wohl jeder von uns sich selber rausstellen wenn er aus seinem eigenen Reisetagebuch einen Roman schreiben würde.

Gruß Markus:)
Rene Grießbach
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Beitrag von Rene Grießbach »

Mir ist das zwar auch hin und wieder aufgefallen, hab dem aber keine Beachtung geschenkt.
Interessant an dem Problem, welches Marlies anspricht, ist allerdings, dass in dem Bucn "Am Jenseits" sich Hadschi Halef Omar von Kara Ben Nemsi belehren lassen muss, dass man sich selbst in der Aufzählung zuletzt nennt.
Also war das schon dazumal üblich. Nur dass hierin der Karl nicht sehr konsquent war. (Oder sind die Stellen in "Am Jenseits" als Selbstkritik Mays zu lesen ...?)
Gruß René
marlies

Beitrag von marlies »

Selbstkritik oder der Spiegeleffekt (ist das das richtige Wort?) den Literatur per se hat - vielleicht beides; mit der Evolution einer Sprache kommen auch Aenderungen im 'Umgang' damit, was man als 'appropriate' oder 'inappropriate' empfindet. May hat (in den Werken die ich bis jetzt durcharbeitet habe) vieles von seiner direkten Umgebung eingearbeitet, Kleinigkeiten die sich in der Kultur als neu einordneten, wie zum Beispiel der Wechsel von Taler zu Mark (oder von aelteren zu neueren Geldeinheiten) ... So auch hier ... mit dem Hadji Halef Bemerk von 'Im Jenseits' (1899) ist es fast auffaellig ... eine Wiederspiegelung von einer neuen Umgangsform die ins Schreiben der Sprache Eingang fand (?). Die 'anderen' zuerst und erst am Schluss, als eine Hoeflichkeitsfloskel, sich selber.

Nur so eine Theorie, vielleicht wenn jemand auf das 'ich' zuerst in anderen deutschen Buechern von before 1900 stoesst, es mal notieren. Ein schneller Blick in die Werke-CD brachte 'ich und die anderen' auch in W4 (1910) noch hervor (mehr hab ich nicht angeschaut) - eher ein Fall von 'was Haenschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr'.

Mir scheint das 'ich' zuerst als instinktiv natuerlicher (mehr dem Selbsterhaltungstrieb einzuordnen als das andere), und das 'ich' zuletzt als eine kuenstliche Umgangsformel. Waere es in den Schulen von damals schon angelernt geworden, haette es May ganz sicher gebraucht ... so pedantisch war er auch wieder. Meinen Lehrer hoere ich jedenfalls noch heute sobald ich 'ich und die anderen' schreiben will.

Ist das die Passage (unten)? Scheint eine Schulmeisterliche Belehrung zu sein ... etwas neues wurde in die Umgangsformeln der damaligen 'Kultur' beigefuegt (und beibehalten).

quote:
Wir sind nichts Besseres als andere Menschen und haben keine Ursache zu solchen Posaunentönen, wie du immer erschallen lässest, wenn von dir und mir die Rede ist. Hörst du wohl, ich sage ›dir und mir‹. Weißt du, was ich meine?«
»Nein.«
»So oft ich von uns beiden spreche, bin ich so höflich, dich zuerst zu nennen; das habe ich stets gethan. Du aber sagst stets ›mir und dir‹ oder ›mich und dich‹, stellst also immer dich voran! Das habe ich jahrelang beobachtet und niemals eine Ausnahme bemerkt. Kannst du dir wohl denken, als welchen Beweis ich mir diesen an und für sich geringfügigen Umstand wohl habe gelten lassen?«
»Sihdi, von diesem Umstande weiß ich ja gar nichts!«
»Das ist es ja eben! Wenn ich mit dir von uns beiden spreche, so denke ich nicht nur an die dir schuldige Höflichkeit, sondern auch an meine Freundschaft und Liebe zu dir, welche mich bestimmen, dich stets voranzusetzen. Du aber weißt nichts davon; du denkst gar nicht daran, und weil du dich für einen ungeheuer bedeutenden Menschen hältst, bringst du dein liebes Ich ohne alle Ausnahme stets zuerst.«
[Karl Mays Werke: Am Jenseits. Karl Mays Werke, S. 63337
(vgl. KMW-V.1, S. 69-70)
http://www.digitale-bibliothek.de/band77.htm ]
unquote
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