Endlich Wohlgschaft Biographie erschienen

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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

In Mays Reiseerzählungen bis 1900 gibt es nur wenige herausragende Frauengestalten. Außer an Hanneh und Nscho-tschi denke ich – wie Rüdiger Wick – besonders an Kolma Puschi in ‚Old Surehand‘, an Marah Durimeh in ‚Kurdistan‘ und, nicht zuletzt, die betörend schöne Judith Silberstein in ‚Satan und Ischariot‘.

In den Jugendromanen bei Spemann (‚Der Sohn des Bärenjägers‘ u.a.) gibt es allerdings nur männliche Helden. In den Kolportageromanen aber finden wir interessante Frauengestalten in Hülle und Fülle. Oft sind diese Frauen so etwas wie ‚frühe Pollmer-Studien‘: fiktionale Spiegelungen von Emma Pollmer (Mays erster Ehefrau) in allen denkbaren Facetten. In den idealisierten, ‚engelgleichen‘, Frauen begegnet uns Emma Pollmer als Wunschprojektion des Dichters; in den ‚Weibsteufeln‘ hingegen (z. B. in Miranda in ‚Deutsche Herzen‘) begegnet uns Emma als dämonisierte Angstprojektion Karl Mays.

Näheres bei Ralf Harder: Karl May und seine Münchmeyer-Romane. Ubstadt 1996, S. 124; vgl. auch Wohlgschaft-Biographie Bd. I, S. 543ff., 556ff., 586ff. u.ö.

Ralf Harder
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rodger
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Beitrag von rodger »

Ein Personenregister zu den literarischen Figuren gibt es übrigens nicht in der Wohlgschaft-Biographie. Schade. Hatte ich eigentlich erwartet bei dem Umfang des Anhangs.

Alternative: im ausführlichen Inhaltsverzeichnis (Band 3 hinten) blättern, gucken, so den Weg zu jeweiligem Werk und Figur finden (geht ganz gut, wenn man sich einigermaßen auskennt)
Dernen
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Beitrag von Dernen »

Denkt man ein bißchen länger nach, fallen einem durchaus mehr interessante Frauenfiguren aus den Reiseerzählungen ein. Mir speziell die sympathische Ingdscha aus "Durchs wilde Kurdistan". Und speziell die Abschiedsszene zwischen ihr und Kara Ben Nemsi mochte ich hoffnungsloser Romantiker stets:

Ingdscha fragt:

»Scheint der Mond bei euch auch so wie bei uns?«
»Ganz so.«
»Herr, blicke am Abend eines jeden Vollmondes zu ihm empor; dann werden sich da oben unsere Augen treffen!«
Jetzt war ich es, der ihr die Hand hinüberreichte.
»Ich werde es tun - und ich werde auch an anderen Abenden deiner gedenken, wenn der Mond am Himmel steht. So oft du ihn erblickst, so denke, daß er dir meine Grüße bringen soll.«


Seufz!
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rodger
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Beitrag von rodger »

Das Wiedersehen in Band 27 ist ja noch mehr zum Seufzen.

Wie heißt es in einem Baudelaire-Gedicht, oh Du, die ich geliebt hätte, oder so ähnlich, je nach Übersetzung. Vorbei ist vorbei.

:wink:
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rodger
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Beitrag von rodger »

Es gibt auch diese scheinbar unauffälligen Frauenfiguren, über die Karl May gar nicht viel schreibt, wo man aber als geneigter Leser ahnt, dass sich da einiges hinter verbirgt. Die Schefaka aus zwei kürzereren Erzählungen ist so ein Fall (siehe Thread „Schefaka“ ebenfalls unter „Seine Biografie“), oder die Benda aus der „Todeskarawane“ (erster Teil von „Von Bagdad nach Stambul“), das habe ich gerade heute wieder gelesen, der Leser erfährt sehr wenig über sie, aber spätestens als sie stirbt (vorher hatte der Erzähler schon deutlichst sein Missbehagen über den Mann zum Ausdruck gebracht, der für sie vorgesehen ist) ahnt man, dass das sozusagen wohl eine der verschwiegenen Liebesgeschichten des Ich-Erzählers war.

Da lag sie, die >Siegerin<, todesbleich, mit geschlossenen Augen und halb geöffneten Lippen, als ob sie im Traume flüstern wolle. Diese prächtigen Augensterne waren für immer erloschen; diesen Lippen konnte kein warmer Ton mehr entströmen, und der kalte Stahl hatte den Puls dieses reinen Herzens zerschneiden müssen. Sie lag vor mir, eine herrliche Menschenblume, die im ersten Augenblick ihres Blühens verwelken mußte.
peter seidel
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Beitrag von peter seidel »

Hallo Hermann,
du schreibst (laut Eintrag von charmides am 5.3.06), dass nach 1900 das "weibliche Prinzip" für Karl May immer mehr an Bedeutung gewann. Wie soll ich das verstehen? Was heißt "weibliches Prinzip"? Und warum wurde "das Weibliche" für May immer wichtiger? Gibt es dafür bestimmte Gründe in der Lebensgeschichte Karl Mays?
Herzlichen Gruß, Peter
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hallo Peter,

auf Deine Fragen möchte ich etwas ausführlicher antworten. Heute und morgen aber bin ich zu sehr beschäftigt mit anderen Dingen. Ich hoffe, am Samstag oder Sonntag die für eine eingehende Antwort nötige Zeit zu finden.

Bis bald, Hermann

Hallo Forumsteilnehmer/innen,

ein von Dieter Sudhoff verfaßter ‚Offener Brief an Andreas Graf‘ (Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Nr. 147/2006, S. 53ff.) enthält sehr fragwürdige, ja irreführende Bemerkungen zur ‚Wohlgschaft-Biographie‘. Ich werde dazu Stellung nehmen, zunächst hier im Forum, später – voraussichtlich – in den Mitteilungen der KMG.

Hermann Wohlgschaft
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hallo Peter und charmides,
liebe Forumsteilnehmer/innen,

das „ewig Weibliche“ in den Spätwerken Mays, die nach 1900 verstärkte Hinwendung des Dichters zum „weiblichen Prinzip“ ist ein großes Thema, das mich seit langem beschäftigt. Meine Gedanken zu diesem Thema finden sich teilweise in den Bänden II u. III der Biographie, vor allem aber in einem längeren Essay unter dem Titel: ‚Die „größte Macht der Erde“. Das „ewig Weibliche“ in den Spätwerken Karl Mays‘.

Im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2006 wird dieser Aufsatz erscheinen. Die folgenden Zwischenüberschriften lassen erkennen, was die Leser/innen erwartet:

I. Zur Entwicklung des Autors
Abschied vom männlichen Heldenideal
Beweggründe für den Neubeginn
Die religionsgeschichtliche Perspektive

II. Das ›weibliche‹ und das ›männliche‹ Prinzip
›Das Mutterrecht‹ (1861)
Die matriarchale Gesellschaft
Zur Synthese der Gegensätze

III. Mann und Frau in den Spätwerken Mays
Die Religion der Liebe
Die Führungsrolle der Frau
Der integrierte Mann
Die verwandelnde Kraft des Eros
„Das war der Einfluß edler Weiblichkeit“
Die ideale Partnerbeziehung
Die himmlische „Shen“
Die ›heilige Hochzeit‹
›Inkarnationen‹ der göttlichen Liebe
Das ›weibliche Antlitz‹ Gottes

IV. Die neue Sinnlichkeit
Die verdeckte Erotik
Die Zähmung des Wunderrappen
Die konsekrierte Leiblichkeit
Die Faszination des weiblichen Körpers
Die Sexualität als Chiffre der Transzendenz
Die junge Aschta und ihr Geliebter
Die Symbolik des Fliegens
Die Rückkehr des Paradieses

Worum geht es in diesem Essay? Ich versuche, wie gesagt, den Aufweis: Nach der Jahrhundertwende gewann – vor religionsphilosophischen Hintergründen – das „ewig Weibliche“ immer mehr an Bedeutung für Karl May.

Peter, Du fragst nach den biographischen Aspekten für diese ‚Wende‘. Ich sehe es so: Mays Neuorientierung hat mehrere Gründe, unter anderem Mays Suche nach dem ‚Schutz der Mutter‘ (im Zusammenhang mit Angstphantasien schon Mitte der 1890er Jahre) und darüber hinaus Mays – noch wenig erforschte – Auseinandersetzung mit fernöstlichen Religionen (im Zusammenhang mit dem Roman ‚Et in terra pax‘). In meinem Beitrag für das Jahrbuch 2006 – und mehr noch in einem weiteren, für das Jahrbuch 2007 vorgesehenen Aufsatz über ‚Spuren des Taoismus im ‚Friede‘-Roman Karl Mays‘ – gehe ich auf diesen letzteren Gesichtspunkt näher ein.

Was versteht man unter dem „weiblichen Prinzip“? Im Anschluß an das berühmt gewordene, von dem Matriarchatsforscher J.J. Bachofen verfaßte Werk ‚Das Mutterrecht‘ (1861) könnte man sagen: Das weibliche bzw. das mütterliche Prinzip steht für den Frieden, für zärtliche Hingabe, für die Liebe auch zu den Schwachen und Hilfsbedürftigen. Das männliche bzw. väterliche Prinzip aber steht eher für den Kampf, bisweilen auch für Gewalt, für hierarchische Strukturen und abstraktes Denken.

Es ist nicht anzunehmen, daß May ‚Das Mutterrecht‘ von Bachofen gekannt hat. Aufgrund seiner Beschäftigung mit der altchinesischen Weisheit (die das ‚weibliche‘ Prinzip dem ‚männlichen‘ vorzieht) hatte sich May aber Kenntnisse erworben, die an manche Thesen von Bachofen erinnern und die die herausragende Rolle der Frau in Mays Spätwerk – teilweise – erklären.

Mehr darüber später, in den Jahrbüchern 2006 und 2007.

Mit besten Grüßen
Hermann Wohlgschaft
charmides
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Beitrag von charmides »

Hallo Hermann,

danke für deine Bemerkungen zum „weiblichen Prinzip“ in Mays Spätwerken. Ich freue mich schon auf das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2006.

Gespannt bin ich aber auch auf deine Entgegnung zum ‚Offenen Brief‘ Dieter Sudhoffs, dem ja deine May-Biographie wohl eher mißfällt!

Mit herzlichem Gruß
charmides
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Liebe Forumsteilnehmer/innen,

wie angekündigt stelle ich in diesem Thread meine – noch vorläufige – Stellungnahme zum ‚Offenen Brief‘ Dieter Sudhoffs (Mitteilungen der KMG 147/2006, S. 53ff.) zur Diskussion:

1. Sudhoff schreibt: „Mit einer Ausnahme (...) enthält die [Wohlgschaft-] Biographie kein einziges uns neues, auf eigener Forschung beruhendes biographisches Faktum.“

Richtig ist: Im Vergleich zu den bisher erschienenen BIOGRAPHIEN enthält die Neufassung der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ eine ganze Menge an neuen biographischen Details, darunter auch solchen, die von mir selbst erforscht wurden (z. B. Bd. II, S. 938-942 u. S. 1482-1489 oder Bd. III, S. 1586ff.). Darüber hinaus finden sich in der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ sehr wohl biographische Fakten, die auch die Sudhoff/Steinmetz-Chronik NICHT enthält, z. B. die von May stammenden Markierungen in wichtigen, für das bessere Verständnis des Mayschen Erzählwerks relevanten Büchern in Mays Bibliothek in der Villa „Shatterhand“.

Im übrigen: Die Aufgabe des Biographen besteht doch nicht (zumindest nicht vorrangig) darin, bisher unbekannte biographische Daten ans Licht zu bringen. Sache des Biographen (im Unterschied zur Aufgabe des Chronisten) ist es vielmehr, die bekannten Ereignisse in fesselnder Weise zu schildern, die einzelnen Fakten in einen größeren Zusammenhang zu stellen und das Gesamtphänomen möglichst treffend zu interpretieren. Ich hoffe, daß mir dies geglückt ist.

2. Sudhoff schreibt: „Wohlgschafts Biographie ist eine beschreibende Interpretation (...) des Lebens und Schreibens von Karl May aus theologischer Sicht. Damit sind Vorzug und Nachteil der Arbeit benannt; die persönliche Wertung ist abhängig vom religiösen Standpunkt des Lesers.“

Richtig ist: Ein aufgeschlossener, unvoreingenommener Leser, der ‚das Religiöse‘ in Mays Schriften nicht von vorneherein als ‚krankhaft‘, als ‚heuchlerisch‘ oder ‚unwichtig‘ heruntermacht, wird die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ vermutlich mit größerem Gewinn zur Kenntnis nehmen als ein eingefleischter Atheist.

Es stimmt aber keineswegs, daß die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ (wie Sudhoff suggeriert) NUR „aus theologischer Sicht“ geschrieben sei. In brieflichen Zuschriften, in E-Mails und Internet-Diskussionsforen betont denn auch so mancher Leser: Die christliche Religion und/oder die christlichen Kirchen seien ihm zwar weniger wichtig, die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ aber finde er dennoch sehr lesenswert.

Auch wer sich selbst für religionslos oder für unchristlich hält, kann nicht bestreiten, daß sich May zum christlichen Glauben bekannte. Folglich ist es doch legitim, ja geradezu notwendig, daß ich – als Sachkundiger auf diesem Gebiet – theologischen Fragen mich stelle: vor allem (z. B. in Bd. III, S. 1554-1576) der Frage, ob und in welchem Grade Mays ‚Gefühlsreligion‘ (wie sie im Erzählwerk, in den autobiographischen Schriften und in der privaten Korrespondenz zum Ausdruck kommt) einer theologischen Prüfung standhalten könnte.

3. Sudhoff schreibt: „Herr Wohlgschaft hätte seine Biographie dem KMV anbieten können. Wäre [!] sie in Bamberg angenommen worden, hätte er selbstverständlich ebenfalls freien Zugang zum Nachlaß erhalten. Da es ihm aber offenbar lieber war, das Projekt in Bargfeld zu realisieren, mußte er zwangsläufig [!] darauf verzichten.“

Das klingt ja fast zynisch. Richtig ist: Der Karl-May-Verlag hatte sich für die ‚Wohlgschaft-Biographie‘, aus welchen Gründen auch immer, bisher nie interessiert. Der Verleger Hermann Wiedenroth in Bargfeld hingegen hatte schon im Jahr 2001 signalisiert, daß er diese Biographie – aktualisiert – in der Abteilung IX der HKA aufnehmen würde.

Ich frage besonders Dich, lieber Ralf: Hätte ich, um Zugang zum Nachlaß zu erhalten, die May-Biographie dem KMV anbieten und zuvor das Erscheinen der Sudhoff/Steinmetz-Chronik abwarten sollen? Auch frage ich Dich, ob ich meine objektive Darstellung über die Entstehung der Münchmeyer-Romane, daß es mit größter Wahrscheinlichkeit keine Fremdeinschübe in den Erstausgaben gibt, ohne Probleme im KMV hätte veröffentlichen können? Ich denke da beispielsweise an die Münchmeyer-Diskussion auf der KMG-Pinnwand:
http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... rauned.htm

Nochmals weise ich darauf hin: Lothar Schmid, der Bamberger Verleger, hatte mir zugesagt, unter bestimmten Voraussetzungen aus der Korrespondenz May/Fehsenfeld (also einem wichtigen Dokument des Mayschen Nachlasses) wörtlich zitieren zu dürfen. Obwohl die Bedingungen Schmids erfüllt wurden, hat der Bamberger Verleger sein Versprechen nicht eingehalten und mir – unter juristischen Drohungen – untersagt, aus der May/Fehsenfeld-Korrespondenz zu zitieren. Diese Vorgänge kann jeder nachlesen. Sie wurden vor einem Jahr in den KMG-Nachrichten 143, S. 23-24, dokumentiert. Hier noch einmal der vollständige Text:
Über die Schwierigkeit Karl-May-Forschung zu betreiben
Der Verleger Lothar Schmid blockiert das Zitieren aus der Korrespondenz May/Fehsenfeld

Im Februar 2004 konnte ich im Radebeuler Karl-May-Museum, durch die Vermittlung von Direktor René Wagner, Einblick nehmen in die vollständige (bisher unveröffentlichte) Maschinenabschrift der Korrespondenz May/Fehsenfeld. Seit März 2004 nun bemühe ich mich, von Lothar Schmid – der meine Forschungsarbeit in früheren Jahren gelegentlich unterstützt hatte – die Erlaubnis für die wörtliche Wiedergabe einzelner Briefstellen zu erhalten. Schriftlich und telefonisch betonte Schmid, daß ich ohne seine Genehmigung nicht zitieren dürfe. Wie mir Herr Schmid im Frühsommer 2004 allerdings versicherte, würde ich diese Genehmigung bekommen, wenn der Karl-May-Verlag – gleichsam als Gegenleistung – Material aus dem Besitz der Karl-May-Stiftung publizieren darf. In einer späteren Verhandlungsphase stellte Lothar Schmid eine zusätzliche Bedingung: ich solle ihm exakt aufschlüsseln, welche (bisher unpublizierten) Zitate aus der Korrespondenz May/Fehsenfeld ich bringen wolle. In allen Punkten bin ich Herrn Schmid sehr entgegengekommen. Am 8.8.2004 schrieb ich den folgenden Brief:
»Sehr geehrter Herr Schmid,

nun sende ich Ihnen doch noch vor Urlaubsantritt eine Übersicht über sämtliche in meiner neuen May-Biographie verwendeten Zitate aus der May/Fehsenfeld-Korrespondenz (soweit sie nicht schon von E. Bartsch, H. Wollschläger, R. Schmid, U. Schmid u.v.a. publiziert wurden) zu. Ich habe die Zitate am Rand mit Bleistift markiert. Wenn man diese Einzelzitate zusammenfügt, dann ergeben sie gerade mal eine (oder höchstens 1¼) Typoskriptseite! Da meine Biographie in der Neufassung ca. 2000 Typoskriptseiten umfaßt, handelt es sich bei den ›genehmigungspflichtigen‹ Zitaten lediglich um 0, 05 % des Gesamttextes!!! Oder anders gerechnet: Da die May/Fehsenfeld-Korrespondenz in ihrer Gesamtheit ca. 450 Typoskriptseiten umfaßt, ich aber nur 1 ¼ Seiten bisher nicht publizierten Text bringe (aus diversen Briefen, die in anderen Partien schon seit Jahrzehnten in der Sekundärliteratur verbreitet sind!), ist der Gegenstand meiner Bitte – mit Verlaub – eine Bagatelle. Ich bitte Sie ja lediglich um die Erlaubnis, die markierten Stellen in dieser Form bringen zu dürfen. In Fußnoten würde ich dann in jedem Einzelfall noch vermerken: Zit. aus dem Privatarchiv der Familie Schmid, Karl-May-Verlag Bamberg.
Ich bin mir absolut sicher, daß durch meine May-Biographie keines der von Ihnen geplanten Projekte auch nur im geringsten geschädigt wird. So hoffe ich, daß meine Bitte nicht vergeblich ist und grüße Sie freundlichst

Ihr
Dr. Hermann Wohlgschaft«

Mit Datum vom 9.9.2004 gab Lothar Schmid einen strikt ablehnenden Bescheid. Die Zitiererlaubnis verweigert er mit – im wesentlichen – zwei ›Argumenten‹. Erstens: Die Wiedergabe von bisher unbekannten Briefpartien sei geschäftsschädigend für den KMV (der den kompletten Briefwechsel später publizieren wolle); daß meine May-Biographie ausgerechnet in der HKA in Zusammenarbeit mit der Karl-May-Gesellschaft (einem, wie Schmid meint, Konkurrenzunternehmen zum KMV) erscheinen soll, erfüllt Schmid mit großer Sorge. Zweitens: Die May/Fehsenfeld-Korrespondenz sei auf illegale Weise in den Besitz der Karl-May-Stiftung gelangt, was René Wagner entschieden zurückweist.
Nicht genug damit: Mit Verweis auf die Ansicht Prof. Delps (eines auf Fragen des Urheberrechts spezialisierten Anwalts) rät mir Lothar Schmid zur Vorsicht sogar bei der Verwendung von Briefpartien, die schon früher – in der Sekundärliteratur – zitiert wurden!
Auf seine früheren (mittlerweile erfüllten!) Bedingungen für die Zitiererlaubnis geht Schmid im Brief vom 9.9.2004 überhaupt nicht mehr ein. Daraufhin sandte ich, mit Datum vom 29.9.2004, den folgenden Brief an Lothar Schmid:
»Sehr geehrter Herr Schmid,

durch Ihren ablehnenden Brief vom 09.09.2004 sehe ich mich gezwungen, auf wörtliche Zitate aus der Korrespondenz May/Fehsenfeld (soweit sie nicht schon andernorts publiziert wurde) ganz zu verzichten – obwohl Sie mir gegenüber ja durchaus im Wort stehen: Sie sagten mir im Sommer 2004 telefonisch, die Zitiererlaubnis würde ich »selbstverständlich« (sic!) bekommen, wenn Sie im Gegenzug Material aus dem Eigentum der Karl-May-Stiftung verwenden dürften; eine Bedingung, die durch René Wagner bzw. Hans Grunert erfüllt wurde! Wie mir Herr Wagner mitteilte, hat er Ihnen das Material unter der Voraussetzung überlassen, daß Sie mir – als Gegenleistung – die Zitiererlaubnis erteilen würden.

Falls Sie mir die Zitiererlaubnis trotz alledem nicht geben wollen, werde ich dies zwar respektieren. Sie müssen aber damit rechnen, daß Ihr Verhalten publik gemacht wird. Der Leser soll ja wissen, warum aus der May/Fehsenfeld-Korrespondenz nicht wörtlich zitiert werden konnte.

Was Ihre konkrete Anfrage betrifft: Von Herrn Wiedenroth habe ich keinerlei Einsicht in irgendwelche Unterlagen bekommen. Meine Kenntnis der May/Fehsenfeld-Korrespondenz beruht – wie ich Ihnen schon mehrmals sagte – auf der Lektüre im Karl-May-Museum, vermittelt durch René Wagner.

Da es sich bei der ganzen Angelegenheit ja nicht um einen Privatkonflikt zwischen mir und Ihnen handelt, sondern um grundsätzliche Differenzen zwischen Ihnen (bzw. dem KMV) und den Herausgebern der HKA, bitte ich Sie dringend, sich in Sachen May/Fehsenfeld – sofern es noch Klärungsbedarf geben sollte – künftig nicht mehr an mich, sondern an Herrn Wiedenroth oder an Herrn Wagner als den Geschäftsführer der Karl-May-Stiftung zu wenden.

Mit freundlichem Gruß
Hermann Wohlgschaft«

Am 9.11.2004 antwortete Lothar Schmid, daß er das erbetene Archivmaterial (gemeint ist der sogenannte Felber-Nachlaß) nicht erhalten hätte. Von René Wagner erhielt ich erneut die Auskunft, Herr Steinmetz hätte sehr wohl für die KMV-Chronik die Felber-Briefe erhalten, soweit sie im Museum vorhanden sind. Der geneigte Leser mag selbst darüber urteilen, was er davon zu halten hat …

Hermann Wohlgschaft
Kommentar der Karl-May-Stiftung

Die Karl-May-Stiftung gestattete Herrn Steinmetz für seine wissenschaftliche Arbeit zur Erarbeitung der Chronik im Juni 2004 Einblick in das Kopienkonvolut des Fehsenfeld-Briefwechsels und auch in die Teile des sogenannten Felber-Nachlasses, welche sich im Besitz der Karl-May-Stiftung befinden. Die von Herrn Steinmetz benötigten Fotokopien wurden erstellt und können für die wissenschaftliche Publikation der Herren Steinmetz und Dr. Sudhoff, die im Karl-May-Verlag Bamberg erscheinen wird, benutzt werden.
Obwohl Herr Lothar Schmid seine Zusage für die Zitiererlaubnis nicht eingehalten hat und der Karl-May-Biographie von Herrn Dr. Hermann Wohlgschaft Steine in den Weg legt, blockiert die Karl-May-Stiftung nicht die wissenschaftliche Arbeit von Karl-May-Freunden.
Die Leser sollen nicht ein zweites Mal bestraft werden!

René Wagner
4. Sudhoff schreibt: „Daß Herr Wohlgschaft es vorgezogen hat, seine Biographie ohne Kenntnis der Chronik herauszugeben, kann ich nach wie vor nur als fahrlässig bezeichnen. Seine Arbeit ist bereits jetzt in vielen Punkten, gerade auch auf seinem theologischen Interessengebiet, zu dem es ‚hochinteressante‘ erst jetzt veröffentlichte Briefe gibt, überholt.“

Richtig ist: Die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ wäre nur dann „in vielen Punkten (...) überholt“, wenn die bisher unbekannten Nachlaß-Texte das bisherige Wissen über Mays ‚Leben und Streben‘ WESENTLICH korrigieren würden. Daß dies wirklich der Fall ist, müßte Herr Sudhoff an konkreten Texten sehr genau belegen und plausibel erläutern.

Sudhoff tut ja so, als ob durch die Nachlaßschriften der bisherige Wissensstand von Grund auf erschüttert sei und die May-Forschung erst jetzt, nach dem Erscheinen der Chronik, eine sichere Basis hätte. Die Sudhoff/Steinmetz-Chronik habe ich bis zu Band IV, S. 130 (Ende 1906), Zeile für Zeile genau gelesen. Und alles, was mir bisher unbekannt war, habe ich sorgfältig notiert. Das Ergebnis: Errata, wirkliche Irrtümer in der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ (falsche Datierungen, nicht korrekt geschriebene Namen und dergleichen mehr) hätten auf einem Bierdeckel ohne weiteres Platz. Dieser Errata wegen muß die Biographie nicht umgeschrieben werden! Da genügt es, die Errata-Liste in Bd. III, S. 2331, um ein paar Zeilen zu erweitern.

Allerdings enthält die Sudhoff/Steinmetz-Chronik ‚hochinteressante‘, bisher unbekannte May-Texte, die die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ – in ihrer Grundtendenz – noch zusätzlich BESTÄTIGEN und im Falle einer erweiterten Neuauflage der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ zitiert und erläutert werden könnten. Außer den von mir kommentierten Briefen gibt es, wie die Chronik sehr eindrucksvoll zeigt, noch viele andere May-Briefe (z. T. an bisher unbekannte Adressaten), die – inhaltlich – freilich in die bekannte Richtung gehen und in biographischer Hinsicht nichts wesentlich Neues beinhalten. Wie gesagt, das gilt bis Chronik IV, S. 130. Ob es später, ab 1907, dann plötzlich ganz andere May-Texte gibt (z. B. Briefe, in denen May sich zum Atheismus oder zum Islam oder zum rechten Flügel der römisch-katholischen Kirche oder zum Buddhismus bekennt), das wird die weitere Lektüre in der Chronik ergeben.

5. Sudhoff schreibt: „Die Bemerkung [von Andreas Graf], die überarbeitete Fassung der Wohlgschaft-Biographie sei mir bei Abfassung meiner angeblichen ‚Invektive‘ nicht bekannt gewesen, ist unzutreffend. Die beiden ersten Bände wurden uns dankenswerterweise von Herrn Wiedenroth in Form von Korrekturexemplaren zur Verfügung gestellt. Lediglich der dritte Band lag uns erst nach Erscheinen der ersten vier Chronik-Bände vor.“

Richtig ist: Dem Bamberger Verleger – und damit den Verfassern der May-Chronik – wurde es ermöglicht, die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ noch vor deren Erscheinen zur Kenntnis zu nehmen. Daß sie diese Möglichkeit auch wirklich genützt haben, kann ich mir allerdings schwer vorstellen. Mein Eindruck ist vielmehr: Die Biographie-Bände wurden nur diagonal ‚überflogen‘ und dies unter einem allzu begrenzten Blickwinkel – mit der einengenden Fragestellung, ob in diesen Büchern vielleicht noch zusätzliche, in der Chronik fehlende biographische Mikrodetails enthalten sind.

6. Sudhoff schreibt: „Das nun [in der Chronik] entstandene Bild Karl Mays ist in vieler Hinsicht wesentlich widersprüchlicher und auch dunkler, als es bisherige Biographien zeichneten und als es uns selber lieb gewesen wäre.“

Richtig ist: In Mays Charakter gab es, neben sehr lichtvollen Zügen, auch dunklere und widersprüchliche Seiten. Aber zu dieser Erkenntnis sind nicht erst Sudhoff und Steinmetz gelangt. Gerade auch in der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ werden die ‚Schatten‘, die fragwürdigen Seiten in Mays Leben und Werk sehr deutlich herausgestellt. In einer Chronik freilich, die unzählige Daten und Dokumente – fast stets kommentarlos – nur schlicht aneinanderreiht (um nur ja nicht als „subjektiv“ zu gelten), wird das vielschichtige ‚Phänomen Karl May‘ naturgemäß wesentlich „dunkler“ erscheinen als in einer erzählenden Biographie, die – wie Claus Roxin in einer Besprechung der Sudhoff/Steinmetz-Chronik betont – erhellende „Wertungen nicht scheuen“ darf.

7. Zum Schluß: Ich will keinen Streit und schon gar keine Feindschaft. Den Literaturwissenschaftler und May-Forscher Dieter Sudhoff schätze ich sehr; aus Sudhoffs Schriften habe ich in der Biographie ja oft und meist zustimmend zitiert. Aber Sudhoffs Polemik im Vorwort zur Chronik – und die hier zitierten Bemerkungen im ‚Offenen Brief an Andreas Graf‘ – kann ich nicht unwidersprochen so stehen lassen.

Nochmals zur Klarstellung: Den sehr hohen Quellenwert der Sudhoff/Steinmetz-Chronik verkenne ich nicht. Die Chronik ist ein wichtiges Grundlagenwerk, das gegen die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ aber nicht ausgespielt werden sollte. „Die ‚Karl-May-Chronik‘ von Sudhoff/Steinmetz und die ‚Karl-May-Biographie von H. Wohlgschaft ergänzen sich vortrefflich. Wer sich umfassend und objektiv über Mays Leben informieren möchte, sollte beide Publikationen besitzen.“ (Ralf Harder)

Andrerseits ist die ‚Wohlgschaft-Biographie‘ – wie auch die Sudhoff/Steinmetz-Chronik – nicht ‚ultimativ‘ und also verbesserungsfähig. Ein Beispiel für konstruktive Kritik hat in jüngster Zeit Werner Kittstein (ein unverdächtiger Kenner, gewiß kein Klerikaler!) geliefert: Nach gründlicher Lektüre aller Biographie-Bände teilte er mir auf ca. 50 Typoskriptseiten mit, was er in meiner Darstellung als besonders geglückt und was er als korrekturbedürftig empfindet. In überarbeiteter, auf 20 Typoskriptseiten verdichteter Form hat Kittstein seine – sehr differenzierte – Rezension zur Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der KMG angeboten. Diese sachliche Art der Auseinandersetzung kann der weiteren Forschung nur dienlich sein.

Hermann Wohlgschaft
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rodger
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Beitrag von rodger »

Im übrigen: Die Aufgabe des Biographen besteht doch nicht (zumindest nicht vorrangig) darin, bisher unbekannte biographische Daten ans Licht zu bringen.
Das sehen viele, auch in akademischen Kreisen, eben leider anders. Vielleicht, weil sie auch nicht viel anderes können, als Erbsen zu zählen und Faktenwissen auf immer neue und gelegentlich immer obskurere Arten durchzukauen.
Sache des Biographen (im Unterschied zur Aufgabe des Chronisten) ist es vielmehr, die bekannten Ereignisse in fesselnder Weise zu schildern, die einzelnen Fakten in einen größeren Zusammenhang zu stellen und das Gesamtphänomen möglichst treffend zu interpretieren. Ich hoffe, daß mir dies geglückt ist.
Das ist Ihnen aufs Schönste gelungen, lieber Herr Wohlgschaft. Kennen Sie das Zitat von Schopenhauer über das Schachspiel im Vergleich zu anderen Spielen ? Er sagte, Schach überrage andere Spiele wie der Chimborazo einen Misthaufen. Wenn mir dieser Vergleich nun justament einfällt, zu Ihrem Werk im Vergleich zu vielem, was da so in Jahrbüchern und KMG-Mitteilungen steht, dann will ich niemand beleidigen, aber Ihr Werk einigermaßen angemessen loben.

Ich habe es schon, über Dritte, gehört aus sich akademisch dünkenden Kreisen der KMG, da gibt es Leute, die Ihr Werk grundweg und rundum ablehnen, in einem Vokabular, das an gewisse Ideologien und Bücherverbrennungen erinnert. Machen Sie sich nichts daraus. Diese Leute sind zu simpel gestrickt oder auch zu dumm, zu erkennen, dass es über ihren rein verstandesmäßig geprägten, „wissenschaftlichen“ Horizont hinaus auch noch anderes gibt. Sie (diese Leute) sollten über Dinge, von denen sie halt leider nichts verstehen oder mit denen sie nichts anfangen können, zumindest den Mund halten.
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Lieber Hermann, liebe Karl-May-Freunde,

hier ein Zitat aus der KMG-Mailing-Liste; dort schrieb Herr Dr. Dieter Sudhoff am 9.9.2001:

»Alles, was irgendwie polemischen Reiz hat und damit auch die Gelegenheit zur Selbstdarstellung bietet, wird dankbar angenommen …«

Fallen diese Worte gegenwärtig nicht auf Sudhoff selbst zurück? Wohlgschafts Entgegnung auf den ›Offenen Brief‹ Dieter Sudhoffs stimme ich vollinhaltlich zu. Ein paar Ergänzungen möchte ich aber noch anbringen.

Zu Punkt 1: Wohlgschaft schreibt, es sei die Hauptaufgabe des Biografen, bekannte Ereignisse der Mayschen Lebensgeschichte in fesselnder Weise zu beschreiben, die einzelnen Fakten in einen größeren Zusammenhang zu stellen und das Gesamtphänomen Karl May möglichst treffend zu interpretieren. Ich füge hinzu: Dass Wohlgschaft dies vorzüglich gelungen ist, heben angesehene Kenner wie Claus Roxin, Martin Lowsky und Eckehard Koch mit Nachdruck hervor.

Zu Punkt 2: Ich verstehe nicht, warum Wohlgschaft – von manchen Leuten – immer wieder vorgeworfen wird, dass seine May-Biografie »aus theologischer Sicht« geschrieben ist. Gewiss, Wohlgschaft ist Theologe und steht als May-Biograf zu seiner bevorzugten – psychologisch-spirituellen – Betrachtungsweise. Dies ist m. E. ein Vorzug, den Martin Lowsky in seiner Rezension der ›Wohlgschaft-Biographie‹ im ›Beobachter an der Elbe‹ so formuliert hat:

»Überhaupt ist die Perspektive eines Theologen sehr geeignet dafür, die großen Zusammenhänge in Mays Schaffen [...] zu erfassen.«
http://www.beobachter-an-der-elbe.de/lowsky.pdf

Mit Recht aber hebt Wohlgschaft in seiner Erwiderung auf Sudhoff hervor, dass seine Biographie nicht nur aus theologischer Sicht geschrieben ist. Ich sehe es so: Wohlgschaft schreibt in erster Linie als menschlich einfühlsamer Interpret, der Mays ›Leben und Streben‹ möglichst gut und möglichst gerecht zu deuten versucht. Er beschränkt sich keineswegs auf theologische Analysen, sondern bezieht auch viele andere (z. B. psychologische, zeitgeschichtliche oder literarästhetische) Aspekte in seine Werksbesprechungen mit ein.

Zu Punkt 3: Du fragst mich, lieber Hermann, ob es besser gewesen wäre, wenn Du die Biografie dem KMV angeboten und das Erscheinen der Sudhoff/Steinmetz-Chronik abgewartet hättest. Beide Fragen beantworte ich mit einem klaren Nein. Im September 2001 äußerte sich Herr Sudhoff über die Chronik in der KMG-Mailing-Liste:

»Der Karl-May-Verlag unterstützt dieses in jeder Beziehung aufwendige Projekt, an dem bereits seit mehreren Jahren gearbeitet wird. Die ›Karl-May-Chronik‹ wird im KMV erscheinen und aus drei Bänden bestehen, von denen jeder ca. 500-600 Seiten umfaßt.«

Wir schreiben jetzt das Jahr 2006, und noch immer ist die verdienstvolle Chronik nicht komplett erschienen. Mehrmals hat sich das Erscheinen der bisherigen Bände verzögert. Da bestand – im Falle des Abwartens – die Gefahr, dass Du mit der 2001 begonnenen Neufassung Deiner Biografie nie zum Ziel kommen würdest. Vor allem bin ich – wie Du und viele andere May-Kenner – der Ansicht: Das Nachlass-Material des KMV ist zwar sehr bedeutend, verändert jedoch nicht grundlegend das Gesamtbild Karl Mays.

Hättest Du die Biografie dem KMV anbieten sollen? Natürlich nicht, der KMV dürfte – allein schon aus wirtschaftlichen Gründen – an Deinem Werk wenig interessiert gewesen sein. Schließlich war 2002 die May-Biografie von Dr. Heermann erschienen, die Sudhoff-Chronik bereits längst in Arbeit. Es ist kaum anzunehmen, dass Deine Biografie auch noch im KMV veröffentlicht worden wäre. Was die Münchmeyer-Romane betrifft, so hat der KMV eine völlig andere Auffassung zu der Autorschaft Mays als wir. Kurzum: Längere Textpassagen seien nicht von May, weshalb man diese Bände umfassend bearbeitet hat. Die Meinung des KMV ist bekannt und braucht nicht weiter kommentiert zu werden. Man mag den Band ›Der geschliffene Diamant‹ lesen …

Der KMV hätte möglicherweise von Dir gefordert, die von May bei Münchmeyer publizierten Romane als ›Fälschungen‹ zu kennzeichnen, obwohl – wie ich in meinem Buch ›Karl May und seine Münchmeyer-Romane‹ (1996) dargelegt habe – mit allergrößter Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass May diese Romane (abgesehen von den vielen Setzfehlern) genau so geschrieben hat, wie sie in Dresden 1882–1888 veröffentlicht wurden. Du hast diese These (weil sie bestens begründet ist und weil die Mayschen Romantexte alles andere als ›pornographisch‹ sind) in der Neufassung Deiner Biografie übernommen. Letztlich ist u.a. auch Hans Wollschläger davon überzeugt, dass May der alleinige Verfasser ist. Er geht bekanntlich ebenfalls in seiner Biografie von einer vollständigen Autorschaft aus. Aber auch die Wollschläger-Biografie ist damals nicht im KMV erschienen …

Ralf Harder
Nscho-tschi
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Beitrag von Nscho-tschi »

Hermann Wohlgschaft schrieb am 12.3.06 in diesem Thread:

„In Mays Charakter gab es, neben sehr lichtvollen Zügen, auch dunklere und widersprüchliche Seiten. Aber zu dieser Erkenntnis ist nicht erst Sudhoff gelangt. Gerade auch in der ‚Wohlgschaft-Biographie‘ werden die ‚Schatten‘, die fragwürdigen Seiten in Mays Leben und Werk sehr deutlich herausgestellt.“

Ja, das finde ich auch. Zu den vielen Passagen, die ich mit Bleistift unterstrichen habe, gehört die folgende Stelle in Bd. I der Biographie (S. 19-20):

„Eine tiefere Ursache für die Demontage seines Ansehens lag sicher in Karl May selber, in seinem gespaltenen Wesen. Zwei Welten lagen im Streit, eine niedrige, unwahre, und eine hohe, erstrebenswerte. Der schlechteste Dienst an May wäre das Vertuschen des ‚anderen‘ May. Kehrseiten hatte er viele ... Seine Phantasie war reich, überreich, sie ‚ging mit ihm durch‘, war seine Stärke und seine Falle zugleich. Im Wert sehr Verschiedenes, Edles und Eitles, Hehres und Triviales hat er geschrieben ... Er war süchtig nach Anerkennung und Liebe, er neigte zur Selbstüberhebung und hatte zur Realität ein getrübtes Verhältnis.“

Was mir an dieser Biographie ganz besonders gefällt, ist die Suche nach Wahrheit. Die drei Bücher sind mit Herzblut geschrieben. Wohlgschaft liebt seinen Autor, vermeidet aber die Schwarz-Weiß-Malerei. Mays Charakterzüge werden nicht schöngefärbt, sondern in ihren hellen und dunklen und manchmal auch widersprüchlichen Seiten beschrieben. Das finde ich realistisch und glaubwürdig.

Nscho-tschi
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rodger
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Beitrag von rodger »

Das Zitat macht Lust, die Bücher gleich wieder vorzunehmen. Ich habe ja die über 2000 Seiten innerhalb weniger Wochen gelesen, und es wird sicher nicht das letzte mal gewesen sein.

Oft sind ja Arbeiten, die sich mit dem Menschen Karl May beschäftigen, entweder lieblos-staubtrocken-intellektuell, oder aber, gelegentlich recht blauäugig wirkend, von einer allzu unkritischen Verehrung geprägt. Beides ist bei Wohlgschaft sehr angenehmerweise nicht der Fall.
charmides
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Beitrag von charmides »

Lieber Hermann, liebe Karl-May-Freunde,

in diesem Thread und in den Mitteilungen der KMG Nr. 147 (S. 49) schrieb Dr. Eckehard Koch über die ‚Wohlgschaft-Biographie‘:

„Die Vorläufer-Biographie von 1994 war in einem Jahr bereits vergriffen. Dasselbe wünsche ich dem jetzt vorgelegten Werk – und daraufhin noch viele weitere Auflagen ...“

Wenn ich Deine (mir einleuchtende!) Erwiderung auf Dieter Sudhoff recht verstanden habe, Hermann, dann wird die fünfbändige Chronik von Sudhoff und Steinmetz wohl nicht dazu führen, daß Du Deine May-Biographie – im Falle einer Neufassung – groß verändern wirst. Sehe ich das richtig?

Beste Grüße, charmides
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