Endlich Wohlgschaft Biographie erschienen

Nscho-tschi
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Beitrag von Nscho-tschi »

Und was ich außerdem noch sagen wollte: Der Beitrag von „Rodger“ (9.4.) trifft auch diesmal ins Schwarze. Hervorragend!

Einen schönen Tag wünscht
Nscho-tschi
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Liebe May-Freunde,

zum Beitrag von Nscho-tschi (11.04.06, 07.37 Uhr): Auch ich bin, trotz therapeutischer Ausbildung, kein Spezialist für moderne Traumaforschung und die – nach heutiger Auffassung – optimale („hypnotherapeutische“) Behandlung von traumatisierten Patienten. Ich kenne aber Psychiater und Klinikseelsorger/innen, die darauf spezialisiert sind.

Wie ich in der Biographie sehr eingehend dargestellt habe, gab es in Mays Leben traumatische Verletzungen (s. das Stichwort ‚Trauma‘ im Register auf S. 2290), die zu den Straftaten in den 1860er Jahren geführt hatten. Der Gefängniskatechet Johannes Kochta wird dies, auch ohne Kenntnis der heutigen Traumaforschung und ohne Kenntnis der hypnotherapeutischen Methode, intuitiv ganz richtig erfaßt haben. Er wird den Patienten May entsprechend einfühlsam – und heilsam! – behandelt haben.

Mays Darstellung der Zuchthausjahre in der Selbstbiographie ‚Mein Leben und Streben‘ legt diesen Schluß jedenfalls nahe. Und die autobiographischen Spiegelungen im Erzählwerk (vgl. Biographie-Bd. I, S. 333, sowie den Harder-Eintrag und den Rodger-Eintrag vom 9.4.06) bestätigen die therapeutische Wirksamkeit des Gefängnisseelsorgers Kochta sehr eindrucksvoll.

Die Zuchthausjahre in Waldheim verstand May, im nachhinein, als Heilungsprozeß, als ‚österliches‘ Geheimnis: Der rückfällige Straftäter, der psychisch kranke Vagant ist ‚auferstanden‘ ins neue (Schriftsteller-)Leben hinein! Er wurde gleichsam neu geboren, und der Seelsorger – bzw. ‚Psychotherapeut‘ (dieses griechische Wort heißt in deutscher Übersetzung ja nichts anderes als ‚Seelsorger‘) – Johannes Kochta war der ‚Geburtshelfer‘.

Mit vorösterlichen Grüßen
Hermann Wohlgschaft
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Liebe Karl-May-Freunde,

die in Wohlgschafts May-Biografie (S. 333) angesprochene Johannes-Kochta-Spiegelung im ›Waldröschen‹-Roman nehme ich zum Anlass für eine Grundsatz-Bemerkung zur Berücksichtigung von autobiografischen Werksspiegelungen in der May-Biografie.

Peter Krauskopf behauptet in ›Karl May & Co.‹ (Nr. 103, S. 56), dass Wohlgschafts Biografie »der Faszination erliegt, die dem Nachspüren von biografischen Spiegelungen in seinem [Mays] Werk eigen ist. Ausgehend von der unbestreitbaren Tatsache, dass May reale Begebenheiten aus seinem Leben zu Motiven in seinen Romanen verarbeitete und das sogar ausdrücklich zu einem Stück Konzept machte, hat sich in der Karl-May-Forschung der höchst beliebte Sport entwickelt, diese Spiegelungen aufzuspüren. Dabei sind manche Perlen gefördert worden, aber genauso häufig schoss die Spekulation ins Kraut oder es wurde einer pseudotiefen Beliebigkeit das Wort geredet. Das kann Grundlage für ... feuilletonistische oder künstlerische Fabeleien sein. In Wohlgschafts Biografie relativiert es allerdings die sorgsame Aufbereitung der echten historischen Quellen auf unangemessene Art.«

Was Krauskopf m. E. verkennt: Eine gute Biografie beschreibt nicht nur die äußere Lebensgeschichte (aufgrund der »echten historischen Quellen«), sondern »vor allem auch die Innenseite einer menschlichen Vita: Wie wurden Ereignisse wahrgenommen? Wo wurden Ereignisse als Lebensbrüche empfunden? Welche Ereignisse gaben dem Leben eine andere Richtung? Welche Höhen und Tiefen gab es? Welche Grundeinstellungen, welche Wertungen, ... welche Welt- und Selbstdeutungen sind für die beschriebene Person charakteristisch gewesen?« (charmides-Eintrag vom 3.4.06 hier in diesem Thread)

Um die Innenseite der Mayschen Vita in angemessener Weise beschreiben zu können, ist die Berücksichtigung von autobiografischen Spiegelungen im fiktionalen Erzählwerk unbedingt erforderlich, denn vorzugsweise in diesen Spiegelungen haben wir hochinteressante Dokumente für die subjektive Wahrnehmung bzw. Deutung seiner Lebensgeschichte durch Karl May.

Wohlgschaft ist es m. E. gelungen, die chronologische Schilderung der May’schen Lebensgeschichte mit dem Verweis auf autobiografische Werksspiegelungen sehr farbig zu illustrieren. Aber nicht nur das! Mit diesen Spiegelungen hat Wohlgschaft sehr glaubwürdig aufgezeigt, wie May selbst sein Leben als ganzes und zentrale Ereignisse seines Lebens interpretiert hat. Dass manche May-Forscher allzu spekulativ mit Werksspiegelungen umgegangen sind (Walther Ilmer hat es manchmal wirklich übertrieben), darf man Wohlgschaft nicht anlasten! Bei der Auswahl von Werksspiegelungen ist Wohlgschaft stets sehr sorgfältig und sehr behutsam verfahren. Dass Hermann Wohlgschaft hier irgendeiner Faszination ›erlegen‹ sei, ist eine maßlose Fehleinschätzung oder Erfindung von Herrn Krauskopf.

Mit besten Wünschen für ein frohes Osterfest
Ralf Harder
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Beitrag von Nscho-tschi »

Liebe Forumsleserinnen und Leser,
meine Tätigkeit in Familie und Beruf lässt mir nicht genügend Zeit, um innerhalb weniger Wochen die 3 Biografiebände zu lesen. Doch bin ich schon bis zur Seite 520 vorgedrungen. Vieles spricht mich an, auch folgendes Zitat von Seite 519
„Psychologisch sehr fein – fast heimlich, nicht aufdringlich, in keiner Weise doktrinär – vermittelt Karl May seinen Lesern das >Urvertrauen< auf Gottes Führung, die über geheimnisvolle Wege alles zum Guten lenkt. Der Schriftsteller verweist, erzählend auf Gott: den Gott Jesu Christi, den Gott der Liebe,..

Einen schönen Tag
Nscho-tschi
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Liebe Forumsteilnehmer/innen,

unter dem Titel „Ein Fest für Kritiker. Unsystematische Bemerkungen zu Hermann Wohlgschafts Karl-May-Biographie“ wird im neuen Mitteilungsheft der KMG ein sehr differenzierter Kommentar von Werner Kittstein erscheinen. Der Text umfaßt zwanzig eng beschriebene Typoskriptseiten und soll auf zwei Mitteilungshefte (Nr. 148 u. 149) verteilt werden.

Seit Januar 2006 korrespondieren Herr Kittstein und ich in sehr anregender Weise. Die gesamte Rezension liegt mir seit vielen Wochen vor. Kittsteins Text enthält, neben Zustimmung, auch viele kritische Bemerkungen – mit genauen Stellenangaben. Ich begrüße diese Rezension durchaus. Der Kritik stimme ich zwar nicht in jedem Punkt zu, insgesamt bin ich aber der Meinung: Stellungnahmen wie die von Werner Kittstein sind für die May-Forschung sehr gut. Kontroverse Debatten – solange sie, wie der Kittstein-Text, sachlich bleiben – haben der Wissenschaft noch nie geschadet, im Gegenteil.

Es wäre schön, wenn Kittsteins Besprechung die Karl-May-Diskussion und die Forumsdebatte neu beleben würde. Sobald das Mitteilungsheft Nr. 148 erschienen ist, werde ich einzelne Passagen aus dem Kittstein-Beitrag hier im Thread zitieren und meinerseits kommentieren. Über weitere Wortmeldungen würde ich mich natürlich freuen.

Mit freundlichem Gruß
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Werner Kittstein schreibt in den Mitteilungen der KMG Nr. 148 viel Anerkennendes über die ›Wohlgschaft-Biographie‹, bemängelt dann aber: »Das große Gewicht, das der Autor auf die – zweifellos in starkem Maße vorhandene – spirituelle Qualität und Aussagekraft des Lebens wie des literarischen Schaffens Mays legt, ist zwar grundsätzlich gerechtfertigt (...). Doch läßt diese Gewichtung der Biographie andere, zumindest gleichgewichtige Aspekte allzu sehr in den Hintergrund treten, als da sind die Erzählformen und ihre Wirkung, der historische, soziale und kulturelle Kontext (...) sowie die Wechselwirkung zwischen Autor und Lesepublikum, da gerade bei May eine starke Wirkung seiner Texte auf Denken und Verhalten der Leser und eben auch der Verleger sowie deren Rückwirkung auf Mays Leben und Schreiben festzustellen ist.« (S. 46f.)

Ich meine: Durch die spirituelle, ›metaphysische‹ Sicht, die meine Darstellung grundiert, werden andere Aspekte zwar keineswegs ignoriert, aber doch – hierin hat Kittstein Recht – etwas zurückgedrängt. Jeder May-Biograph wird die Akzente anders setzen: je nachdem, wo seine innere Beteiligung am stärksten und seine Sachkenntnis am größten ist.

Claus Roxin schrieb in einem Brief vom 2.2.2006 an mich: »Sie haben – abgesehen von der Rezeption der gesamten Sekundärliteratur – mit Ihrem eigenen Beitrag gerade die Lücken gefüllt, die die bisherige May-Forschung mangels theologischer Sachkompetenz offengelassen hatte.« Nun muß ich freilich zugeben: Die »gesamte« Sekundärliteratur in vollkommen ausgewogener Weise zu rezipieren, das konnte ich nicht leisten. Die von Kittstein angemahnten Gesichtspunkte hätten in der Tat noch deutlicher herausgestellt werden können.

Hermann Wohlgschaft
Nscho-tschi
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Beitrag von Nscho-tschi »

Liebe May-Freunde,

nachdem ich den ersten Band der Biografie jetzt vollständig gelesen habe, muss ich sagen: Ich finde, dass Hermann Wohlgschaft eine unglaubliche Vielfalt von Gesichtspunkten berücksichtigt. Herr Kittstein kritisiert eine gewisse Einseitigkeit der Biografie, ich sehe das aber ganz anders. Die Betonung des „Religiösen“ stört mich ganz und gar nicht, im Gegenteil, sie spricht mich besonders an.

Einen schönen Tag
Nscho-tschi
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu einem nicht geringen Teil trifft Kittsteins Kritik im Grunde weniger mein Buch, sondern andere Autoren, darunter vor allem Gabriele Wolff. Roxin schrieb an mich: »Daß Sie Ergebnisse anderer Autoren referieren, kann Ihnen niemand zum Vorwurf machen, solange Sie nicht andere entgegenstehende Meinungen verschweigen. Und das tun Sie ja nicht.«

Kittstein bringt seine Kritik an Wolff bzw. meiner Biographie zuletzt auf den Punkt: »Und darum kann ich Wohlgschafts zusammenfassendem Urteil auf S. 1711: ›Die von May geschilderten Ereignisse haben [mit Ausnahme geringfügiger ›Erinnerungsfehler‹] so stattgefunden, wie sie in der ›Pollmer-Studie‹ berichtet werden‹, nicht zustimmen, weil es überwiegend oder ganz auf den kein Vertrauen erweckenden ›Ermittlungen‹ von Gabriele Wolff fußt und daher auf einem methodisch anfechtbaren Verfahren beruht.« (S. 53)

Was nun Frau Wolffs Monographie im Jahrbuch der KMG 2001 (›Ermittlungen in Sachen Emma Pollmer‹) betrifft, so ist zu sagen: Im Gegensatz etwa zu Fritz Maschke oder Heinz Stolte ist Gabriele Wolff – wie übrigens auch Hans Wollschläger – offensichtlich geneigt, Mays Darstellungen in der ›Pollmer-Studie‹ (1907) biographisch ernst zu nehmen. Dazu ist sie aber berechtigt, solange sie nicht Fakten verfälscht. Daß sie das getan hat, kann ich nicht erkennen. Wenn sie oft mit Mutmaßungen arbeitet, ist das in einem so intimen Bereich kaum anders möglich. Man müßte die Plausibilität ihrer Deutungen grundsätzlich widerlegen, und dabei verliert sich Werner Kittstein m. E. zu sehr in weniger wichtigen Einzelheiten.

Kittstein bedauert, daß ich »für die Darstellung der Ehe Mays mit Emma die Perspektive Mays« übernehme, »ohne deren Subjektivität zu berücksichtigen« (S. 51). Diesen Vorwurf halte ich, zumindest teilweise, für unbegründet. Schon auf S. 459 der Biographie (und später dann immer wieder) habe ich die Subjektivität der Wahrnehmung Mays ja deutlich angesprochen.

Mit Werner Kittstein, aber auch mit Frau Wolff bin ich der Meinung: Die Art, wie May in der ›Pollmer-Studie‹ (und in anderen autobiographischen Schriften) den Charakter seiner ersten Ehefrau Emma beschreibt, ist sehr subjektiv. Daß May seine Emma – subjektiv – zeitweise als ›Weibsteufel‹ empfunden hat, bezweifle ich aber nicht (und bezweifelt ja auch Kittstein nicht). Wie Emmas Charakter objektiv war, ist freilich eine andere Frage. Ob Emma wirklich so böse, so dämonisch, so ›teuflisch‹ war, wie Karl May (und auch Klara Plöhn bzw. Klara May in ihrem Tagebuch) sie beschreibt, das wissen wir nicht. Möglicherweise war Emma doch nicht so schlimm. Daraus folgt aber nicht, daß die von May geschilderten Ereignisse (wie z. B. die Vernichtung von Münchmeyer-Briefen durch Emma) nur May’sche Erfindungen seien!

Kittstein schreibt (mit Bezug auf Biographie S. 1213): »Mag May ›von der unbedingten Beweiskraft der von Emma beseitigten Dokumente‹ noch so ›voll überzeugt‹ gewesen sein; ein Biograph, dem keine eindeutigen Belege aus anderen Quellen vorliegen, sollte sich nicht so leicht überzeugen lassen.« (S. 52) Kittstein formuliert hier mißverständlich: Überzeugt bin ich – wie aus dem Kontext der Biographie klar hervorgeht – nur von der Existenz bzw. dem Verschwinden der besagten Dokumente, nicht aber von ihrer »unbedingten Beweiskraft«. Ich sehe keinen Grund, warum ich Mays Aussage, daß Emma Briefe vernichtet hat, bezweifeln sollte. Eine andere Frage ist es aber, ob diese Briefe (im Blick auf den Münchmeyer-Prozeß) wirklich so wichtig waren, wie der Nichtjurist May wohl glaubte. Und nochmals eine andere Frage ist es, ob Emma (gesetzt den Fall, die Münchmeyer-Briefe waren wirklich beweiskräftig) sich der Tragweite ihres Handelns voll bewußt war.

Hermann Wohlgschaft
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Liebe Karl-May-Freunde,

Werner Kittstein kritisiert in den Mitteilungen der KMG Nr. 148, S. 47-53, deutlich die Wolff-Monografie ›Ermittlungen in Sachen Emma Pollmer‹ (Jahrbuch der KMG 2001) und damit auch die Wohlgschaft-Biografie, soweit sie die ›Ermittlungen‹ Gabriele Wolffs bzw. die ›Pollmer-Studie‹ Karl Mays verwertet.

Dazu möchte ich bemerken: Das Tagebuch Klara Mays stützt die Darstellung Mays in der ›Pollmer-Studie‹ und damit die Ausführungen Wolffs bzw. Wohlgschafts sehr eindrucksvoll. Klaras Tagebuch gehört zu den wichtigsten Dokumenten für die biografische May-Forschung. Es war keinesfalls für die Veröffentlichung bestimmt (Klaras lesbische Beziehung zu Emma wird im Tagebuch mehr als angedeutet) und wurde mit Sicherheit nicht aus prozesstaktischen Gründen verfasst. Es ist auch »keineswegs von Hass gegen Emma diktiert, weil Klara sehr enge Beziehungen zu Emma unterhielt und von ihr ziemlich abhängig war« (Claus Roxin).

Ralf Harder
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rodger
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Beitrag von rodger »

Diese Tagebücher Klaras könnten und sollten nun auch einmal veröffentlicht werden. Bei der Pollmer-Studie hat man ja auch entsprechende gschamige und sonstige Bedenken über Bord fallen lassen, zunächst im XXXL-Format und für den gehobeneren Geldbeutel, mittlerweile auch im grünen Gewand für Jung & Alt.

Die Tagebücher dürften auch in psychologischer Hinsicht manch interessante Auskunft geben über das sonderbare Dreigestirn.
Hermann Wohlgschaft
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu Rüdiger Wick: In der Sudhoff/Steinmetz-Chronik wie auch in der ›Wohlgschaft-Biographie‹ werden die wichtigsten Partien des Klara-Tagebuchs zitiert. Aber natürlich wäre es wünschenswert, wenn das gesamte Tagebuch nun endlich publiziert würde. Dasselbe gilt für die Korrespondenz May/Fehsenfeld.

Zu Werner Kittsteins Kritik in den Mitteilungen der KMG Nr. 148: Dort heißt es: »Wie viele andere Interpreten auch, hält Wohlgschaft an mehreren Stellen Charaktermerkmale weiblicher Figuren aus Mays Romanen aller Werksepochen ohne weiteres für Merkmale Emma Mays. Auf S. 464-467 z. B. weist er auf die Ähnlichkeit in der Charakterzeichnung und auf ›dasselbe Vokabular‹ in der Benennung eines weiblichen Bösewichts namens Clairon in ›Auf hoher See gefangen‹ mit der Darstellung Emmas in der ›Studie‹ hin und folgert daraus, May habe in dieser Clairon den üblen Charakter seiner ersten Frau gezeichnet. Nun ist die Übereinstimmung zwischen der Romanfigur und Emma in der ›Studie‹ in der Tat erstaunlich, aber die ›Studie‹ ist drei Jahrzehnte später verfaßt worden. Ist es – vorsichtig gesagt – nicht ebenso wahrscheinlich, daß die Ausdrucksweise der ›Studie‹ im literarischen Werk, etwa in diesem frühen Roman, vorgebildet ist? May hat bekanntlich, seit er zu schreiben anfing und bis ins hohe Alter, sein Leben und die darin vorkommenden Personen mehr oder weniger stark literarisiert; ich bin sicher, das gilt auch für die ›Pollmer-Studie‹.« [S. 48]

Hier liegt gewiß ein Mißverständnis vor. Denn keineswegs halte ich Charaktermerkmale von literarischen, also fiktionalen, Figuren »ohne weiteres für Merkmale Emma Mays«. Ich habe ja deutlichst geschrieben: »Erfundene Romanfiguren (...) können wir mit Emma Pollmer, der real existierenden Verlobten des Autors May, nicht einfach gleichsetzen.« (Biogr. S. 464) Behauptet habe ich nur, daß May »partienweise« die »eigenen Erlebnisse« im Erzählwerk »verarbeitet« hat (ebd.). Diese Spiegelungen sind so offensichtlich, daß niemand sie bestreiten kann.

Daß wesentliche Charakterzüge Clairons (in ›Auf hoher See gefangen‹) »sehr stark an das – höchst negative – Emma-Bild, wie es in der ›Pollmer-Studie‹, 1907, gezeichnet wird« erinnern (Biogr. S. 465), gibt ja auch Kittstein zu. Wir sind uns völlig einig: Clairon ist nicht Emma, aber die Charakterzeichnung Clairons erinnert an das Emma-Bild in der ›Studie‹!

Ich bezweifle auch gar nicht, daß Mays Emma-Bild einerseits auf reale Erlebnisse zurückgeht, andrerseits aber auf literarische Vorbilder. Wie ich in der Biographie (S. 1706ff.) ja dargelegt habe, wurde die ›Pollmer-Studie‹ terminologisch durch Carl-Felix von Schlichtegrolls Werk ›Die Bestie im Weibe‹ (1903) beeinflußt. Der Gedanke liegt natürlich nahe: Auch die ›Weibsteufel‹ in Mays fiktionalem Erzählwerk der 1870-1890er Jahre haben ihre literarischen Vorbilder. Die Frau als dämonische, männermordende Sirene ist ja ein bekannter literarischer Topos vor allem in der Spätromantik. Höchstwahrscheinlich hat May solche Vorbilder gekannt, was aber wiederum nicht ausschließt, daß manche ›Weibsteufel‹ in Mays Werk – partiell – der mit Emma erlebten Realität entsprechen.

Hermann Wohlgschaft
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Ralf Harder
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Beitrag von Ralf Harder »

Dass sich negative – oder von May als negativ empfundene – Charakterzüge Emma Pollmers schon im Erzählwerk Karl Mays der 1870er und 1880er Jahre spiegeln, ist m. E. ganz offenkundig. In meiner Monografie über die Münchmeyer-Romane (Materialien zur Karl-May-Forschung 19. Ubstadt 1996) habe ich diese Romane sogar als »frühe Pollmer-Studien« bezeichnet.

Auch in Wohlgschafts Biografie werden Spiegelungen der Karl-Emma-Beziehung in Mays literarischem Werk berücksichtigt, darin hat Kittstein Recht. Unrecht aber hat Kittstein, wenn er bemängelt, die Charaktereigenschaften fiktionaler Figuren wie Clairon in ›Auf hoher See gefangen‹ (oder Emilia in ›Waldröschen‹ oder Silbermartha in ›Der Weg zum Glück‹) würden in der Darstellung Wohlgschafts ganz schlicht und einfach – eins zu eins – auf Emma übertragen. Wenn Wohlgschaft dieses Missverständnis in seiner Antwort auf Kittstein zurückweist, kann ich ihm nur zustimmen, da Wohlgschafts May-Biografie die reale Emma von den literarischen Spiegelungen sehr wohl unterscheidet.

Ralf Harder
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Nochmals zum ›Fest für Kritiker‹ in den Mitteilungen der KMG Nr. 148. Werner Kittstein bemerkt (S. 53): Die »positive Einschätzung des 2. ›Surehand‹-Bandes durch einige von Wohlgschaft angeführte Autoren kann ich nicht teilen.«

Auch ich bin – wie die Biographie (S. 848f. u. S. 850 unten) erkennen läßt – der Meinung, daß ›Old Surehand II‹ zu Mays schwächsten Büchern gehört. Andererseits wollte ich aber nicht verschweigen, daß namhafte May-Forscher wie Eckehard Koch, Ulrich Schmid und Christoph F. Lorenz diesem vielkritisierten ›Old Surehand II‹ doch auch positive Aspekte abgewinnen.

Hermann Wohlgschaft
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rodger
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Beitrag von rodger »

Ich finde Old Surehand II (Band 19) eines der interessantesten und reizvollsten Bücher von Karl May. Innerhalb einer Rahmenhandlung werden ganz verschiedene Geschichten erzählt, wobei May auf früher geschriebenes sehr unterschiedlicher Art, einschließlich Kolportage (aus dem "Waldröschen") zurückgreift. Dabei sind Schalk und Selbstironie bezüglich des eigenen Schaffens unverkennbar.

So läßt er z.B. in der früheren Geschichte "Vom Tode erstanden", die er von einem Dritten im Wirtshaus erzählen und auf zunächst offenbar nicht allzu interessierte Ohren stoßen läßt, am Ende kurzerhand Winnetou und Old Shatterhand auftreten, um der Angelegenheit, auch für die Zuhörer im Gasthaus, zusätzlichen Reiz zu verleihen. - Und weist vorher in der überarbeiteten Geschichte "Three Carde Monte" als zuhörender Old Shatterhand einen anderen Erzähler auf zeitliche Anachronismen hin (die ihm, dem Autor May, aber offensichtlich bei der vorherigen Fassung der Geschichte entgangen waren).

*

Lieber Herr Wohlgschaft, wenn Sie auf alles, was irgendwo gegen Ihre Bücher bzw. einzelne Stellen daraus gesagt wird, eingehen wollten, dann hätten Sie viel zu tun. Nötig haben Sie es nicht. Denken Sie an Karl May: wenn der sich nicht so "drangehalten" hätte mit seinen Prozessen, wäre ihm viel erspart geblieben. Und überzeugender wurde er durch ca. zehnjähriges Ringen und Kämpfen auch nicht, will sagen, er war vorher überzeugend genug.

:wink:
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Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Lieber Herr Wick,

grundsätzlich meine ich auch: Ein Autor sollte nicht jede Kritik an seinem Buch sofort wieder kommentieren. Auch dies sehen Sie richtig: Ich habe es nicht nötig, meine Bücher zu rechtfertigen. Manche Wertungen, die offenkundig subjektiv und reine Ermessenssache sind, kann ich so stehen lassen, das stimmt. Wenn aber – wie teilweise von Sudhoff und Krauskopf – Behauptungen aufgestellt werden, die einfach nicht zutreffen, oder wenn – wie teilweise bei Kittstein – Mißverständnisse vorliegen, dann sind Klarstellungen von meiner Seite doch sinnvoll.

Wie Sie, lieber Herr Wick, (und wie Robert Elkner, Ralf Harder, Martin Klaussner, Eckehard Koch, Manfred König, Hartmut Kühne, Jutta Laroche, Martin Lowsky, Helmut Moritz, Claus Roxin, Frank Werder, Hermann Wiedenroth u. a.) gehört auch Werner Kittstein zu den vermutlich wenigen, die sich wirklich intensiv mit der Biographie beschäftigt, d. h. die drei Bände vollständig gelesen haben. Überdies hat Kittstein – wie auch Sie und Lowsky oder Koch und Roxin – eine ausführliche Stellungnahme verfaßt, die neben Zustimmung und Kritik auch weiterführende Gedanken enthält, die (wie vor allem der Fortsetzungstext in den Mitteilungen der KMG Nr. 149 zeigen wird) in jedem Fall diskussionswürdig sind.

Mit herzlichem Gruß
Hermann Wohlgschaft
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