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rodger
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Beitrag von rodger »

Bevor dieses Forum sozusagen völlig den Geist aufgibt, noch mal die eine oder andere Querverbindung …

In Thomas Manns Tagebüchern fand ich [1935] eine Erwähnung jenes Ludwig Klages, der, nachzulesen in einer früheren Ausgabe von Band 34 „Ich“ oder teilweise auch irgendwo hier im Forum, jene herzerfrischende, passagenweise Wort für Wort zutreffende Analyse [zu Karl May] erstellt hat. Und zwar sieht Mann Klages dort sozusagen als Mitvorbereiter Hitlers, und eine Fußnote im Anhang erläutert, die Nationalsozialisten hätten Klages Schriften „weltanschauliche Unterstützung“ entliehen. (Nicht jener Analyse :mrgreen: , Nein, der Mann hat halt auch noch anderes geschrieben …)

Othmar Schoeck, den ich zugegebenermaßen seinerzeit in Sachen Silbersee in Plauen noch nicht kannte (was mir seitens eines stets wohlbehüteten Zeitgenossen freundlicherweise den Ehrentitel „Musikbanause“ eintrug, in Sachen entsprechende Kenntnisse wohl offenbar nicht ganz zu Unrecht …), begegnet mir sowohl in den Tagebüchern Manns als auch in den Briefen Hesses des öfteren. Letzterer war mit ihm regelrecht befreundet, und Schoeck hat Gedichte von ihm vertont.
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Wolfgang Sämmer
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Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Zu Thomas Mann: War er es nicht, der seine Stirn darüber runzelte, daß der „Akademische Verband für Literatur und Musik“ May 1912 zu seiner letzten großen Rede nach Wien eingeladen hatte? „Soll er nicht Räuberhauptmann gewesen sein? Ich glaube, ich würde mir ein Billet kaufen“, so die etwas snobistische Äußerung Thomas Manns dazu. Während für seinen älteren Bruder Heinrich die Kunde von Mays Verfehlungen Grund genug war, in ihm jetzt „erst recht einen Dichter“ zu vermuten. „Daß Karl May einige Jahre – hu, hu, als Schmuggler und Räuber gelebt habe“, so der Lyriker Georg Heym, sei „eine Tatsache, die dem Dichter von vornherein das Wohlwollen eines anständigen Menschen sichert.“
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rodger
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Beitrag von rodger »

"Es gab diesen Thomas Mann, welcher die Bügelfalte zum Kunstprinzip erhob"

(Alfred Döblin)

:D

(aber einiges z.B. in "Tonio Kröger" formuliert ihm so keiner nach ... Merkwürdiger Fall. Unsympathisch und großartig.)
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rodger
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Re: ... quer ...

Beitrag von rodger »

Im Thomas Mann Handbuch findet sich ein sehr lesenswerter Artikel zu Thomas Mann als Kritiker, von Marcel Reich-Ranicki (der dort übrigens wesentlich interessanter und differenzierter herüberkommt als seinerzeit plakativ krawallig im doch allzusehr auf Show angelegten "Literarischen Quartett"). Er deutet dort an, Mann habe gelegentlich das, zu dem er sich geäußert habe, wohl nicht wirklich genau gekannt … Das dürfte allerdings auch auf Manns Kenntnisse bzw. Nichtkenntnisse in Sachen May zutreffen.

(Wo wir schon einmal dabei sind, Manns Hauptmann-Porträt mit dem Peeperkorn im 'Zauberberg' ist wirklich grandios … wie er da am Wasserfall viele weise Worte vorträgt und man nimmt allenfalls Bruchstücke wahr, da das Wasser zu laut rauscht … Mann hat, wie so oft, gleichzeitig ein Selbstbildnis darin vollbracht … in wieweit bewußt, oder aber unbewußt, das wüßt' ich mal gern …) (Auch diese Klammer hat einen Maybezug, im Peeperkorn sah man auch schon van Aardappelenbosch … :D )
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Wolfgang Sämmer
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Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Erich Heinemann trug einst Aussprüche über Karl May zusammen. In seiner Sammlung kommt natürlich auch Thomas Mann vor. Dieser, so Heinemann, wird Karl May
nicht gelesen haben, doch könnte, was er in "Tonio Kröger" schreibt, sich speziell auf May beziehen:
Ja, es geschah ganz eigentlich erst in der Strafanstalt, daß er seiner Begabung inne wurde, und seine Sträflingserfahrungen bilden das Grundmotiv in allen seinen Produktionen. Man könnte daraus, mit einiger Keckheit, folgern, daß es nötig sei, in irgendeiner Art von Strafanstalt zu Hause zu sein, um zum Dichter zu werden.

Tonio Kröger. In: Sämtliche Erzählungen, Frankf./M. 1963, S. 234.
Erich Heinemann: Dichtung als Wunscherfüllung. Materialien zur Karl-May-Forschung; Bd. 13. Bruchsal 1992, S. 105.
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rodger
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Re: ... quer ...

Beitrag von rodger »

Auch das, ebenfalls aus "Tonio Kröger", könnte sich auf May beziehen ...
Er ergab sich ganz der Macht, die ihm als die erhabenste auf Erden erschien, zu deren Dienst er sich berufen fühlte, und die ihm Hoheit und Ehren versprach, der Macht des Geistes und Wortes, die lächelnd über dem unbewußten und stummen Leben thront. Mit seiner jungen Leidenschaft ergab er sich ihr, und sie lohnte ihm mit allem, was sie zu schenken hat, und nahm ihm unerbittlich all das, was sie als Entgelt dafür zu nehmen pflegt.

Sie schärfte seinen Blick und ließ ihn die großen Wörter durchschauen, die der Menschen Busen blähen, sie erschloß ihm der Menschen Seelen und seine eigene, machte ihn hellsehend und zeigte ihm das Innere der Welt und alles Letzte, was hinter den Worten und Taten ist. Was er aber sah, war dies: Komik und Elend – Komik und Elend.

Da kam, mit der Qual und dem Hochmut der Erkenntnis, die Einsamkeit, weil es ihn im Kreise der Harmlosen mit dem fröhlich dunklen Sinn nicht litt und das Mal an seiner Stirn sie verstörte. Aber mehr und mehr versüßte sich ihm auch die Lust am Worte und der Form, denn er pflegte zu sagen (und hatte es auch bereits aufgeschrieben), daß die Kenntnis der Seele allein unfehlbar trübsinnig machen würde, wenn nicht die Vergnügungen des Ausdrucks uns wach und munter erhielten…
:!:
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rodger
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Beitrag von rodger »

Gegen Ende von Wilhelm Raabes bewegendem „Schüdderump“ geruht einer der Protagonisten zu äußern „ich habe mehr erlebt, als ich ausdenken kann. Ich bin auch ein anderer geworden“ und der Erzähler konstatiert trocken „Darin irrte er sich.“ („Seine Umgebung mochte ihm heute wohl in einer andern Gestalt und Färbung erscheinen, allein er selbst war noch ganz derselbe, der er vor Jahren gewesen war. Das Phänomen wiederholt sich häufig, wie viele Leute, die auch dann und wann meinten, sich vollständig geändert zu haben, aus ihrer eigenen Erfahrung bestätigen können“ wird dann noch angefügt.)

Woran kann einen das [unter anderem] erinnern ? An „jetzt das gerade Gegentheil vom früheren Karl bin. Der ist mit großer Ceremonie von mir in das rothe Meer versenkt worden, mit Schiffssteinkohlen, die ihn auf den Grund gezogen haben...“ Darin irrte er sich … (Denn Geltungsdrang, Aufplustern, Egomanie, Wahrheit verbiegen usw. standen bald wieder in alter, wenn auch in der Erscheinungsform veränderter Blüte …)
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Doro
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Re: ... quer ...

Beitrag von Doro »

Einleuchtend und doch ...
Es gibt bei allem zwei Sichtweisen, die vom jeweiligen Standpunkt aus erst mal immer richtig sind.
Von außen gesehen, ohne der entsprechenden Emotionen und individuellen Sichtweisen verhaftet, evtl. auch noch mit enorm zeitlichen Abstand, zeigt dem Betrachter bestimmt ein anderes Bild. Bzw. mit anderen Motiven und Hintergründen beleuchtet sieht manches differenziert aus und fühlt sich anders an (was zumeist unabdingbar zusammengehört).
Persönliche Wahrnehmung, persönliche Wahrnehmung seiner Selbst und Wahrnehmung generell sind ... nun sagen wir mal wenigstens in den Grundzügen, sehr verschieden.
People may hate you for being different and not living by society’s standards, but deep down they wish they had the courage to do the same. (Kevin Hart)
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rodger
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Re: ... quer ...

Beitrag von rodger »

Doro hat geschrieben: Es gibt bei allem zwei Sichtweisen
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