Ralf Harder hat geschrieben: Für mich ist nicht vorstellbar, dass May seinen Winnetou um 1880 sterben ließ, um ihn wenig später in "Ein Ölbrand" wieder auferstehen zu lassen. Im Herbst 1882 entstand "Die Todeskaravane"; dort überleben Halef und Kara Ben Nemsi nur aus erzählerischer Notwendigkeit – von der Pest gezeichnet. Wenig später lässt May seinen "Winnetou" sterben, beide Texte haben somit eine ähnlich trübe Stimmung. Erst zum Ende seiner Kolportagetätigkeit verfasst May den "Sohn des Bärenjägers", um mit "Winnetou" einen Neuanfang zu wagen.
In der Tat gleichen sich die beiden Erzählungen "Ein Ölbrand" und "im 'wilden westen' Nordamerikas" auch von der Grundstimmung und einzelnen Motiven her (Da ist etwa das Aufeinandertreffen der beiden Blutsbrüder, die sich dabei erstmals jeweils am „Tone“ ihrer Gewehre erkennen - später im „Ölprinz“ wieder aufgegriffen). Ferner 'stirbt' Winnetou auch in "Ein Ölbrand" durch den Verlust aller seiner Haare- also insbesondere auch dessein Erscheinungsbild prägenden sehr langen Haupthaares - quasi symbolisch, bzw. 'auf Zeit'. Bis das wieder nachgewachsen ist, müssen sozusagen erst einmal ein paar Jahre vergehen.
Ein weitere ziemlich spekulative Anmerkung findet sich auch im Eintrag zu „Der Gitano“ [Ein Abenteuer unter Carlisten] unter
1875.08. Dort heißt es – wohl aufgrund des gleichnamigen Titeleintrags Nr. 12.) [sowie auch Nr. 16.) "Das Geheimniß des Contrebandisto"] im „Repertorium“:
(...) eine Entstehung Ende der sechziger Jahre ist denkbar: Das verwundert doch arg, denn:
a.) möchte man aufgrund der Genese des Ich-Erzählers trotz der autobiographisch gefärbten Ich-erzählten Fragmente „Offene Briefe eines Gefangenen“ und „Hinter den Mauern“ keine so frühe exotische Ich-Erzählung vermuten.
b.) ist die Erzählung als
(Als eine Probe der unter dem Titel »Aus der Mappe eines Vielgereisten« in unserem »deutschen Familienblatte« veröffentlichten Abenteuer und Characterschilderungen. angekündigt – die Rolle des Ich-Erzählers hat dabei ja auch das gleiche passive Niveau wie derjenige in „Inn-nu-woh“.
c.) muß Karl May mit dem „Repertorium“-Eintrag – wenn er denn überhaupt schon damit eine Handlung verband – damit nicht die Geschichte des „Beobachter“-Textes gemeint haben, so ist mit „69.) Ein Celloer. »Wanda«“ mit Sicherheit auch nicht die ganze später abgedruckte Novelle gemeint (zumal es dort gar keinen Cellospieler gibt, Winter z.B. spielt Piano).
d.) ist das Datum der Handlung explizit mit dem ersten Satz:
Es war am 29. Juli 1875. angegeben.
e.) begann der gemeinte Karlistenkrieg erst 1872, vgl. etwa den Eintrag Ekkehards Koch ins Karl-May-Handbuch:
Angeregt durch zeitgenössische Presseberichte knüpft May an historische Begebenheiten in Spanien an (Karlistenkrieg um die Thronfolge 1872-76) (...).
f.) sind schließlich sind die im Text genannten historischen Figuren wie Don Carlos (1848-1909), General Dorregaray (ca. 1820-1882) und Jovellar (1819-1892) historissche Persönlichkeiten in diesem Karlistenkrieg, vgl. z.B. den zweiten Satz:
Zwei Tage vorher hatte Don Carlos bei Tolosa über die Brigaden Dorregarray's große Heerschau gehalten und demselben neue Pläne über den fortzusetzenden Widerstand nach Navarra geschickt..
Ausführliches zum "Gitano" siehe unter:
Ekkehards Koch - »Der Gitano ist ein gehetzter Hund« - Karl May und die Zigeuner
->
http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1989/178.htm
ABER: Es gab zwei Carlistenkriege! Der in den 70er Jahren aktuelle war die Nr. 2. Der erste Carklistenkrieg fand von 1834-39 statt. Und in diesem ersten Krieg gab es tatsächlich auch einen Don Carlos (1788-1855), um dessen Thronfolge gekämpft wurde, theoretisch hätte May hier also eine auf den 1. Carelistenkrieg bezogene Erzählung so umarbeiten können, daß sie dann auf den 2. Carlistenkrieg zuträfe. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man beim zitierten „Chronik“-Eintrag wirklich so weit gedacht hat.
In gleicher Weise frisierte May ja auch - mehr schlecht als recht -die ursprünglich Ende der 30er Jahre datierte Erzählung „Der Boer van het Roer“ für die Buchausgabe „Auf fremden Pfaden“ auf die 60er/70er Jahre um. Falls es nun aber wirklich einen derartigen Ur-„Gitano“ gegeben haben sollte, müßte dies freilich nicht heißen, daß es sich dabei ebenfalls bereits eine Ich-erzählte Fassung gehandelt hätte. Gerade die Passivität des Ich-Erzählers könnte bedeuten, daß dieser hineingeschrieben – z. B. durch Umwandlung einer Nebenfigur - worden wäre, dergleichen hat May später ja auch bei der Bearbeitung von „Auf der See gefangen“ für die „Old Surehand II“-Buchausgabe gemacht. Insgesamt erscheint mir eine solche theoretische Möglichkeit aber als zu arg spekulativ, als daß sie beim derzeitigen Kenntnisstand eine Anmerkung auf ein mögliches früheres Entstehungsdatum eines Ur-"Gitano" in der Chronik rechtfertigen sollte.
Schließlich noch ein Hinweis auf eine interessante - und dabei nicht mit einer Quellenangabe belegte - Ausgabe, die sich unter
1868.11.-1869.03. (S. 144) findet: „Mehrmals fährt er nach Dresden (angeblich in literarischen Angelegenheiten: laut Aussage vom 3.7.1869 liefert er bereits in dieser Zeit
litteraruische Arbeiten für den
Dresdner Buchhändler Münchmeier)“; vgl. auch
1869.07.03 (S. 163): „Bis Pfingsten habe er bei seinen Eltern gewohnt und literarische Arbeiten für den Kolporteur Heinrich Gotthold Münchmeyer geliefert (...)“
Mit dieser Deutlichkeit habe ich das noch nirgends gelesen, allenfalls aufgrund eines bereits bekannten May-Briefes an seine Eltern vermutet; siehe auch
1869.04-20. (S. 153): „
Ihr bekommt diesen Brief nicht durch die Post, sondern durch einen Geschäftsfreund von mir, der Euch aufsuchen wird, um einige schriftstellerische Arbeiten abzuholen, die er verwerthen soll. Es ist der alte Colporteur Müller, von dem wir früher viel gelesen haben. Gebt ihm alles, was ich zu hause habe; ich traue ihn.“
Demnach scheint es also durchaus wahrscheinlich zu sein, daß May schon vor seiner Waldheimer Zuchthauszeit Kontakt mit dem Münchmeyer-Verlag gehabt hatte. Wobei mir hier, wenn ich da mal wild spekulieren würde, als Kandidaten für jene frühen „literarischen Arbeiten“ zunächst einmal „Der Samiel“ sowie „Rache oder das erwachte Gewissen“ einfallen würden – beide Erzählungen regten übrigens unverkennbar zwei Kapitel („Der Silberbauer“ & „Der Samiel“) in „Der Weg zum Glück“ an.
(Beim Waldbauer fiel mir übrigens vor kurzen der folgende Vergleich ins Auge, der in einer typisch treudeutschen Heimatgeschichte eigentlich eher unüblich gewesen sein dürfte, es sei denn man hätte als Autor wie May ein Faible fürs Exotische, insbesondere für die nordarikaniosche Sahara mit ihren Sandstürmen:
Der ganze Ausdruck glich (...) dem eines Löwen, der mit gesträubter Mähne und eingestemmten Vorderpranken den ersten verderblichen Stoß des Samums erwartet.)
Und schließlich noch ein kleiner formaler Hinweis: Bei einer Neuauflage des ersten Chronik-Bandes erscheint es außerdem angebracht, unter
1864.07.09 (S. 122) die folgende doppelte Zeile zu eliminieren: “ein paar Hosen von schwar- zen feinen schweren Buckskin,“